Freitag, 23. Oktober 2015

Home sweet home

Es ist laut.

Es ist chaotisch.

Es stinkt.

Um mich herum wuseln Gestalten, sie verschwimmen ob ihrer puren Menge und den hektischen Bewegungen  miteinander und das verwirrt mich. Ich kneife für ein paar Sekunden die Augen fest zu und genieße das bisschen Dunkelheit.

Herzlich willkommen zurück in Hamburg.

Nach einer kompletten Woche zuhaus im niedersächsischen Nichts fühle ich mich jetzt auf dem S1-Bahnsteig des Hauptbahnhofes, als hätte mich irgendjemand in einen Ameisenhaufen voller menschengroßer Ameisen geworfen.

Es wimmelt um mich herum. SIE wimmeln um mich herum.

Eigentlich mag ich das. Ich mag das Chaos.

Aber nicht gerade jetzt.

An der Bahnsteigkante vor mir tigert einer umher, immer von links nach rechts nach links nach rechts wie ein Zoo-Löwe mit Gehegekoller bei Hagenbeck, dabei brüllt er in einer mir unbekannten Sprache in sein Handy wie Aale-Dieter auf dem Fischmarkt.

Laut. Aggressiv. Heisere Stimme. Aber welche Sprache?? Ich kann sie nicht identifizieren. Türkisch ist es nicht. Arabisch auch nicht. Für Persisch klingt es zu hart. Aber wie klingt ein wütender Perser? Ich habe noch nie einen kennengelernt. Ich kenne Perser nur in der freundlichen eher leisen Version.

Ich einige mich nach hitziger Diskussion mit mir selbst darauf, dass es Rumänisch ist und damit kann ich gut leben.

Der vermutliche Rumäne steht nun direkt neben mir und brüllt seine Tiraden ins Telefon. Er hat die Augenbrauen zusammen gezogen und ab und zu fliegt ein kleines Spucketröpfchen aus seinem Mund. Ich beobachte seine Kopfbewegungen genau und manövriere mich jedes Mal rein prophylaktisch aus der Streuzone.

Er rückt noch näher. Beinahe Ellbogenkontakt. Die letztmögliche Steigerung wäre, dass er auf meine Schultern klettert und von dort aus weiter telefoniert. Das möchte ich nicht, also gehe ich weg. Dreißig Meter weiter finde ich bestimmt auch einen gemütlichen Platz, um auf die Bahn zu warten.

Als ich auf dem Bahnsteig ankam sagte die Anzeigetafel, dass die S1 in drei Minuten kommt. Die drei Minuten dauern bereits fünf Minuten und auf der Anzeigetafel hat sich nichts getan. Drei Minuten. Dann kommt die Bahn. Ich bin gespannt.

Ich finde einen neuen Warteplatz auf dem Bahnsteig, viele Meter entfernt vom vermutlichen Rumänen. Ich höre ihn noch aus der Entfernung und trotz des Lärms lautstark in sein Handy bellen. Wahrscheinlich wünscht er nur seinen Kindern eine gute Nacht...

Zu meiner Rechten jetzt statt dem vermutlichem Rumänen das obligatorische Hipsterpärchen im Einheitslook. Angelehnt an die Front eines Kioskes halten sie Händchen und bewegen synchron die Köpfe zur Musik aus den Marken-Kopfhörern. WoodKid sicherlich. Oder CHVRCHES. Oder irgendwas von Audiolith.

Ihre Dutts wippen im Rhythmus. Seiner ist größer.

Zwischen obligatorischen bunten Nike Airs und obligatorisch albern hochgekrempelten skinny Jeans und skinny Jeans-Leggins-Lookalikes blenden mich milchweiße Fußknöchel und mir wird kalt. Wegen der Außentemperatur und der Gesamtsituation, mit der ich unzufrieden bin. Mal im Ernst, wer krempelt sich bei diesem Wetter freiwillig die Hosenbeine hoch und entblößt nackte Haut? Und vor allem: Warum?

Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter und erneut suche ich  mir einen neuen Warteplatz. Eine Minute noch, dann kommt die Bahn. Sagt die Anzeigetafel.

Seit drei Minuten.

Es dudelt in meinem Kopf. Ich habe einen Ohrwurm und werde fast wahnsinnig, der Akku meines Handys hat sich aber leider kurz nach Oldenburg verabschiedet. Also dudelt seitdem der Ohrwurm weiter und weiter und gleich platzt mir der Schädel und irgendwer muss die Sauerei dann aufwischen.

Auf dem Weg Richtung neuem Warteplatz passiere ich die üblichen Verdächtigen, ohne die diese Stadt nicht die wäre, die sie ist.

Bis zum Exzess zerschminkte Tussis, die auch bei einstelligen Temperaturen immer noch im luftigen Blüschen mit Blumenmuster und kurzem Röckchen im Reeperbahn-Laufhaus-Style bibbernd den vergangenen Sommer zurück wünschen und denen auch ihr sieben Quadratkilometer großer Schal nicht mehr hilft, den sie als Accessoire auch im Hochsommer zum gleichen Outfit durch die Gegend trugen und der an ihnen in etwa so aussieht wie eine überdimensionale Schwimmweste aus Kamelwolle.

Oder Wichtige, die so wichtig sind, dass sie selbst in den drei Minuten Wartezeit auf dem S-Bahnsteig, die inzwischen bald sieben Minuten dauert, noch auf den Monitor des Apfel-Laptop starren und so fixiert sind, dass sie um sich herum gar nichts mehr wahrnehmen. Die bibbernde Brünette könnte Schal und Blumenmusterbluse ausziehen und oben ohne vor dem Wichtigen auf und ab springen. Ich könnte ihm die Schnürsenkel zusammenbinden oder die S-Bahn könnte entgleisen und direkt auf ihn zu schießen. Er würde nichts davon mitbekommen. Rumms, klatsch, splatter. Da zerballert dich eine komplette S-Bahn auf dem Weg gen Bahnhofswand und du hast nichtmal die Titten von der mit dem albernen Schal gesehen. Das Leben ist nicht fair.

Ich habe einen neuen Warteplatz. Mal wieder.

Normale Menschen um mich herum. Endlich. Einer nickt mir sogar freundlich zu, als ich ihm nach einem Nieser Gesundheit wünsche. Eine Minute noch. Dann kommt die Bahn.

Tut sie nicht. Dafür kreuzen wieder Gestalten mein Blickfeld bei deren Anblick ich mich spontan ins niedersächsische Nichts zurück wünsche.

Einer von denen ist mein Reiserucksack im Weg, statt ihm aber auszuweichen versetzt er ihm einen satten Tritt, sodass die zwei mitgebrachten Flaschen guten Weines im Inneren klirrend gegeneinander schlagen und der Rucksack trotz seiner Schwere ein Stück weit über den Bahnsteig rutscht, eine Schneise in den herumliegenden Zigarettenkippen und Kaffeebechern hinterlässt und direkt in einer von Jugendlichen mit schiefsitzenden Basecaps und noch schiefsitzenderer Grammatik produzierten Spuckepfütze liegen bleibt. Bevor ich den Treter in angemessener Weise  beschimpfen kann, verschwindet er in der Unmenschenmenge.

Kurz darauf kommt die Bahn dann zu meiner Überraschung doch. Natürlich finde ich keinen Sitzplatz. Natürlich hören Minderjährige ohne vorhandenen Musikgeschmack lautstark deutschen "Rap". Und natürlich redet einer in Jogginghose am Handy was von "Neger" und "...nicht rechts, aber..."

Hamburg. Du selbsternannte "schönste Stadt der Welt". Du "Weltstadt mit Herz".

Da bin ich wieder.

Zuhaus auf dem Dorf war nicht alles schlecht...

Montag, 5. Oktober 2015

Mitgehört (8): Im Funkloch

Ich stehe am frühen Abend auf dem Fußweg neben der vielbefahrenen Fuhlsbüttler Straße und warte auf einen Freund.

Es betritt eine ziemlich aufgestylte Brünette in High Heels mein Blickfeld, mit der rechten Hand hält sie ein glitzerndes Oberklassehandy an ihr Ohr, mit der linken versucht sie angestrengt, einen übermütig herumtollenden kleinen Hundewelpen zu bändigen.

Das Gespräch mit der scheinbar besseren Hälfte scheint nicht nach ihren Vorstellungen zu verlaufen.

"Hallo, noch da? Hallooo?? Mausebähääär??" ... "Ich versteh dich kaum!" ... "Das rauscht ganz doll in der Leitung! Ganz schlecht ist das, weil ich wollt dir doch...HALLOOO??"

Sie schaut vollkommen entnervt, dann kommt ihr die rettende Idee.

"Du, warte kurz, ich brauch besseren Empfang. Ich geh mal näher ans Fenster!"

Den Hund im Schlepptau tippelt sie so nah es eben geht an das Schaufenster eines Blumengeschäfts und brüllt dann mit sich überschlagender Stimme:

"BIN AM FENSTER! UND SCHATZI, HÖR ICH DICH JETZT BESSER??"