Posts mit dem Label König Fußball werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label König Fußball werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 23. Juni 2014

"Die Ghanaer erkennen Sie an den gelben Stutzen!"

"Die Ghanaer erkennen Sie an den gelben Stutzen!" informierte vor einigen Jahren Marcel Reif seine TV-Zuschauer, als eben dieses afrikanische Team gegen die deutsche Nationaltruppe antreten musste.

Bis heute ist das eines meiner liebsten Zitate, wenn es um König Fußball geht und ich freue mich immer wieder, wenn ich ein Spiel Ghanas und die gelben Stutzen sehe und dementsprechend - mehr zu meiner als zur Belustigung anderer - das Zitat anbringen kann. Weniger freue ich mich, wenn ich Marcel Reif kommentieren höre, aber das ist eine andere Geschichte.

Samstag Abend, als sie wieder mal gegen Deutschland spielten, trugen die Ghanaer übrigens rote Stutzen. Ich habe sie zunächst nicht erkannt.

Das erste Mal publikes Gucken mit der besten Hamburg-Freundin stand auf dem Plan, die Motivation war launetechnisch eher gering, aber versprochen ist versprochen und Freundin F. kann ich eh keinen Wunsch abschlagen.

Als es dann, als ich um 19 Uhr die Wohnung verlies, auch noch zu regnen begann, war ich vollends bedient. Public Viewing im Regen, na herzlichen Glückwunsch.

Der Plan war es, sich irgendwo in der Schanze mit vielen anderen vor einer Bar das Spiel anzusehen, das machen die Beste und ich seit knapp zehn Jahren regelmäßig so und bisher haben wir noch kein Spiel zusammen verloren. Und da sie bekennender Fan "Schlaaands" ist, komplett mit Trikot, Fähnchen und Gesichtsbemalung, habe ich als zumindest in diesem Jahr (fast) neutraler Beobachter da in gewisser Weise die Arschkarte gezogen und sehe mich ebenfalls schon mit charmant aufgezwungener Kriegsbemalung in den Nationalfarben herum laufen.

Als wir uns treffen, hat sie zu meiner Erleichterung erstens keine schwarz/rot/güldene Schminke im Gesicht und zweitens auch noch zwei Bier dabei. Ist definitiv eine zum Heiraten, meine rein platonische bessere Hälfte.

In der Schanze finden wir natürlich keinen Sitzplatz vor einer der Bars auf dem Galao-Strich mehr, dafür hätten wir vermutlich seit zwei Tagen hier campen müssen wie vierzehnjährige kleine Mädchen beim Kartenvorverkauf für ein Miley Cyrus-Konzert oder wie finanzschwache Studenten vor der nächsten IKEA-Filiale, wo man dann im Wintersonnenwenden-Schlussverkauf das Bett "Hardvik" zum Schnäppchenpreis bekommt.

Ein frisches Bier später haben wir einen okayen Stehplatz mit gutem Blick und gutem Ton vor einer Bar am Schulterblatt gefunden und ganz im Ernst: Sitzen beim Fußball?!? Ich denke nicht...

"Hymne hören, du musst die Hymne hören!!" hektikt Freundin F. herum.

Seit ich beim Halbfinale der Heim-WM 2006 gegen Italien mal die Nationalhymne verpasste (und wir wissen fast alle, wie das dann geendet ist), weil ich auf dem Klo war, ist es laut ihr meine erste Bürgerpflicht, vor wichtigen Schlaaand-Spielen bei der Hymne parat zu stehen. Alles andere bringt Unglück. Sagt sie. Ich finde das zwar ein wenig weit hergeholt, aber eine Diskussion ist da so unnötig wie ein italienischer WM-Triumph, von daher spiele ich einfach mit.

Freundin F. freut sich dann und ich habe meine Ruhe.

Die erste Halbzeit plätschert irgendwie so vor sich hin und selbst trotz roter Stutzen kann ich inzwischen die Ghanaer von den deutschen Spielern unterscheiden. Der Trick ist, auf die Frisuren zu achten...

Das Spiel ist ein wichtiges aber leider bisher kein spannendes.

Interessanter ist da schon das Volk, das rings um uns herum steht.

Rechts von mir eine Truppe Mitt-Dreißigerinnen, die das Spiel herzlich wenig interessiert, sie sind nur da, um Sami Khedira anzugucken, weil er (ich zitiere) "der hübscheste Mann Deutschlands ist", der aber "die kleine Blonde, wie heißt sie noch, das Miststück, vögelt.".

Sympathisch, die Damen! Versuchen gar nicht erst, irgendwelches gefährliche Halbfachwissen vorzuspielen wie die siebzehnjährigen Tussis, die in den deutschen Farben gebadet in der ersten Reihe des Fan-Festes schrill quiekend und "POLDIIIIII" oder "SCHWEINIIIII" verehrend auf den Schultern ihrer Lebensabschnittsgefährten hocken und damit einem großen Teil derer, die tatsächlich das Spiel und nicht die Spieler beim Trikottausch sehen wollen, den Blick auf die Leinwand versauen.

Mit den Mädels rechts von mir stoße ich an, mein Bier und ihre unvermeidliche Sektpulle. Ich find sie gut, sie heucheln kein Interesse, sie unterhalten sich angeschickert und ergo leise kichernd ausschließlich über die Optik der Spieler. Den Hummels, den würden sie alle gern mal...und den Müller, den würden sie auch alle nicht von der Bettkante schubsen. "Aber der ist ja verheiratet und außerdem so zehn Jahre jünger als wir!" merkt eine mit traurigem Blick an. "Das der verheiratet ist, macht ja nichts" erwidert ihre Freundin, "aber so ein junger Kerl kann doch nichts. Da bleibt der Spaß doch auf der Strecke!". Zustimmendes Nicken. Ich muss lachen und mir wird verschmitzt zugezwinkert.

"Soll ich dich retten?? Die baggern dich doch an!" flüstert die Beste von der anderen Seite. Ich kann beruhigen. "Neeh, die baggern mich nicht an, ich passe nicht ins Beuteschema. Ich hab weder das Aussehen vom Hummels noch den Kontostand vom Müller."

Da das Spiel Ende der ersten Hälfte überhaupt nichts mehr her gibt, widmen F. und ich unsere Zeit der Beobachtung der direkt vor uns stehenden englischsprachigen Jungs, einer sieht ein bisschen aus wie Prinz Harry, ein anderer mit seiner platten Nase ein bisschen wie ein ziemlich schlechter Kirmesboxer. Zwei reden ununterbrochen miteinander, die anderen beiden stehen stillschweigend links und rechts daneben. Einer trägt ein "Schweinsteiger"-Trikot. Außerdem trinken sie alle Weizenbier. Augustiner. Aus der Flasche. Pfui!

Drei von den Vieren haben ihre Flasche geleert, eine neue muss natürlich schnell her. Vorrat ist auch da, man(n) denkt ja mit - blöderweise aber meist nicht zu Ende.

Keiner der vier hat einen Flaschenöffner am Mann. Nach kurzer Ungläubigkeit macht sich eine gewisse Panik in den Gesichtern breit.

Da es entwürdigend wäre, irgendeinen der Umstehenden nach einem Flaschenöffner, Feuerzeug oder ähnlichem zu fragen, wird halt improvisiert. Und wenn das Öffnen eines Bieres dann eben mehrere Minuten in Anspruch nimmt...egal. Wenigstens hat man sein Gesicht gewahrt. Zumindest fast. Am Ende werden die Flaschen dann in minutiöser Kleinstarbeit mit einem Fahrradschlüssel aufgehebelt. Als der Kronkorken endlich von der letzten Flasche ploppt, wollen Freundin F. und ich fast in frenetischen Jubel ausbrechen,

Derweil hat bereits die zweite Halbzeit begonnen und ist noch nicht alt, als eine Flanke sich in den westafrikanischen Strafraum verirrt, wo der Götze mit seiner Hipster-Frise sie unter Zuhilfenahme verschiedenster Körperteile irgendwie ins ghanaische Tor bugsiert.

Um mich herum werden Arme in die Höhe gerissen und es wird gejubelt. Die Mädelstruppe rechts von mir verschüttet fast ihren Rotkäppchen-Sekt und die Jungs vor uns jubilieren, dabei schlägt einer dem anderen versehentlich den Ellenbogen krachend ins Gesicht. Hat ein bisschen was von Mosh-Pit. Aber nur ein bisschen.

Auf dem Spielfeld werden nun die Visiere herunter geklappt und ein wildes Hauen und Stechen beginnt, zwischen lautstarkem Jubel während einer Chance von Jogis Jungs bis hin zu entsetztem kollektiven Aufstöhnen, wenn ein Afrikaner auf "Schlaaands" Tor zustürmt, liegen meist nur wenige Momente.

Links neben mir taucht auf Schulterhöhe ein Kopf auf. Er trägt eine Schirmmütze, die für eine bekannte deutsche Versicherung wirbt, der spärliche Bartwuchs wuchert wild. Und dann redet der Kopf.
"Des könnens net! Ei, de Ghanaäh, des könnens net verdeidige! Wennde Mario de Ball so b`gommt, des ist net zu verdeidige! Weisch?"

Himmel hilf, der Prenzlauer Berg ist ist am Start! Dem Kiezneurotiker , ist einer entwischt und mir zugelaufen! Das muss doch jetzt nicht sein...

Während der nächsten paar Spielminuten rückt der Kopf immer näher an mich heran, Freundin F. amüsiert sich köstlich, ich eher nicht so. So engen Körperkontakt hatte ich länger nicht mehr, wenn das noch zwei Minuten so weiter geht, dann werde ich ihn wohl meinen Eltern vorstellen müssen.

Aus dem Nichts erziehlt Ghana den Ausgleich und der Kopf, zu dem ein mit Jutetasche, die Werbung für ein Schuhgeschäft macht, behangener hagerer Körper in Parka und Hochwasserhose gehört, echauffiert sich.

"Ei, g`sagt hab ichs! Des wars! Des Spiel is g`laufn! De Neuer, die gröschte Pfeif uffde Welt!!

Kurz danach geht der Kopf weg und mitten in mein innerliches Glücksgefühl fällt das nächste Gegentor. Zwei junge dunkelhäutige Mädels schreien schrill vor Freude, ein wenig klingt es wie in den "Scream"-Filmen, wenn mal wieder eine der Protagonistinnen massakriert wird. Viele schauen sich irritiert um, aber statt einem Blutbad gibt es nur zwei strahlende hübsche Mädels zu sehen, die ausgelassen tanzen und mit der bunten ghanaischen Fahne wedeln.

Ich erwarte Idioten, die das Ganze mit dummen Sprüchen kommentieren, das habe ich ja erst ein paat Tage früher nach dem Spiel der Ivorer erlebt. Aber das passiert nicht. Die Mädels werden fotografiert, oft, und sie lieben das und posen. Das wars aber auch schon.
Keine Schmährufe. Gar nichts. Verrückt. Und toll!

Freundin F. hat inzwischen außer dem Spiel auch die vier Jungs vor uns ausgiebig beobachtet und hat heraus gefunden, dass wir es mit ein paar Amis zu tun haben. Ein Versuch, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, scheitert allerdings, denn Miro Klose, der, der wie ein Mädchen läuft, erzielt aus dem Nichts das 2-2, torjubelt mit seinen 35 Jahren per Salto, den er weder steht noch sitzt, es aber irgendwie schafft, sich bei der Landung keine wichtigen Knochen zu brechen und wirklich alles und jeder ist nun außer Rand und Band.

Abgesehen von den beiden hübschen Afrikanerinnen natürlich.

Es wird gesprungen, Fremde umarmen sich, Fäuste werden in die Höhe gereckt... Und das nach einem Ausgleichstor in der Gruppenphase gegen Ghana.

Das Spiel plätschert dann bis zum Abpfiff so vor sich hin.

Unentschieden, eine spannende zweite Halbzeit. Freundin F. und ich sind zufrieden.

Der deutsche "Fan", der sich alle zwei Jahre mal vier Wochen lang Fußball für Fußball interessiert und sich dazu das "Fan-Set" im Discounter seiner Wahl für 9,95€ kauft, um während des Turniers authentisch rüber zu kommen, tickt da natürlich anders.

Als vier ghanaische Jungs in den Landesfarben mit lautem Trommeln und feierlichem Gesang an uns vorbei laufen und den Punktgewinn feiern, brüllt aus dem Hintergrund ein intelligenzbegrenzter Vollidiot irgendwas von wegen "Neger" und so weiter rein.

Peinlich und armselig. Zum Glück bleibt das die Ausnahme, der Großteil der Umstehenden freut sich mit den Vieren, einige versuchen ungelenk im Takt der Trommeln zu "tanzen", was den Afrikanern ungläubiges Grinsen abnötigt.

Freundin F. geht noch mit einer Arbeitskollegin feiern, ich fahre nach Hause. In der Bahn treffe ich noch ein Paar, beide im Trikot der "Black Stars". Es wird eine fröhliche Heimfahrt, leider steigen die beiden drei Stationen vor mir aus.

Am barmbeker Bahnhof passiert dann, was seit langen Wochen überfällig war. Ich laufe Denny, dem Haus-Nazi über den Weg. Ich war ihm eine lange Zeit erfolgreich aus dem Weg gegangen, wenn ich ihn von Weitem auf der Straße sah, wechselte ich die Straßenseite und wenn ich ihn an der Bushaltestelle sah, ging ich lieber zu Fuß.

Denny ist harmlos und irgendwie bemitleidenswert, ich meide aber jede persönliche Begegnung. Wochenlang hat das geklappt und jetzt renne ich nachts gegen ein Uhr in ihn rein.

Er steht mit ein paar anderen vermutlich ebenso Hirnbefreiten auf dem Busbahnhof, er und seine Leute sind vor lauter schwarz/rot/goldenem Gedöns kaum noch zu erkennen, was nicht unbedingt von Nachteil sein muss. Denny trägt eine große Fahne als Umhang, dazu einen Schal und die deutschen Farben hat er sich natürlich auch ins Gesicht gemalt. Auf der linken Wange leider spiegelverkehrt.

Gold/Rot/Schwarz.

Kann man mal machen. Diese Dreifach-Schminkstifte sind aber auch nicht einfach zu handhaben.

Ich muss grinsen, unterdrücke das aber, denn dummerweise spricht Denny mich an und seine Entourage, bestehend aus zwei stiernackigen kahlrasierten Schränken und einer dümmlich grinsenden und schlecht blondierten Bratze mit stupidem Gesichtsausdruck und Springerstiefeln, mustern mich missmutig von oben bis unten.

"Na Zecke? Auch mit dem Bus fahren?" fragt Denny laut. Er erntet von Umstehenden einige Blicke, interessierte und genervte.

"Warst wohl auch Fußball gucken, häh? Unentschieden! Gegen die Neger! Die verdammten Neger! Kann doch keiner aussprechen, die Namen!"

Ich sage nichts, ich schaue ihn nur an und es ekelt mich.

Da steht ein verhärmter kleiner Typ vor mir, der seine letzten verbliebenen Haare platinblond gefärbt und Augenringe wie aus einem schlechten Horrorfilm hat und dem bei seinen Hetztiraden kleine Spucketropfen aus dem Mund fliegen, denen ich zum Glück erfolgreich ausweichen kann.

Mir ist klar, dass er sich nur so verhält, weil er grad nicht allein ist. In der Gruppe sind sie stark, die Idioten, die Hirnamputierten, die Fehlgeleiteten. Das nächste Mal, wenn ich ihn tragischerweise allein im Treppenhaus treffe, macht er wieder auf gut Freund.

Denny labert und labert und labert seinen Schwachsinn in die Welt.

Nach ein paar Minuten ertrage ich es nicht mehr, drehe mich um und gehe, ohne ein Wort mit Denny gewechselt zu haben.

Er starrt mir hinterher, seine Truppe guckt Löcher in die Luft.

Der Spaziergang heim entspannt, das Bier vom Kiosk schmeckt und ich komme auch an der kleinen afrikanischen Bar vorbei, in der ich eine Woche zuvor die Samstag Nacht zum Tag gemacht habe. Sie sieht abgerissen aus wie eh und je.

Obwohl es eine Samstag Nacht ist und Team Deutschland gespielt hat, ist es erstaunlich ruhig in meinem Viertel. Ich scheine der einzige zu sein, der noch auf der Fuhle unterwegs ist.

Selbst auf dem Ring 2 fahren heute keine GTi-Piloten Rennen in ihren aufgemotzten Karren.

An meiner Wohnung angekommen, bleibe ich noch einige Zeit auf der Mauer vor dem Haus sitzen, trinke aus und lausche in die Nacht. Irgendwo flitzt ein Tier fiepsend durchs Gebüsch und ganz weit in der Ferne in Steilshoop oder Dulsberg ertönen Polizeisirenen. Ansonsten Stille. Großartig.

Eigentlich mag ich totale Stille nicht, aber grad jetzt ist sie großartig.

Bevor Denny heim kommt und mir nochmals über den Weg läuft, verschwinde ich in meine Wohnung, lege mich aufs Bett und lasse den Tag rekapitulieren.

Trotz etwas ruppigem Beginn: Schön war`s. Hätte ich gerne öfter!

Dienstag, 17. Juni 2014

Ivorische Nachtschicht

Der Ball rollt wieder. Seit vergangenem Donnerstag schaut die Fußballwelt nach Südamerika und schlägt sich zumindest zu einem gewissen Teil, dem ich als Nachtmensch angehöre, die Nächte vor dem TV-Gerät um die Ohren.

Zu sagen, ich hätte mich übermäßig auf den Start der WM gefreut, wäre arg übertrieben. Vor allem mit einem Seitenblick auf die Vorkommnisse innerhalb des Gastgeberlandes. Proteste wohin man schaut und ich kann sie zu 100 Prozent komplett verstehen. Diese Proteste gegen teils haarsträubende innerpolitische Entscheidungen der brasilianischen Oberen, die erzwungene "Umsiedlung" ganzer zentral liegender Favelas, zigtausender von Menschen, die teilweise seit Generationen dort leben, zwar in sehr ärmlichen Verhältnissen, aber doch "glücklich", so wie man es immer und immer wieder in den Medien hörte und las. Und das nur, damit der geschätzte WM-Tourist erstens möglichst kurze Reiserouten zurück zu legen hat und zweitens, damit ihm der Anblick des "Elends" der Favelas erspart bleibt.

Und überhaupt das Hinstellen von hunderte von Millionen Dollar teuren nigelnagelneuen Fußball-Arenen auf eben diese ehemaligen Wohngebiete oder einfach direkt mitten in den Amazonas-Dschungel wie zum Beispiel in Manaus, eine knapp 45.000 Menschen fassende Schüssel, die dort nach den sechs vorhergesehenen WM-Spielen maximal noch alle paar Monate mal als Veranstaltungsort für Konzerte oder ähnliches genutzt werden wird, da der erfolgreichste Verein der Stadt in der dritten(!) brasilianischen Liga kickt und pro Heimspiel keine 500(!) Zuschauer anzieht.

Geld für wirklich wichtige Dinge wie Verbesserung des Bildungssystems oder Bekämpfung der Massenarmut ist dagegen "nicht vorhanden". Natürlich nicht.

Ich bin nun viel zu wenig informiert darüber, wie da die politischen Verstrickungen sind, wie die FIFA da mit drin hängt - vermutlich zu einem nicht unwesentlichen Teil - und so weiter, daher möchte ich kein gefährliches Halbwissen in die Welt rufen.

Fakt ist: Die Proteste in Brasilien (und sonstwo weltweit) sind mehr als gerechtfertigt! Und ich stehe voll dahinter!

Ich schaue mir die Spiele allerdings so denn machbar trotzdem an. Vorzugsweise entspannt bei Kumpel F. auf dem Sofa, ein Mal war ich schon public viewend in einer Bar um die Ecke und mit der besten Hamburg-Freundin bin ich auch noch das ein oder andere Mal verabredet.

Ein paar Leute in meinem Bekanntenkreis boykottieren die WM komplett, obwohl sie an sich durchaus an Fußball interessiert sind. Der Fernseher bleibt ausgeschaltet, Sportseiten im Netz werden ignoriert und Menschen in Trikots werden missmutig gemustert.

Ich finde das gut, da nicht versucht wurde, mich zu missionieren. Generell kann ja fast jeder fast alles machen, was er möchte - solange er mir damit nicht auif den Sack geht. Von mir aus kann der Veganer vegan leben, der Straight Edger straight edge und von mir aus kann auch die Hippie-Mutti um die Ecke ihre Leinenshirts selbst bebatiken - alles schön und gut, nur nervt mich damit nicht.

Veganer, Edger und Hippie-Trulla kriegen das im Normalfall nicht hin, die mir bekannten WM-Boykotteure, die ja zumindest einige Punkte haben, die ich exakt genau so sehe wie sie, schaffen das. Ich gebe zu, die Vergleiche hinken ein wenig, mein Standpunkt sollte aber klar sein.

Boykott ist ein Zeichen, ein gutes sogar. Aber wenn das hier in Hamburg ein paar versprengte Gestalten durchziehen, dann interessiert das auf der anderen Seite des Erdballs keine Sau. Sorry, aber ist so.

Ich für meinen Teil schaue mir also die Spiele an, bin mir aber der Rahmenbedingungen ganz klar bewusst und verurteile diese. Das merkt zwar in Brasilien auch wieder niemand, aber das kann man leider kaum ändern.

Ich mag solche fußballerischen Großereignisse eh gern, das will ich gar nicht abstreiten. Ich bin definitiv Fan. Mein Team darf zwar dieses Jahr nicht mitspielen, also bin ich ein relativ neutraler Beobachter, habe mir aber meine zwei oder drei "Lieblinge" herausgepickt und schaue mal, wie die sich so schlagen. Ansonsten möge der Bessere gewinnen. Es sei denn, er heißt Italien oder Niederlande. So weit geht die Neutralität dann doch nicht.

Ich habe in Hamburg während der letzten WM- und EM-Turniere schon allerhand spannende, lustige und interessante Geschichten erlebt, das geht vom Kennenlernen der jahrelangen großen Liebe über das Finden von neuen Freunden bis hin zu legendären Parties und Unterhaltungen oder Diskussionen, an die ich mich teils Jahre später noch haargenau erinnere.

Samstag Nacht gab es wieder so eine neue Erfahrung.

Auf dem Heimweg vom Einkaufen traf ich kurz vor Mitternacht meinen Kumpel Mo und ein paar seiner Jungs. Er ist Ivorer, ich kenne ihn von meinem Ex-Job in der Wettbutze. Vom (Stamm-)Kunden entwickelte er sich mit der Zeit zu einem guten Freund.

Nach ein bisschen Smalltalk lud er mich ein, mit ihm und seinen Leuten das Spiel seiner ivorischen "Elefanten" (der Spitzname des Teams von der Elfenbeinküste) zu schauen.

"Wir werden siegen!" lächelte er siegessicher, "Komm vorbei, wir schauen alle in einer kleinen Bar am barmbeker Bahnhof! Es geht um drei Uhr los, ich hole dich um 2.30 Uhr am Bahnhof ab!

Eigentlich wollte ich heim und ins Bett, ich war ziemlich platt und vorher relativ froh gewesen, dass eine andere Verabredung nicht geklappt hatte - aber ein Spiel einer afrikanischen Mannschaft mit einem Haufen afrikanischer Fans in einer afrikanischen Bar schauen? Das klang dann doch zu verlockend!

Zuhause versuchte ich, mich per kalter Dusche wieder fitter zu machen und vernichtete vor dem Fernseher sicherheitshalber noch meine letzten zwei Bier, während Italien zu meiner Enttäuschung die Engländer mit 2-1 schlug. Da ich allerdings exakt dieses Ergebnis im familieninternen Tippspiel vorausgesagt hatte, musste ich doch ein wenig grinsen.

Kurz nach zwei Uhr schlurfte ich los Richtung Bahnhof Barmbek. Eher müder als zuvor. Das verdammte Bier...

Auf der Straße vor meiner Bude sang derweil ein alleingelassener Italiener lautstark die Hymne. "Italia, IIIITALIAAAA,...", zwischendrin nippte er an einer Sektpulle. Keine Ahnung, wo der her kam und wieso er in meiner Einbahnstraße gelandet war, ich habe aber ein paar Minuten mit ihm geredet und er war sehr nett. Seinen angesüffelten warmen Sekt wollte ich dann aber lieber doch nicht probieren. Ich ging meiner Wege und hörte in wieder die italienische Hymne intonieren. Der "Gesang" begleitete mich aus der Ferne noch ein paar Minuten.

Ich mag solche kurzen Begegnungen, die hängen bleiben.

Die knapp zwölf Minuten Fußmarsch zum barmbeker Bahnof machten mich ein wenig wacher und relativ fit traf ich Mo, der schon auf mich wartete.

Keine 150 Meter weiter ging es in eine Bar, von der ich dachte, das sie seit Jahren leer steht. Von außen sieht sie nämlich so aus. Vollkommen abgerissene Fassade, graue Gardinen hinter staubigen Fenstern...na wunderbar.

Hinter den Gardinen sah ich allerdings ein paar Lichter blitzen und was da drinnen für ein Lautstärkepegel herrschen musste, konnte man von außen erahnen. Das war mir allerdings vorher klar, wie gesagt, ich habe sechs Jahre mit sehr vielen Afrikanern zu tun gehabt und die Jungs sind nun mal laut. Die Herkunft ist dabei vollkommen egal, ob Ivorer, Ghanaer, Nigerianer, Sambier...spätestens ab einer Gruppe von vieren hat das was von Presslufthammergetrommel. Es ist schlicht wahnsinnig.

Das meine ich in keinem Fall böse und schon gar NICHT rassistisch! Im Gegenteil, ich mag diese Emotionalität und die Lebensfreude sehr! Es ist halt einfach ein Fakt, den auch kein Afrikaner (zumindest keiner, den ich kenne) je bestreiten würde, im Gegenteil, er wird breit lächeln und einem zuzwinkern, wenn man ihn darauf anspricht.

Ich war also auf einiges vorbereitet, als ich jedoch hinter Mo die Bar betrat, wurde es erstmal recht ruhig und ich werde von allen Seiten irritiert angestarrt.

Ich bin definitiv der einzige Weiße und das überrascht wohl einige der Anwesenden. Aber glücklicherweise ist Kumpel Mo ein unbändiger Quell guter Laune und verkündet mehrmals laut, ich sei sein "white brother", außerdem entdecken mich noch zwei seiner Kumpels, die ich schon vorher getroffen hatte und begrüßen mich enthusiastisch.

Meinem Kenntnisstand nach mag einen ein Afrikaner, wenn er nach dem Händedruck in einer fließenden Bewegung mit den Fingern schnipst. Man reicht sich die Hand, zieht seine Hand dann zum Körper, während die Handflächen sich berühren und sobald die Fingerspitzen sich trennen, schnipst man mit Daumen und Zeigefinger. So wurde es mir erklärt und auch beigebracht, allerdings krieg ich dieses Schnipsgeräusch nicht hin. Eher renk ich mir einen Finger aus. Ich ernte dann aber immer viele Lacher, denn meine Bemühung ist ja da - und sieht vermutlich urkomisch aus. Ich habe also schnell ein paar neue Freunde in der Bar gefunden.

Mo kommt mit zwei Bier angeschleppt. Das kann ich jetzt tatsächlich gebrauchen. Ein tiefer Schluck...ach du heilige Scheiße, was ist DAS denn?? Das brennt!

Ich erinnere mich, so mit 15, 16 haben wir damals auf unseren Parties irgendwann gegen Ende einfach alles, was noch übrig war, zusammen geschüttet. Bier, Korn, Cola, Sprite, Kirschlikör, Wodka, Apfelsaft, Blue Curacao, Sekt...alles in einen Eimer oder so, gut vermischt, auf Gläser verteilt und dann auf Ex. Hau weg den Scheiß. Das Getränk hieß "Günther" und war der Abschluss jeder Party. Grauenhaft, vor allem, weil man ja die ganze Nacht diesen ekligen Abschluss auf sich zukommen sah...

Ungefähr so schmeckt dieses seltsame Bier, auf dessen Etikett ich nirgendwo einen Promille-Gehalt finde...

Dann wird es ernst. Die Nationalhymne wird laut mitgesungen und frenetisch bejubelt. So laut, dass ich mir sicher bin, dass dadurch in irgendeiner neugebauten Yuppie-Wohnung im Umkreis von 500 Metern irgendein Brokkolilutscher im Batik-Shirt aus dem Schönheitsschlaf gerissen wird und spätestens in Spielminute sieben die Cops auf der Schwelle stehen.

Aber das passiert nicht.

Ich nehme noch einen Schluck vom "Bier". Es brennt nicht mehr so sehr.

"Wir werden siegen!" strahlt Mo und lacht sein bestes Colgate-Zahnweiß-Lachen. "Pass nur auf, die Elefanten werden siegen!"

Leider ist das Memo bei den Gegnern aus Japan nicht angekommen und so haut ein blondierter Spieler in blau namens "Honda" in der 16. Minute den Ball eiskalt in den Winkel des ivorischen Tores.

1-0 für Nippon.

Und die Japaner kontrollieren weiter das Spiel. Die Stimmung in der Bar kippt ganz langsam von Euphorie über Entsetzen zu Enttäuschung und tendiert allmählich hin zu Frust, denn die in orange spielenden "Elefanten" kriegen die quirligen kleinen Japaner nicht in den Griff.

Während um mich herum in verschiedensten Sprachen und Dialekten, die ich alle nicht verstehe, vermutlich geflucht wird, jubele ich innerlich über die Nummer 17 der Elfenbeinküste. Der hat nämlich hinten auf dem Trikot als Namen "S.AURIER" stehen und ich finde das ganz großartig! Wird wohl auch an dem "Bier" liegen, das inzwischen fast leer ist. Zuhause habe ich dann mal gegogglet: Der Mann heißt "Serge Aurier" und ist ein kommender Star. Ein Trikot mit "S.AURIER" drauf gibt`s dann wohl noch öfter mal zu sehen.

Halbzeit. Nullstimmung. Ich hol mal lieber neue Getränke für Mo und mich. Da ich weder weiß, wie das Gesöff heißt und ich mir auch nicht sicher bin, ob die in traditionelles Gewand gekleidete Bardame Deutsch oder Englisch spricht, bin ich recht beruhigt, als ich beobachte, dass die Bestellung per Handzeichen abläuft. Also mache ich das "Victory"-Zeichen und kriege strahlend zwei volle Flaschen hingestellt. Sauber!

Anpfiff zweite Hälfte. Die Stimmung ist gedrückt, aber die Spieler aus der Cote d`Ivoire kommen wie ausgewechselt aus der Kabine. Nippon sieht keinen Stich mehr. Angriffswelle um Angriffswelle rollt auf den japanischen Kasten zu, der Torhüter darin schaut auch schon äußerst verstimmt.

In der kleinen Bar lädt sich so ganz allmählich die Spannung auf, sie ist fast zu greifen. Es ist ziemlich still, aber es knistert. Irgendwas liegt in der Luft.

Einer von Mo`s Kumpels kommt beladen mit Bier an und drückt Mo und mir eins in die Hand. Definitiv mein letztes...

"Soon it`s gonna happen!!" sagt er aufgeregt. " I feel it! I feel it!". "I feel it too, brother!" antwortet Mo, "Wir werden gewinnen!"

Nach exakt einer Stunde Spielzeit wird Didier Drogba, der absolute Superstar unter den ivorischen Spielern in Großaufnahme auf dem TV-Bildschirm gezeigt. Sekundenkurze Jubelrufe, dann angespannte Stille. Die Luft prickelt. So etwas habe ich noch nie erlebt.

Zwei Minuten später in der 62. Minute wird Drogba eingewechselt. Gefühlt steht die Zeit ein paar Sekunden lang still, als er darauf wartet, dass er vom das Feld verlassenden Spieler abgeklatscht wird. Um mich rum sehe ich weit aufgerissene Münder und Augen.

Didier Drogba ist in der Elfenbeinküste ein Nationalheld, ach was, ein Halbgott! Zwar trägt er eine der furchtbarsten Frisuren aller Zeiten spazieren, aber seit er mit dem Chelsea FC 2012 den Bayern in der Champions League ihr "Finale dahoam" im Alleingang versaut hat, verehre selbst ich diesen Spieler.

Als der rechte Fuß von Drogba das Spielfeld betritt, brandet ein Jubel los, den man sich nicht vorstellen kann. Da ist er, der Messias! "Ich habe doch gesagt, dass wir siegen werden!" ruft Mo, ein Hinweis auf dem Spielstand wäre grade vollkommen sinnlos. Die komplette Bar ist außer Rand und Band.

Und das mit Recht.

Vier(!) Minuten nach Drogbas Einwechslung steht es nicht mehr 0-1 sondern 2-1 und der Laden explodiert förmlich!

Ich habe mit den Jahren auf Konzerten viele Moshpits und ähnliches erlebt, viel Geprügel vor der Bühne. An die Situation morgens um 4.30 Uhr in dieser Bar kommt nichts davon heran. Selbst eine Massenpanik weil die Hütte brennt hätte nicht chaotischer ablaufen können. Das war fucking mayhem! Aber in der positiven Variante! Ich weiß nicht, wieviele mir wildfremde Menschen mich umarmt haben, mich fast zum Hörsturz gebrüllt haben, sie kamen von überall. Links, rechts, oben, unten... Ein unfassbares Chaos und eine Lautstärke, die ich nicht beschreiben kann. Dabei waren noch 25 Minuten zu spielen.

Passiert ist allerdings nichts mehr. König Didier hat seine Elf zum Sieg geführt. In seinen knapp 30 Minuten Einsatzzeit hat er die meisten(!) Zweikämpfe ALLER(!) eingesetzten Spieler geführt und gewonnen. Eine unglaublich kranke Statistik...

Nach Abpfiff des Spiels gegen 4.45 Uhr hielt es natürlich niemanden mehr in der Bar. Es wurde auf dem Gehweg und auch auf der Straße getanzt, die orange/weiß/grünen Fahnen wurden geschwenkt, es wurde gesungen, eine ausgelassene Stimmung...

...fanden dann die, die im Auto bereits auf dem Weg ins Büro waren oder die, die sich auf dem Weg zur S-/U-Bahn mit verstopften Gehsteigen und Feiernden, die nicht schwarz/rot/gold gen Himmel reckten, konfrontiert sahen, nicht so toll. Ich habe wüste Beschimpfungen gehört, die ich hier nicht wiedergeben werde. Das N-Wort. Oft. Beschämend. Traurig. Dumm.

Von Leuten, die vermutlich gestern Abend selber besoffen "Suuuuper Deutschland, olèéééé!!" gröhlend auf Straßen tanzten und mit Fahnen wedelten. Weil sie das halt alle zwei Jahre mal so machen.

Fan sein.

Deutsch sein.

Fuck you!

Es war taghell, als ich Mo wieder fand. In dem ganzen Chaos war er mir verloren gegangen. Er saß mit sich und der Welt im Reinen auf dem Gehweg, rauchte eine "Zigarette" und war einfach glücklich.

"Bruder, ich habe es dir doch gesagt: Wir werden siegen!" sagte er, leicht mitgenommen von den letzten Stunden.

Eine Umarmung später habe ich mich auf den Heimweg gemacht.

Tags darauf dröhnten mir die Ohren wie nach einem Konzert.

Aber so eine Erfahrung nehme ich jederzeit gerne wieder mit!

Donnerstag, 16. Mai 2013

Der Abgang einer Legende. (Danke Thomas!)

Eigentlich wollte ich vorerst nicht mehr über Fußball schreiben, denn erstens gehe ich davon aus, daß das relativ uninteressant für viele ist und zweitens dachte ich, daß das Thema nach dem erreichten Nichtabstieg erstmal für mich durch sei.

Ein Auswärtsspiel noch in Nürnberg, das war's dann für meinen Verein. Sommerpause. Ich hätte mir eventuell noch zwei mir vollkommen egale deutsch/deutsche Finalspiele national (DFB-Pokal) und international (Champions League) angesehen, hätte eventuell darüber noch ein paar Worte verloren, das wär's dann aber auch gewesen zu dem Thema, bis Mitte August oder wann die neue Saison startet.

Der Text, der eigentlich für heute gedacht war, rückt ins zweite Glied. Kommt dann morgen. Oder so. Ich muss nochmal über Fußball schreiben, es tut mir leid!

Oder besser: Nicht über Fußball, sondern über einen Mann namens Thomas Schaaf.

Denn Thomas Schaaf wurde gestern nach knapp mehr als vierzehn Jahren beurlaubt. Ist jetzt nicht mehr Trainingsleiter von Werder Bremen. Mal eben so. Zack, Feierabend!

Ich hab das zuerst nicht geglaubt, ohne TS konnte ich mir meinen Verein nicht vorstellen (kann ich immer noch nicht und werd es auch in einer Woche nicht können). Aber dann kam die Meldung in den Nachrichten, verbreitete sich im Internet und sozialen Netzwerken.

"Thomas Schaaf und Werder Bremen gehen getrennte Wege!"

"Eine einvernehmliche Entscheidung" sagt Thomas Eichin, der seit satten drei Monaten den Manager bei Werder mimt, seit dem Abgang von Klaus Allofs in diese Kleinstadt im Braunschweiger Speckgürtel. Eichin sagt auch, daß es "das beste für den Verein" sei, daß TS gegangen wurde, Entschuldigung, ist.

Jemand, der vor drei Monaten aus einem komplett anderen Sport (Eishockey) ins Management eines Fußball-Bundesligisten gewechselt ist, weiß also eher, was "das beste für den Verein" ist, als jemand, der seit 1972, also seit 41 Jahren, Mitglied eben dieses Vereines ist?

Besser als jemand, der mit dem Verein in seiner aktiven Spielerlaufbahn zwei Mal Deutscher Meister und zwei Mal Deutscher Pokalsieger wurde und ein Mal sogar den Pokal der Pokalsieger, den es heut nicht mehr gibt, gewann?

Besser als jemand, der den Verein in seinen vierzehn Jahren als Trainer zu drei Pokalsiegen und einer Meisterschaft geführt hat?

Wollt ihr mich verarschen???

TS ist weg. Eichin ist da.

Es kann nur ein schlechter Witz sein...

Dankeschön Thomas Schaaf für alles! Für die großartigen Jahre! Für die vielen Erfolge, die mitreißenden Spiele, für die Spieler, die unter Ihnen in Bremen zu Stars geworden sind, Miro Klose, Johan Micoud, Ailton, Thorsten Frings, Mesut Özil, Claudio Pizarro...

Danke für das Autogramm auf meiner Eintrittskarte nach dem Vorbereitungsspiel gegen Stuttgart 2004 in meiner Heimat Meppen, die prangt mit Ihrer zugegebenermaßen seltsamen Unterschrift angepinnt an der Wand meiner Wohnung. Und danke auch für das "Eyh, wie hat dir das Spiel denn gefallen, sach doch mal!", nachdem ich abgedreht hatte und Ihnen Ihre Ruhe lassen wollte. Knappe zehn Minuten haben wir gequatscht, getrennt durch die Streben eines Gittertores, zum Schluß haben wir uns lange Sekunden die Hand geschüttelt und uns gegenseitig Glück und alles Gute gewünscht.

Ohne diesen Mann mit dem Oberlippenbart und dem spröden typisch norddeutschen Humor wird mein Verein nie wieder der sein, den ich seit fast 30 Jahren liebe. Da fehlt jetzt was.

Der Verein verweigert TS nach über 40 Jahren Zugehörigkeit einen anständigen würdevollen Abschied. Beurlaubt ihn stattdessen vorm letzten Ligaspiel, wo ihn zumindest die mitgereisten Auswärtsfans gebührend verabschiedet hätten.

Das ist unglaublich.

Eklig!

Ein Armutszeugnis!

Da ist es mir peinlich, Fan zu sein...

Danke Thomas Schaaf!

Für alles!

Mir werden Sie fehlen!

Mittwoch, 15. Mai 2013

Sportfreunde Stiller, da war doch was...

Gestern Abend waren die "Sportfreunde Stiller" zu Gast bei TV Total und das fand ich recht amüsant. Ein grundsympathischer Auftritt, der Brugger Peter (der Sänger) durfte noch ein wenig herum moderieren, was er auch ganz gut auf die Reihe bekam, dann durften sie noch ihren neuen Song spielen, ich fands durchaus unterhaltsam, denn ich mag die Jungs sehr gern.

Die Jungs, das meine ich so: musikalisch hats mit meinen Präferenzen null zu tun, die alten Alben sind ok, nicht schlecht, das neue kenn ich nicht.

Das Sympathischste an der Band sind aber definitiv die Menschen!

Den meisten dürfte zumindest "'54,'74,'90, 2006, ja so stimmen wir alle ein!" von der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, als die Welt zu Gast bei Freunden war, bekannt sein und trotzdem der Text mit "Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein" weiter geht, hat's ja dann doch wieder mal nicht geklappt mit dem Weltmeistertitel.

Denn Italien hatte im Halbfinale in der Verlängerung die Leidenschaft im Bein, was einen Doppelschlag in der 119. und 120. Minute bedeutete, halb Deutschland hatte danach zwar das Herz in der Hand, aber leider galt die Menge boykottierter Pizza-Lieferdienste oder die Menge in Panoramafenster italienischer Restaurants geschmissener Pflastersteine nicht als Ausgleich oder gar Entschädigung. Oder Entschuldigung.

Das Ende ist bekannt.

Genug der Fußballreferenzen.

Irgendwann vor ganz vielen Jahren bekam ich eine SMS von einer Freundin. "Die Sportfreunde Stiller geben in HH Autogramme, magst du hingehen und für mich welche holen?" Natürlich willigte ich ein, um dann zu erfahren "geht noch bis 18 Uhr!"

Blick auf die Uhr. Handy sagt 16.50 Uhr. Wird Zeit...

Um 17.45 entere ich den Elektro-Großhandel meiner Wahl, sprinte die Rolltreppen hinauf, denn natürlich findet das ganze Zeug wieder gaaanz oben statt, keuchend komme ich da an und bin tatsächlich der letzte, der in die VIP-Zone, begrenzt mit Paketband, hochsicherheitsstyle, hinein darf.

Zwei Teenie-Mädels, die dreißig Sekunden nach mir ankommen, werden mit "Sorry, zu jung!" abgewimmelt...das ist "Ihr seid zu spät, verpisst euch!" auf vornehm bei so einer Veranstaltung.

Ich als letzter in der Reihe der "Autogrammjäger", der nun noch etwas Zeit zum Palavern hatte, ward von Bandseite "beauftragt", das Zeug der Mädels heran zu schaffen, damit auch die noch ihre Unterschrift bekommen. So waren die dann auch sehr glücklich und zogen mit Kusshänden von dannen.

Ich wollte mich von der Band verabschieden, wurde aber aufgehalten.

"Wir wolln losziehen, wo geht das hier entspannt?"

Es ist klasse, wenn "Promis", auch wenn das hier vielleicht nicht exakt zutrifft, so tiefenentspannt sind und auf dem Boden bleiben. Und sich an und in ner Absturzkneipe, in die ich sie schleppte, erfreuen.

Oder nem Straßenmusiker Geld in seinen Hut werfen und applaudieren, wenn er "Under the bridge" spielt und das verdammt gut.

Oder wenn die einen dann nach Umarmung in die Nacht entlassen und anstatt ein Taxi zu nehmen, lieber zu Fuß heimwärts stiefeln, Arm in Arm in die ungefähre Richtung.

Eine prima Nacht. Mit prima Menschen. Ewig her, vorhin wieder dran erinnert. Ich mag sowas!

Dienstag, 14. Mai 2013

Schlusspfiff!

Aus, aus, das Spiel ist aus!!!

Wieder nur Unentschieden, dieses Mal zuhause gegen Frankfurt, seit mittlerweile zwölf Spielen kein Erfolgserlebnis mehr - alles egal, denn theoretisch reicht der eine Punkt, wenn beim letzten verbliebenen relevanten Spiel in Düsseldorf nichts mehr passiert. Zwei Minuten noch zittern...

Wie lang zwei Minuten werden können ist Wahnsinn!

Die Hände sind feucht, der Blick schweift ziellos durch die Gegend und streift andere Menschen, das kuschelnde Paar auf der Bank in der Ecke, die Gruppe monopolyspielender Dreadlockträger, von denen zumindest einer mein über 90-minütiges Leiden mal zur Kenntnis nahm, allerdings mit einem Kopfschütteln, der Suffi, der seit Mitte der ersten Halbzeit mit dem Kopf auf dem Tisch in seiner eigenen Spuckepfütze schläft, alle sind sie da und keiner sieht auch nur ansatzweise angespannt aus, während ich Sekunden zähle.

"Wie können die denn alle so ruhig sein, das ist hier doch grad wichtig!" denke ich und selbst die Denkstimme klingt gedämpft, als könne sie die gesamte konzentrierte Anspannung in mir kaum durchdringen.

Gespannter können Nerven unmöglich sein, wenn der Kommentator jetzt ein falsches Wort...

"Abpfiff in Düsseldorf" sagt er, "Glückwunsch nach Bremen!", das hör ich aber schon gar nicht mehr auf meinem Weg vor die Tür in eine ruhige Ecke.

Mein Verein steigt nicht ab.

Klingt so simpel, bedeutet (mir) so viel.

Das kann niemand verstehen, der sowas noch nie erlebt hat und so einige (zB der werte Kumpel M.) werden mir jetzt virtuell den Vogel zeigen. Kann ich fast komplett nachvollziehen! Ich frag mich ja selbst, warum ich mir das Jahr für Jahr wieder antue (das Fan-sein, nicht den Abstiegskampf, Gott bewahre!), gesund ist das unter Garantie nicht!

Aber ich würd solche Momente im Leben nicht missen wollen.

Natürlich gibt es viele wichtigere Dinge...aber ohne Lebensjahre, die beim Fußball verloren wurden oder graue (Bart-)Haare, die beim Fußball dazu gekommen sind, macht's doch auch keinen Spaß. Vermute ich. Kenn's ja nicht anders. Ich bin mir aber ziemlich sicher.

Nach etwa zehn Minuten war's genug der Ruhe, also nochmal rein, um die Jacke aufzusammeln und die Rechnung zu begleichen. An der Bar drei Wandschränke in HSV-Trikots, die Vergangenheit hat gezeigt: Das ist nicht immer gut!

Ich werde gemustert, mustere zurück, zahle meinen Zettel und versuche, möglichst unauffällig zu verschwinden. Man hat ja mit den Jahren dazu gelernt.

Ich bin allerdings zu langsam, 1,95 mal 115 Kilo Kampfgewicht versperren mir den Ausgang und eine Pranke erwischt meine Schulter.

Und dann donnert mich eine Stimme an:

"Alter, es gibt Wodka! Du hast doch Grund zu feiern! Kommst du freiwillig oder muss ich dich tragen??"

Ein Angebot, das ich nicht ausschlagen kann. Und will...sicher ist sicher.

Eine Stunde und diverse Wodka später wanke ich nachhaltig angeschlagen gen U-Bahn.

Und freu mich.

Endlich nach Hause und runterkommen.

Nächste Saison gern wieder, dann aber bitte ein Endspiel um Europa und nicht um Liga zwei...danke!

Samstag, 11. Mai 2013

Erst der Nazi, dann das Endspiel.

Gestern lief ich durchs Viertel und dachte mir nichts Böses.

"Eyh Zecke!!"

Dreck.

Denny, der Hausnazi, hat mich gefunden.

Im Treppenhaus war ich ihm noch geschickt ausgewichen, als ich auf der Treppe runter in den zweiten Stock hörte, wie er vor sich hin murmelnd seine Wohnung abschloß. Ich machte in Manier eines Ballett-Tänzers relativ lautlos auf dem Absatz kehrt, wartete ein paar Minuten in meiner Wohnung, um dann im sicheren Gefühl von "der erwischt mich heut nicht mehr" meine Butze zu verlassen.

Und eine knappe Stunde später hat er mich dann doch. Ätzend!

"Na Zecke?" bleckt er mich an, die wenigen Haare frisch blondiert, die sehen jetzt aus, als wären das Spinnweben auf seinem Kopf. "Morgen absteigen oder was, Zecke??"

Ok, er muss also einen ähnlich dämlichen Kompagnon in der Nähe haben, denn wenn er allein ist, nennt er mich zwar auch "Zecke", was mich völlig kalt lässt, allerdings tätschelt er mir dann auch gern mal mitleidig die Schulter, was ich über mich ergehen lasse, des Hausfriedens wegen.

Ich frage gelangweilt nach dem rechten...Befinden, was er mal vollkommen ignoriert.

"Du Zecke steigst morgen ab!" - "Geht rein rechnerisch nicht, Denny." - "HSV gewinnt morgen!!" - "Denny, das wär großartig!! Das spielt Werder derbe in die Karten!"

Er erstarrt, die Spinnwebenhaare wehen im Wind.

Hinter ihm taucht ein Glatzkopf auf, riesengroß, ein Orc in Menschenform, in altdeutscher Schrift steht "Hamburger Jungs" auf seinem entblößten Unterarm, der auch lässig als Unterschenkel durchgehen könnte.

Der Orc beugt sich zum dünnbehaarten armseligen Nazinachbarn und redet in einer Tiefe, in der ich nichtmal rülpsen kann.

"Er hat Recht! Und ich gehe jetzt!"

Ich steh da, Denny steht mir gegenüber. Er schaut mich unsicher an, ich könnte ihn grad treffen. Linker Haken, rechter Haken, was auch immer.

Bringt aber nix gegen die Dummheit. Und trägt nicht zum Hausfrieden bei...

Das "Wer guckt zuerst weg"-Duell gewinne ich innerhalb von Sekunden, das gewinn ich immer, sogar gegen Katzen, er rennt los und folgt "Zahog", dem bleichen Orc, so nenn ich seinen Mitstreiter ab jetzt.

Die Laune ist hin. Heim.

Vorbereiten. Auf das wichtigste Spiel seit langer Zeit.

Und wenn es läuft, wie ich will, dann hat auch der Depp aus dem zweiten Stock was davon. Ein nettes Bildchen an der Haustür, einen lieben Brief, man weiß es nicht...

Vielleicht mag ja wer Daumen drücken ab 15.30. Uhr

Ich wäre sehr dankbar!

Mein Puls ist jetzt schon zu hoch, wie soll das erst beim Spiel werden...

Montag, 22. April 2013

Werder, Wahnsinn, Hippies, Urknall.

Samstag Nachmittag, 15.33 Uhr und das Handy hat noch kein Gegentor für den Herzensverein vermeldet. Nach kurzer Verwunderung und Recherche habe ich den Grund dafür gefunden. Spätspiel, Anstoß erst in drei Stunden.

Beruhigt lehnte ich mich in dem Sessel zurück und musste lachen. "Jetzt wirste schon paranoid, nur weil die Jungs in den letzten Spielen immer in den ersten Minuten einen kassiert haben! Alter, das ist auch nicht normal!"

Aus mir bis heute unerfindlichen Gründen entschied ich, mir das Spiel live in einer Bar anzusehen, eine Entscheidung, die ich noch bitter bereuen sollte. Und das lag nicht nur am grauenhaften Fußballspiel, über das ich ab jetzt so gut wie kein Wort mehr verlieren möchte.

(Es war übel, peinlich, beschämend, die schlimmste "Leistung", das darf man eigentlich gar nicht so nennen, die ich seit langen Jahren von meiner Truppe gesehen habe. Mein Trikot liegt immer noch in der Ecke, in die ich es beim Heimkommen fluchend gefeuert habe und da wird es wohl noch bleiben. Fußball kann mich grad mal kreuzweise.)

Ein Bar-/Kneipenbesuch sollte es also sein. Problem dabei: Mein Stammladen, in dem ich das letzte Jahrzehnt mitgefiebert habe, wurde 2012 dicht gemacht und beherbergt nun ein "TexMex-Restaurant", das Bekannten zufolge gar nicht mal sooo gut sein soll.

Google spuckte diverse Ergebnisse aus und auf dieser obskuren Bewertungsplattform, die sich auf "Weib" reimt, eruierte ich noch ein wenig herum und traf dann meine Entscheidung: Ab ins "Osterdeich" in Eimsbüttel, da stand zwar was von "Café" und "der Kuchen ist hier sehr gut", aber eben auch "beim Fußball ist hier ordentlich Stimmung" und "Grün/Weiß wird hier bevorzugt". Ein Laden in HH, der "Osterdeich" heißt, also so wie die Straße, an der das weltschönste Fußballstadion der Republik liegt, toll!

Das klang gut! Da wollte ich hin!

Dann war ich da.

Es klingt jetzt immer noch gut, ich will aber auf allerkeinsten Fall nochmal dort hin!

Samstag, früher Abend. Kurz nach 18 Uhr. Ich lief die Osterstrasse entlang, trank vom guten Becks, freute mich aufs Spiel und versuchte, dem herumhipsternden Pack so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Davon gibts in Eimsbüttel noch mehr als in der Schanze, das ist Prenzlauer Berg reloaded, da ich aber gute Laune hatte, ging mir das dort vorbei, wo die Sonne nicht hin scheint.

Angekommen. Bier austrinken, drinnen sah ich viele Menschen, viele Flatscreens, eine Leinwand und einige wenige Trikots in den korrekten Farben. Noch kurz pflichtbewusst auf nem sozialen Netzwerk meiner Wahl den momentanen Aufenthaltsort gepostet, das Becks geleert...da gibt's online die erste Reaktion.

"Bitte wo bist du? Vegan/vegetarisches Restaurant? Bist du krank?????"

Schuppen. Fallen. Von den Augen.

Deswegen trinken die hier kurz vor Anpfiff kein Bier sondern Tee. Oder Chai Latte. Oder selbstgepressten Orangensaft und die Orange hatte vermutlich einen Namen. Ach du Schei...

Eine Info, die weder Google noch die ominöse Bewertungsplattform parat hatte. Zumindest hab ich davon nichts gelesen, sonst wär ich nicht hier. Und jetzt?

Das Spiel geht gleich los, ich kann nicht mehr flüchten, ohne einen Teil des Spiels zu verpassen. Ach du Schei...

Es ist skurril. Absolut skurril! Ich stehe in einem Café mit Couches und kleinen Holzstühlchen mit lustigen Sitzkissen drauf und Kuchen hinter der Glasscheibe des Verkaufsthresen, es ist rappelvoll und was die TVs und die Leinwand angeht, muss sich das Ding hier hinter keiner Sportkneipe verstecken, das ist erste Kajüte!

Ich ergatterte sogar noch einen Sitzplatz auf einer sehr gemütlichen Ledercouch (Ledercouch in nem Veganer-Café...finde den Fehler) direkt vor einem Flatscreen. Neben mir saß ein kuschelndes Pärchen, sie knabberte am Hirsekeks, der bis kurz vorm Verkauf noch von der Ökohippietrulla im Batikhemdchen hinter der Verkaufstheke gestreichelt worden war, er diskutierte derweil mit nem anderen Spinner über Bio-Eier - das tun die beiden bis weit in die erste Halbzeit hinein. Ich wette, keiner von beiden hat (Bio-)Eier.

Während des Spiels ist außer der Eier-Diskussion und ab und zu dem Milchaufschäumer nicht viel zu hören, denn Fußball schaut man hier fast ohne Ton. Es sei denn, man erwischt einen Platz an der Leinwand, dann kann mit Glück den Kommentator hören. Wenn nicht grad wieder irgendwer ne neue Chai Latte will. Dann hört man eine Minute lang nur mechanisches Rattern.

Als ich mich kurz lautstark aufrege, als mein Verein das 0-2 kassiert, werde ich aus verschiedenen Richtungen angezischt...psssscccchhhht!!!...am lautesten vom jutebebeutelten Deppen Anfang 20 auf der Couch gegenüber, ich hab seine undercut-tragende Freundin beim Lesen der "Neon" gestört. Das mag er nicht. Und deswegen macht er jetzt auf Held.

Ich lass ihm den Triumph. Bitte ihn nicht zur Klärung vor die Tür. Suche stattdessen verzweifelt nach einer Alternative für Halbzeit zwei. Werde fündig. Keine 300 Meter weiter. Hätte ich früher wissen müssen. Verdammt...

Der Halbzeitpfiff ist noch nicht verhallt, da bin ich bereits raus aus dem Elend, raus aus veganem Wahnsinn, vegetarischer Verwirrtheit und elendem Hipster-Hippie-"Oh, that band is SO in nowadays!...You don't know it? You're not cool!."-Spinnertum. Fuck you!

Sechs Minuten später betrete ich das "Urknall" und ungefähr zwei Sekunden nach Eintritt fühl ich mich wohl. Angenehmes Klientel hier, leicht runtergerocktes Interieur, Astra vom Faß für sehr fairen Kurs, eine hübsche Barfrau (sie kommt natürlich nicht an die Allerhübscheste in der "Wilden 13" in B-Friedrichshain heran...) eine Menge Platz vor nem Flatscreen , zwar im Raucherbereich, das ist aber völlig ok - denn da sitzen heut keine Raucher.

Dafür aber direkt einige coole Menschen, die mich an ihren Tisch "bitten" ("Alter, laber nich, setz dich hin!") mit mir anstoßen, mit mir leiden und sich Gedanken machen (nach dem 0-3 bekam ich von jedem der drei einen Obstler (!) ausgegeben. Fatal.)

Mit Blick auf mein Trikot und auf meinen Gesichtsausdruck bekam ich noch einen Wodka "aufs Haus" als ich zahlen wollte. Die Suche nach einen neuen Stammkneipe für Fußballspiele dürfte beendet sein. Endlich!

45 Minuten später war ich zuhause, saß in Gemütlichkeitsklamotten vorm TV und entspannte.

Dann klingelte das Handy. Kumpel F. "Lass treffen Alder!! Frau ist bei den Eltern, ich hab sturmfrei und ordentlich beim Wetten gewonnen! In einer Stunde S Sternschanze, stell dich nicht an! Nach DEM Spiel haste dir Abschalten verdient! Die ersten Drinks gehn auf mich!"

Über die folgende Nacht dann nächstes Mal mehr.

Mittwoch, 10. April 2013

Mal Feinde machen. Oder: Ole Ole BVB!

Der BVB hat gewonnen. Durch zwei Tore in der Nachspielzeit, als das Spiel eigentlich schon zuende war.

Jepp, war verdient. Jepp, war nicht mehr zu erwarten. Jepp, der ominöse Fußballgott trug gestern schwarz/gelb. Jepp, die Leistung der Schiris war eine Frechheit. Jepp, von mir aus redet von nem Fußballwunder, es ist euch gegönnt. Und irgendwie habt ihr ja Recht.

Jepp, die Bayern werden heut Abend vermutlich auch ins Halbfinale einziehen, wenn alles normal läuft. Jepp, zwei deutsche Teams im Halbfinale der Champions League, das ist total toll, gabs das überhaupt schon mal? Glaube nicht. Egal. Ist toll. Muss ich ja jetze sagen.

Im Ernst?? Drauf geschissen!! Gestern Abend war ich neutral, hab mich über das spektakuläre Ende gefreut, danach musste ich in vielen sozialen Medien wieder diese dämlichen und dümmlichen Aussagen wie "International bin ich immer für deutsche Teams!" oder "Deutschland muss zusammenhalten im internationalen Fußball!" und ähnlichen Bullshit lesen, seitdem ist die Freude dahin, es nervt nur noch.

Ich erkenne die Leistungen sowohl der Bayern als auch der Dortmunder in der bisherigen CL-Saison an. Keine Frage.

Aber nur, weil ich nun grad mal Deutscher bin, muss ich doch nicht automatisch auf ein Mal dem Team, dem ich das ganze Jahr lang die Pestilenz, löchrige Schuhe und meinen hartnäckigen Grippevirus aus Berlin an den Hals wünsche, die Daumen drücken, nur weil es halt mal "mein" (haha) Land vertritt? Albern!

Und ja, 5-Jahres-Wertung my ass!

Dem Weiterkommen der Bayern ist heut Abend wohl nichts mehr entgegen zu setzen, ich bitte dann aber um die Halbfinals Bayern - Real Madrid, da wird der hübsche Cristiano dann ordentlich verhauen, und Dortmund -Barcelona, da kriegen Unsympathen wie Klopp, Götze oder Kevin Großkotz, ups, -kreutz, dann ihr Fett weg.

Im Finale macht Messi drei Stück, Thomas Müller weint wie immer, Frooonk Ribéry erschrickt sich zum wiederholten Male vor seinem Spiegelbild und Philipp Lahm wird von seiner Mutti aus dem Bällebad in London abgeholt.

Das wär alles ein Traum. Von einem, dessen Verein grad abkackt, so richtig. Deswegen sollt ich mein virtuelles Maul auch eigentlich nicht aufreißen.

Tu ich aber trotzdem!

Weil ich's kann!

Und weil mir diese "Unterstütze deutsche Teams weil du Deutscher bist!"- Geschichte gehörig gegen den Strich geht!

Da bin ich echt der falsche Ansprechpartner, den deutschen Teams drück ich nicht die Daumen. Zumindest nicht diesen!

Mein Geld liegt seit Beginn der CL auf Barca... Ein mutiger Tipp. Haha.

Mittwoch, 3. April 2013

In love with the Barfrau.

Letzter Abend in Berlin, Dienstag, kalt, Restschnee, schlechte Laune, weil: Letzter Abend in Berlin, Dienstag...und so weiter.

Kumpel M. fühlt sich nicht wohl, hat außerdem einen langen Arbeitstag hinter sich und erträgt mich bereits seit ein paar Tagen, er mag nicht raus gehen. Das ist verständlich und entschuldigt. Der Kiezneurotiker ist ebenfalls anderweitig entschuldigterweise eingebunden, so ein Mist.

Also mache ich mich allein auf, denn zum Glück ist ja heut Fußball. Die Bayern, die ich in etwa so leiden kann wie Brechdurchfall, spielen gegen Juventus Turin, die ich in etwa so leiden kann wie Italiener halt. Fußballspielende Italiener meine ich, andere Italiener sind meist recht cool. Aber gib nem Italiener einen Fußball...er wird nur noch auf dem Boden liegen, lamentieren und herumweinen und all das kann ich nicht leiden. Nicht, wenn eigentlich Fußball gespielt werden soll.

Es spielt also Pest gegen Cholera.

Und ich tu mir das an. In der "Wilden 13" in Friedrichshain. Weil ichs hier mag. Ist eine Fankneipe meines Vereins, deswegen mag ichs hier. Wenn Werder spielt, dann hängt hier eine große grün/weiße Fahne vor der Tür. Heut nicht, heut spielen ja die Bayern.

Rappelvoll ist es trotzdem, als ich kurz vor Ende der ersten Halbzeit ankomme und mich in die Mitte des Ladens vorkämpfe, zu dem Platz, an dem M. und ich am Samstag auch schon standen, um uns das Auswärtsspiel in Mainz anzusehen, ein Unentschieden mal wieder. M. interessiert sich so gut wie gar nicht für Fußball, aber am Samstag sah ich ihn zum ersten Mal jubeln, als Werder ausglich - allerdings, so sagte er, freute er sich nur, daß nun vermutlich die Stimmung hier steigen würde, die vorher angesichts des Rückstandes doch eher mau war. ABER er ballte die Faust und ich rede mir ein, daß er sich doch auch ein bisschen für mich und meinen Verein gefreut hat...

Ich lege Rucksack und Jacke ab und bestell mir erstmal ein Bier. Die hübsche Barfrau vom Samstag ist wieder da, ich hatte da ein wenig drauf spekuliert. Jetzt freu ich mich. Ich setze zur Bestellung an. "Hallo, ich hätte ger..."

"Hi, wie gehts dir? Hast du dich vom Samstag erholt? Ich erkenn dich wieder, an der Mütze!" sagt die hübsche Barfrau und deutet auf meine anscheinend relativ markante grün/schwarz gestreifte Wollmütze von H&M für 2,95€ oder so. Und dabei lacht sie ganz toll.

Das kam unerwartet. Und erwischt mich auf dem falschen Fuß, was bei mir dann gern mal zum Aussetzen des Sprechapparats führt. Also guck ich sie nur an, vermutlich in etwa so, wie ein Hund sein Frauchen anschaut, wenn er Gassi geführt werden möchte, um einen riesengroßen Haufen zu machen. "Ich mach dir erstmal ein Bier. Wart mal kurz!"

Ich warte. Und bekomme dann ein frischgezapftes in die Hand gedrückt. "Geld gibste mir gleich! Muss nicht jetzt! Und reg dich heut nicht wieder so auf wie Samstag!" sagt sie und lacht wieder toll und verschwindet. Und ich steh da wie ein Schluck Wasser in der Kurve mit meinem Pils und denke mir

WHAT THE FUCK???

Was ist das denn hier grade? Wo ist die Kamera? Und außerdem hab ich mich doch am Samstag gar nicht aufgeregt?? Nur so ein kleines bisschen halt, Standard, bin halt Samstag n Jahr gealtert, Wayne?

Konzentration auf das Spiel, Bayern drückt, Bayern dominiert, die Italiener liegen, lamentieren, weinen herum, Gott verdammt, dieses Spiel ist mir SOWAS von egal!

In solchen Momenten, wo viele Menschen an einem Ort sind, Konzerte zum Beispiel, im Zoo bei den Gorillas oder wie hier in einer Bar zum Fußball schauen, kommts ja schonmal vor, das jemand sich vor einem postiert. Dazu gibt es dann zwei Szenarien, beide hab ich heut erlebt.

Szenario 1: Zwei Mittzwanziger fragen höflich, ob es ok ist, wenn sie vor mir stehen bleiben, denn nur da ist noch Platz. Ist ok, da beide einen halben Kopf kleiner sind als ich und in keiner Form meine Sicht stören. Bei leichtem Ellenbogengerempel entschuldigen sie sich sofort. "Ick wollt dir nich haun!!" Alles schön.

Szenario 2 ist nicht ganz zwei Meter groß, auf Koks oder Pillen, so lassen die Pupillen und allgemein das Verhalten vermuten und er walzt mit seiner Körpermasse mal einfach durch den Laden, positioniert sich vor dem Fernseher und nimmt dabei gekonnt einem Drittel der Anwesenden die Sicht, dazu brüllt er unkoordiniert irgendwelche Befehle an die Spieler, "Los loooos, schieß doch!! Schiiieeeß doch!!! Du dreckiger...", während diese im Mittelfeld das Ergebnis verwalten. Gebt Idioten keine Drogen, verdammt!

Nach Spielende walzt der Neanderthaler auf Droge aus dem Laden, haut dabei einen der Mittzwanziger vor mir um, der fliegt in mich rein - und entschuldigt sich prompt.

"Ick wollt dir nich haun!!" ... "Ach neeh, sach nich. Du wolltst mir nich haun? Haste ja auch nich, war der Asi, der die falsche Pille geschluckt hat! Und nu hör auf, dich zu entschuldigen, du Hippie! Alter, im Ernst, heißt doch immer, Berliner seien unhöflich! Und du hier so! Freundlich, höflich und was nich sonst so. Sollndas?!?" ... Noch zusammen ein Bier, dann Abflug.

Die hübsche Barfrau ist schwer beschäftigt und zapft und wäscht ab und macht und tut und ihre viel weniger hübsche Barfraukollegin steht vier Meter weiter und raucht und tut sonst nichts. Seltsame Arbeitsteilung.

Ich stelle mein leeres Glas auf die Bar und wünsche der hübschen Barfrau einen schönen Abend. Und bekomme ein strahlendes Lächeln und ein "Bis bald dann!" zurück.

Ja, bis bald dann. So schnell wirds leider nix mehr. Vermutlich erst wieder im Juni. Wenn überhaupt.

Die "Wilde 13" hat jetzt nicht nur einen, sondern gleich zwei Trümpfe auf der Hand, um mich als Gast zu halten. Wenn ich in Berlin bin. Zwei tolle Gründe!

Meinen Verein und die hübscheste Barfrau der Stadt!

Samstag, 16. März 2013

Unentschieden

In der U1 stadtauswärts, auf dem Weg in verschlafene Hamburger Vororte, sitzen sich zwei Menschen gegenüber und starren angespannt auf ihre Smartphones.

Einer davon bin ich.

Samstag Nachmittag, kurz vor 17 Uhr. Bundesliga. Live-Ticker. Und es sieht mal wieder nicht gut aus für mein Team.

Ein Tor Rückstand, 20 Minuten noch.

Es tut sich was. "Tor in Bremen!" verkündet der Ticker und ich beiße mir auf die Lippe...bloß nicht Gegentor Nummer 51 in dieser Saison. "Ausgleich, 2-2!" verkündet der Ticker und ich balle die Faust und kann lauten Jubel grad noch so unterdrücken.

Der Typ gegenüber nicht. Er springt auf, reißt die Arme nach oben und brüllt ein langgezogenes "TOOOOOOOR!!!!" durch die Bahn. Dann bemerkt er, daß ich das gleiche bejubele, nur eben ruhiger, und daß ich ihn relativ verwundert beobachte und mit den Worten "Scheiße, geht doch Alder!!" hält er mir die Hand zur hohen Fünf hin. Mitreisende werfen uns irritierte, nicht sonderlich freundliche Blicke zu.

Grün/Weiße Jubelszenen im "Feindesland". Sowas ist hier nicht sooo gern gesehen.

An der nächsten Station steigt er aus und feiert laut hörbar auf dem Bahnsteig weiter.

Dabei gibt's eigentlich nichts zu feiern.

Unentschieden zuhause gegen das Schlußlicht. Zu früheren glorreicheren Zeiten hätte man als Fan entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, hätte frustriert geflucht, heute ist man fast schon erleichtert. Fast schon "zufrieden". Fast schon tragisch.

These are desperate times.

Donnerstag, 31. Januar 2013

Papa weiß Bescheid

Gestern Abend saß ich mit einem Freund in einer Bar und wir starrten über unsere Getränke hinweg auf eine Leinwand, auf "el Clasico", den Klassiker im spanischen Fußball, Real Madrid gegen den FC Barcelona, er starrt gebannt, ich eher weniger, ich mag beide Teams nicht, aber mein Kumpel ist glühender Real-Fan und da ich nun auch nicht allzu viel besseres zu tun hatte, hatte ich mich breitschlagen lassen, ihn zur Unterstützung gegen den Intimfeind zu begleiten.

Am Nebentisch sitzt ein Vater Anfang 30 mit blonden Strähnchen und seinem etwa neunjährigen Sohn, der Kurze beobachtet das Gekicke interessiert, Daddy scheint irgendein Spiel auf dem Smartphone interessanter zu finden und tippt wie wild darauf herum.

Kurz vor Schluß gleicht Madrid zum 1-1 aus und mein Kumpel, grad noch angespannt auf seinem Stuhl hockend, springt auf, ballt die Fäuste und feiert per hoher Fünf mit anderen im Real-Trikot, "Halá Madrid!! Halà Madrid!!" wird das eigene Team im Chor gefeiert, ich nehme einen Schluck von meinem Alster.

Nebenan fragt der Sohn seinen daddelnden Vater "Papa, was heißt denn 'Halá?", woraufhin sein Vater, ohne aufzublicken, dafür in wissendem Tonfall, antwortet "'Halá" ist Spanisch für 'olé'!"

Der Kurze strahlt. Papa weiß einfach alles! Und ich schüttele traurig den Kopf und widme mich der Getränkekarte. Einer geht noch.

Donnerstag, 15. November 2012

SVERIGE! SVERIGE!! Und nochmal...

...SVERIGE!!!

Denn SVERIGE strikes again! Bezwiehungsweise Zlatan Ibrahimovic, der großartigste Fußballer der Welt, strikes again.

Nicht nur hat er den 4:4-Sieg gegen das deutsche Team in Berlin eingeleitet, nein, jetzt macht er einen auf japanischer Kampfkunstbeherrscher und damit seiner gewagten Frisur alle Ehre.

Vier Tore gegen (zugebenermaßen) ein B-Team aus England. Völlig scheißegal. Das vierte von den vier Toren ist unfassbar. Das geht eigentlich gar nicht. Ich hab das Spiel per Livestream gesehen und mein Mund steht jetzt noch offen."Hat er nicht gemacht!" sagt mein Verstand, "das geht doch gar nicht! Und wer bist eigentlich du?" - "Ich, mein Freund, bin die Realität. Und ja, Alter, der HAT DAS SO GEMACHT! Ich checks ja selber nicht!!"




Für mich sieht das immer noch aus wie Science Fiction. Irgendwo in Hollywood produziert und dann nach Solna rüber projeziert, ins neue Stadion, wo meine "Tre Kronors" ab jetzt ihre Heimstätte haben. Das Spiel gestern Abend war das erste, die Einweihung. Und dann ein Sieg! Gegen England! Mit vier Buden von Zlatan! Und in der Nachspielzeit die Krönung durch das beste Tor aller Zeiten! Was soll das denn noch übertreffen?? Besser wirds kaum noch werden...

Schwedische Fußballgeschichte! Part zwei.

Mal wieder...


Denn Part eins fand vor ein paar Wochen im Olympiastadion zu Berlin statt.

Das emotionalste Spiel seit dem 8.5.2004. FC Bayern München - Werder Bremen 1-3. Was hab ich geheult. Und gesoffen. Und "Deutscher Meister, schalalalala!!!" gegröhlt. Und was bin ich am Tag drauf in einem Vorort Bremens in einem fremden Bett aufgewacht und was hab ich mich schnell aus dem Staub gemacht und was hab ich bis heute keine Ahnung, wie ich dorthin gelangt bin. Ich weiß nur noch den Namen auf dem Klingelschild.. Nachname "Nagel". Könnt ich jetzt ganz billige Witze reißen, erspar ich mir aber...

16.10.2012, Deutschland - Schweden, Berliner Olympiastadion.

So war et jewesen:

Meine Schweden, die Tre Kronors, die Männer in gelb und blau, treffen auf die deutsche Elf, auf "Schland", auf das Team, über das Gary Lineker mal sagte "Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.". Naja, der Mann ist Engländer, ergo hat er aus seiner Sicht Recht. Außer damals in Wembley, aber wayne...

Ich saß bei einem Freund auf dem Sofa und mein Puls war bei etwa 146. VOR dem Anpfiff. Mein Kumpel ist rein fußballerisch eigentlich der "Intimfeind", HSVer, "Schland"-Fan, besitzt mehrere Trikots beider Teams. Und doch war ich der einzige, der hier ein Trikot trug, das zitronengelbe, an den Ärmeln blau abgesetzte, mit dem Wappen des SvFF (Svenska Fotbollsförbundet) auf der Brust. Seit ewigen Jahren "mein" Team, wie ich irgendwann zum schwedischen Fußball kam, weiß ich gar nicht mehr.

Gleich geht das Spiel los, mein Kumpel hat auf alles mögliche gewettet, "Schland" wird hoch gewinnen, Miro trifft, Mesut trifft, der Reus trifft, blablabrabra, mir alles wurscht. Ich sage "Da geht was für Sverige!" und möcht auch gern dran glauben...das Herz will das, das Hirn sagt "Alter, das wird so bitter heut! Zieh dein verdammtes Trikot aus, kauf dir harten Alk, damit du hinterher klarkommst und buddel dir schonmal ein Loch, in dem du dich vergraben kannst nach Abpfiff!" Und ich befürchte, das Hirn gewinnt gegen das Herz, ist ja irgendwie meistens so. Eigentlich ziemliche Scheiße.

Zuhause weht die schwedische Fahne aus dem Küchenfenster, die Spieler kommen aufs Feld und ich sitz da, schau mir die Stimmung im Stadion und vor allem in der schwedischen Kurve an und denk mir "Junge, da könntest du jetzt sitzen!"...hab dann aber vom Kauf einer Karte abgesehen, war zu teuer. So eine Scheiße...

Die Hymnen. Zuerst die schwedische. Ich stand auf. Jepp. Ich stand auf. Mein Kumpel und seine Freundin waren extrem belustigt, mir wurscht, wenn "Du gamla, du fria" läuft, wird aufgestanden. Mach ich bei der deutschen Hymne allerdings auch, wenns eben nicht grad gegen Sverige geht. Prioritäten muss man ja setzen. Sverige ist Priorität.

Mein Kumpel (ab jetzt F. genannt) lachte immer noch, während die deutsche Hymne läuft, normalerweise steht er da auch auf, aber er schien mich so richtig nicht ernstnehmen zu können und mochte mit Lachtränen in den Augen nicht die Hymne singen. Na gut. Darf er. Guter Mann. Nur eben von Fußball kaum Ahnung...HSV und Schland. Meine Fresse...

Die erste Hälfte ist schnell erzählt.
- Minute 8: 1-0 "Schland". Klose. Der, der wie ein Mädchen läuft. Aber schnell genug für die schwedische "Abwehr".
- Minute 15: 2-0 "Schland". Klose. Der, der wie ein Mädchen läuft. Die schwedische Abwehr agiert in etwa so wie Elche auf Schlittschuhen.
- Minute 39: 3-0 "Schland". Per Mertesacker. Bisher 83 Nationalspiele, ein Tor. Das der heut trifft sagt alles. Ich hake das Spiel ab.

Aber eigentlich hab ich das so kommen sehen. Es trifft mich kaum. Ich scherze mit F. und seiner Freundin, haha, die bekommen auch sechs Stück, so wie die Iren, haha, ach Gott, dieses Trikot, Unglück bringt es, haha, und generell, wie komm ich auf den verqueren Gedanken, die Schweden könnten hier IRGENDWAS reißen?? Ich find mich ja selber schon so'n bisschen lustig, wie ich da auf der Ledercouch sitze, in meinem Trikot, und das ganze mal schweigend, mal peinlich berührt lachend "ertrage".

Halbzeit zwei beginnt.

Unter schwedischer Flagge spielen zwei neue Gesichter und das macht sich bemerkbar. Die Tre Kronors rennen an, rennen an, rennen an, rennen...in nen Konter.

- Minute 55: 4-0 "Schland". Mesut Özil. Ich halte fest: Es haben ausschließlich ehemalige Spieler meines Herzensvereins getroffen. Froh macht mich das nicht. Ich versinke wieder in der Ledercouch, mach auf dem Handy Dinge, hab mich mit der Packung abgefunden.

"Lass das bloß nicht noch schlimmer werden!" denk ich, da haut irgendwer, ich glaub der Källström, mal einfach ne Flanke aus dem Halbfeld in den 16er und....IIIIIIBRAAAAAAAAHIIIIIIIIMOVIC!!! Der mit Abstand GEILSTE Spieler aller Zeiten hält seine Rübe samt Samurai-Zopf rein!

- Minute 62: 4-1 Sverige! Ibrakadabra!! Ich lächle. Und warte auf den Gegenschlag.

Der Gegenangriff läuft. "Schland" verliert den Ball im Mittelfeld. Hoher Pass in die Spitze, Badstuber verschätzt sich, der gute Mann mit dem Nachnamen "Lustig", Vorname Michael, haut aus spitzestem Winkel druff und Herr Neuer kriegt das Ding nicht zu fassen. DRIN!! Ich spring hoch vom Sofa und balle die Fäuste...da geht noch was!!

- Minute 64: 4-2 Sverige. Michael LUUUUUUUSTIIIIIIIIG!!! Wenn selbst DER schon trifft...! Ich bin wieder da, vor fünf Minuten noch gelangweilt auf dem Sofa gelümmelt, aber jetzt bin ich wieder am Start! Ich schreie die Freude raus! SVERIGE!!!

Eine Minute später vergeben die Jungs in gelb/blau gleich zwei 100%ige in 20 Sekunden, meine Omi hätte beide reingemacht. Drei Tore in fünf Minuten, das wäre es gewesen! Ich weine. Also fast.

Jetzt dreht "Schland" wieder auf und ich sink wieder tiefer in mein Sofa rein...ich schau schon gar nicht mehr hin. F.'s Kommentare reichen, der braucht noch ein Tor der Deutschen, um etwa 160 Taler reicher zu werden...er fiebert mit, er brüllt, er schreit, ich sitz nur da und schau selten hin...und dann...

...meine Jungs kontern. Das können sie nicht. Das geht IMMER in die Hose! Beobachte ich seit Jahren, zum Kontern sind die Schweden zu langsam!...und irgendwie murmelt der Ball durch zu Johan Elmander und der haut ihn irgendwie ins lange Eck.

- Minute 76: 4-3 Sverige. Johaaaaan EEEEEEEEEEELMANDEEEEEER!!! Adrenalin schießt rein, ich war lang nicht mehr so angespannt. Ich brüll es raus und werde zur Ruhe gerufen. "Alter, ich geh auch kaputt...aber die Kleine schläft!" Da war ja was...

Da geht noch was, das weiß ich. Das kann hier heut historisch werden! "Schland" schwimmt, Sverige drückt...und ich hätt live dabei sein können, verdammt! Ich hau mir zweimal vor den Schädel, dann ist der Gedanke weg. Hier gehts grad um Wichtigeres.

Der nächste schwedische Angriff rollt an. Kim Källström passt steil auf Zlatan, Neuer ist schneller, fängt den Ball - und verliert ihn! Zlatan passt auf irgendein verdammtes AXXXXloch, das es dann nicht schafft, den Ball im leeren Tor unterzubringen aus zehn Metern Entfernung. Der Ball geht zu hoch und zu weit rechts am Tor vorbei. Ich FASS es nicht!! Ich hätt den gemacht, meine Omi hätt den gemacht, jeder hätt den gemacht...aber der Spieler, dessen Namen ich glücklicherweise nicht weiß, haut den Ball sonstwohin, nur nicht ins Tor. Das war schwieriger, als zu treffen. Mein Gott...

Ich knie etwa eine Minute mit dem Rücken zum TV auf der Couch und schäme mich fremd...grad, als ich mich wieder zum Fernseher drehe, haut der Kroos den Ball aus ungefähr 80 Metern an den Pfosten.

Ich bin ein ziemlich kleines Häufchen Elend, das zusammengekrümmt auf einer Ledercouch in der Wohnung eines HSV-Fans liegt.

Das Spiel ist aus.

Fast.



Dritte Minute der Nachspielzeit.

Letzter Angriff. Irgendwer verliert in der Vorwärtsbewegung den Ball, meine Jungs spielen ihn links raus, ich springe auf, es ist die letzte Szene des Spiels und ich weiß, da passiert was...der Ball kommt flach rein, wird von nem deutschen Abwehrspieler touschiert, prallt hoch ab...die Sekunden, die er in der Luft schwebt sind lang, erscheinen wie Minuten...und Rasmus Elm steht am richtigen Platz, als der Ball runterfällt.  Rasmus Elm erwischt ihn...volley...flach links unten rauscht das Ding ins Netz. Manuel Neuer guckt nur doof hinterher.

Drin das Ding.

RASMUUUUS EEEEEEEEELLLLMMM!!!

Drin!! DRIN!!! DRIIIIIIIIIIIIN!!!!

Anstoß und direkt Abpfiff. Das Spiel ist aus. Aus! AAAUUUS!!!

4-4. Schweden gewinnt 4-4!!!

4-4 nach 4-0. ...!!! SVERIGE!!! Jag älskar dig!!!

Das muss ich jetzt erstmal realisieren. Das ist fucking history.

Ich genieße. Ich schreie nicht rum, ich brülle nicht. Die Kleine schläft! Ich nehm mir ganz ruhig ein Bier, im Vorbeigehen fistbump mit F., der relativ schockiert ist. Ich geh die drei Stockwerke runter, stell mich auf die Straße, mach mir das Bier auf, lass mein Handy die schwedische Hymne spielen, stoße mit mir selbst auf das geilste Spiel seit Anfang 2004 an...und dann BRÜLL ICH DIE GANZE FREUDE VERDAMMT NOCHMAL RAUS!!!!!!

Die Nachbarn hassen mich. Ich hab durch den Urschrei Minimum vier bumsköpfige Kleinkinder aufgeweckt, die nun Angst haben,  krakeelen und geliebt werden möchten.

Ich liebe auch. Und zwar grade alles und jeden. Und mein Team.

Tre Kronors! HEJA SVERIGE!!

Summe mich dann mit der schwedischen Hymne in den Schlaf.

Und träume hiervon.