Am späten Freitag Abend laufe ich vom Supermarkt meines Vertrauens heim, es regnet und ich habe natürlich erstens eine Sommerjacke an (es ist Mitte/Ende Mai, da ist das theoretisch nicht so ganz falsch) und zweitens liegt mein Regenschirm (den ich mal in der S-Bahn fand, ich hätte mir im Leben keinen eigenen gekauft) ganz entgegen seiner eigentlichen Bestimmung schön warm und trocken auf der Kommode im Flur.
Perfekt.
Ich laufe die Fuhle entlang, dann kreuze ich den Parkplatz unter der Brücke des Ring 2, der fast ganz Hamburg durchquert und auf dem gern mal Biker oder Fahrer von Schwanzverlängerungen das Gas richtig hochreißen, was ich dann in meiner Wohnung höre. Nachts finde ich das sehr angenehm. Es gibt, das ist mein vollkommener Ernst, zum Einschlafen nichts entspannenderes, als Großstadtlärm. Oder Regen. Heut Nacht hab ich beides.
Die Autos flitzen vorbei, zur Linken bauen sich die typischen Barmbeker Rotklinkerbauten auf und ein paar Meter vor mir seh ich ein flackerndes Licht. Das gehört da nicht hin. Das war noch nie da.
Ein paar Schritte später entpuppt sich das Licht als einsame Kerze im fast schon schaufenstergroßen Fenster einer Erdgeschosswohnung, die in der letzten Woche noch leer stand.
Jetzt beleuchtet die Kerze schwach einen Raum, in dem nur ein Tisch, einige Stühle mit stoffbezogenen Sitzflächen und irritierenderweise ein großes Holzfass stehen. Auf dem Fass eine kleine Musikanlage, die Jazz/Blues in den Raum dudelt. Vier Personen sind im Raum, zwei Männer, zwei Frauen, alle um die 50 und alle elegant gekleidet, die Männer mit weißem Hemd, dunkler Weste samt Einstecktuch und dunkler Stoffhose, die Frauen in dunklen Abendkleidern. Ein Paar tanzt im Takt der Musik durch den sonst leeren Raum, das andere prostet sich mit Weingläsern zu.
Es ist skurril.
Wär da nicht diese semimoderne Stereo-Anlage, ich hätt mich in nem anderen Jahrzehnt gewähnt. Total abgefahren!
Sowas kenn ich aus dem Fernsehen, selbst in Berlin hab ich das noch nicht erlebt.
Und dann in Barmbek?
500 Meter von meiner Wohnung entfernt?
E.T.'s Ankunft eben hier ist in etwa genau so wahrscheinlich...
Ich hab sicher ein paar Minuten vor der Fensterscheibe im Regen gestanden und zugeschaut. Entweder wurde ich nicht bemerkt oder denen da drin war es einfach egal. Das Geschehen dort hatte was! Solche Anblicke erwarte ich hier in meiner Hood einfach nicht. Hat mich kurzzeitig ziemlich in seinen Bann gezogen.
Als ich weiter ging, wurde ich recht schnell aus meinen nächtlichen Tagträumen gerissen.
"Exit light! Enter night! Take my hand! We're off to never never-land!"
Metallica. "Enter sandman". In vollster Lautstärke. Mein viertliebstes Lied der Band. Riss mich komplett aus meinen Gedanken.
Hinter der Fensterscheibe, wieder im EG, schüttelt einer die Mähne, headbangt, als gäb's kein morgen mehr, zeigt die Pommesgabel* und gibt einen Scheiß drauf, was Nachbarn, Passanten oder sonstige von ihm halten. Die Haare fliegen, der nicht zur Pommesgabel erhobene Arm spielt Luftgitarre, Wacken goes Wohnzimmer. Geil!!
Das ist Barmbek wie ich es liebe! Hart und mit der "drauf geschissen-Mentalität". Zehn Meter weiter wird im Kerzenlicht herumgeschwoft. Geht beides. Auf einem Haufen.
Hier geh ich nie wieder weg. Es sei denn, es geht nach Berlin.
Und da würd ich das hier, dieses Dorf innerhalb eines 1,7-Millionen-"Dorfes", dann vermissen. Barmbek, my love...
*Pommesgabel: Ich kann leider mal wieder nicht verlinken, daher bei Interesse einfach mal selber...und so.
http://de.m.wikipedia.org/wiki/Mano_cornuta
"Pommesgabel"-wie geil, die Bezeichnung kannte ich noch nicht:-))
AntwortenLöschenIndiskret nachgefragt: Wie verhält es sich denn mit dem liebsten-drittliebsten Metallicastück? Eher aus der Oldschool- oder der Weichspüler-Ära?
Hmm, ich war nie ein echter Fan. Aber vor allem das selbstbetitelte Album aka "The black album" ist grandios!
LöschenMeine Top 5 insgesamt wären wohl:
5. Wherever I may roam
4. Enter Sandman
3. One
2. Turn the page
1. The unforgiven II
Ja, die "Schwarze" war genial-danach wurd's mir persönlich dann zu lahm (den bescheuerten Begriff "kommerziell" kneif ich mir an der Stelle mal..Geld verdienen wollen ja schließlich alle.)
LöschenMein erstes (unvergeßliches)Konzerterlebnis war übrigens Metallica; lang ist's her, damals war man als Metalfan arm dran. Vor allem als sehr Jugendlicher. Mann, hatte ich ständig Ärger an der Heimatfront! Nietengurt und Lederjacke mußte ich auf dem Speicher verstecken. Ein Horror, als meine Mutter mir auf die Schliche gekommen ist und mich aus meiner Stammkneipe gezerrt hat:-)
Damals nicht vorstellbar, daß selbst so was wie Wacken mal eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz erfahren würde!
Haha, die Szene mit der in die Stammkneipe stürmende Mutter hab ich grad vorm inneren Auge, wie bitter!! Von sowas wurde ich zum Glück verschont...
LöschenMein erstes Konzerterlebnis waren übrigens die Toten Hosen. Geburtstagsgeschenk zum 16. von meinen Jungs. Das kann nur ein schlechter Scherz gewesen sein...hoffe ich. Anders kann ich's mir nicht erklären.
Oh, du bist ja wie die Hosen aus D...uuups! Nichts für ungut, aber mit der Band hab ich's nicht so... ;)
LöschenMacht nix, ich auch nicht:-)
LöschenHandelt es sich bei den Personen im Kerzenlicht um irgendeine Sekte? Die Beschreibung liest sich so.
AntwortenLöschenNa, ich hoffe mal nicht! Auf die Idee war ich noch nicht gekommen...bisher hielt ich die vier lediglich für leicht verschrobene Freunde guter Musik und guten Weines, die das ganze recht plakativ ausleben.
LöschenHat das Beschriebene tatsächlich Sektencharakter? Das war mir nicht bewusst!
War ja nur so ein Gedanke, der mir kam. Aber stimmt - die Musik passt eigentlich nicht zu einer Sekte. Glaube ich. Hoffe ich.
LöschenWar ja auch kein falscher Gedanke Herr oder Frau Anonym, Ich nehme an, wir sind beide keine Fachmenschen in dem Bereich :)
AntwortenLöschenBin übrigens gestern Nachmittag wieder dort vorbei gelaufen, nun ist der Raum wieder leer. Eventuell kann man den mieten und das war (nur) irgendein künstlerisches (?) Happening?