Freitag, 20. März 2015

Finster

Typisch Hamburger Schietwetter: Kaum ist Frühling, schon ist die Sonne weg.

Was mir als ausgesprochenem Freund der kalten Jahreszeit ja durchaus entgegen kommt, ich will gar nicht schon wieder meckern. Aber so ein dusteres Wetter zum Frühlingsanfang? Ach komm...

Zum Glück ist Besserung in Aussicht, denn außer Frühlingsanfang ist heute auch Sonnenfinsternis und die dauert ja nur ein paar Stunden. Gegen Mittag ist das Spektakel schon wieder Geschichte, so steht's in den Medien. Da macht die Sonnenfinsternis quasi Mittagspause.

In den Medien heißt die Sonnenfinsternis nur "Sofi". Natürlich nicht in allen Medien, das hat die Springerpresse mal wieder exklusiv.

Erst die GroKo, jetzt die Sofi, es wird nicht besser. Wobei, irgendwie ja ganz treffend, in den Tiefen des Weltraums koalieren zumindest rein optisch Sonne und Mond und wenn Sonne und Mond das tun, dann ist das schon eine amtliche GroKo. Das gebe ich zu. Von GroKo zu Sofi ist es dann ja auch kein allzu langer Weg mehr.

In sechs, sieben Jahren sitzen dann in jeder dritten Grundschul...Entschuldigung, GruSchu-Klasse der Republik mindestens ein kleiner GroKo und eine kleine Sofi - wobei letzteres vermutlich heut schon der Fall ist. Da muss man realistisch bleiben.

Ich hatte übrigens mal eine Freundin namens Sofi(e) und das war auch alles ziemlich finster. So schließt sich der Kreis. Aber das ist ewig her und gehört hier eh nicht hin.

Nun stehe ich also auf einem Freitag Vormittag in Erwartung des Mega-Ereignisses ein wenig gelangweilt auf einer Seitenstraße in Hamburg-Alsterdorf herum, umringt von Freundin H. und ihren wild durcheinander plappernden Kommilitoninnenfreundinnen, halte ein Glas Prosecco in der Hand, denn "So ein Ereignis muss man doch feiern! Sowas erleben wir nie wieder!!". "Naja, eigentlich schon. In 24 Jahren um genau zu sein." erwidere ich. "24 Jahre? Das ist ja noch eeeeewig hin!! Wer weiß wie tot ich bis dahin bin!?" quietscht eine der Kommilitoninnenfreundinnen und stößt kichernd und das obligatorische "Stößcheeeen!!" quiekend mit ihrer Nebenfrau an.

Ein wenig betroffen starre ich auf das Glas Prosecco in meiner Hand und beschließe, dass mehr Prosecco in dieser Situation eventuell besser da hilfreich für mich ist. Einfach schönsaufen den ganzen Quatsch.

Ich muss lachen. Etwas Schönsaufen mit Prosecco, da wäre ich der erste Mensch ohne Doppel-x-Chromosom, dem das gelingt. Ross Anthony vielleicht mal ausgenommen, wobei ich mir bei dem mit den Chromosomen nicht so sicher bin.

Whisky. Wodka. Das würd jetzt helfen.

Balvenie Doublewood. Grasovka. Ich tagträume.

Aber kann man ja auch nicht bringen, sich morgens halb zehn in Deutschland die Pulle Grasovka an den Hals zu setzen.

Gut, auf Pauli ginge das, da fiele man gar nicht weiter auf. Oder vor der grau in grauen Plattenbauwohnsilo-Kulisse von Osdorf. Oder im Niemandsland von Neuwiedenthal.

Aber nicht hier in Alsterdorf, da geht morgens um halb zehn nichtmal Prosecco. Wobei allerdings auch nur ich abschätzig von oben bis unten gemustert werde, der wild jubilierenden und zappelnden Weiberhorde zwei Meter links von mir wird zugelächelt, vermutlich, weil das alles sehr "niedlich" ist. Oder "lebensfroh", "lebensbejahend" gar. Der Kerl nebendran dagegen ist wahrscheinlich ein Spanner, Stalker und Tunichtgut, der, nachdem er sein Plastikglas Prosecco in sich gekippt hat, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit marodierend, mordend und brandschatzend durch's Wohnviertel ziehen wird. Klare Sache.

Als mich wieder ein vorbeispazierendes Rentnerpaar auf's Korn nimmt, exe ich mein Glas, ziehe mir die Kapuze über den Kopf und bilde mir kurz ein, Panik in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Schwarze Kapuze, Jeans mit Loch, Fünftagebart, da steht er, der Endgegner und ist im Begriff, die gesamte Nachbarschaft in Schutt und Asch...

"Oh, dein Glas ist ja leer! Ich schenk dir mal nach!" zerfetzt die Hochfrequenzstimme einer der Kommilitoninnenfreundinnen meine Tagtraumblase und bevor ich mich wehren kann, ist mein Glas wieder voll. "Stößcheeeen!!"

Ich kapituliere.

So ganz allmählich verfinstert es sich. Bevor meine Laune das ebenso tut, schütte ich sicherheitshalber noch ein weiteres Glas Prosecco in mich rein und dann noch eins.

Wirkung trotz nicht vorhandenen Frühstücks: Null.

"Guckt mal, jetzt geht die Sonne unter!" piepst aufgeregt eine Komilitoninnenfreundin und zeigt in den von blau zu grau wechselnden Himmel. "Na, hoffentlich kommt die wieder!" nuschelt ein solariengegerbter Trainigshosenträger mit glänzendem Gelhelm ihr schleimscheißend zu und setzt seinen Allesfickerblick auf, eine Mischung aus treudoofem Monchichi und testosterongeschwängertem notgeilen Grundschulabbrecher. Auch so was, das ich in der Form in diesem Teil Hamburgs eher nicht erwartet hätte.

Das ist alles schwer zu ertragen. Und es wird nicht besser werden, vor allem nicht, da grad bereits die letzte Proseccopulle geöffnet wird, der Trainigshosenträger Artgenossen angeschleppt hat und die Komilitoninnenfreundinnen umso lauter quieken und juchzen je grauer der Himmel wird.

Das ist eine absolut skurrile Situation hier, Abschlussball-Party trifft auf Weltuntergangsgruselstimmung, dazu liegt der Duft von Prosecco-Atem, ausgeschwitztem Testosteron und dem Kebab vom letzten Abend in der Luft. Und nebenbei wird rein optisch innerhalb von drei Minuten aus strahlendem Frühjahr tiefster Herbst.

Zu unserem illustren Grüppchen haben sich nun noch zwei Paare älteren Semesters gesellt, die sich aufgeregt mit H.'s Freundinnen austauschen. Ein "Weltereignis" sei das ja schließlich, alle sprächen darüber, was für ein Privileg, live dabei zu sein! Man nickt sich eifrig und zustimmend zu, die Trainigshosenträger machen mit, ohne jegliche Hintergedanken natürlich...die Komilitoninnenfreundinnen blicken gespannt in einen grauen Himmel und die Trainigshosenträger blicken auf Komilitoninnenfreundinnenärsche. Weil sie es können.

Und Freundin H. stibitzt derweil unbemerkt die letzte verbliebene Flasche Prosecco, die wir uns mit belustigtem Blick auf die Gesamtsituation teilen.

Ja Mensch Sofi, was ist geblieben?

Nichts eigentlich bis auf einen fiesen süßlichen Nachgeschmack im Hals vom Prosecco und der Erkenntnis, dass #Sofi2015 in etwa so spannend war wie eine in den Hang kackende Bergziege.

Hach. Sofi2039.

Ich freu mich jetzt schon drauf...