Montag, 22. Dezember 2014

Mitgehört (4): Der Schmetterling

Vor mir auf einer Nebenstraße in St. Pauli laufen zwei englischsprachige, größtenteils in Neonfarben gekleidete und relativ kompakt gebaute Pummelfeen, aufgrund ihres Akzentes würde ich auf die Ecke Manchester tippen.

Mir tränen ein bisschen die Augen bei ihrem Anblick.

Ein wenig angeschickert sind die beiden auch schon, die eine trägt eine fast geleerte Flasche Rosè-Sekt in der Hand, es wird nicht die erste sein.

Sie scheinen sich über ihre Outfits zu unterhalten, offenbar gehen die Meinungen da aber auseinander.

Von Satz zu Satz steigt die Lautstärke ihrer Unterhaltung und die Stimmung schlägt merklich um.

Schließlich baut die ohne Sektflasche sich vor der anderen auf, stemmt die Arme in die stämmigen Hüften und brüllt weit hörbar im breitesten britischen Akzent:

"That's not true, you're a bitch! I look like a fucking butterfly!!

Sonntag, 14. Dezember 2014

Wenn kommt, kommt (4): Damals im Ex-Job: Die werte Kundschaft

Lang ist er her, der letzte veröffentlichte Teil drei meiner gestarteten Serie über den Ex-Job im Wettbüro.

Ich hatte die Teile vier bis sechs fertig geschrieben und war auch ganz glücklich damit - bis mir mal wieder der Laptop komplett abgeschmiert ist und sämtliche Daten gen Nirvana wanderten. Danach schob ich Frust, vor allem weil ich mir recht sicher war, die verloren gegangenen Texte kein zweites Mal so zufriedenstellend hinzukriegen und ich hatte keine Lust mehr, über den Ex-Job zu schreiben.

Aber irgendwer muss es ja machen.

Und als ich vor einigen Tagen durch Zufall von einem Bekannten mal wieder in meine alte Arbeitsstelle gezerrt wurde, weil er unbedingt seine Kohle verbrennen wollte, fiel mir auf, daß ich von den Angestellten gar keinen mehr kannte, sich an der Kundschaft aber so gut wie gar nichts geändert hatte.

Da sitzen immer noch von früh bis spät die gleichen Fratzen wie zu meiner Zeit und versenken ihre Stütze in der steten Hoffnung auf den großen Treffer und da fahren auch immer noch die gleichen Unsympathen in ihren Luxuskarossen vor und schmeißen mit Kohle um sich, für die garantiert nicht sie sich krumm gemacht haben, sondern die Mädels oder die Kleindealer, die kleinen Fische, die sie grad irgendwo laufen oder in dunklen Ecken stehen haben.

Und der kleine Rest derer, die seit Jahr und Tag aus Spaß an der Freude zocken, weil sie es sich leisten können, ist natürlich auch immer noch da.

Viele bekannte Gesichter also. Und ich wurde vom sympathischen Teil der Kundschaft mit großem Hallo begrüßt, wurde umarmt, mir wurde auf die Schulter geklopft und ich musste beziehungsweise durfte viele Hände schütteln.

Irgendwas muss ich wohl richtig gemacht haben in meinen Jahren im Ex-Job. Ich habe zumindest viele "Fans" behalten. Das fand ich schon sehr lustig und zugegebenermaßen ist das ja auch ein kleines bisschen was fürs Ego.

Also habe ich mich zuhause nochmal hingesetzt, mich an Erwähnenswertes aus den sechseinhalb Jahren Ex-Job erinnert und mir ein paar Notizen gemacht. Und war dann erstaunt, daß da doch noch einiges zusammengekommen ist.

Da ich ohne diesen herzlichen Empfang gar nicht auf die Idee gekommen wäre, der Serie nochmal einen zweiten Push zu geben anstatt sie weiterhin als gescheitert anzusehen, crash and burn quasi, sehr bildlich mit Blick auf den abgerauchten Laptop, habe ich mir gedacht, ich probier es nochmal.

Und erzähle in Teil vier über die Menschen, denen man (ich) tagtäglich gegenüber stand und die mich garantiert ein paar Jahre Lebenszeit und einen großen Teil meiner Nerven gekostet haben: die werte Kundschaft.

Da waren ein paar Granaten dabei. Sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht.

Über die richtig negativen Gestalten, die Poser, die Aggros hatte ich mich ja teilweise schon ausgelassen, die waren aber auch zumeist keine Stammkunden in dem Sinne, daß sie den lieben langen Tag im Shop hockten. Sie kamen zwar jeden Tag vorbei, gern auch mehrmals, ihre Auftritte bestanden aber im Großteil daraus, ihren Luxusschlitten direkt vorm Eingang auf dem Gehweg zu parken, samt Entourage in den Laden zu stürmen und innerhalb kürzester Zeit Unsummen zu verballern. Hier mal 500, da mal 1000, man hat's ja. Wenn andere - normale - Kunden bereits Schlange standen, war das egal. Anstellen kam nicht in Frage und war dank aufgepumpten Oberarmen und grimmig dreinschauenenden Kompagnons auch nicht notwendig. In den allermeisten Fällen wurde den Arschlöchern Vortritt gewährt, weil jeder wusste, was sonst passieren könnte. Mit solchen Leuten legt man sich nicht an, selbst wenn man nur noch wenige funktionierende Hirnzellen besitzt.

In meinem Shop gab es drei dieser Prolls und ich habe sie gehasst wie die Pest. Zwar waren sie zu mir immer extrem freundlich und es gab bei Gewinn immer ein gutes Trinkgeld, klar, man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Die waren in gewisser Weise abhängig von mir, denn hätten sie mir ans Bein gepisst, hätte ich sie dank Hausrecht und notfalls mit Hilfe herbeigerufener Polizeibeamter jederzeit vor die Tür setzen können - was ich unter Umständen später bitter bereut hätte. Also machten sie auf gut Freund und ich spielte mit, alles andere wäre unklug gewesen.

Jeder im Shop war froh, wenn die Spinner nach ein paar Minuten wieder verschwunden waren.

Der Großteil der Kundschaft war aber friedlich, freundlich, ab und an sogar mal höflich oder zuvorkommend. Zwar meistens auch nicht ganz lupenrein, aber das ist in so einem Umfeld halt so und man sieht darüber hinweg beziehungsweise gewöhnt sich daran. Wenn man das nicht kann, dann ist man eh definitiv im falschen Job.

Ich habe zum Eingewöhnen etwa zwei Wochen gebraucht, nach meiner ersten Schicht war ich "schockiert" über das, was ich da erlebt hatte und wollte direkt wieder hinschmeißen. Das war eine Parallelwelt, mit der ich überhaupt nicht klar kam. Zu den nächsten Schichten bin ich nur dank besorgniserregender Kontostände und gutem Zureden der besseren Hälfte gegangen.

Aber zurück zum meist friedlichen, meist freundlichen, selten höflichen und ebenso selten lupenreinen Teil der werten Kundschaft.

An diese Typen erinnere ich mich gern und einige von ihnen habe ich tatsächlich ziemlich gemocht.

Einer von denen mit nicht lupenreiner Weste war "Apotheken-Ali", ein Jahr älter als ich, Türke, den Spitznamen hatte er, weil man bei ihm alles bekommen konnte was Pillen und Pülverchen anging. Jepp, ein Dealer. Und zwar einer, der sich nicht mehr mit Gras aufhält, sondern eher das "heftigere Zeug" vertickt.

Dabei war er aber ein klasse Typ, wir lagen abgesehen von den Drogen voll auf einer Wellenlänge was andere Themen betraf. Das war fast schon ein freundschaftliches Verhältnis.

Als mich mal jemand aus seinem Bekanntenkreis um Geld beschissen hat - das wird häufig versucht und anfangs fällt man ohne Erfahrung halt auf die plumpesten Maschen herein - sorgte "Ali" dafür, daß ich meine bereits verloren geglaubte Kohle samt Zinsen und persönlicher Entschuldigung des Betrügers zurückbekam und der Typ, ein kahlrasierter Riese, kam tatsächlich zu Kreuze gekrochen, schämte sich furchtbar, zahlte mir das Geld zurück und hätte mir vermutlich auch noch die Füße geküsst, wenn ich das verlangt hätte. Bei einigen kritischen Stresssituationen in den darauffolgenden Jahren war es dann recht beruhigend, diesen Brecher im Notfall auf seiner Seite zu wissen.

"Ali" bezahlte seine Wetten auch gern mal direkt vom Kundenklo kommend mit noch zusammengerollten Scheinen, aus denen weiße Pulverreste rieselten...er kommentierte das immer nur mit einem Augenzwinkern. Er selbst war einer seiner besten Kunden.

Unser größter Pflegefall war "Emilio", Nordafrikaner, geschätzt Ende vierzig und abhängig von so ziemlich allem, was grad zu kriegen war.

Bis etwa drei oder vier Uhr am Nachmittag war er noch halbwegs zurechnungsfähig, ab dann war er innerhalb kürzester Zeit volltrunken oder high oder auf Koks, meistens aber alles zusammen. Der Typ hat sich jeden Tag komplett aus der Welt geschossen und konnte manchmal kaum noch laufen geschweige denn sich verständlich artikulieren - Wettscheine ausfüllen ging aber in jedem noch so lebensfernen körperlichen und geistigen Zustand.

Immer so ab dem fünften des Monats herum verzockte "Emilio" Tag für Tag angeblich "sein letztes Geld", bei den Worten hielt er einem mit traurigem Blick einen zerknüllten Zehner unter die Nase und wollte Mitleid oder lieber noch eine kleine Spende von meinem Trinkgeld oder aus dem Portemonnaie.

Zum tagtäglichen Komplett-Abschuss hat das angeblich nicht vorhandene Geld für "Emilio" allerdings immer gereicht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...

Da "Emilio" an sich aber ein herzensguter Typ war, der leider ein riesiges Suchtproblem mit sich herum schleppte, habe ich ihm ab und zu etwas geliehen. Und er hat früher oder später immer (!) zurück gezahlt, was in der "Szene" sicher nicht der Normalfall ist. Das hat manchmal Monate gedauert, aber im Gegensatz zu mir wusste er immer noch genau, wann ich ihm welche Summe ausgeliehen hatte. Ich hatte das häufig längst vergessen.

Ein Mal lieh ich ihm einen Zehner, den er direkt in eine Kombiwette auf drei krasse Außenseiter reinvestierte und mit viel Glück und sehr wenig Verstand daraus über 500 Taler machte. Das blinde Huhn mit dem Korn und so. In diesem Fall mit dem Korn aus der Flasche.

Mir jedenfalls brachte die Nummer ein rekordverdächtiges Trinkgeld von 100 Euro ein. Den Zehner hatte ich unerwarteterweise extrem gut angelegt.

Um seine gute Tat wieder auszugleichen hat er mir dann wenige Tage später sturztrunken in den Laden gepisst und randaliert, als die Sanitäter ihn in den herbeigerufenen RTW verfrachten wollten. Davon, daß ich Pisspfützen aufwischen muss, stand nichts in der Job-Beschreibung. Es gab aber durchaus noch Schlimmeres. Nicht nur ein Mal.

Auch erwähnenswert ist "Don Alfonso". Ein freundlicher kleiner grauhaariger Herr mit Gehstock und buschigen Augenbrauen, der um die Ecke wohnte.

Auch er kam täglich in den Shop, trank mal einen Kaffee und verzockte ein Paar Taler. Er hatte besonders an mir einen Narren gefressen und so wusste ich nach einigen Wochen alles über ihn, ob es jetzt sein Bluthochdruck war oder die Krampfadern seiner Frau, mir wurde alles mit leicht feuchter Aussprache - das machte es nicht besser - erzählt und dazu wild gestikuliert. In der Kollegschaft war "Don Alfonso" allerdings wegen zwei anderer Dinge bekannt, berühmt und berüchtigt.

Zum einen sammelte er (BILD-)Zeitungsausschnitte von Überfällen auf Wettbüros, die er uns regelmäßig auf den Tresen knallte um uns mit todernster Stimme daran zu erinnern, daß wir Angestellten sehr wahrscheinlich demnächst blutige Opfer eines solchen Überfalls würden...zumindest die neuen Kollegen fanden das weniger lustig.

Zum anderen war der Don aber deswegen eine Art Celebrity, weil er es geschafft hatte, in sämtlichen anderen fünf Filialen, die mein Chef zu der Zeit im Stadtgebiet sonst noch betrieb, Hausverbot zu bekommen.

Und zwar nicht wegen Randalen oder sonstwas, nein, "Don Alfonso" verrichtete anscheinend aus mir unerfindlichen Gründen sein großes Geschäft sehr gern auswärts. Also auf dem jeweiligen Kundenlokus einer der Wettbutzen seines Vertrauens. Leider verpasste er es aber regelmäßig, die Spülung zu betätigen und vollkommen egal, wie zwielichtig oder unterbelichtet der Rest der Kundschaft auch war: über die Hinterlassenschaft hat sich irgendwie nie jemand gefreut.

So hat es ein grauhaariger hüftsteifer Rentner zu mehr Hausverboten gebracht als der Rest der gesamten anderen mehr oder minder kriminellen Kundschaft zusammen. Und das nur wegen seines Stuhlgangs. Ich ziehe meinen Hut.

Wo es grad um Stuhlgang geht: Der vermutlich meistverhasste Kunde abgesehen von den Aggro-Prolls war der "Stinker".

Anfang fünfzig, korpulent und trotz Gegenwind vermutlich bereits aus zwei Kilometern Entfernung zu riechen. Ich verstehe nicht, wie man mit so einem Eigengestank - EigenGERUCH wäre mehr als untertrieben - durchs Leben gehen kann.

Ich ertrage viel, ich habe schon Verwesung gerochen und übelsten Suffschiss und früher im Basketballteam hatten wir die seltsame Tradition, daß derjenige, der beim abschließenden Freiwurf-Training am schlechtesten abgeschnitten hatte, einen tiefen Zug aus dem verschwitzten Schuh eines zugelosten Mitspielers nehmen musste. Und das war leider oft ich, denn Freiwürfe sind mir zu einfach. Die kann ich nicht.

Ich habe also schon viele echt miese Gerüche in der Nase gehabt und überfordert war ich zum eigenen Erstaunen extrem selten.

Der "Stinker" war so ein seltener Fall und toppte alles. Mundgulli deluxe kombiniert mit Wochen ohne Dusche kombiniert mit wochenlang dem gleichen speckigen Flanellhemd, welches im Laufe der Zeit die Farbe von blau/weiß kariert zu bläulich/grüngelblich ohne klar erkennbares Karomuster geändert und vermutlich ein Eigenleben entwickelt hatte.

Das aus seinen schulterlangen Haaren das Fett nicht auf den Tresen triefte, wundert mich bis heute. Mir juckte beim bloßen Anblick seiner Haare die Kopfhaut. Wahnsinn!

Der Mann war absolut ekelhaft. Ich vertrage wirklich recht viel wenn es um Gerüche geht, es braucht schon größere Kaliber, um mich aus der Fassung zu bringen. Der "Stinker" schaffte es regelmäßig mit spielerischer Leichtigkeit.

Ich erinnere mich an einen Tag, als ein Fernsehteam des NDR bei uns im Shop war, um einen Beitrag zum Thema Sportwetten für irgendein Nachrichtenmagazin zu drehen. Irgendwas seriöses, Ansage vom Chef war: "Repräsentier uns anständig! Morgens rasieren, Firmenklamotten, kein Band-Shirt!"

Die passendere Ansage wäre gewesen: "Lass den "Stinker" nicht rein!"

Denn der riss, während ich fast frisch rasiert, beinahe ohne Bandshirt und mit vorbereiteten möglichst banalen Antworten für das kommende Interview ausgerüstet an meinen Arbeitsplatz stand, die Situation komplett an sich. Bis heute bin ich dem "Stinker" dafür wirklich dankbar, denn ich hatte absolut keine Lust auf die Nummer.

Die ganze Szene war eh vollkommen skurril, drei Sekunden nachdem die Filmcrew unseren Shop betreten hatte, waren 95% der Kundschaft verschwunden. So schnell konnte man gar nicht gucken! Der durchschnittliche (Klein-)Kriminelle möchte sein Konterfei halt ungern im TV sehen und im Fersengeld geben ist er vermutlich recht geübt. Wäre das Ganze ein Comic gewesen, dann wären die flüchtenden Kunden der Roadrunner gewesen, die Filmcrew Carl der Coyote und überall wären über den Köpfen Blasen gewesen, bei der Roadrunner-Kundschaft so Geräuschblasen mit "WRRRRRRRRRMM!!!" oder "WUUUUUUUUUUSCH!!!" darin und bei der Filmcrew solche Denkblasen mit Inhalten wie "OMG, WTF?!? LOL!!!!" oder nach sekundenspäterem Erriechen des "Stinkers" das Gleiche nur ohne das Lachen, dafür mit panischem Blick.

Der "Stinker" hat das Team vom NDR dann fast 90 Minuten lang bespaßt, währenddessen hatte ich mich nicht mit einen einzigen Kunden herumzuschlagen, denn es waren ja die TV-Kameras im Laden.

Am Strand zu liegen wäre kaum entspannender gewesen. Der Unterschied: Am Strand zu liegen bekommt man im Normalfall nicht bezahlt. Mein mangels Kundschaft mehr als einstündiges tiefenentspanntes Rumgehänge wurde fürstlich entlohnt und als das TV-Team dann grad zehn Minuten weg, die misstrauische Kundschaft vorsichtigerweise allerdings noch nicht wieder im Laden war, wurde ich auch schon abgelöst. Die definitiv beste Schicht, die ich jemals geschoben habe! Dank des "Stinkers".

Und trotzdem war der Kerl ekelhaft. Beziehungsweise seine Hygiene. Seine nicht vorhandene.

Ich könnte über viele weitere Charakterköpfe erzählen.

"George", ein Geschäftsmann aus Ghana, früher Profiboxer, jetzt erfolgreicher Vertreiber von alten KFZs nach Afrika. Er spielte aus Aberglaube nie gerade Summen. "Setz mal fünfzig Euro. Und zwei Cent!...nein, warte. Drei Cent!" Und wenn er einem zur Begrüßung eine hohe Fünf gab, schmerzte die Hand danach noch minutenlang.

"Bernhard" und "Sebastian" (so stand es zumindest in den Ausweisen), Vater und Sohn, zwei - dank der Namen leicht zu erraten - Vietnamesen, die nichtmal einen Hauch der deutschen und nur einen zu vernachlässigenden Teil der englischen Sprache verstanden oder selbst sprachen, trotzdem aber unbedingt ihre Kohle in meinem Shop versenken wollten. Irgendwann schleppten sie dann tagtäglich die deutschsprachige Schwiegermutter respektive Oma in den Shop, die zumindest ein wenig vermitteln konnte, dabei aber jedes Mal vor Scham fast im Boden versank. Ich habe ihr jedes Mal einen furchtbar schlechten Automaten-Kaffee für fünfzig Cent ausgegeben, weil ich Mitleid mit ihr hatte und das schien zu helfen. Zumindest während der paar Minuten mit dem "Kaffee" aus der Automatenhölle schien sie es ganz gut inmitten all der Irren auszuhalten.

Abgesehen von Bernhard und Sebastian hatten wir nur noch einen weiteren Vietnamesen als Stammkunde. Seinen Namen kenne ich nicht, jeder Mitarbeiter unseres Shops war allerdings großer Fan seiner langen Barthaare.

Von denen hatte er auf jedem Quadratzentimeter des bei einem durchschnittlichen Mann normalen Bartwuchsbereiches maximal fünfzig. Ich kann es nicht einschätzen. Viel zu wenige jedenfalls. Alle seiner paar Barthaare waren aber mehrere Zentimeter lang. Und silbrig grau, obwohl der Kerl höchstens Ende dreißig war. Das sah so dermaßen skurril aus, ich kann es gar nicht beschreiben! Hatte ein bisschen was von Lametta, vielleicht hatte er früher davon ja mehr. (Entschuldigung, der musste sein...)

Ab und zu treffe ich ihn noch beim Einkaufen und wenn er mich entdeckt, freut er sich immer sehr und winkt mir zu. Inzwischen trägt er nur noch Kinnhaare. Von einem "Bart" kann dabei noch immer keine Rede sein.

Ich habe in den sechs Jahren im Ex-Job einen Haufen Menschen kennengelernt. Über manche der Bekanntschaften bin ich froh, weil sie lehrhaft waren, über einige habe ich sehr gelacht und tue das auch heute noch, auf einige Begegnungen hätte ich sehr gerne verzichtet, manche Menschen sind so dermaßen unsympathisch, daß ich gern im Strahl kotzen würde und ich mich frage, wie zur Hölle man SO ätzend werden kann.

Trotzdem möchte ich die Jahre nicht missen. Im Rückblick war der damals als eher nervig und anstrengend empfundene tägliche Kundenkontakt schon recht interessant und voller neuer Erfahrungen. Und davon kann man ja eigentlich nie genug machen.

...

(Ich bin gespannt wie lange ich brauche, bis Teil fünf so weit ist, daß ich ihn guten Gewissens posten kann. Ich arbeite dran. Schwör!

Aber auch diesbezüglich gilt: Wenn kommt, kommt!)




Die Namen der erwähnten werten ehemaligen Kunden sind natürlich keine Realnamen. Versteht sich ja von selbst.