Eine Bundesstraße irgendwo im spätabendlichen Schleswig-Holstein.
Im Wagen ist es grausig kalt, die Frontscheibe ist beschlagen und teilweise von innen eingefroren, man sieht so gut wie nichts. Sowas kenne ich vom ersten Auto meines besten Schulfreundes, einem klapprigen Fiat Panda Baujahr 1983, der auf Asphalt-Trennscheiben durch das dörfliche Niedersachsen rollte, den man notfalls öffnen konnte, indem man an der richtigen Stelle mit ein wenig Nachdruck gegen die Fahrertür schlug und dessen Wert wir zum Ende seines langen Kleinstwagenlebens hin verdoppelten, indem wir mittig in der Rück"bank" Platz für eine Zapfmaschine samt handelsüblichem 5-Liter-Fässchen schufen, was zu einigen (außer für den alk-losen Fahrer) denkwürdigen Wochenden-Fahrten in die 70 Kilometer entfernte Großraum-Disse führte. Die Karre war im Winter ständig von innen eingefroren, das war Standard.
In dem fast noch aktuellen Mittelklasse-Sport-Coupè, in welchem ich gerade sitze, hatte ich das nun so nicht erwartet und bin einigermaßen überrascht.
Die Fahrerin erzählt fröhlich und freimütig und ohne um den heißen Brei herum zu quatschen, wie mit Ach und Krach die dritte praktische Fahrprüfung bestanden wurde. Es hatte wohl eher mit dem Mitleid des Prüfers als mit fahrerischem Können zu tun, womöglich handelte der aber auch aus reinem Selbstschutz.
"...auf jeden Fall hat er gesagt, eigentlich sei ich durchgefallen. Aber irgendwann müsste es ja auch mal gut sein und außerdem hatte er schon viele an dem Tag durchfallen lassen, also hab ich meinen Führerschein trotzdem bekommen. Ein netter Typ, echt!
...
Eigentlich kann ich nämlich echt nicht gut Auto fahren. Aber man kann ja auch nicht alles können!" kommt es lachend und selbstbewusst vom Fahrersitz und zeitgleich macht der Wagen einen Schlenker Richtung Baumgrenze zur Rechten, was mit einem überraschten "Huch!!" kommentiert wird. Mehr, als zustimmend und betroffen zu nicken, kriege ich leider grad nicht hin.
Ich bin zu konzentriert darauf, mich irgendwo klammheimlich fest zu krallen und den Körper anzuspannen, vor dem geistigen Auge läuft dort eh seit Fahrtbeginn ein kunterbunter Zeichentrickfilm ab. Meist fahren darin Zeichentrickautos gegen Zeichentrickbäume oder durchbrechen Zeichentrickschranken, um dann von Zeichentrickschnellzügen auf die Hörner genommen zu werden. Immer, wenn das passiert, ploppen über der Szenerie Geräuschblasen auf und in denen steht sowas wie "BAAAMMMMMM!!" oder "RUUUUMMMMMMSS!!" oder "KADOOOOOOOOONK!!"
Richtig, ich bin ein furchtbarer, ein ganz ganz furchtbarer Beifahrer.
Ich bremse energisch mit, ich rufe mit einem Anflug von Panik in der Stimme "Da kommt einer, da KOMMT einer!!!", wenn ich in gefährlich anmutender Entfernung ein heran nahendes Fahrzeug sehe - auf der Hinfahrt, als es noch hell war, tat ich das auch, weil das heran nahende Fahrzeug ein recht großer und schneller SUV war und er war viel zu nah, um vor ihm noch einzubiegen - erhört wurde ich auf dem Fahrersitz aber leider nicht. Ich war sehr glücklich, dass der große schnelle SUV gute Bremsen und das Gefährt, in dem ich unterwegs war, eine recht respektable Beschleunigung aufzuweisen hatte. Ein paar graue Haare sind wahrscheinlich trotzdem wieder dazu gekommen...
Aber warum bin ich ein so bescheidener Beifahrer?
Genau weiß ich das gar nicht. Früher war das nie so. In Kufi`s Fiat habe ich mich nie irgendwo festgeklammert und Blut und Wasser geschwitzt, wenn er die Möhre mit Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h über die waldgesäumten kurvigen Straßen meiner emsländischen Heimat prügelte und wenn ich so zurück denke, dann gab es auf solchen Fahrten eigentlich alle paar Kilometer Grund zu panischem Geschrei. Aber das war damals wohl grad ausverkauft.
Oder anders: Eine Mischung aus Testosteron-Überschuss und jugendlichem Leichtsinn, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Übermut und ebenso viel "Scheißegal!"-Einstellung.
Insgesamt war ich als Fahrer bisher "nur" in drei Unfälle verwickelt, von denen "nur" einer - einer zu viel - auf meine Kappe geht. Im Nachhinein wundert mich das ein wenig, bin ich doch damals mit 18, 19, 20 selbst gefahren wie ein Henker - ich bin absolut nicht stolz drauf.
Ich gehe aber davon aus, dass der Tag, an dem ich zum "Schisser auf dem Beifahrersitz" wurde, der 15.12.2001 war.
Auf dem Beifahrersitz eines Smart ging es von Bonn die A1 hoch nach Hamburg und fast am Ziel, kurz hinter der Abfahrt "Tötensen" (die heißt wirklich so und dort um die Ecke lebt (immer noch?) Dieter Bohlen), gab es Blitzeis. Leider hatten wir aber das Radio nicht an, also hatten wir keine Vorwarnungen über den Äther gehört.
Ich weiß noch, dass wir auf der Überholspur grad an einer Kolonne von LKWs vorbei zogen und laut Tacho etwa bei 120 waren. Dann habe ich mich in den Fußraum gebückt, weil mein Schuh offen war. Abgefahren, an was für einen Unsinn man sich nach so langer Zeit noch erinnert. Als ich nach ein paar Sekunden wieder nach vorne aus dem Fenster schaute, schlingerte die Autobahn von rechts nach links und wieder zurück. Zuerst minimal, dann immer schneller. Ich habe gar nicht kapiert, was das heißt und war ziemlich verwundert.
Vom Fahrer, einem sehr guten Freund, kam die knappe Ansage: "Festhalten. Das knallt gleich!"
Dann ging es links in die Mittelleitplanke und danach machten wir auf der Überholspur drei oder vier recht langsame Pirouetten. Ich habe keine Ahnung, wieso wir nicht über die linke auf die rechte Spur, also zwischen oder direkt vor einen der LKW`s geschliddert sind, ich weiß aber, das wir uns auf Höhe des Fahrerhauses eines blauen LKW drehten und ich erinnere mich, dass der Fahrer zu uns herunter schaute und ich zu ihm hoch und die Blicke trafen sich immer dann, wenn der Smart sich wieder in Fahrtrichtung gedreht hatte. Der LKW-Fahrer schüttelte sehr bestimmt mit dem Kopf und der Blick sagte in etwas aus: "Bleibt bloß auf Eurer Spur, wenn Ihr mir vor die Karre rutscht, dann seid ihr Matsch und dann werd ich echt mächtig sauer!"
Wir haben die Spur nicht verlassen, stattdessen ging es noch zwei weitere Male in die Mittelplanke, ob es am Können des Typen neben mir lag oder einfach Glück oder Zufall war, weiß ich bis heute nicht.
Zum Stehen kamen wir quer zur Fahrtrichtung, auf der Überholspur einer vielbefahrenen Autobahn jetzt auch eher ungünstig, daran habe ich in dem Moment aber überhaupt keinen Gedanken verschwendet. Es wurde kurz gecheckt, ob der jeweils andere ok ist, dann war der nächste Gedanke, dass wir die Trümmerteile einsammeln müssten. So ein Smart besteht ja quasi nur aus der Fahrerkabine und ganz viel Plastik drum herum (zumindest war das damals so, heute wird das evtl ein bisschen anders sein), das ganze Plastik, Kotflügel, Frontschürze und so weiter, lag wild verstreut auf der A1 herum.
Ich bin mir absolut nicht sicher, ob wir zuerst den Krempel eingesammelt haben, schliddernderweise, man hätte auf der Autobahn Schlittschuh laufen können und darüber habe ich mich in dem Moment totlachen müssen oder ob wir - und ich hoffe, so war es - zuerst den Wagen auf den Standstreifen geschafft haben. Der fuhr nämlich noch! Und das nichtmal schlecht! Bis zu dem Tag hatte ich immer über Smarts gelästert, zu klein, zu hässlich etc...seit dem Unfall habe ich einen Heidenrespekt vor den Dingern!
Mit fast allen Trümmerteilen im Inneren wurde es zwar etwas unbequem, aber wir haben es bis zur nächsten Abfahrt geschafft (natürlich auf dem Standstreifen und nicht mehr mit dreistelliger Geschwindigkeit, eher so im Schritttempo). Dort haben wir auf einem Parkplatz gehalten und die Polizei alarmiert. Die wunderte sich dann weniger darüber, dass wir keinerlei Kratzer abbekommen hatten, sondern machte lieber zotige Anspielungen über die gemeinsame Wohnadresse, da ich zu der Zeit noch keine eigene Wohnung gefunden hatte und beim Kumpel auf der Couch wohnte. Die blöden Sprüche würde ich mir heutzutage auch in der Situation sicher nicht mehr gefallen lassen, aber damals...mein Gott, Dorfbullen halt. Da kann man eh nicht viel erwarten.
Zuhause angekommen nach einer Odysee im Abschleppwagen, haben wir uns ein Bier aufgemacht und auf unseren gemeinsamen "zweiten Geburtstag" angestoßen, denn die Aktion hätte auch ganz ganz anders ausgehen können. Am Abend des 15.12. gönne ich mir bis heute etwas besonderes und das wird auch so bleiben.
Die weichen Kniee und all das kamen bei mir erst viel später. Als ich das erste Mal viele Wochen später wieder auf einen Beifahrersitz steigen musste, es war ein Taxi heim vom Kiez und der Fahrer akzeptierte nur mich als Nebenmann, da der Rest der Truppe ihm zu betrunken war. Es hat Überwindung gekostet, mich auf den Beifahrersitz zu setzen und die zwanzig Minuten von der Reeperbahn heim nach Barmbek-Nord waren nicht wirklich angenehm. Festhalten, Mitbremsen, Schwitzen...auf ein Mal alles da.
Seitdem vermeide ich das. Wenn ich eine Mitfahrgelegenheit nutze, dann bin ich möglichst früher als alle anderen am Treffpunkt, damit ich meinen liebsten Platz hinter dem Fahrer ergattere - also das genaue Gegenteil vom Beifahrersitz...aber das fällt mir jetzt grad erst auf und mag Zufall sein.
Am Wochenende sitze ich wohl wieder neben oben angesprochener Fahrerin auf oben angesprochenem Beifahrersitz. Das Wetter wird besser sein, keine vereisten Scheiben mehr. Sehr gut! Das macht ein wenig Hoffnung.
Vielleicht trink ich am Abend vorher einfach ein Bier zuviel, dann schlaf ich innerhalb von Minuten im Auto ein.
Das ist zwar unhöflich, insgesamt aber gar keine schlechte Idee...
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Donnerstag, 6. Februar 2014
Vorne rechts: Von der Unannehmlichkeit, Beifahrer zu sein
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Von früher
Sonntag, 29. Dezember 2013
Aber das Navi sagt "Links"!
Am zweiten Weihnachtstag bin ich aus der Heimat im niedersächsischen Nichts per Mitfahrgelegenheit zurück nach Hamburg gefahren.
Die Fahrt verlief einigermaßen unspektakulär, obwohl mich die Fahrerin doch äußerst stark an Disneys Kampf-Prinzessin Merida erinnerte.
Anfangs wurde sich noch geschwätzig unterhalten, mit der Zeit erstarb aber das Gespräch, ich war eh todmüde und wollte, nachdem ich glücklicherweise meinen Lieblingsplatz hinten links erobert hatte, die Fahrt verschlafen, die Beifahrerin knickte auch urplötzlich ab, grad hatte sie noch davon erzählt, wie toll ihre ersten drei Monate in Berlin gewesen seien, die große Stadt, das Mädchen aus der Provinz, in Friedrichshain lebe sie jetzt, Dachgeschoß, mit Balkon, tralali tralala, alles supi, ABER...!
Allmählich bekam ich schlechte Laune. Kann ich denn nichtmal friedlich vom Arsch der Welt nach Hamburg fahren, ohne mir Geschichten von irgendwelchen Hipster-Kiddies Anfang zwanzig anhören zu müssen, die sich darüber beschweren, dass ihre verfickte liebste Boutique mehr als eine Tram-Station von ihrer an der Decke mit Stuck verzierten Altbauwohnung mit Blick auf den Fernsehturm und in Rotznähe des Boxhagener Platzes gelegen ist und das der Bio-Laden ums Eck vorgestern schon wieder keine fair getradete handaufgezogene Karambola mehr im Angebot hatte?
Und warum muss ich bei "Karambola" immer an einen Haufen Schrottautos denken? Sternfrucht Alter, Sternfrucht!
Die Laune wäre wohl noch weiter gesunken, hätte sich nicht zwischen der rotbelockten Fahrzeugführerin und ihrem Navi ein lustiges "Gespräch" entsponnen.
"In 300 Metern links abbiegen!" - "Häh?" - "In 250 Metern links abbiegen!" - "Was? Wieso??" - "In 100 Metern links abbiegen!" - "Aber...zur A1 muss ich doch gerade aus? Fünf Kilometer noch?" - "Sie haben Ihre Abfahrt verpasst. Bitte wenden!" - "Gott verdammt! Gerade aus! Fünf Kilometer! Da, es steht auf dem Schild!!" - "Bitte wenden!"...
Viel hat nicht gefehlt und aus Nase und Ohren wäre weißer Rauch aufgestiegen, farblich abgestimmt zum Kopfhaar. Es hatte ein bisschen was von einem Beziehungsstreit. Auch wenn weder gewendet noch links abgebogen wurde, so hat gefühlt dann doch das Navi gewonnen, denn Prinzessin Merida fluchte noch Minuten später auf der Autobahn wie ein Rohrspatz leise vor sich hin. Irgendwie ganz niedlich.
In Hamburg wiederholte sich das Spielchen nochmals, als wir unser angepeiltes Ziel, den U-Bahnhof Schlump, ansteuerten. "Bitte links abbiegen!", "Nach 200 Metern halbrechts halten!", "Bitte schlagen sie vier Mal mit der Stirn auf das Lenkrad!", "Bitte erwürgen sie jetzt die Person zu Ihrer Rechten!"...meine wegweisenden neunmalklugen Kommentare von der Rückbank habe ich mal lieber für mich behalten, das war vermutlich besser für alle Beteiligten.
Ich weiß schon, warum ich einem Navi nicht über den Weg traue...
Im Sommer hatte ich schonmal so eine mehr oder weniger lustige Erfahrung mit einem sogenannten Navigations-System.
Im Rennflitzer meiner Cousine auf dem Heimweg vom Besuch im Münsteraner Zoo waren wir schon viel zu lange unterwegs, normalerweise braucht man 45 Minuten pro Strecke, wir waren bei einer Stunde Fahrtzeit und das Heimatdorf war alles andere als in Sichtweite. Da meine Cousine mit ihren zwanzig Jahren zwar eine gute Fahrerin ist, sich aber im Umkreis von 15 Kilometern um ihre Homebase herum nichtmal ein klitzekleines bisschen auskennt, fuhren wir strikt nach Navi. Linksrum, rechtsrum, halblinks, halbrechts, bla. Cousinchen folgte den Anweisungen der Computerstimme genauestens.
Nochmals links ab, direkt wieder rechts - und dann standen wir auf den Gleisen.
Jetzt ist so ein japanischer Kleinwagen zwar für vieles kompatibel, nicht aber für Schienenverkehr. Das war recht unpassend in dem Moment.
Man kann sich in etwa vorstellen, in welcher Hektik Cousinchen, Tantchen und ich die Karre, zum Glück wiegt die ja leer so gut wie nichts, von den Schienen wieder auf die Straße bugsiert haben.
Dass die Gleise nicht mehr genutzt werden, habe ich dann später am Abend via Google herausgefunden. Hab ich Cousine und Tante bis heute nicht erzählt, ich freu mich immer noch über die erschrockenen Gesichter und die weit aufgerissenen Augen, wenn die Geschichte wieder aufgewärmt wird. Mit Vorliebe von mir. Natürlich. An Weihnachten hab ich mir den Spaß mal wieder gegönnt.
Daddy hat nun vom Christkind auch ein Navi bekommen (und Chromfelgen nachempfundene Radkappen für den Familien-Kombi! Bling bling! Pimp Dad`s ride!), ich bin gespannt auf erste abenteuerliche Geschichten! Das wird bestimmt lustig!
Ich würde ja auch gern eine peinliche Navi-Geschichte über mich erzählen, aber - da gibt`s keine. Als ich noch ein Auto hatte, gab es meines Wissens nach noch keine Navis, ich hab noch auf Autobahn-Rasthöfen anhalten und gefaltete Straßenkarten studieren müssen, die sich NIE wieder in die Ursprungsform zurück falten ließen! Oder ich hab einfach nach dem Weg gefragt. Obwohl ich ein Kerl bin und ich das rein genetisch im Prinzip gar nicht tun sollte. Kerle fragen nicht nach dem Weg. So heißt es doch.
Ich schon.
Morgen geht`s wieder auf die Autobahn, ab in die Hauptstadt. Hoffentlich ohne navigatorische oder anders geartete Katastrophen. Aber bei meinem Glück...
Die Fahrt verlief einigermaßen unspektakulär, obwohl mich die Fahrerin doch äußerst stark an Disneys Kampf-Prinzessin Merida erinnerte.
Anfangs wurde sich noch geschwätzig unterhalten, mit der Zeit erstarb aber das Gespräch, ich war eh todmüde und wollte, nachdem ich glücklicherweise meinen Lieblingsplatz hinten links erobert hatte, die Fahrt verschlafen, die Beifahrerin knickte auch urplötzlich ab, grad hatte sie noch davon erzählt, wie toll ihre ersten drei Monate in Berlin gewesen seien, die große Stadt, das Mädchen aus der Provinz, in Friedrichshain lebe sie jetzt, Dachgeschoß, mit Balkon, tralali tralala, alles supi, ABER...!
Allmählich bekam ich schlechte Laune. Kann ich denn nichtmal friedlich vom Arsch der Welt nach Hamburg fahren, ohne mir Geschichten von irgendwelchen Hipster-Kiddies Anfang zwanzig anhören zu müssen, die sich darüber beschweren, dass ihre verfickte liebste Boutique mehr als eine Tram-Station von ihrer an der Decke mit Stuck verzierten Altbauwohnung mit Blick auf den Fernsehturm und in Rotznähe des Boxhagener Platzes gelegen ist und das der Bio-Laden ums Eck vorgestern schon wieder keine fair getradete handaufgezogene Karambola mehr im Angebot hatte?
Und warum muss ich bei "Karambola" immer an einen Haufen Schrottautos denken? Sternfrucht Alter, Sternfrucht!
Die Laune wäre wohl noch weiter gesunken, hätte sich nicht zwischen der rotbelockten Fahrzeugführerin und ihrem Navi ein lustiges "Gespräch" entsponnen.
"In 300 Metern links abbiegen!" - "Häh?" - "In 250 Metern links abbiegen!" - "Was? Wieso??" - "In 100 Metern links abbiegen!" - "Aber...zur A1 muss ich doch gerade aus? Fünf Kilometer noch?" - "Sie haben Ihre Abfahrt verpasst. Bitte wenden!" - "Gott verdammt! Gerade aus! Fünf Kilometer! Da, es steht auf dem Schild!!" - "Bitte wenden!"...
Viel hat nicht gefehlt und aus Nase und Ohren wäre weißer Rauch aufgestiegen, farblich abgestimmt zum Kopfhaar. Es hatte ein bisschen was von einem Beziehungsstreit. Auch wenn weder gewendet noch links abgebogen wurde, so hat gefühlt dann doch das Navi gewonnen, denn Prinzessin Merida fluchte noch Minuten später auf der Autobahn wie ein Rohrspatz leise vor sich hin. Irgendwie ganz niedlich.
In Hamburg wiederholte sich das Spielchen nochmals, als wir unser angepeiltes Ziel, den U-Bahnhof Schlump, ansteuerten. "Bitte links abbiegen!", "Nach 200 Metern halbrechts halten!", "Bitte schlagen sie vier Mal mit der Stirn auf das Lenkrad!", "Bitte erwürgen sie jetzt die Person zu Ihrer Rechten!"...meine wegweisenden neunmalklugen Kommentare von der Rückbank habe ich mal lieber für mich behalten, das war vermutlich besser für alle Beteiligten.
Ich weiß schon, warum ich einem Navi nicht über den Weg traue...
Im Sommer hatte ich schonmal so eine mehr oder weniger lustige Erfahrung mit einem sogenannten Navigations-System.
Im Rennflitzer meiner Cousine auf dem Heimweg vom Besuch im Münsteraner Zoo waren wir schon viel zu lange unterwegs, normalerweise braucht man 45 Minuten pro Strecke, wir waren bei einer Stunde Fahrtzeit und das Heimatdorf war alles andere als in Sichtweite. Da meine Cousine mit ihren zwanzig Jahren zwar eine gute Fahrerin ist, sich aber im Umkreis von 15 Kilometern um ihre Homebase herum nichtmal ein klitzekleines bisschen auskennt, fuhren wir strikt nach Navi. Linksrum, rechtsrum, halblinks, halbrechts, bla. Cousinchen folgte den Anweisungen der Computerstimme genauestens.
Nochmals links ab, direkt wieder rechts - und dann standen wir auf den Gleisen.
Jetzt ist so ein japanischer Kleinwagen zwar für vieles kompatibel, nicht aber für Schienenverkehr. Das war recht unpassend in dem Moment.
Man kann sich in etwa vorstellen, in welcher Hektik Cousinchen, Tantchen und ich die Karre, zum Glück wiegt die ja leer so gut wie nichts, von den Schienen wieder auf die Straße bugsiert haben.
Dass die Gleise nicht mehr genutzt werden, habe ich dann später am Abend via Google herausgefunden. Hab ich Cousine und Tante bis heute nicht erzählt, ich freu mich immer noch über die erschrockenen Gesichter und die weit aufgerissenen Augen, wenn die Geschichte wieder aufgewärmt wird. Mit Vorliebe von mir. Natürlich. An Weihnachten hab ich mir den Spaß mal wieder gegönnt.
Daddy hat nun vom Christkind auch ein Navi bekommen (und Chromfelgen nachempfundene Radkappen für den Familien-Kombi! Bling bling! Pimp Dad`s ride!), ich bin gespannt auf erste abenteuerliche Geschichten! Das wird bestimmt lustig!
Ich würde ja auch gern eine peinliche Navi-Geschichte über mich erzählen, aber - da gibt`s keine. Als ich noch ein Auto hatte, gab es meines Wissens nach noch keine Navis, ich hab noch auf Autobahn-Rasthöfen anhalten und gefaltete Straßenkarten studieren müssen, die sich NIE wieder in die Ursprungsform zurück falten ließen! Oder ich hab einfach nach dem Weg gefragt. Obwohl ich ein Kerl bin und ich das rein genetisch im Prinzip gar nicht tun sollte. Kerle fragen nicht nach dem Weg. So heißt es doch.
Ich schon.
Morgen geht`s wieder auf die Autobahn, ab in die Hauptstadt. Hoffentlich ohne navigatorische oder anders geartete Katastrophen. Aber bei meinem Glück...
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Irrsinn,
Mitfahrgelegenheitsgeschichten
Samstag, 29. Dezember 2012
Mitfahrgelegenheitsgeschichten (Folge 3)
Ich bin ein armer Mensch, deswegen nutze ich Mitfahrgelegenheiten. Das tue ich seit mehr als zehn Jahren und mit der Zeit erlebt man so einiges...
Thorge Fährlich erzählt: Mitfahrgelegenheitsgeschichten!
Folge 3 "Traveling home for Christmas"
Als ich am 22.12., also einen Tag nach Weltuntergang, vormittags die Vorhänge zur Seite zog, um etwas Licht in meine Wohnung zu lassen, traf mich fast der Schlag. Schnee! Viel Schnee! Ok, das ist jetzt im Dezember nicht sooo ungewöhnlich, erwischte mich aber zum einen auf dem falschen Fuß, denn mein schlaues Smartphone und RTL hatten für diesen Tag in Hamburg vier Grad plus vorhergesagt und zumindest meinem Handy glaube ich - RTL weniger. Zum anderen hatte ich ein Deja Vu, keins der guten Sorte. Tags darauf, am 23.12. sollte es heimgehen, über die Feiertage zu den Eltern ins heimische Nichts, natürlich wieder mit der Mitfahrgelegenheit, ich war auf eine entspannte Fahrt eingestellt, denn mein Telefon und das Fernsehen versprachen ja ansprechende Reisetemperaturen.
Und jetzt schaute ich aus dem dritten Stock auf eine geschlossene Schneedecke. Und musste unweigerlich zwei Jahre zurück denken...
(...jetzt bitte vorstellen, wie das Bild verschwimmt, so wie, wenn in schlechten deutsch/luxemburgischen Filmproduktionen Szenen aus der Vergangenheit wieder in Erinnerung gerufen werden. Dazu ein schlimmer Jingle, der im Hinterkopf noch lange nachhallt...
...das Bild klart wieder auf.)
22.12.2010, ich stehe am gleichen Fenster, schaue runter auf den Schnee und murmele vor mich hin "Oha, na, hoffentlich klappt das morgen auf der Autobahn alles!" Dann denk ich kurz nach, lache und murmele "Ja ach, so'n bisschen Schnee, was soll da passieren??"
...
Das Bild verflirrt wieder... Jingle...
...
Das Bild klart wieder auf.
...
23.12.2010. Autobahn 1 am Bremer Kreuz, es ist etwa 14 Uhr und seit etwa einer Stunde geht nichts mehr. Nicht vor, nicht zurück, Stillstand. Dabei sind die Straßen frei. Aber trotzdem ist Stau, warum, das weiß keiner so genau. Macht aber nichts, denn die drei Mitfahrer sind prima, ne gute Truppe, da übersteht man auch mal 60 Minuten Stillstand.
15.30 Uhr: Wir stehen immer noch. An Ort und Stelle. Inzwischen wissen wir auch, warum. NDR2 hat uns aufgeklärt. "Schwerer LKW-Unfall am Bremer Kreuz, die A1 ist dicht, Räumungsarbeiten sind im Gange! Der Verkehr stockt auf rund zehn Kilometern." Von dem Unfall sind wir wohl nicht so weit weg, wir sind ganz weit vorne im Stau. Das ist gut. Hinten im Stau ist immer schlechter. Naturgesetz. Wir sind guter Dinge. Wir haben Radio, wir haben Essbares, wir haben genug Getränke, wir haben genug Gesprächsstoff und auch genug Beinfreiheit.
16.00 Uhr: Es wird allmählich dunkel. Und die Mädels müssen allmählich mal. Sie jammern. "Hinter die Leitplanke, bist du bescheuert?? Da gucken doch alle!!" wird der Vorschlag des Beifahrers empört abgewehrt. Naja, dann eben nicht.
16.30 Uhr: Es klopft an der Beifahrertür. Der Fahrer des Wagens hinter uns. Guck an, auch Emsländer, was fürn Zufall! Ob wir ein Tempo für ihn haben oder vielleicht sogar zwei? Denn seine Nase läuft und er hat nichts mehr. "Haha, ja, Tempo, das hätten wir grad alle gern!" ruft die Fahrerin und merkt dann recht schnell, wie flach der Spruch war. Es ist ihr sichtlich peinlich. NDR2 sagt "Schwerer LKW-Unfall, Räumungsarbeiten sind im Gange! Verkehr steht auf 17 Kilometern!"
17.10 Uhr: Inzwischen ist es duster und die Mädels haben Einsicht mit ihren Blasen und den Ratschlägen männlicherseits. Etwa 150 Meter entfernt ist eine Brücke, da isses dunkel, da guckt keiner, dorthin verziehen sie sich nun zum fröhlichen Gruppenpieschen. Weiber...selbst in so einer Situation nur zu zweit aufs Klo. Klischees sind schon was Tolles! Bevor sie gehen, kommt natürlich auf der unausweichliche Spruch "Fahrt bloß nicht ohne uns weiter!"...haha. Knaller!
17.30 Uhr: Nachdem wir jetzt seit etwa 3,5 Stunden an ein und demselben Platz stehen und die ältere Dame aus dem weinroten Peugeot links hinter uns alle 20 Minuten mit einem anderen Hund an der Leine an unserer Fahrerseite vorbei gelaufen ist, entscheiden wir, die Rücksitz-Crew, uns dazu, uns mal nützlich zu machen und den Hunde-Sitter zu spielen. Die alte Dame hat sich sehr gefreut und "Lady", die Yorkshire-Terrier-Tussi mit rosa Halsband, die ich dann auf der Überholspur der A1 Gassi geführt habe, war auch recht angetan von mir. Und hat vor Freude einen riesigen Haufen neben das Hinterrad eines Porsche Panamera gesetzt, der dampfte vielleicht! NDR2 sagt "Die A1 am Bremer Kreuz ist immer noch dicht! In Richtung Süden staut es sich über 26 Kilometer! Bitte weiträumig umfahren!!"
18.30 Uhr: Es wird nicht besser. Die Temperaturen sind wieder deutlich unter Null und nun fängt es an zu schneien. Dem Beifahrer fällt ein, das er selbstgebackene Plätzchen dabei hat. Das hebt die Stimmung. Er hat verdammt viele selbstgebackene Plätzchen dabei und alle drei anderen haben auch Weihnachtszeug am Start. Noch dazu zaubert die Fahrerin Weihnachtsmannmützen aus ihrer Tasche, "die blinken sogar!!" sagt sie nicht ohne Stolz. Und da wir uns tödlich langweilen, kommt uns eine Idee...Mützen, blinkend, auf, Süßzeug eingepackt...ab jetzt ist erstmal Bescherung! Es ist ja wirklich der Wahnsinn, wie sich Menschen in so einer Situation über so eine Kleinigkeit freuen! Und die Kids erst! Ich mag weder Menschen noch Kids, aber das war schon ne gute Geschichte. Einmal guter Samariter sein: Check!
NDR2: "A1 Bremer Kreuz Richtung Süden 37 Kilometer, Richtung Norden 31 Kilometer Stillstand." Das mit dem weiträumig umfahren hat wohl nicht so geklappt...
19.15 Uhr: Wieder der Kollege aus dem Wagen hinter uns. Ob wir mit trinken wollen fragt er. Er würd sich jetzt einen Wodka reinhauen, seine Heizung ist kaputt, er braucht jetzt was zum Aufwärmen. Die Scheibenwischer sind an der Frontscheibe festgefroren, das aber wohl schon seit langer Zeit, er ist frühmorgens in Dänemark gestartet und dort in nem Schneesturm gelandet, er ist seit bald zwölf Stunden ohne Wischer unterwegs und ist mit den Nerven runter, da hilft jetzt nur noch Wodka sagt er. Und das bei Schneefall und ab jetzt im Dunkeln. Hallelujah. Aber ICH muss ja nicht fahren. Und meine Rückbankmitfahrerin, die ich inzwischen fast so gut kenne wie meine besten Freunde, auch nicht. Also wechseln wir für eine Viertelstunde das KFZ und es gibt ein paar Runden Wodka. Ich glaub, es waren vier, der Fahrer hatte nur zwei, bei mehr wäre ich auch eingeschritten, statt Wodka bekam er noch mehr Weihnachtskekse. Innerlich aufgewärmt dann zurück ins Mutterschiff, einen grauen Opel Corsa. Wir beschließen, uns auf der Rückbank, inzwischen gemütlich eingemummelt, einen Film, den einen einzigen Film auf Rücksitzbankmitfahrerins Laptop anzusehen, "Hangover", ich tue total begeistert, bin aber das Gegenteil, der Film ist schlecht...aber was solls. Was soll denn hier noch übler werden?
19.25 Uhr: Was hier noch übler werden soll? Die Rücksitzbankmitfahrerin ist eingeschlafen, sabbert mir auf die Schulter und hält zu allem Überfluß im Schlaf auch noch den Laptop so schief, daß ich kein Bild mehr sehen kann...soviel zum Thema Frauen und Multitasking.
19.55 Uhr: Es klingt bescheuert, aber es geht tatsächlich vorwärts. Erst langsam, dann schneller, wir rollen am Unfallort vorbei, der Brückenpfeiler ist arg mitgenommen, wie erst der LKW, geschweige denn der Fahrer aussehen, mag ich mir nicht so wirklich vorstellen. Nachdem der Unfallort passiert ist, ist erstaunlicherweise auch die Autobahn bereits geräumt und der Schneefall hat ausgesetzt und so rollern wir dem Ziel entgegen, nie die 120 km/h überschreitend, meist auf der rechten Spur zwischen LKWs eingekeilt, es ist eine tragische Vorstellung.
21.05 Uhr: Wir verlassen die Autobahn. Wir sind noch keine 200 Meter auf der Bundesstrasse gefahren, da landen wir fast zum ersten Mal im Straßengraben. Die Fahrerin kommentiert das mit einem gekicherten "Huch, was war das denn??" Kurz darauf passiert es noch ein Mal und jetzt hab ich Angst, denn der Schneefall setzt wieder ein, geräumt ist hier gar nichts mehr und ans Steuer dieses Kleinwagens könnt ich auch mein Haustier setzen, das hätte in etwa die gleiche Kontrolle darüber...
21.45 Uhr: Das Auto ist komplett zugefroren. Die Frontscheibe ist dicht, die Spritzwasserdüsen eh. Wir stehen mitten im Nichts auf irgendeiner Bundesstraße im Schneesturm. Ich beginne, mein Testament ins Handy zu tippen, die Rücksitznachbarin sabbert weiterhin alles voll. Ratlosigkeit. Als dann aus dem Radio noch "Last christmas" ertönt, möchte ich mich erhängen und der Beifahrer stürmt aus dem Wagen...schüttet zwei Flaschen gelbe Flüssigkeit (von der er behauptet, es sei Apfelschorle - ich zweifele daran!) über die Frontscheibe...und siehe da, das funktioniert. Es ist alles andere als perfekt, aber man sieht die Straße wieder. Ohne weiter nachzufragen, nehmen wir das hin.
23.05 Uhr: Auf dem Parkplatz eines Mehrfamilienhauses in Meppen/Esterfeld endet die Fahrt. Meine Rückbankmitfahrerin haben wir schon vorher abgesetzt, sie verabschiedete sich mit nem Bussi auf die Wange und nem "Was hätt ich hier bloß ohne dich gemacht?" Na, vermutlich den Sitz vollgesabbert....was sonst?
23.07 Uhr: Die Familienkarre rollt auf den Parkplatz, sammelt mich auf und fährt mich "heim".
23.25 Uhr: "Home, sweet home"! Mutti heult wie jedes Jahr, der "Hund" dreht durch wie jedes Jahr, ja, gern nehm ich n Glas Wein Mutter, ach, das ist schon vorbereitet, ach, seit Stunden schon, tja, nicht meine Schuld, ich bin ja erst etwa zwölf Stunden unterwegs und war pünktlich, der LKW-Fahrer ist schuld, wenn der doch auch nicht fahren kann...aber jetzt bin ich ja hier und ihr habt mich wieder, juhuu!
...
...das Bild verflirrt. Jingle.
...
...das Bild klart wieder auf.
...
Sonntag, 23.12.2012, 14.00 Uhr: Ich steige in einen Kombi, ergattere meinen Lieblingsplatz und bin eingeschlafen, bevor wir auf der Autobahn gen "Heimat" sind. Kein Schneesturm diesmal, kein schlimmer Unfall zum Glück, kein stundenlanges Warten und auch keine hübschen Mitfahrerinnen. Just service. So wie's sein soll.
In ein paar Stunden gehts per MFG nach Berlin. Mal sehen, was mich da erwartet! Ich bin gespannt...
Thorge Fährlich erzählt: Mitfahrgelegenheitsgeschichten!
Folge 3 "Traveling home for Christmas"
Als ich am 22.12., also einen Tag nach Weltuntergang, vormittags die Vorhänge zur Seite zog, um etwas Licht in meine Wohnung zu lassen, traf mich fast der Schlag. Schnee! Viel Schnee! Ok, das ist jetzt im Dezember nicht sooo ungewöhnlich, erwischte mich aber zum einen auf dem falschen Fuß, denn mein schlaues Smartphone und RTL hatten für diesen Tag in Hamburg vier Grad plus vorhergesagt und zumindest meinem Handy glaube ich - RTL weniger. Zum anderen hatte ich ein Deja Vu, keins der guten Sorte. Tags darauf, am 23.12. sollte es heimgehen, über die Feiertage zu den Eltern ins heimische Nichts, natürlich wieder mit der Mitfahrgelegenheit, ich war auf eine entspannte Fahrt eingestellt, denn mein Telefon und das Fernsehen versprachen ja ansprechende Reisetemperaturen.
Und jetzt schaute ich aus dem dritten Stock auf eine geschlossene Schneedecke. Und musste unweigerlich zwei Jahre zurück denken...
(...jetzt bitte vorstellen, wie das Bild verschwimmt, so wie, wenn in schlechten deutsch/luxemburgischen Filmproduktionen Szenen aus der Vergangenheit wieder in Erinnerung gerufen werden. Dazu ein schlimmer Jingle, der im Hinterkopf noch lange nachhallt...
...das Bild klart wieder auf.)
22.12.2010, ich stehe am gleichen Fenster, schaue runter auf den Schnee und murmele vor mich hin "Oha, na, hoffentlich klappt das morgen auf der Autobahn alles!" Dann denk ich kurz nach, lache und murmele "Ja ach, so'n bisschen Schnee, was soll da passieren??"
...
Das Bild verflirrt wieder... Jingle...
...
Das Bild klart wieder auf.
...
23.12.2010. Autobahn 1 am Bremer Kreuz, es ist etwa 14 Uhr und seit etwa einer Stunde geht nichts mehr. Nicht vor, nicht zurück, Stillstand. Dabei sind die Straßen frei. Aber trotzdem ist Stau, warum, das weiß keiner so genau. Macht aber nichts, denn die drei Mitfahrer sind prima, ne gute Truppe, da übersteht man auch mal 60 Minuten Stillstand.
15.30 Uhr: Wir stehen immer noch. An Ort und Stelle. Inzwischen wissen wir auch, warum. NDR2 hat uns aufgeklärt. "Schwerer LKW-Unfall am Bremer Kreuz, die A1 ist dicht, Räumungsarbeiten sind im Gange! Der Verkehr stockt auf rund zehn Kilometern." Von dem Unfall sind wir wohl nicht so weit weg, wir sind ganz weit vorne im Stau. Das ist gut. Hinten im Stau ist immer schlechter. Naturgesetz. Wir sind guter Dinge. Wir haben Radio, wir haben Essbares, wir haben genug Getränke, wir haben genug Gesprächsstoff und auch genug Beinfreiheit.
16.00 Uhr: Es wird allmählich dunkel. Und die Mädels müssen allmählich mal. Sie jammern. "Hinter die Leitplanke, bist du bescheuert?? Da gucken doch alle!!" wird der Vorschlag des Beifahrers empört abgewehrt. Naja, dann eben nicht.
16.30 Uhr: Es klopft an der Beifahrertür. Der Fahrer des Wagens hinter uns. Guck an, auch Emsländer, was fürn Zufall! Ob wir ein Tempo für ihn haben oder vielleicht sogar zwei? Denn seine Nase läuft und er hat nichts mehr. "Haha, ja, Tempo, das hätten wir grad alle gern!" ruft die Fahrerin und merkt dann recht schnell, wie flach der Spruch war. Es ist ihr sichtlich peinlich. NDR2 sagt "Schwerer LKW-Unfall, Räumungsarbeiten sind im Gange! Verkehr steht auf 17 Kilometern!"
17.10 Uhr: Inzwischen ist es duster und die Mädels haben Einsicht mit ihren Blasen und den Ratschlägen männlicherseits. Etwa 150 Meter entfernt ist eine Brücke, da isses dunkel, da guckt keiner, dorthin verziehen sie sich nun zum fröhlichen Gruppenpieschen. Weiber...selbst in so einer Situation nur zu zweit aufs Klo. Klischees sind schon was Tolles! Bevor sie gehen, kommt natürlich auf der unausweichliche Spruch "Fahrt bloß nicht ohne uns weiter!"...haha. Knaller!
17.30 Uhr: Nachdem wir jetzt seit etwa 3,5 Stunden an ein und demselben Platz stehen und die ältere Dame aus dem weinroten Peugeot links hinter uns alle 20 Minuten mit einem anderen Hund an der Leine an unserer Fahrerseite vorbei gelaufen ist, entscheiden wir, die Rücksitz-Crew, uns dazu, uns mal nützlich zu machen und den Hunde-Sitter zu spielen. Die alte Dame hat sich sehr gefreut und "Lady", die Yorkshire-Terrier-Tussi mit rosa Halsband, die ich dann auf der Überholspur der A1 Gassi geführt habe, war auch recht angetan von mir. Und hat vor Freude einen riesigen Haufen neben das Hinterrad eines Porsche Panamera gesetzt, der dampfte vielleicht! NDR2 sagt "Die A1 am Bremer Kreuz ist immer noch dicht! In Richtung Süden staut es sich über 26 Kilometer! Bitte weiträumig umfahren!!"
18.30 Uhr: Es wird nicht besser. Die Temperaturen sind wieder deutlich unter Null und nun fängt es an zu schneien. Dem Beifahrer fällt ein, das er selbstgebackene Plätzchen dabei hat. Das hebt die Stimmung. Er hat verdammt viele selbstgebackene Plätzchen dabei und alle drei anderen haben auch Weihnachtszeug am Start. Noch dazu zaubert die Fahrerin Weihnachtsmannmützen aus ihrer Tasche, "die blinken sogar!!" sagt sie nicht ohne Stolz. Und da wir uns tödlich langweilen, kommt uns eine Idee...Mützen, blinkend, auf, Süßzeug eingepackt...ab jetzt ist erstmal Bescherung! Es ist ja wirklich der Wahnsinn, wie sich Menschen in so einer Situation über so eine Kleinigkeit freuen! Und die Kids erst! Ich mag weder Menschen noch Kids, aber das war schon ne gute Geschichte. Einmal guter Samariter sein: Check!
NDR2: "A1 Bremer Kreuz Richtung Süden 37 Kilometer, Richtung Norden 31 Kilometer Stillstand." Das mit dem weiträumig umfahren hat wohl nicht so geklappt...
19.15 Uhr: Wieder der Kollege aus dem Wagen hinter uns. Ob wir mit trinken wollen fragt er. Er würd sich jetzt einen Wodka reinhauen, seine Heizung ist kaputt, er braucht jetzt was zum Aufwärmen. Die Scheibenwischer sind an der Frontscheibe festgefroren, das aber wohl schon seit langer Zeit, er ist frühmorgens in Dänemark gestartet und dort in nem Schneesturm gelandet, er ist seit bald zwölf Stunden ohne Wischer unterwegs und ist mit den Nerven runter, da hilft jetzt nur noch Wodka sagt er. Und das bei Schneefall und ab jetzt im Dunkeln. Hallelujah. Aber ICH muss ja nicht fahren. Und meine Rückbankmitfahrerin, die ich inzwischen fast so gut kenne wie meine besten Freunde, auch nicht. Also wechseln wir für eine Viertelstunde das KFZ und es gibt ein paar Runden Wodka. Ich glaub, es waren vier, der Fahrer hatte nur zwei, bei mehr wäre ich auch eingeschritten, statt Wodka bekam er noch mehr Weihnachtskekse. Innerlich aufgewärmt dann zurück ins Mutterschiff, einen grauen Opel Corsa. Wir beschließen, uns auf der Rückbank, inzwischen gemütlich eingemummelt, einen Film, den einen einzigen Film auf Rücksitzbankmitfahrerins Laptop anzusehen, "Hangover", ich tue total begeistert, bin aber das Gegenteil, der Film ist schlecht...aber was solls. Was soll denn hier noch übler werden?
19.25 Uhr: Was hier noch übler werden soll? Die Rücksitzbankmitfahrerin ist eingeschlafen, sabbert mir auf die Schulter und hält zu allem Überfluß im Schlaf auch noch den Laptop so schief, daß ich kein Bild mehr sehen kann...soviel zum Thema Frauen und Multitasking.
19.55 Uhr: Es klingt bescheuert, aber es geht tatsächlich vorwärts. Erst langsam, dann schneller, wir rollen am Unfallort vorbei, der Brückenpfeiler ist arg mitgenommen, wie erst der LKW, geschweige denn der Fahrer aussehen, mag ich mir nicht so wirklich vorstellen. Nachdem der Unfallort passiert ist, ist erstaunlicherweise auch die Autobahn bereits geräumt und der Schneefall hat ausgesetzt und so rollern wir dem Ziel entgegen, nie die 120 km/h überschreitend, meist auf der rechten Spur zwischen LKWs eingekeilt, es ist eine tragische Vorstellung.
21.05 Uhr: Wir verlassen die Autobahn. Wir sind noch keine 200 Meter auf der Bundesstrasse gefahren, da landen wir fast zum ersten Mal im Straßengraben. Die Fahrerin kommentiert das mit einem gekicherten "Huch, was war das denn??" Kurz darauf passiert es noch ein Mal und jetzt hab ich Angst, denn der Schneefall setzt wieder ein, geräumt ist hier gar nichts mehr und ans Steuer dieses Kleinwagens könnt ich auch mein Haustier setzen, das hätte in etwa die gleiche Kontrolle darüber...
21.45 Uhr: Das Auto ist komplett zugefroren. Die Frontscheibe ist dicht, die Spritzwasserdüsen eh. Wir stehen mitten im Nichts auf irgendeiner Bundesstraße im Schneesturm. Ich beginne, mein Testament ins Handy zu tippen, die Rücksitznachbarin sabbert weiterhin alles voll. Ratlosigkeit. Als dann aus dem Radio noch "Last christmas" ertönt, möchte ich mich erhängen und der Beifahrer stürmt aus dem Wagen...schüttet zwei Flaschen gelbe Flüssigkeit (von der er behauptet, es sei Apfelschorle - ich zweifele daran!) über die Frontscheibe...und siehe da, das funktioniert. Es ist alles andere als perfekt, aber man sieht die Straße wieder. Ohne weiter nachzufragen, nehmen wir das hin.
23.05 Uhr: Auf dem Parkplatz eines Mehrfamilienhauses in Meppen/Esterfeld endet die Fahrt. Meine Rückbankmitfahrerin haben wir schon vorher abgesetzt, sie verabschiedete sich mit nem Bussi auf die Wange und nem "Was hätt ich hier bloß ohne dich gemacht?" Na, vermutlich den Sitz vollgesabbert....was sonst?
23.07 Uhr: Die Familienkarre rollt auf den Parkplatz, sammelt mich auf und fährt mich "heim".
23.25 Uhr: "Home, sweet home"! Mutti heult wie jedes Jahr, der "Hund" dreht durch wie jedes Jahr, ja, gern nehm ich n Glas Wein Mutter, ach, das ist schon vorbereitet, ach, seit Stunden schon, tja, nicht meine Schuld, ich bin ja erst etwa zwölf Stunden unterwegs und war pünktlich, der LKW-Fahrer ist schuld, wenn der doch auch nicht fahren kann...aber jetzt bin ich ja hier und ihr habt mich wieder, juhuu!
...
...das Bild verflirrt. Jingle.
...
...das Bild klart wieder auf.
...
Sonntag, 23.12.2012, 14.00 Uhr: Ich steige in einen Kombi, ergattere meinen Lieblingsplatz und bin eingeschlafen, bevor wir auf der Autobahn gen "Heimat" sind. Kein Schneesturm diesmal, kein schlimmer Unfall zum Glück, kein stundenlanges Warten und auch keine hübschen Mitfahrerinnen. Just service. So wie's sein soll.
In ein paar Stunden gehts per MFG nach Berlin. Mal sehen, was mich da erwartet! Ich bin gespannt...
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Sonntag, 16. Dezember 2012
Mitfahrgelegenheitsgeschichten (Folge 2)
Ich bin ein armer Mensch, deswegen nutze ich Mitfahrgelegenheiten. Das tue ich seit mehr als zehn Jahren und mit der Zeit erlebt man so einiges...
Thorge Fährlich erzählt: Mitfahrgelegenheitsgeschichten!
Folge 2 "Traveling with the doctors to be"
Frühherbst. Blauer Himmel, weiße Schäfchenwolken, angenehme Temperatur, ich stehe am Taxistand des Hamburger Hauptbahnhofs und warte. Voller Vorfreude. Denn gleich geht es nach Berlin, in meine Lieblingsstadt. Wo ist denn dieser dunkle VW Kombi, der mich abholen soll? Naja, fünf Minuten hat er noch...
"Hi, willst du auch nach Berlin?" fragt die sehr zierliche Brünette mit dem grinsenden Dreadlockträger im Schlepptau, sein Unterlippenpiercingring blitzt in der Sonne. Sie selber schleppt einen Weltreisender-Rucksack auf dem Rücken, der garantiert mehr wiegt, als sie selber, da wette ich drauf! "Ja, ich will auch nach Berlin!" sage ich, freue mich über anscheinend nette Mitfahrer und dann reden wir eine Viertelstunde über dies und das, ich war mir sicher, die beiden sind ein Paar, sind sie aber nicht, sind sich nur zufällig über den Weg gelaufen vor 20 Minuten, sie redet und redet und redet, er steht dahinter und grinst. Und grinst. Ich bin mir ziemlich sicher, daß er high ist, dazu spricht er, wenn er denn mal spricht, aber doch noch zu gekonnt, zu gewollt, zu klar, zusammenhängende Sätze, der ist nicht high, der ist maximal naturbreit. Das kann eine lustige Reise werden! (aus dem Off ertönt launige Musik, irgendwas mit "fun" und "party" im Text. Pink oder so. Schlechte, auf gute Laune getrimmte Chartskacke halt, wie auf RTL2 bei "Berlin: Tag und Nacht" in solchen Momenten immer eingespielt wird.)
13 Minuten nach der vereinbarten Uhrzeit rollt der dunkle Kombi heran, ein sympathisch aussehender Mensch um die 45 steigt aus, begrüßt uns alle per Handschlag, Thomas heißt er, unsere Gepäckstücke verschwinden im mit weißem Kunstleder ausgelegten Kofferraum des Wagens.
Aus dem Nichts rauscht Fahrgast Nummer vier heran. Und passt so gar nicht ins Gesamtbild. Hier hängende Hosen, Lippenringe, bei der zierlichen Brünetten sah ich ein recht großflächiges Tattoo am Arm, als sie ihre Jacke auszog, Dreadlocks. Herangerauscht kommen Stilettos mit 10-cm-Absatz, Kunstpelzmantel, schlecht blondierte Mähne, die in einem noch schlechter geflochtenen Zopf endet, Make Up für drei, Glitzer-Handtäschchen von der Größe eines alten Handys, es fehlt nur noch der in die Tasche passende "Hund". Paris Hilton für GANZ arme...die Katzenberger in NOCH blöder... Naddel in blond quasi. Wahnsinn. Begrüßung? Braucht sie nicht. Sich vorstellen? Ach was... Entschuldigen, das sie zu spät ist? Hallo, sie hat Silikonmöpse, das entschuldigt alles!
"Können wir denn jetzt?" fragt sie, als wenn sie hier auf uns gewartet hätte, vor ihrem verkackten Privatjet. Die Brünette verdreht die Augen, Thomas guckt entgeistert, der Dreadlockträger grinst nach wie vor und ich überlege schonmal, wie man das aufgetunte Pseudo-It-Girl mal so richtig schön veräppeln könnte auf der Fahrt.
Und ja, wir können los, la princessa ist dann ja nun auch endlich eingetroffen. Geistesgegenwärtig erobere ich den Beifahrersitz, die Vorstellung, neben der Silikontusse sitzen zu müssen hat mich beflügelt. Normalerweise seh ich meist zu, daß ich den Platz hinterm Fahrer ergattere und verschlafe die Fahrt dann einfach seelig, wie ein Baby, im Auto bin ich in kürzester Zeit eingeschlafen, ein Phänomen.
Der Dreadlockdauergrinser verpasst leider den Startschuss und darf die Reise mit seinen geschätzten 1,93 auf dem mittleren Platz der Rückbank antreten, was ihm das Grinsen augenblicklich aus dem Gesicht wischt. Nun schaut er betroffen mit Angela Merkel-gleich herunter gezogenen Mundwinkeln. Fast hab ich Mitleid. Aber nur fast.
Die Fahrt verläuft ruhig, der übliche Smalltalk, was will man in Berlin machen, fährt man öfter hin, dies, das, blablabla. Als wir uns endlich durch den dichten Hamburger Verkehr über den Horner Kreisel auf die Autobahn gen Weltstadt durchgetankt haben und in einer angenehmen Reisegeschwindigkeit dahin gleiten, stellt Fahrer Thomas die nächste Smalltalk-Frage. Und die verändert alles.
"Und, was macht ihr so?" Die Brünette: "Ich studiere Medizin!". Der nicht mehr grinsende Nils: "Ich studiere auch Medizin!". Die aufgepumpte Tussi (in eher angeekeltem Tonfall): "Ja, das tue ICH auch. Püüh." Bevor ich antworten kann, entfährt Thomas ein hocherfreutes "Nein, wirklich?? Ich BIN Mediziner...wir sind ja alle vom Fach hier!!" Ich schlucke meine Antwort herunter und ahne Furchtbares. (Aus dem Off ertönt die Musik, die die Duschszene in "Psycho" untermalt.)
"Einschlafen, sofort einschlafen!!" funkt mein Hirn panisch an sämtliche Körperfunktionen und die funken zurück "Geht nicht, Beifahrersitz!!" "Fuck!!" brüllt das Hirn, "jetzt sitzen wir verdammt tief in der Scheiße, Leute!" Denn auf dem Beifahrersitz kann ich eben NICHT schlafen, denn da fühl ich mich verpflichtet, den Fahrer zu entertainen. Ich kann vermutlich seelenruhig knacken, wenn man mich aufs Autodach schnallt, auf dem Beifahrersitz? Keine Chance.
Das hier wird eine ganz ganz schlimme Reise werden, ich weiß, was passiert, wenn Mediziner unter sich sind, hatte mal zwei von denen auf einer anderen Fahrt - aber jetzt bin ich hier alleine mit VIER Exemplaren!! Hätte ich doch bloß den Rückbankplatz neben der Silikontrulla genommen, dann würd ich nun bereits schlummern. Mit dem Kopf auf 80 DD. Das ist auch eine gruselige Vorstellung, aber besser als das, was mir bevorsteht.
"...meine erste Sektion, das war lustig! Ich hab kaum das Skalpell angesetzt, da spritzt das Blut schon raus, direkt in mein Gesicht! Ich hatte ja den Mundschutz, meine Kommilitonin hat voll gelacht und ein Foto gemacht! Das hatte ich dann bei Facebook als Profilbild, alle haben gedacht, das wäre Ketchup!" erzählt die Brünette. Alle lachen, nicken zustimmend, ja, sowas passiert eben, mein Gott. Fremdblut im Gesicht, Kleinigkeit.
"...im Praktikum bekamen wir eine alte Dame rein mit Bauchweh. Als ich sie abgehört habe, hat sie sich übergeben, hat mir voll auf den Kittel gekotzt! Das lief so an mir runter, da waren noch komplette Erbsen und Maiskörner dabei!" erzählt Nils, jetzt grinst er auch wieder. Alle lachen, ja, ach, alte Leute eben, das passiert halt, und überhaupt, was ist so schlimm an Kotze, Babies kotzen auch oft und das ist total niedlich!
(Wenn Sohnemann damals gekotzt hat, dann war das NIE niedlich. NIE! Außerdem rumorts mir im Magen auch schon gewaltig, bei den Themen kein Wunder, wenn ich hier gleich auf die Mittelkonsole reihere, ist das dann auch niedlich?!?)
Thomas meldet sich vom Fahrersitz zu Wort. "Ich mach ja auch Autopsien!" Ich wünsche mir möglichst schnell taub zu werden, ich WILL das nicht hören! Bitte bitte nicht!! "Letztes Jahr haben wir einen reinbekommen, der lag schon etwas länger..." Ich werde blasser, als es eigentlich geht. Ich bin froh, daß ich nicht wie eigentlich geplant noch bei BK essen war... "Naja, der war schon aufgebläht, auch total verfärbt. Da ging gar kein Y-Schnitt mehr, der wär geplatzt, den mussten wir anstechen, damit erstmal die Gase raus kommen!" Gelächter. Alle finden das lustig, mir stehts bis zum Zäpfchen. Irgendwo in Brandenburg werde ich gleich in den Fußraum eines dunklen VW Passat ko...
"So, ich fahr mal hier auf den Rasthof!" sagt Thomas. Frischluft! Frischluft ist, was ich jetzt brauche! Und einen Kurzen, um den Magen wieder klar zu kriegen. Ich kaufe an einer brandenburgischen Autobahnraststelle für einen unverschämten Preis eine Mini-Pulle schlechten Wodka und hau sie mir beschämt neben einer Mülltonne kauernd hinein. Ein grauenhafter Geschmack, aber besser als Magensäure.
45 Minuten später sind wir fast in Berlin angekommen, da meldet sich Miss Silikon zu Wort. "Im letzten Jahr ist bei uns mal einer vom Tisch auf den Boden gefallen. So eine Scheiße, ich hatte den ganzen Scheiß an meinen Stiefeln!!" Auf meinen Hinweis, das "der ganze Scheiß" mal ein Mensch war, bekomm ich "Eyh, die waren teuer, die Stiefel!"
Ich war selten so froh, daß eine Reise vorbei ist. Vier schwarze Schafe auf einem Haufen, denn ich gehe nicht davon aus, daß der durchschnittliche Medizinstudent so abgefuckt ist. Ich hoffe es zumindest inständig.
Die Stories muss ich mir nochmal erfolgreich wegtrinken. Das will ich nicht ewig im Kopf haben.
Die Tage in Berlin waren dann grandios. Wie immer eben. Haben die Bilder aber nicht ausgelöscht. Da werden noch einige hochprozentige Getränke die Kehle hinunterfliessen müssen, damit ich über das Trauma weg komme...
Thorge Fährlich erzählt: Mitfahrgelegenheitsgeschichten!
Folge 2 "Traveling with the doctors to be"
Frühherbst. Blauer Himmel, weiße Schäfchenwolken, angenehme Temperatur, ich stehe am Taxistand des Hamburger Hauptbahnhofs und warte. Voller Vorfreude. Denn gleich geht es nach Berlin, in meine Lieblingsstadt. Wo ist denn dieser dunkle VW Kombi, der mich abholen soll? Naja, fünf Minuten hat er noch...
"Hi, willst du auch nach Berlin?" fragt die sehr zierliche Brünette mit dem grinsenden Dreadlockträger im Schlepptau, sein Unterlippenpiercingring blitzt in der Sonne. Sie selber schleppt einen Weltreisender-Rucksack auf dem Rücken, der garantiert mehr wiegt, als sie selber, da wette ich drauf! "Ja, ich will auch nach Berlin!" sage ich, freue mich über anscheinend nette Mitfahrer und dann reden wir eine Viertelstunde über dies und das, ich war mir sicher, die beiden sind ein Paar, sind sie aber nicht, sind sich nur zufällig über den Weg gelaufen vor 20 Minuten, sie redet und redet und redet, er steht dahinter und grinst. Und grinst. Ich bin mir ziemlich sicher, daß er high ist, dazu spricht er, wenn er denn mal spricht, aber doch noch zu gekonnt, zu gewollt, zu klar, zusammenhängende Sätze, der ist nicht high, der ist maximal naturbreit. Das kann eine lustige Reise werden! (aus dem Off ertönt launige Musik, irgendwas mit "fun" und "party" im Text. Pink oder so. Schlechte, auf gute Laune getrimmte Chartskacke halt, wie auf RTL2 bei "Berlin: Tag und Nacht" in solchen Momenten immer eingespielt wird.)
13 Minuten nach der vereinbarten Uhrzeit rollt der dunkle Kombi heran, ein sympathisch aussehender Mensch um die 45 steigt aus, begrüßt uns alle per Handschlag, Thomas heißt er, unsere Gepäckstücke verschwinden im mit weißem Kunstleder ausgelegten Kofferraum des Wagens.
Aus dem Nichts rauscht Fahrgast Nummer vier heran. Und passt so gar nicht ins Gesamtbild. Hier hängende Hosen, Lippenringe, bei der zierlichen Brünetten sah ich ein recht großflächiges Tattoo am Arm, als sie ihre Jacke auszog, Dreadlocks. Herangerauscht kommen Stilettos mit 10-cm-Absatz, Kunstpelzmantel, schlecht blondierte Mähne, die in einem noch schlechter geflochtenen Zopf endet, Make Up für drei, Glitzer-Handtäschchen von der Größe eines alten Handys, es fehlt nur noch der in die Tasche passende "Hund". Paris Hilton für GANZ arme...die Katzenberger in NOCH blöder... Naddel in blond quasi. Wahnsinn. Begrüßung? Braucht sie nicht. Sich vorstellen? Ach was... Entschuldigen, das sie zu spät ist? Hallo, sie hat Silikonmöpse, das entschuldigt alles!
"Können wir denn jetzt?" fragt sie, als wenn sie hier auf uns gewartet hätte, vor ihrem verkackten Privatjet. Die Brünette verdreht die Augen, Thomas guckt entgeistert, der Dreadlockträger grinst nach wie vor und ich überlege schonmal, wie man das aufgetunte Pseudo-It-Girl mal so richtig schön veräppeln könnte auf der Fahrt.
Und ja, wir können los, la princessa ist dann ja nun auch endlich eingetroffen. Geistesgegenwärtig erobere ich den Beifahrersitz, die Vorstellung, neben der Silikontusse sitzen zu müssen hat mich beflügelt. Normalerweise seh ich meist zu, daß ich den Platz hinterm Fahrer ergattere und verschlafe die Fahrt dann einfach seelig, wie ein Baby, im Auto bin ich in kürzester Zeit eingeschlafen, ein Phänomen.
Der Dreadlockdauergrinser verpasst leider den Startschuss und darf die Reise mit seinen geschätzten 1,93 auf dem mittleren Platz der Rückbank antreten, was ihm das Grinsen augenblicklich aus dem Gesicht wischt. Nun schaut er betroffen mit Angela Merkel-gleich herunter gezogenen Mundwinkeln. Fast hab ich Mitleid. Aber nur fast.
Die Fahrt verläuft ruhig, der übliche Smalltalk, was will man in Berlin machen, fährt man öfter hin, dies, das, blablabla. Als wir uns endlich durch den dichten Hamburger Verkehr über den Horner Kreisel auf die Autobahn gen Weltstadt durchgetankt haben und in einer angenehmen Reisegeschwindigkeit dahin gleiten, stellt Fahrer Thomas die nächste Smalltalk-Frage. Und die verändert alles.
"Und, was macht ihr so?" Die Brünette: "Ich studiere Medizin!". Der nicht mehr grinsende Nils: "Ich studiere auch Medizin!". Die aufgepumpte Tussi (in eher angeekeltem Tonfall): "Ja, das tue ICH auch. Püüh." Bevor ich antworten kann, entfährt Thomas ein hocherfreutes "Nein, wirklich?? Ich BIN Mediziner...wir sind ja alle vom Fach hier!!" Ich schlucke meine Antwort herunter und ahne Furchtbares. (Aus dem Off ertönt die Musik, die die Duschszene in "Psycho" untermalt.)
"Einschlafen, sofort einschlafen!!" funkt mein Hirn panisch an sämtliche Körperfunktionen und die funken zurück "Geht nicht, Beifahrersitz!!" "Fuck!!" brüllt das Hirn, "jetzt sitzen wir verdammt tief in der Scheiße, Leute!" Denn auf dem Beifahrersitz kann ich eben NICHT schlafen, denn da fühl ich mich verpflichtet, den Fahrer zu entertainen. Ich kann vermutlich seelenruhig knacken, wenn man mich aufs Autodach schnallt, auf dem Beifahrersitz? Keine Chance.
Das hier wird eine ganz ganz schlimme Reise werden, ich weiß, was passiert, wenn Mediziner unter sich sind, hatte mal zwei von denen auf einer anderen Fahrt - aber jetzt bin ich hier alleine mit VIER Exemplaren!! Hätte ich doch bloß den Rückbankplatz neben der Silikontrulla genommen, dann würd ich nun bereits schlummern. Mit dem Kopf auf 80 DD. Das ist auch eine gruselige Vorstellung, aber besser als das, was mir bevorsteht.
"...meine erste Sektion, das war lustig! Ich hab kaum das Skalpell angesetzt, da spritzt das Blut schon raus, direkt in mein Gesicht! Ich hatte ja den Mundschutz, meine Kommilitonin hat voll gelacht und ein Foto gemacht! Das hatte ich dann bei Facebook als Profilbild, alle haben gedacht, das wäre Ketchup!" erzählt die Brünette. Alle lachen, nicken zustimmend, ja, sowas passiert eben, mein Gott. Fremdblut im Gesicht, Kleinigkeit.
"...im Praktikum bekamen wir eine alte Dame rein mit Bauchweh. Als ich sie abgehört habe, hat sie sich übergeben, hat mir voll auf den Kittel gekotzt! Das lief so an mir runter, da waren noch komplette Erbsen und Maiskörner dabei!" erzählt Nils, jetzt grinst er auch wieder. Alle lachen, ja, ach, alte Leute eben, das passiert halt, und überhaupt, was ist so schlimm an Kotze, Babies kotzen auch oft und das ist total niedlich!
(Wenn Sohnemann damals gekotzt hat, dann war das NIE niedlich. NIE! Außerdem rumorts mir im Magen auch schon gewaltig, bei den Themen kein Wunder, wenn ich hier gleich auf die Mittelkonsole reihere, ist das dann auch niedlich?!?)
Thomas meldet sich vom Fahrersitz zu Wort. "Ich mach ja auch Autopsien!" Ich wünsche mir möglichst schnell taub zu werden, ich WILL das nicht hören! Bitte bitte nicht!! "Letztes Jahr haben wir einen reinbekommen, der lag schon etwas länger..." Ich werde blasser, als es eigentlich geht. Ich bin froh, daß ich nicht wie eigentlich geplant noch bei BK essen war... "Naja, der war schon aufgebläht, auch total verfärbt. Da ging gar kein Y-Schnitt mehr, der wär geplatzt, den mussten wir anstechen, damit erstmal die Gase raus kommen!" Gelächter. Alle finden das lustig, mir stehts bis zum Zäpfchen. Irgendwo in Brandenburg werde ich gleich in den Fußraum eines dunklen VW Passat ko...
"So, ich fahr mal hier auf den Rasthof!" sagt Thomas. Frischluft! Frischluft ist, was ich jetzt brauche! Und einen Kurzen, um den Magen wieder klar zu kriegen. Ich kaufe an einer brandenburgischen Autobahnraststelle für einen unverschämten Preis eine Mini-Pulle schlechten Wodka und hau sie mir beschämt neben einer Mülltonne kauernd hinein. Ein grauenhafter Geschmack, aber besser als Magensäure.
45 Minuten später sind wir fast in Berlin angekommen, da meldet sich Miss Silikon zu Wort. "Im letzten Jahr ist bei uns mal einer vom Tisch auf den Boden gefallen. So eine Scheiße, ich hatte den ganzen Scheiß an meinen Stiefeln!!" Auf meinen Hinweis, das "der ganze Scheiß" mal ein Mensch war, bekomm ich "Eyh, die waren teuer, die Stiefel!"
Ich war selten so froh, daß eine Reise vorbei ist. Vier schwarze Schafe auf einem Haufen, denn ich gehe nicht davon aus, daß der durchschnittliche Medizinstudent so abgefuckt ist. Ich hoffe es zumindest inständig.
Die Stories muss ich mir nochmal erfolgreich wegtrinken. Das will ich nicht ewig im Kopf haben.
Die Tage in Berlin waren dann grandios. Wie immer eben. Haben die Bilder aber nicht ausgelöscht. Da werden noch einige hochprozentige Getränke die Kehle hinunterfliessen müssen, damit ich über das Trauma weg komme...
Labels: Mitten im Leben, Nahverkehrsgeschichten,
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Wo ist die Kamera?
Samstag, 8. Dezember 2012
Mitfahrgelegenheitsgeschichten (Folge 1)
Ich bin ein armer Mensch, deswegen nutze ich Mitfahrgelegenheiten. Das tue ich seit mehr als zehn Jahren und mit der Zeit erlebt man so einiges...
Thorge Fährlich erzählt: Mitfahrgelegenheitsgeschichten!
Folge 1 "Pilot: Traveling at the speed of light"
Ich bin in Rostock. Besser: In einem Dorf namens Sanitz etwa 20 Kilometer östlich von Rostock. Provinz. So richtig. Da ist es so wie dort, wo ich aufgewachsen bin: Einfamilienhäuser, viel Grün, Geschwindigkeits-Begrenzungs-Buckel auf den Straßen, drumherum viel nichts. Ausschließlich nichts. Totschlagende Langeweile wohin man schaut. Aber anscheinend leben hier Menschen freiwillig. Ich Stadtmensch werde das nie verstehen.
Ich muss "heim" nach Hamburg, der Job wartet. In zwei Stunden soll es losgehen ab Rostock-HBF, bis dahin muss ich noch etwa 25 Minuten in einer blau/gelben Regionalbahn mit meist nur zwei oder drei Wagen fahren. Diese fährt tagsüber alle 30 Minuten ab dem kleinen eingleisigen Dorfbahnhof mit seinem verfallenen Bahnhofsgebäude.
Das Handy klingelt. Der Fahrer. Sowas ist so kurz vor Beginn der Reise erfahrungsgemäß nie gut.
"Ja, hallo, T. hier?" - "Hallo T., Fahrer hier, du sagtest, du bist nicht in direkt in Rostock?" - "Das stimmt, ich brauch so etwa 30 Minuten per Bahn, ist das jetzt ein Problem?" - "Nein, keine Sorge. Wo bist du denn? Ich komm hin, das spart dir die Bahnfahrt! Musst du mir nur die Adresse sagen!" Ich wundere mich und mache klar, daß der Sanitzer Bahnhof unser Treffpunkt sein wird, ungern möchte ich nämlich die Adresse meiner Exfreundin an einen Unbekannten weitergeben. Das wird natürlich so akzeptiert.
Am Sanitzer Bahnhof hängen die üblichen Gestalten herum, der Dorf-Alki, schon wieder (oder immer noch) sturzdicht, mit seiner Pulle "Rostocker Pils" im Anschlag, die Dorfjugend, auf der einen Seite des Bahnhofsgebäudes die "Punks", die Jungs machen optisch auf Campino, die Mädels auf Avril Lavigne, beide machen es falsch. Auf der anderen Seite des Gebäudes die mit der Hirnlähmung, die mit den weißen Schnürsenkeln in den Springerstiefeln, mit nassrasierter Glatze und "Böhse Onkelz"-Aufnähern auf den Bomberjacken, die Mutti, selbst lange vom Kindsvater verlassen und gegen eine Neue ersetzt, ihnen am letzten Weihnachtsfest unter den Christbaum gelegt hat, bevor sie dann zum billigen Cognac griff, um den Tag zumindest halbwegs zu ertragen.
Ein ekelhafter Ort.
Wir werden in Ruhe gelassen, sowohl von links als auch von rechts, ernten nur ein paar neidische Blicke ob unserer Zweisamkeit.
Erneut klingelt das Handy. "Bin gleich da, zwei Minuten!" 90 Sekunden später hält ein Wagen auf dem kleinen Bahnhofsparkplatz, der allen Anwesenden die Kinnlade herunterklappen lässt. Jaguar XK8, weiß, die Felgen blitzen, der Motor röhrt, meine Fresse!! Ich bin ein kleines bisschen beeindruckt.
Ein Typ Anfang 50 steigt aus, schaut irritiert ob der Gesamtsituation, entdeckt dann uns und fuchtelt in meine Richtung: "Ey, du siehst so wartend aus! Komm mit nach Hamburg!!" Macht ne Pause. "Von den Idioten da links und rechts muss ich ja hoffentlich keinen mitnehmen!" Zack, sympathisch! Die Lady bekommt noch einen Knutscher und ich winke, als der Motor beim Starten erneut aufröhrt, danach ist nur noch der Wagen interessant. (Ein Jahr später, als wir uns trennen, wird sie mir unter anderem diesen Moment vorwerfen...aber sie ist halt eben nicht in dem Ding gefahren, das zählt also nicht...und eigentlich hab ichs NULL mit Autos, wenn überhaupt, dann solche, die ebenso alt oder älter sind, wie ich, solche neumodischen Rennschlitten find ich albern - dachte ich zumindest immer. Man muss wohl erst drin sitzen...)
Der solariengebräunte Anfangfünfziger grinst mich an. "Schmeiß dein Zeug auf den Rücksitz!". Da passen meine zwei Rucksäcke auch grad so rauf. Dann lasse ich mich in den weißledernen Beifahrersitz fallen...mein Gott, das ist bequemer als mein verdammtes Bett! Hier würd ich gern wohnen...
Wir sind auf der Autobahn angekommen, smalltalken so vor uns hin und ich frag mal einfach, was der Spaß mich denn eigentlich kosten soll, das stand nämlich nicht in der Annonce.
"Kost nix, ich hab genug Geld!" - "Bitte was??" - "Ich brauch kein Geld von nem Studi, ich brauch Unterhaltung!" Ich verstehe nicht, das klingt jetzt doch etwas..."seltsam". "Ich bin jede Woche soviel unterwegs auf deutschen Autobahnen, da bin ich froh, wenn ich mal unterhalten werde. Die Langeweile ist tödlich. Erzähl mir halt was, das reicht. Unterhalt mich." Pause "Und nein, das ist keine Anmache, ich hab Frau und Kind!"
Ich suche die versteckte Kamera, texte aber los. Über langweilige Vorlesungen, wiederholungswürdige Studentenheimparties, verkackte Prüfungen, hübsche Kommilitoninnen, Frauen generell, das Thema scheint ihm zuzusagen.
Ich beobachte dabei den Tacho. 160 bei den Vorlesungen, 190 bei den verkackten Prüfungen, 230 beim Thema Frauen generell. Er mag sie dunkelhaarig und etwas "praller". Aha. Als ich frage, was er mit "praller" meint, bremst er runter von 230 auf wieder 190 und erzählt los, gestikulierend, teilweise keine Hand am Lenkrad, er malt Formen in die Luft, Rundungen, ziemlich viele Rundungen sogar, als er mit Malen fertig ist, nickt er zufrieden, die Augen strahlen und er hält mir die Hand zur High-Five hin, während wir an einer LKW-Kolonne vorbei preschen. Ich auf dem Beifahrersitz bin tief in selbigen hinein gesunken und mache mir bald in die Hosen...ich bin so ein beschissener Beifahrer, hektisch, panisch, ich bremse sogar mit! Als nächstes werd ich ihn mit den aktuellen Unfallstatistiken zutexten nehme ich mir vor. Selber fahr ich zwar wie der Henker himself, aber auf dem Beifahrersitz werd ich ganz klein und blass.
Hamburg ist in Rekordzeit erreicht. Keine volle Stunde.
"Wohin musst du denn? Ich hab noch Zeit, ich bring dich heim!" - "So Nähe Bahnhof Barmbek, den Rest schaff ich dann allein." - "Gibts da was zu essen? Ich hab Hunger. Hast du Hunger und Zeit?" - "Ääääh..." - "Also, wo gibts hier was Gutes zu essen?? Zahl ich! Hast du Hunger und Zeit?"
Was zur Hölle...?
Ich wurde in einem wahnsinnigen Wagen von A nach B kutschiert, ohne dafür einen einzigen Cent zahlen zu müssen, wurde zu einem verdammt guten Burger eingeladen, der mich auch nichts gekostet hat...und ich musste dafür mit niemandem schlafen! Das geht! Da sollten sich so manche "It-Girls" und "Promis" aus den Medien (damit meine ich die Springerpresse und RTL) mal ein Beispiel nehmen. Aber gut, ich muss mich damit arrangieren, ich seh nun mal besser aus als Gina-Lisa Lohfink und die ganzen anderen Silikonmutanten. Naja, ist jetzt auch keine Kunst...
Mitfahrgelegenheit mal anders. Definitiv wiederholungswürdig! Aber soviel Glück hab ich wohl nicht nochmal.
Thorge Fährlich erzählt: Mitfahrgelegenheitsgeschichten!
Folge 1 "Pilot: Traveling at the speed of light"
Ich bin in Rostock. Besser: In einem Dorf namens Sanitz etwa 20 Kilometer östlich von Rostock. Provinz. So richtig. Da ist es so wie dort, wo ich aufgewachsen bin: Einfamilienhäuser, viel Grün, Geschwindigkeits-Begrenzungs-Buckel auf den Straßen, drumherum viel nichts. Ausschließlich nichts. Totschlagende Langeweile wohin man schaut. Aber anscheinend leben hier Menschen freiwillig. Ich Stadtmensch werde das nie verstehen.
Ich muss "heim" nach Hamburg, der Job wartet. In zwei Stunden soll es losgehen ab Rostock-HBF, bis dahin muss ich noch etwa 25 Minuten in einer blau/gelben Regionalbahn mit meist nur zwei oder drei Wagen fahren. Diese fährt tagsüber alle 30 Minuten ab dem kleinen eingleisigen Dorfbahnhof mit seinem verfallenen Bahnhofsgebäude.
Das Handy klingelt. Der Fahrer. Sowas ist so kurz vor Beginn der Reise erfahrungsgemäß nie gut.
"Ja, hallo, T. hier?" - "Hallo T., Fahrer hier, du sagtest, du bist nicht in direkt in Rostock?" - "Das stimmt, ich brauch so etwa 30 Minuten per Bahn, ist das jetzt ein Problem?" - "Nein, keine Sorge. Wo bist du denn? Ich komm hin, das spart dir die Bahnfahrt! Musst du mir nur die Adresse sagen!" Ich wundere mich und mache klar, daß der Sanitzer Bahnhof unser Treffpunkt sein wird, ungern möchte ich nämlich die Adresse meiner Exfreundin an einen Unbekannten weitergeben. Das wird natürlich so akzeptiert.
Am Sanitzer Bahnhof hängen die üblichen Gestalten herum, der Dorf-Alki, schon wieder (oder immer noch) sturzdicht, mit seiner Pulle "Rostocker Pils" im Anschlag, die Dorfjugend, auf der einen Seite des Bahnhofsgebäudes die "Punks", die Jungs machen optisch auf Campino, die Mädels auf Avril Lavigne, beide machen es falsch. Auf der anderen Seite des Gebäudes die mit der Hirnlähmung, die mit den weißen Schnürsenkeln in den Springerstiefeln, mit nassrasierter Glatze und "Böhse Onkelz"-Aufnähern auf den Bomberjacken, die Mutti, selbst lange vom Kindsvater verlassen und gegen eine Neue ersetzt, ihnen am letzten Weihnachtsfest unter den Christbaum gelegt hat, bevor sie dann zum billigen Cognac griff, um den Tag zumindest halbwegs zu ertragen.
Ein ekelhafter Ort.
Wir werden in Ruhe gelassen, sowohl von links als auch von rechts, ernten nur ein paar neidische Blicke ob unserer Zweisamkeit.
Erneut klingelt das Handy. "Bin gleich da, zwei Minuten!" 90 Sekunden später hält ein Wagen auf dem kleinen Bahnhofsparkplatz, der allen Anwesenden die Kinnlade herunterklappen lässt. Jaguar XK8, weiß, die Felgen blitzen, der Motor röhrt, meine Fresse!! Ich bin ein kleines bisschen beeindruckt.
Ein Typ Anfang 50 steigt aus, schaut irritiert ob der Gesamtsituation, entdeckt dann uns und fuchtelt in meine Richtung: "Ey, du siehst so wartend aus! Komm mit nach Hamburg!!" Macht ne Pause. "Von den Idioten da links und rechts muss ich ja hoffentlich keinen mitnehmen!" Zack, sympathisch! Die Lady bekommt noch einen Knutscher und ich winke, als der Motor beim Starten erneut aufröhrt, danach ist nur noch der Wagen interessant. (Ein Jahr später, als wir uns trennen, wird sie mir unter anderem diesen Moment vorwerfen...aber sie ist halt eben nicht in dem Ding gefahren, das zählt also nicht...und eigentlich hab ichs NULL mit Autos, wenn überhaupt, dann solche, die ebenso alt oder älter sind, wie ich, solche neumodischen Rennschlitten find ich albern - dachte ich zumindest immer. Man muss wohl erst drin sitzen...)
Der solariengebräunte Anfangfünfziger grinst mich an. "Schmeiß dein Zeug auf den Rücksitz!". Da passen meine zwei Rucksäcke auch grad so rauf. Dann lasse ich mich in den weißledernen Beifahrersitz fallen...mein Gott, das ist bequemer als mein verdammtes Bett! Hier würd ich gern wohnen...
Wir sind auf der Autobahn angekommen, smalltalken so vor uns hin und ich frag mal einfach, was der Spaß mich denn eigentlich kosten soll, das stand nämlich nicht in der Annonce.
"Kost nix, ich hab genug Geld!" - "Bitte was??" - "Ich brauch kein Geld von nem Studi, ich brauch Unterhaltung!" Ich verstehe nicht, das klingt jetzt doch etwas..."seltsam". "Ich bin jede Woche soviel unterwegs auf deutschen Autobahnen, da bin ich froh, wenn ich mal unterhalten werde. Die Langeweile ist tödlich. Erzähl mir halt was, das reicht. Unterhalt mich." Pause "Und nein, das ist keine Anmache, ich hab Frau und Kind!"
Ich suche die versteckte Kamera, texte aber los. Über langweilige Vorlesungen, wiederholungswürdige Studentenheimparties, verkackte Prüfungen, hübsche Kommilitoninnen, Frauen generell, das Thema scheint ihm zuzusagen.
Ich beobachte dabei den Tacho. 160 bei den Vorlesungen, 190 bei den verkackten Prüfungen, 230 beim Thema Frauen generell. Er mag sie dunkelhaarig und etwas "praller". Aha. Als ich frage, was er mit "praller" meint, bremst er runter von 230 auf wieder 190 und erzählt los, gestikulierend, teilweise keine Hand am Lenkrad, er malt Formen in die Luft, Rundungen, ziemlich viele Rundungen sogar, als er mit Malen fertig ist, nickt er zufrieden, die Augen strahlen und er hält mir die Hand zur High-Five hin, während wir an einer LKW-Kolonne vorbei preschen. Ich auf dem Beifahrersitz bin tief in selbigen hinein gesunken und mache mir bald in die Hosen...ich bin so ein beschissener Beifahrer, hektisch, panisch, ich bremse sogar mit! Als nächstes werd ich ihn mit den aktuellen Unfallstatistiken zutexten nehme ich mir vor. Selber fahr ich zwar wie der Henker himself, aber auf dem Beifahrersitz werd ich ganz klein und blass.
Hamburg ist in Rekordzeit erreicht. Keine volle Stunde.
"Wohin musst du denn? Ich hab noch Zeit, ich bring dich heim!" - "So Nähe Bahnhof Barmbek, den Rest schaff ich dann allein." - "Gibts da was zu essen? Ich hab Hunger. Hast du Hunger und Zeit?" - "Ääääh..." - "Also, wo gibts hier was Gutes zu essen?? Zahl ich! Hast du Hunger und Zeit?"
Was zur Hölle...?
Ich wurde in einem wahnsinnigen Wagen von A nach B kutschiert, ohne dafür einen einzigen Cent zahlen zu müssen, wurde zu einem verdammt guten Burger eingeladen, der mich auch nichts gekostet hat...und ich musste dafür mit niemandem schlafen! Das geht! Da sollten sich so manche "It-Girls" und "Promis" aus den Medien (damit meine ich die Springerpresse und RTL) mal ein Beispiel nehmen. Aber gut, ich muss mich damit arrangieren, ich seh nun mal besser aus als Gina-Lisa Lohfink und die ganzen anderen Silikonmutanten. Naja, ist jetzt auch keine Kunst...
Mitfahrgelegenheit mal anders. Definitiv wiederholungswürdig! Aber soviel Glück hab ich wohl nicht nochmal.
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