Mittwoch, 30. Oktober 2013

Barmbek goes Hollywood

Letztens, abends, kurz nach 20 Uhr.

Ich laufe die Fuhle Richtung Ohlsdorf hinauf, Einkäufe im Rucksack. Kurz nach Hause, kurz Mutter anrufen, dann rüber zu Kumpel F., da Pizza in den Ofen und PS3-Controller in die Hand. Bei PES14 stehen wichtige Spiele an, das Double aus Meisterschaft und Champions League-Sieg ist greifbar. Im Pokal gab es eine bittere Zweitrundenpleite...

An der Ecke Fuhlsbüttler Straße/Heidhörn ist durch Lichtmasten alles hell ausgeleuchtet, ich sehe Menschen in grellen Warnwesten und orangefarbene Hütchen, die die Zone vorm ansässigen, längst geschlossenen Blumenladen absperren. Menschen laufen hektisch herum und tun wichtig, Kameras werden ausgerichtet, einer mit Schiebermütze, 5-Tage-Bart und buntem Sommerschal kommandiert herum, er ist hier Chef.

"Oh, einer, der was mit Medien macht! Hier an der Fuhle!" denke ich. "Die Einschläge kommen näher."

Ein bisschen Zeit hab ich über, also stell ich mich mal an die unüberwindbare Hütchen-Grenze und warte ab. Das könnte hier lustig werden.

Keine drei Minuten später das erste Drama.

Ein älterer Herr betritt unbedacht die "no go area", der Sommerschalträger kollabiert fast und läuft schreiend auf den Übeltäter zu, der verwirrt stehen bleibt.

"Sind Sie blind?!?!?" - "Äh...wie bitte?" - "Hören Sie mal, Sie können hier nicht einfach durch, ICH DREHE HIER!!"

Ich muss lachen. Alle anderen auf diesem albernen TV-Set waren bisher zumindest ansatzweise sinnvoll beschäftigt, selbst wenn es nur die korrekte Positionierung der Absperr-Hütchen war.

Kollege Sommerschal stand daneben, stolz wie ein Pfau, den Wahn im Blick und freute sich wahrscheinlich auch untenrum. Denn ER DREHT HIER. Sonst keiner. Nur er. Gottgleich! Sein Meisterwerk. In Hamburg-Barmbek. Nord. Vor einem verschlossenen Blumengeschäft.

Ich bin entsprechend beeindruckt.

Dann muss ich gähnen.

Inzwischen erwarte ich hier bei all dem Trara niemand geringeren als zumindest den Schweiger, einen Tatort-Dreh oder doch bitte wenigstens Nora Tschirner, die aus dem Gebüsch springt, um mir ihre Liebe zu gestehen. Sie hätt sich gern mehr Mühe geben dürfen, aber mein Gott...

Stattdessen stoppen die Bekloppten dann sogar den Verkehr auf der vierspurigen Fuhlsbüttler Straße, ich denke nicht, dass das überhaupt erlaubt ist?

Der Sommerschalträger bellt Befehle durch die Gegend, ich überlege, wie er ohne seine Schiebermütze, dafür aber mit Seitenscheitel und Oberlippenbärtchen aussehen würde.

Straße ist frei.

Es kann losgehen.

In welchem Gebüsch oder hinter welchem Auto mag Nora Tschirner sich wohl verstecken??

Ich bin gespannt.

Klappe. Los geht`s.

Ich höre, wie der Sommerschalträger einem, der auch wichtig guckt "Sie packt das! Sie ist gut!" zu raunt.

Eine in stylische Hot Pants und Flattershirt gekleidete Gescheiterte aus einer der letzten "GNTM"-Staffeln "stolziert" über die Straße und tut so, als telefoniere sie.

"Was? WAS hat die Bitch gesagt?? Eyh, echt! Eyh, ich schwöre so, ja? Ich SCHWÖRE, das du nur laberst! Ja. Ja, Dschastin, ich dich auch!"

Der junge Typ neben mir strahlt seinen Kumpel an. "Geil Mann, endlich auch "Hamburg: Tag und Nacht", die in Berlin sind voll unrealistisch, die tätowierten Asis!"

Während ich mich darüber freue, wie realistisch die Darstellungskunst der Minderbemittelten anscheinend auf andere Minderbemittelte wirkt, dürfen die Autos wieder fahren. Der Sommerschalträger brüllt sein Model zum Rapport, ich kann wieder lauschen.

"Sexier muss das sein! Mehr mit dem Arsch!"

Er macht`s vor.

Da steht vor einem verschlossenen Blumenladen auf der Fuhle ein metrosexueller Möchtergern-Regisseur um die 50, hält sich für einen, vermutlich DEN kommenden Star der Szene und wackelt mit seinem in eine viel zu enge Jeans gezwängten Hinterteil wie Miley Cyrus bei den "Emmys". Ich habe selten verstörenderes gesehen...

Nach ungläubigen Blicken breche vor Lachen fast zusammen, mein neuer Nebenmann ebenfalls. Als er sich halbwegs beruhigt hatte, krächzte er ein "Was war jetz ditte?" hervor. Vor Lachen konnte ich leider nicht antworten...

Die "Schauspielerin" stakst schmollend zurück in die dunkle Seitenstraße, die "Film-Crew" macht sich bereit, die vier Spuren der Fuhle erneut dicht zu machen. Neuer Take.

Aber da spielen weder die Autofahrer noch mein Nebenmann oder ich mit, inzwischen habe ich bereits zu lange gewartet.

Fußgänger laufen, Autos hupen und umfahren "welche, die was mit Medien machen" und selbige hechten zwischen den Fahrbahnen hin und her, wie "Frogger" zu seinen besten Zeiten.

Der Sommerschalträger brüllt herum. Die bei "GNTM" Gescheiterte übt das Arschwackeln. Die Sklaven des Sommerschalträgers, DER HIER GRAD DREHT, fürchten vermutlich Sanktionen...

...und ich und mein immer noch lachender Nebenmann aus der Hauptstadt laufen noch ein paar Meter zusammen die Fuhle herunter. Im breiten Berliner Akzent verabschiedet er sich dann.

"Alta...in Balin machense keen Alarm, wenn Clooney kommt. Is normal. Hier is dit nich normal, wenn ne Frau üba ne Straße looft? Und die sah nichma jut aus! Muss man die kenn??" Ich verneine, wünsche ihm noch einen schönen Abend und mit ein bisschen Wehmut und Fernweh nach "Balin" mache ich mich auf zu F.`s Wohnung.

Pizza in den Ofen, Controller in die Hand, dann an der Play Station im Halbfinale den AC Mailand schlagen.

Prioritäten setzen.

Die Champions League gewinnt man auch virtuell nicht so nebenbei...

Sonntag, 27. Oktober 2013

Jagdfieber in Wandsbek

Im Herbst 2011 lag in Wandsbek der Geruch von Schießpulver und Blei in der Luft, denn vor etwas mehr als zwei Jahren fand dort das ...



...statt.

Macht sich sicher gut überm Kamin, so eine Trophäe eines selbstgeschossenen Wandsbeker Bürgers.

Waidmanns Heil!

Skyporn Volume 3: Heute mal Berlin

Sommer 2013.

Am Holocaust-Mahnmal mit saufenden Spaniern, rotzenden Skandinavierinnen und gröhlenden Kleinkinderhorden samt ihrer Hippie-Mutti. Grauselig. Ich schrieb darüber.

Eine gute Sache hatte das Ganze dann aber doch.

Den Himmel über Berlin-Mitte.



Ich bin gern am Holocaust-Mahnmal, aus beschriebenen Gründen lieber abends oder nachts, aber abends oder nachts wäre mir so ein Foto nicht geglückt. Ich finde die Wolken auf dem Bild, ohne jetzt nach Eigenlob stinken zu wollen, wahnsinnig.

Wie Omi immer sagt: "Das Glück ist mit die Doofen!"

Montag, 21. Oktober 2013

Skyporn Volume 2

Ich mag sie ja, die Hafen-City. Hamburgs Rückzugsort für all die armen Seelen, die nicht wissen, wohin sie mit ihrem ganzen Geld sollen. Ich würde ihnen diese finanzielle Last ja von den Schultern nehmen, teilweise zumindest, bisher hat aber noch niemand mein Angebot wahrgenommen.

Wenn der im Normalfall recht nervige, weil schnöselige Hafen-City-Bewohner grad besseres zu tun hat, im Whirl-Pool chillen, am 50-jährigen Whiskey nippen, einen neuen Luxus-SUV kaufen, wahlweise einen mit Whirl-Pool und Whiskey-Bar an Bord, wenn er einen also mal in Ruhe leben lässt und nicht vom 60-qm-Balkon abschätzig herunter äugt, dann kann man da in der Hafen-City am Wasser in der Abendsonne echt eine gute Zeit haben.

Ich weiß nicht, wie der Teil der Hafen-City heißt, an dem das Foto entstanden ist (obwohl ich den Ort jederzeit wiederfinden würde), aber das zugegebenermaßen schon etwas ältere Bild mag ich sehr.



Wenn da nur nicht diese dämliche Lichtreflektion unten rechts wäre...

Wobei: Perfektion ist ja irgendwie auch langweilig. Oder nicht?

Sonntag, 20. Oktober 2013

Mit der Lieblingsband in der Markthalle

Montag Morgen, die Augen sind verklebt, der Nacken schmerzt, in den Ohren klirrt es, alles in allem ein Gefühl, als hätte einen am Abend zuvor ein Bus überfahren.

Der Bus heißt "boysetsfire" und hat mich mal wieder mit voller Breitseite erwischt. Die allerliebste Lieblingsband hat sich unheiligerweise einen Sonntag Abend ausgesucht, um das Hamburger Publikum zu beglücken und mir mal ordentlich die Gehörgänge frei zu pusten.

Das hat ganz gut geklappt.

Rückblende. Vor dem Konzert, 19.30 Uhr.

Inmitten einer großen Gruppe der üblichen schwarz gekleideten, volltätowierten und an seltsamsten Stellen gepiercten Verdächtigen nuckele ich an meinem Bier und warte vor der Markthalle auf Kumpel N., der die Tickets hat. Mit zehn Minuten Verspätung taucht er auf und hebt sich mit seinem weiß/rosa karierten Hemd deutlichst vom Rest der Konzertbesucher ab. Meinen fragenden bis vorwurfsvollen Blick kommentiert er mit "Sorry, vor sieben Stunden saß ich noch auf dem Oktoberfest! Komm grad frisch aus dem Flieger...".

Das macht`s nicht besser. Die Tickets fischt er aus seinem Rucksack. Din A4, ausgedruckt auf vermutlich wiederverwertbarem Papier, streng mittig gefaltet.

In meinen über zehn Jahren in Hamburg war ich auf locker 20 Konzerten in der Markthalle, die ist eine Legende in der norddeutschen Konzertgänger-Szene. Zumeist waren die Konzerte großartig, einige Ausfälle waren auch dabei, das lässt sich nicht ändern.

Ich verbinde einige Erinnerungen mit diesem Ort.

Die Narbe, die fast komplett meine linke Augenbraue durchzieht, habe ich mir im Dezember 2004 beim "Fuck X-mas Festival" abgeholt, ein Ellenbogen traf mich beim Toben vor der Bühne, das Blut spritzte, die weibliche Begleitung quiekte, ein riesengroßer Volltätowierter, zu dem der Ellenbogen gehörte, kollabierte fast und der eilig herbeigerufene Sanitäter lobte, meine sei "die sauberste Platzwunde, die er je gesehen hat". Er musste nichtmal nähen, er pappte nur ein Pflaster drauf. "Die wächst von allein wieder zu, so eine tolle Platzwunde ist das!" verkündete er strahlend. Im Platzwunden-Heftchen hätte er mir garantiert einen lachenden Smilie gestempelt! Der Freak...

Mit meinem blutigen Shirt und meiner supertollen selbstheilenden Platzwunde war ich dann der Held auf dem Konzert, selbst die Band fragte von der Bühne hinab nach meinem Befinden.

2006 versuchte hier jemand, meine Herzdame zu küssen, was ich nicht so angebracht fand und per rechtem Haken "verhinderte". Folge war ein einjähriges Hausverbot...wer konnte denn auch ahnen, dass der dickliche Typ der Bassist der auftretenden Band war? Ich wusste das zumindest nicht. Es war mir dann aber auch egal. Falsche Frau geküsst, Arsch! Und deine Band? Unter "ferner liefen"...

Das Konzert fand trotdem statt, die Band war aber doch merklich verstimmt und ergo war der Auftritt unmotiviert und sehr kurz.

Wurde mir erzählt. Von einem Freund. Ich war ja nicht mehr dabei und auch meine damals bessere Hälfte hatte keine Lust mehr auf das Konzert. Sie hat sogar den Eintritt erstattet bekommen. Denn sie konnte ja wegen "eines unglücklichen Zwischenfalls" nicht am Konzert teilnehmen.

Tags drauf zappte ich durchs TV-Programm und sah die Band wieder, sie hockte im Berliner VIVA-Studio und entschuldigte die Abwesenheit ihres Bassisten, der habe am Abend vorher "eine kleine Meinungsverschiedenheit" gehabt und sei jetzt beim Zahnarzt.

Ich musste ein bisschen grinsen.

Zurück zum Konzert. Dem, um das es geht.

06.10.: Abend. N. und ich sind die Treppen zum Eingang hinaufgestiegen, die Securities waren sehr freundlich und "kompetent". "Mach mal den Rucksack auf bitte!". Tat ich gern. Er, ein Schrank von Kerl, guckte drei Sekunden lang rein. "Alles klar, du bist sauber!" - "Wollen sie mich nicht abtasten? So kenn ich das zumindest von anderswo!?" hab ich dann gefragt. Er klopfte mir zweimal gegen den Oberarm und einmal gegen die Hüfte. "Alles klar, du bist sauber!" Eine absolute Fachkraft! Ich habe mir dann ausgemalt, wo ich die Bombe versteckt hätte, hätte ich denn eine gehabt. In den Socken. In der Bauchtasche, die meine KaPus ja nun mal haben. Eher in den Socken. Die wären dann nach dem Konzert quasi Stinkbomben.
 
Da uns die Support-Bands herzlich egal waren, orderten N. und ich erstmal ein Bier an der Bar im ziemlich großen Vorraum des Konzertsaales. Das ging fix und mit unseren mehr oder weniger bis zum Eichstrich gefüllten Plastebechern, beobachteten N. und ich die Mitmenschheit, die sich am Bierstand und an den Tischen mit dem Merch tummelte. Man konnte sogar iPhone-Hüllen mit dem Emblem meiner liebsten Band kaufen. Ich schaute etwas ungläubig.

Kumpel N. kaufte so eine iPhone-Hülle. Aus Gummi. Für fünf Taler. Ich schaute noch ungläubiger.

Besser noch ein Bier im Plastebecher. Immerhin "Astra". Eine iPhone-Hülle aus Gummi mit Band-Emblem. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich lachen oder weinen soll.

Das Bier war fast geleert und wir beschlossen, in den Konzertsaal zu wechseln. Der bietet in etwa 1000 Menschen Platz, vielleicht sogar 1200 oder 1500, ich weiß es nicht genau und kann es auch nicht schätzen, Lust auf Recherche bei Tante "Wiki" habe ich auch nicht, denn egal wie man es dreht oder wendet: Neben mir sind in der Markthalle zuviele andere Konzertgänger. Punkt.

Ein Konzert mit mehr als 250 Zuhörern ist immer erstmal nicht mein Fall, leider hat meine Lieblingsband diese Marke bereits vor einigen Jahren deutlich überschritten und füllt nun Hallen. Besucherzahl lässig vierstellig. Ich gönne es den Jungs, motze aber still in mich hinein, denn ich teile nicht gern.

An meinem Geburtstag 2006 sah ich boysetsfire in einem winzigen Schuppen in HH zusammen mit maximal 90 anderen, ein besseres Geburtstagsgeschenk werd ich wohl nie wieder bekommen.

Zurück zur Markthalle:

Der Sound ist seit Jahren großartig und auch dieses Konzert macht da keine Ausnahme...

...los geht es mit "Walk astray" und es dauert keine fünf Sekunden bis ich Pipi in den Augen habe. Das Intro von "Walk astray" haut mich jedes Mal um. Da ich noch gedankenverloren bin, krieg ich auch direkt nach dem Intro, wenn das Lied vorsichtig formuliert "Fahrt aufnimmt" (von 0 auf 100 in 1,4 Sekunden) direkt mal einen fliegenden Unterarm in die Fresse und die Tränen der Rührung weichen Schmerztränen. Ein Unterarm krachend auf die Nasenspitze ist alles, aber nicht schön. Selbst ein Tritt in die Familienplanung ist da netter...

Der Schmerz vergeht, die Nase ist noch ganz und aus sicherer Entfernung erlebe ich dann weiter die Show und gestehe mir ein:

Das ist der Moment, an dem man mit Mosh-Pits, Geprügel vor der Bühne und Stage-diving abschließt. Traurig, aber man ist halt mit 34 allmählich wie Roger Murtaugh in "Lethal weapon": Too old for that shit!

Kumpel N. in seinem karierten Hemd schaut irritiert, als ich wieder bei ihm auftauche. "Wie war`s?" - "Ach, wie damals! Nur mehr Asis!" - "Früher war also besser?" - "Auf jeden Fall, weil: weniger Asis!" Früher gab`s neben mehr Lametta auch weniger Deppen, die vor der Bühne herumschlägerten. Früher bekam man einen Tritt oder Ellenbogen ab, das war aber nie absichtlich, der "Täter" half einem hoch und fragte nach, ob alles ok ist. Heute tritt dir jemand mit Absicht ins Kreuz oder ins Gesicht und beim Stage Diven kommt er mit Ellenbogen oder gar den Füßen zuerst runter, seine Kumpels feiern ihn dafür. Das ist nicht mehr mehr meine "Szene". So einen Quatsch brauch ich nicht.

Die Lieblingsband haut Brecher nach Brecher raus..."Handful of redemption", "Rookie", "After the eulogy", bei letzterem fliegt die Faust nach oben und es wird "RISE! RISE! RISE!" gebrüllt.

Irgendwann ist Ende.

Ich bin taub.

Und ich bin glücklich. Von boysetsfire lass ich mir jedes mal wieder gern den Gehörgang frei blasen.

Zwei Mal kullerten tatsächlich fast die Tränen, bei "My life in the knife trade" und bei "Prey", meinem absoluten Lieblingslied vom neuen Album, das zu meiner riesigen Freude in der Mitte des Sets auch gespielt wurde und bei dessen ersten Tönen ich mich in etwa gefühlt habe wie damals als kleiner Junge am Weihnachtsabend. Jede Silbe wird mitgesungen samt verschämten Tränchen im Augenwinkel.

Irgendwann ist Ende.

Vor der Bühne sehe ich Sänger Nathan, er ist wie immer runter zu den Fans gegangen und wird umarmt, fotografiert und in die Seite geknufft und er erträgt das. Nathan ist vermutlich einer der tollsten Menschen der Welt. Man muss ihn getroffen haben, um das nachvollziehen zu können. Ich hatte schon vor dem Konzert beschlossen, ihn danach in Ruhe zu lassen, zum einen war dieses Mal kein gemeinsames Bierchen drin, zum anderen hat der Gute auch grad anderes im Kopf, ist er doch grad Vater geworden. Der ist froh, wenn man ihn in Ruhe lässt, vermute ich...

Raus aus der Markthalle, noch fünf Minuten Small Talk mit N., dann getrennte Wege. Ich zum HBF, er in die andere Richtung zur U Steinstraße.

In der U-Bahn nach Hause geht man mir aus dem Weg. Nassgeschwitzt, schwankender Gang, zufriedenes Grinsen im Gesicht...kann nur einer auf Droge sein.

Und dabei waren`s nur boysetsfire, Adrenalin und Glückshormone plus drei Bier.

Mit klirrenden Ohren und todmüde habe ich dann zuhause auf youtube nach etwas, das dem Konzert gleichkommt, gesucht.

Gefunden habe ich das Konzert in Dortmund vom 04.10.2013. Im Prinzip das gleiche Set, das ich am 06.10.2013 in Hamburg auf die Ohren gehauen bekam. Nur hat sich der Typ, der das Dortmunder Set online gestellt hat, die "Mühe" gemacht, das Intro, den ruhigen, von mir so geliebten Anfangspart von "Walk astray", zu überspielen...mit Quatsch.

Hier das Dortmunder Set mit Quatsch am Anfang. Und mit hübschen Menschen, auch am Anfang.

Und da "Walk astray" eins meiner liebsten Lieder meiner liebsten Band ist, gibt`s das auch noch Mal mit komplettem Intro ohne darübergelegte Kack-Musik.

Ab jetzt heißt es warten auf die nächste Tour der Jungs. Es kann mir nicht schnell genug gehen...

Montag, 14. Oktober 2013

Visionäre

E. und S. haben einiges vor. Frisch verliebt vermutlich. Nicht länger als seit drei Wochen. Und dann schon solche Zukunftspläne.



Entdeckt habe ich das Ganze vor einiger Zeit, als ich einer befreundeten Band half, ihr Equipment in den Van zu laden. Vor dem Wohnhaus des Bassers in der Kulmer Straße in Berlin-Schöneberg standen einige, zum nebenan liegenden Lokal gehörende, Bänke und Tische und dort hatten E. und S. sich verewigt.

Wie gesagt, das war vor einiger Zeit...2011 glaube ich. Und E. und S. gehen wahrscheinlich schon wieder getrennte Wege.

Oder auch nicht. Und Nummer eins oder gar Nummer zwei von 1000 Kindern sind bereits am Start oder in der Mache. Fänd ich auch ok.

Solang es keine Justin-Jamies, Jerome-Kurt-Pätricks oder Sylvana-Jolies werden.

Hoffen wir das Beste...

Sonntag, 13. Oktober 2013

Flüchtlinge

Lampedusa. Wie viele Tote? 270? Irgendwie sowas. Paar Tage später nochmal 25 oder mehr Ertrunkene. Und Vermisste, viele Vermisste. Warum? Warum waren sie auf diesem überfüllten Boot?

Ich weiß es nicht, aber ich habe Vermutungen: Weil sie auf der Suche nach einem besseren Leben waren. Weil sie Angst hatten und vor der geflohen sind. Vor der Angst vor ihrem zurückliegenden Leben, vor Verfolgung, vor Folter, vor Tod.

Seit Monaten ist die St. Pauli-Kirche ein Flüchtlingslager. Eine Gruppe afrikanischer Flüchtlinge aus Syrien hat hier Zuflucht und Obdach gefunden, es sind 50. Oder vielleicht 60. Oder gar 70. Ich weiß es nicht genau.

Ich weiß auch nicht genau, wann sie in Hamburg ankamen. Irgendwann im Sommer. Mai, Juni, Juli, eigentlich ist es auch egal. Die Medien berichteten groß darüber, die MoPo, das Abendblatt, natürlich die elende BILD. "Die Flüchtlinge sind da!"

Kurz darauf wurde daraus ein "Wohin mit den Flüchtlingen?" und die Antwort war die oben erwähnte Kirche. Vorher hatten die meisten von ihnen auf der Straße gelebt.

Dann war Ruhe in den Medien. Vermutlich haben die werten Herren und Damen Redakteure/-innen sich gedacht "Die haben ja jetzt ein Dach über dem Kopf. Denen geht`s jetzt gut! Lass uns über Micaela Schäfers aufgepumpte Möpse schreiben!"

Und wahrscheinlich interessieren die Silikontitten einer F-Prominenten den deutschen Durchschnittsbürger auch eher, als das Schicksal von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten.

Das ist tragisch.

Ich war zwei Mal in diesem "Flüchtlingslager".

Auf einem Blog, den ich lese, wurde zu Spenden aufgerufen. Nahrungsmittel, Kleidung, Schuhe, gerne auch Hygiene-Artikel wurden gebraucht. Ich sammelte ein paar Dinge zusammen, eine Winterjacke, die mir nicht mehr passte, aber noch tip top in Ordnung war, einige Paar Socken, eine Packung Nassrasierer und Shampoo für die Haare.

Angekommen an der Kirche traf ich den Pfarrer an, der es überhaupt erst möglich machte, das die Flüchtlinge hier unterkommen konnten, ich übergab meine Dinge und er lächelte mich an. Das würde helfen, sagte er. Vor allem die Rasierer würden gebraucht, "seine Jungs" hätten nicht so sehr Lust auf einen Vollbart.

Zwei Monate später war ich nochmal dort, habe Kleinigkeiten abgegeben, nichts besonderes. Zahnpasta etc. Ich sah jemanden, der meine gespendete Jacke trug. Und er sah den Umständen entsprechend "zufrieden" aus. Das hat mich gefreut!

Das "Freuen" endete spätestens, als ich zum ersten Mal las, das die Stadt Hamburg den Flüchtlingen ein Container-Dorf zum Übernachten oder generellem Leben verwehrt hat.

Stattdessen nimmt man diesen Menschen, die eh schon alles verloren haben, Besitz, Familie, Freunde, jetzt auch noch die Menschlichkeit, indem man ihnen eine Unterkunft verweigert. "Nein, selbst in Containern wollen wir euch nicht wohnen lassen. Bleibt, wo ihr seid. Dusche? Ach komm, die habt ihr doch auch nicht gehabt, da wo ihr herkommt!" Es ist beschämend...

Um selbst das noch zu toppen, gab es am Freitag eine Razzia plus Straßenkontrollen. Kontrolliert wurden aber ausschließlich (!) Farbige. Warum? Weil sie farbig sind oder dunkelhäutig oder maximalpigmentiert? Oder wie nennt man das politisch korrekt?

Man wollte der "Flüchtlingsgruppe" Zugehörige erwischen, um ihre wahren Identitäten festzustellen. Um festzustellen, ob sie überhaupt in diesem ach so tollen Land sein dürfen. Und wenn nicht, dann ab nach Hause. Oh, da wird gefoltert und da herrscht Bürgerkrieg? Verdammt, das ist eher uncool. Egal. Viel Glück da im Abenteuerland!

Kontrollen, bei denen der Durchschnitts-Deutsche durchgewunken wird, mein Kumpel Mohammed, mit dem ich unterwegs war, allerdings nicht. Weil er schwarz wie die Nacht ist. Allerdings spricht er astreines dialektfreies Deutsch, besseres, als das der Kontrolleure, sie machten sich lächerlich und Mo lachte sich tot. Mich wundert, das die Herren Kontrolleure seine Witze geschluckt haben...ich hatte Gegenwehr erwartet. Mindestens hätten sie ihn zu Boden bringen müssen, den Neger, was erlaubt der sich?

In der virtuellen Zeitung habe ich gelesen, das aus dem Flüchtlings-Camp einige verhaftet wurden, weil sie sich nicht ausweisen konnten.

Ich nehme an, dass man, wenn man auf einem extrem überfüllten und wahrscheinlich nicht seefesten Kahn von Westafrika nach Italien/Lampedusa "rübermacht", nicht als allererstes den Reisepass griffbereit hat, wenn man von Rettungsbooten aus den Fluten gehievt wird.

Ironie beiseite, das ist menschenverachtendes ekelhaftes Verhalten und absolut tragisch und traurig.

Menschen suchen Schutz und Hilfe - und heraus kommt DAS! Ich bin entsetzt und traurig, dass so etwas hier passiert...ich dachte, die selbsternannte "Weltstadt" hat da mehr zu bieten. Mehr Freundlichkeit gegenüber jenen, die das brauchen. Aber nein, ist nicht drin. Hamburg, meine Perle und kein Mitleid für niemanden. Schade.

Momentan schäme ich mich, hier zu leben. In Hamburg. Der "schönsten Stadt der Welt".

Die Flüchtlinge in der St. Pauli-Kirche sehen das vermutlich anders. Und ich bin auf ihrer Seite.

Samstag, 5. Oktober 2013

Rock mi!

Ich leide.

Und das extrem.

Es hat mich mal wieder erwischt.

Ich habe mal wieder einen Ohrwurm. Und ich LIEBE ja Ohrwürmer.

Irgendwann am Donnerstag der Deutschen Einheit nahte das Unheil in Form eines Werbespots im stummgeschalteten TV, an dem mein Blick hängen blieb. Auf dem Bildschirm zappelten mehrere hippe stylische junge Kerle in so etwas wie einer Choreographie herum, sie bespritzten sich gegenseitig mit Wasser und anscheinend sangen sie.

Ohne Ton erinnerte das an eine Boy-Band oder einen homoerotischen Softporno (wobei zwischen den beiden Auswahlmöglichkeiten die Übergänge wohl eher fließend sind).

"Was zur Hölle ist das jetzt wieder für ein Mist?" dachte ich mir und dann machte ich einen Fehler.

Fernbedienung in die Hand, Stummschaltung beenden, wo ist die Taste? Ah, hier. Klick.

Fehler.

Großer Fehler.

"Komm, zeig mir no a bisserl, i wills a bisserl wissen, rock mi heut Nacht! Tanz ma a bisserl Schieber, oder was ist dir lieber, rock mi heut Nacht! Schau mir in die Augen, Kleine, du bist a ganz a Feine,rock mi heut Nacht! Drah di um, drah di um, bis der Tanzbodn kracht!" dröhnt es aus dem Fernseher. Dazu bespritzen sich junge Männer in einem See schuhplattelnd mit Wasser und strahlen dabei, als wären sie in Fukushima live vor Ort gewesen.

Bei mir setzt augenblicklich eine Schockstarre ein und ich sitze mit offenem Mund da und starre. Das ist wie ein Unfall auf der Autobahn, es ist eklig und überhaupt nicht schön, man kann aber nicht wegschauen.

Als ich mich nach Sekunden wieder rühren kann und panisch auf die Mute-Taste hämmere, ist es bereits zu spät. Die Bilder und vor allem diese elende Melodie samt dem urbayrischen Mist-Refrain sind im Kopf und haben sich tief in die Netzhaut gebrannt und in den Gehörgang gebohrt.

"Komm, zeig mir no a bisserl, i wills a bisserl wissen, rock mi heut Nacht!"

Ich sehe sechs Typen um die 30, alle nett anzusehen, für jeden Geschmack was dabei, die Damenwelt dürfte begeistert sein. Das Boy Band-Ding wird absolut durchgezogen. Da ist einer in bayrischer Tracht, Krachlederne und rot-weiß-kariertes Hemd, es fehlt nur der Seppl-Hut, den kann er nicht tragen, der würd die Frisur ruinieren.

"Tanz ma a bisserl Schieber, oder was ist dir lieber, rock mi heut Nacht!"

Da ist einer im oberkörperbetonten Shirt, dazu trägt er die obligatorische Wollmütze, die man auch im Sommer halt so trägt, wenn man was auf sich hält und ein ziemlich cooler Typ ist.

"Schau mir in die Augen, Kleine, du bist a ganz a Feine,rock mi heut Nacht!"

Da ist einer mit ner Schiebermütze. Die sind ja auch ganz angesagt in letzter Zeit. Zwei oder drei der "feschen Buam" tragen diese ewig langen Ketten um den Hals, die bis zum Bauchnabel baumeln und die man bei H&M für 2,95 hinterher geworfen bekommt, ich nehme jede Wette an, das an zumindest einer ein Kreuz hängt. Muss so sein. Ist erstens in und chic, zweitens will die erzkatholische Fangemeinde bedient werden.

Und welche Frau kann man heutzutage (selbst im tiefsten Unterbayern) noch mit "Du bist a ganz a Feine!" ansprechen, ohne hinterher ihren Handabdruck und die Kratzer der Fingernägel im Gesicht zu haben? Ich mein, so rede ich nichtmal mit dem Hund meiner Eltern, weil mir das zu doof ist. Und der Hund mir wahrscheinlich hinterher aus Rache in die Schuhe pinkelt.

"Drah di um, drah di um, bis der Tanzbodn kracht!"

Für jeden Geschmack ist was dabei. Dunkelhaarig, blond, muskulös, schlank, Typ Aufreißer, Typ schüchterner Junge...eine fucking Boy Band. Nur einen Südländer oder einen Farbigen gibt`s nicht. Durfte früher in kaum einer Boy Band fehlen, mit aufgemotzter Volksmusik für die schunkelnden besoffenen Wies`n-Massen ist das aber wohl nicht kompatibel.

Da stehen sie im seichten Uferwasser vor einer Gebirgskulisse, schuhplatteln, grinsen so sympathisch und eiskalt wie einst Jeffrey Dahmer und ich hab jetzt ihren Scheiß im Ohr und werd ihn nicht mehr los.

Volksmusik-Boy-Bands. Was kommt als nächstes? Schlager-Hipster? Ein junger Jürgen Drews-Verschnitt in skinny Jeans, neonfarbenen Nike Airs und "Arcade Fire"-Shirt, der dann nicht mehr der König von Mallorca sondern der von Eimsbüttel oder Prenzlauer Berg ist? Ich hab ein bisschen Angst...

Rock mi!

Jaja. Fick di!

Freitag, 4. Oktober 2013

Mütter dürfen alles. Oder?

Früher Abend. Feierabendverkehr auf dem Ring 2. Stadteinwärts staut es sich, stadtauswärts geht es verhältnismäßig gut voran.

Auf der anderen Straßenseite steht eine Mutter samt vielleicht zweijährigem Zwerg auf einem Roller, den der Zwerg per Abstoßen mit den Füßen vorwärts bewegt. Die Mutter redet auf den Zwerg ein, ihr Mund geht auf und zu und auf und zu und wieder auf, der Zwerg rebelliert wegen irgendetwas.

Hören kann ich von der anderen Straßenseite nichts, aber ich kann Gesten deuten. Mutter genervt, Zwerg heult, er will nicht tun, was Mutter will. So sind Zwerge halt.

Die Ampel springt auf grün. Mutter läuft los. Ich auch. Der Zwerg bleibt am Bordstein stehen, heulend. Mutter läuft zurück, packt den Zwerg am Oberarm und zerrt ihn auf die Straße, der Mini-Roller kippt um und schabt, da er sich zwischen den Zwergenbeinen verfangen hat, kratzend über den Asphalt, während Mutter weiterhin am Kind zieht, als wäre es ein Reisekoffer. Ich laufe vorbei, kopfschüttelnd ob ihres Verhaltens, sie registriert das und es ist ihr egal.

Als ich an der anderen Straßenseite ankomme, leuchtet die Fußgängerampel bereits wieder rot, die für die Autofahrer leuchtet erst gelb, dann grün.

Mitten auf der Straße liest die Übermutti dem kleinen heulenden Wesen, das vor ihr steht, derweil die Leviten, drohender Zeigefinger und angedeutete Ohrfeige eingeschlossen. Mitten auf der verdammten vierspurigen Straße. Zwischen den hupenden Autos und den riesigen LKWs. Mit aller Ruhe der Welt.

Ich bin Mutter - ich darf das! Ihr alle um mich rum, fickt Euch! Ihr könnt mich kreuzweise! ICH bin Mutter, IHR nicht!

Totschlagargument!

Allein, der Lerneffekt für Junior bleibt mir verschlossen. So da überhaupt einer ist...

Ein älterer Herr ruft sie vom Straßenrand an "Hören Sie mal, was machen Sie da??" Schließlich zerrt sie den noch immer weinenden Knirps am Arm von der Straße - seinen Roller lässt sie mitten darauf liegen. Den liefert der ältere Herr von der anderen Seite bei ihr ab, nachdem seine Ampel grün zeigt...vorher waren die Autos Slalom um das Hindernis gefahren
.
Ein "Danke!", als er das Gefährt unbeschadet bei ihr abliefert? Albern...sie ist Mutter, sie muss nicht danken. Sie darf alles, auch Zeug mitten auf einer der Hauptverkehrsstraßen der zweitgrößten Stadt des Landes liegen lassen, wenn sie das denn will.. Und jemand, der ihr ihr Zeug hinterher trägt, der ist eh eingeplant. Irgendwer wird schon so blöd sein. Ein abschätziges Lächeln für den, der helfen wollte, für den Hinterherträger, den Deppen, ein Bellen Richtung Junior, der zusammenzuckt und vor Schreck (oder Angst?) still wird...Mutter sein kann so einfach sein manchmal.

In letzter Zeit ist mir solches Verhalten öfter aufgefallen. Ich bin Mutter, lass mich durch, lass mich vor, geh mir aus dem Weg, fick dich, ich darf machen, was ich will, denn ich als Mutter bin wichtiger als du!

Natürlich weiß ich, dass nur ein winziger Prozentteil aller Mütter so veranlagt ist.

Ich kenn ja nun auch einige Mütter. Meine zum Beispiel. Ich wurde nie in aller Öffentlichkeit am Arm, der sich bald auskugelte, weinend über eine Straße gezerrt. Wenn ich mein Spielzeug irgendwo liegen ließ (und das tat ich gern), dann hat meine Mutter oder wahlweise auch mein Daddy das höchstpersönlich aufgesammelt und wenn nicht, dann wurde sich bei eventuellen Helfern bedankt, so wie es sich gehört. Oder Sohnemanns Mutter. Die hatte nie solche asozialen Anwandlungen...ich hab Kind, ich hab Recht.

Natürlich haben Mütter, vor allem werdende, Privilegien. Natürlich stehe ich in Bus oder Bahn auf, wenn eine Schwangere einsteigt, das gehört sich so. Natürlich trage ich einer Schwangeren die Einkaufstüten die Treppe zur S-Bahn hoch oder fasse mit an, wenn ein Kinderwagen mit nem Zwerg drin eine Treppe hinauf oder hinuntergetragen werden muss. Das gehört sich so, das ist selbstverständlich. Zumindest sollte es das sein. Ich bin immer wieder verwundert, wie dankbar Menschen sind, wenn man mal sieben Sekunden lang anpackt und einen Kinderbuggy samt sabberndem Zwerg darin ein paar Stufen hochhievt. Mutti freut sich, Zwerg freut sich, ich freu mich, weil ich Karmapunkte gesammelt habe...

Und dann kommen solche Trullen wie die von der Fußgängerampel an. Und signalisieren ganz offen, das es sie einen Scheiß interessiert, was sonst noch so nebendran passiert. Das Kind wird in alles Öffentlichkeit zusammengeschissen, den liegengebliebenen Roller wird wohl irgendwer aufsammeln, irgendeine arme Seele, die mit Sicherheit auch besseres zu tun hätte und nur helfen möchte, was aber egal ist, denn: ICH BIN MUTTER! Und NUR das zählt. Ich muss mich nicht bedanken. Bei so einem...

Danach kann man sich weiter als tolles Elternteil fühlen. Denn es ist ja nix passiert. Das Kind heult zwar immer noch, aber das Gesicht als "starke Frau" hat man gewahrt. Und das Rumgeheule kann man abtrainieren...

Andere Beispiele?

"Hören sie mal, ich bin Mutter, ich bin im Recht!", die Geschichte auf dem Bremer HBF hatte ich ja bereits ausführlich beschrieben. Allerdings immer noch ein Knaller..."Suchen Sie sich bitte einen anderen Platz (in diesem vollkommen überfüllten Zug), denn ich bin im Recht...". Nice!

Karstadt am Gerhart-Hauptmann-Platz an Hamburgs größter Einkaufsmeile. Ich erwische den Fahrstuhl grad so eben noch, ich will in den fünften Stock, Rolltreppen gehen zwar auch, aber wenn eh grad ein Lift da ist (und da es mir dank Höhenangst bei der Reise per Rolltreppe spätestens ab dem dritten Stock schwindelig wird und ich ich mich mit schwitzigen Händen am Geländer festhalte)...das samt Kinderwagen mit schlafendem Wurm inside bereits im Lift stehende Paar reagiert unterschiedlich. Er grinst breit und würd mir für das Erreichen des Lifts durch sich bereits schließende Türen wohl gern eine hohe Fünf geben, seine bessere (?) Hälfte, gedrungen, voluminös und mit dem Gesichtsausdruck eines angepissten Terriers, ist kurz davor, mich mit dem "Avada Kedavra"-Fluch (aus Harry Potter...der bringt einen um) zu belegen.

Der Fahrstuhl fährt in Etage eins, ein altes arabisches (?) Paar steigt zu, begrüßt alle freundlich lachend. Die ziemlich Voluminöse raunt ihrem Kerl deutlich hörbar ein "Ach, auch noch solche!" zu. Es herrscht peinlich berührte Stille.

Der Fahrstuhl stoppt in Etage drei. Das Paar, das samt laufendem Kleinkind vor der Tür steht, realisiert, das kein Platz ist und wünscht fröhlich "gute Reise". Statt ihnen betreten zwei Mittzwanzigerinnen den Fahrstuhl, die passen rein.

Die im Quadrat gewachsene ereifert sich. Natürlich. Jetzt sogar laut. "Ständig hält dieser Aufzug an. Für SOLCHE Leute!" Dann wendet sie sich ihrem peinlich berührt dreinschauendem Kerl zu. "Nächstes Mal tragen wir den Buggy lieber die Treppen hoch und tun uns sowas hier nicht mehr an!" Einer im Hintergrund kann nicht mehr an sich halten. "Das wär super für alle, die hier drin sind! Endlich Ruhe!!" ruft er. Ich muss breit grinsen. "Ja, und mehr Platz hätten wir auch!" raunt ein älterer Herr neben mir sich durchaus hörbar in den Bart.

Als alle den Fahrstuhl verlassen, gibt der als Mutter getarnte Silberrücken dem Kinderwagen einen Stoß und der Nachwuchs wacht auf und weint. Herzzerreissend. "Mutter" kommentiert das mit "Ach, Scheiße!", der mutmaßliche Kindsvater steht mit hängenden Schultern daneben.

Ich seh ja oft Paare, bei denen ich denke "Bitte BITTE, pflanzt Euch nicht fort, es ist besser für die gesamte Menschheit!" Dieses Mal war ich leider zu spät. Das arme Kind...

Noch ein Beispiel? Gern!

Zoo Münster. Ja, der mit dem Killer-Tiger, der bestialisch seinen Pfleger gemeuchelt hat...warum hat den eigentlich noch keiner erschossen? Dieses von Grund auf böse Tier? Den Killer? Den Mörder? Der Sarkasmus kommt hoffentlich rüber...

Drei Wochen vor der Tragödie war ich mit der Verwandschaft auf Familienbesuch dort im Allwetterzoo. Vorm Tiger-Gehege standen wir auch recht lange, Omi staunte über die majestätischen Tiere, Daddy qualmte eine, Tantchen suchte nach "dem Löwen" und die Cousine schoss Foto um Foto.

Der Zoo hat auch ein Aquarium und in dem standen Daddy, Cousinchen und ich. Das Aquarium ist recht simpel angelegt, nichts dolles, es beherbergt aber teils sehr abgefahrenes Viehzeug, das ich als zoologie-affiner Mensch in Form mehrerer bunt gemusterter Fische, gern aus der Nähe gesehen hätte.

Nicht zuletzt der Aquarien-Bewohner wegen hatte ich mir den Münsteraner Zoo ausgesucht und jetzt ist das Becken mit den Viechern, auf die ich mich schon lange freue, in Sichtweite. Aus der Ferne kann ich Kuhfisch, Leopard-Drücker und Konsorten erahnen.

Vor dem Becken parken in Längsrichtung hintereinander quasi wie ein Schutzzaun zwei SUV-Kinderwagen (ich nehme an, für den Ausdruck hat der Kiezneurotiker bereits ein copyright angemeldet), beide leer. Die dazugehörigen Mütter stehen drei Meter weiter, ihre Knirpse auf dem Arm wiegend und ihnen gut zuredend. Die leeren Kinderwagen versperren die komplette Front des Beckens, ein näheres Herantreten ist unmöglich, ein Einsehen ins Becken eh nicht. Daddy schiebt einen der Kinderwagen ein kleines Stückchen zur Seite, damit er und ich näher an die Glasfront des Aquariums treten können, in dem die exotischen Fische herumpaddeln.

Der Kinderwagen rollt etwa einen halben Meter weit. Und die vorher in der Ecke stehende Besitzerin, der immer noch ihr Säugling vor der Brust (nicht AN der Brust!!) hängt, explodiert. Denn sie ist Mutter. Sie darf tun, was immer sie will. Auch, wenn ihr Kinderwagen dutzenden von Menschen, die teuren Eintritt gezahlt haben, die Sicht versperrt und/oder den Weg blockiert. Sie ist Mutter. Ergo hat sie jedes sich vorstellbare Recht. Und Daddy hat ihren Kinderwagen angefasst und sogar verschoben. Alter!

Daddy ist vollkommen überrascht ob der Konfrontation mit der Furie, die ihn mit Beleidigungen belegt und deren Brut derweil laut krähend vor ihrem Oberkörper herumbaumelt. Super-Mutti schüttelt ihr Kind während ihres Ausbruchs durch wie einen Milch-Shake, ich mache mir ernsthaft Sorgen um seine Gesundheit. Nicht nur in diesem Moment, eher generell...wenn die "Mutter" bei so einer Kleinigkeit so abdreht, was macht die, wenn das Kind mal zuhaus Mist baut? Ich mag es mir nicht vorstellen...aber bei so einem Aggressions-Potenzial bleibt es da wohl nicht beim Klaps auf die Finger...

Während der ganzen Aktion, die meinem Daddy gehörig den Spaß am Zoo-Besuch verhauen hat, ging das Kleinkind, das in den anderen Kinderwagen gehörte, übrigens stiften, die dazugehörige Mutter bemerkte das erst, als niederländische Besucher es zurück brachten. Ein Wort des Dankes? Nicht nötig. Sie ist ja Mutter. Zumindest auf dem Papier.

Es gibt so viele Situationen, in denen ich mich frage, warum die Evolution manchen Menschen die Fähigkeit zur Kopulation und Fortpflanzung gegeben hat - wäre ich der Entscheider, ich würd das nicht erlauben. (Hier warte ich jetzt auf jemanden mit Nazi-Keule und Herrenrasse-Argumentation. Und ohne Kenntnis von wiederum Ironie und Sarkasmus).

Ganz im Ernst: Es ist (manchmal oder gar oft) schwer Mutter (oder evtl generell Elternteil) zu sein. KEINE Frage...hab ich selber erlebt. Aber muss man deswegen zum Arschloch oder Ego-Zombie mutieren?

Ich denke nicht.