Mittwoch, 22. Mai 2013

CSI:HH (1) - Team Wandsbek

Es ist etwa 17.40. Uhr, als ich am letzten Freitag an der Wandsbeker Chaussee aus der S1 steige, ausnahmsweise habe ich mir sogar eine Fahrkarte gekauft, denn meine Monatskarte gilt ja leider zwischen 16-18 Uhr nicht. Und wir wollen ja nicht schwarzfahren...

Ich nehme die Rolltreppe, warum laufen, wenn man auch gefahren werden kann.

Oben am Ende der Rolltreppe sehe ich Uniformierte, zunächst denke ich an eine Abgangskontrolle des HVV und erschrecke, bekomme Herzrasen, geschuldet den guten alten Zeiten, als man gern auch mal ohne Fahrschein unterwegs war, die Kontrolleure auf den Bahnsteigen konnt man ja wunderbar durchs Fenster erspähen und dann rechtzeitig die Bahn verlassen, aber diese Abgangskontrollen sind eine Pest!

Allerdings habe ich ja einen Fahrschein, was ich recht schnell realisiere und außerdem sind das auch keine Mitarbeiter des HVV, sondern Cops, die da den Eingangsbereich des S-Bahnhofs bevölkern.

Kurz überlege ich, wer sympathischer ist, die Staatsmacht oder Kontrolleure im ÖPNV, aber da kann ich mich nicht mit mir einigen.

Als ich auf die Straße trete, bietet sich ein ungewohnter Anblick. Die Wandsbeker Chaussee, diese sechsspurige Rennstrecke, auf der ständig dicke SUV's mit getönten Scheiben und Nobelkarossen mit röhrenden Motoren Geschwindigkeiten im dreistelligen Bereich aufbieten und tiefergelegte Rostlauben, deren grad volljährig gewordene Besitzer auch mal im Konzert der Großen mitspielen wollen, in ihren VW Golfs oder Opel Astras an jeder Ampel gnadenlos von einem vollbeladenen Sprinter stehen gelassen werden, ist dicht. Nicht vom Feierabendverkehr, sondern von den Cops abgesperrt. Nur für ein paar Meter, der Querverkehr über Brauhausstraße/Hammer Straße an der Kreuzung mit der W'beker Chaussee läuft, aber die Chaussee selbst ist zu.

Auf knapp 50 Metern. Denn diese paar Meter dienen als Parkplatz für unzählige Polizeiwagen und aus allen Himmelsrichtungen kommen mehr an.

Soviel Alarm gibt's sonst nur ab 23 Uhr beim Schanzenfest, wenn die Vorstadtjugend mal wieder "politisch" wird.

Die Beamten scheinen sich für ein kleines Juweliergeschäft gegenüber zu interessieren, das mir bis dato nie aufgefallen war, obwohl ich sechs Jahre lang fast direkt ums Eck gearbeitet habe. Verrückt.

Was ist denn nun eigentlich los?!?

Ich frage einen der Polizisten, der sich, an eine Wand gelehnt, augenscheinlich langweilt. "Isn Einsatz. Straße gesperrt!" quetscht er zwischen den Zähnen hervor, um dann wichtigen Schrittes und mit Hand an der Waffe (!) zu einer anderen Gruppe auf besseres Wetter wartender Cops herüber zu laufen - um sich erstmal eine Kippe anzustecken. Anschließend wird gemeinsam gescherzt und gelacht und herum gealbert, meine Freunde und Helfer haben wohl einen entspannten Nachmittag. Einer liegt auf der Motorhaube (s)eines Einsatzfahrzeugs und lässt sich sichtlich entspannt die Sonne ins Gesicht scheinen. "Mensch, den Job könnt ich auch!" denk ich mir bei dem Anblick.

Würd aber trotzdem gern wissen, was los ist.

Also frage ich die Suffis, die die Stromkästen vorm Eingang zur S-Bahn zu ihrem persönlichen Stammtisch gemacht haben, die stehen hier von früh bis spät und schießen sich mit Billigstoff vom Kiosk ab, die haben garantiert was gesehen.

Momentan filmen sie kollektiv die Szenerie, einer erbarmt sich aber, sein nagelneues hochklassiges Smartphone, das ich mir nicht leisten könnte, sinken zu lassen und kurz zu erläutern, was los ist.

"Überfall. Hat geschossen."

Dann bedeutet er mir, daß sein Bier, vermutlich das etwa fünfzehnte heute, leer ist und wankt Richtung Kiosk.

Na, das klingt ja beruhigend. Irgendwer hat überfallen und geschossen, gefasst wurde er anscheinend noch nicht, die Staatsgewalt macht derweil Raucherpause oder knufft sich freundschaftlich in die Seite.

Ich bin ja nicht vom Fach, aber Verbrecherjagd hab ich mir anders vorgestellt.

Irgendwie action-geladener. Mit was machen und so. Rennen, mit gezückter Waffe in Unterschlupfe eindringen. Ab und zu mal wen "zu Boden bringen". Oder Knüppel aus dem Sack, einfach so, so wie auf Demos gegen steigende Mietpreise oder Leerstand von Wohnhäusern.

Aber bei echten Verbrechen ist wohl Kippe und Kollegen knuffen erste Wahl. Kann ich auch verstehen, wer will sich schon nem pistoleschwingenden Schurken gegenüber stellen. Hätt ich auch keine Lust drauf... da versteh ich die Jungs schon.

Ich mache meine Einkäufe. 25 Minuten später komme ich wieder am Einsatzort vorbei. Der Verkehr rollt wieder (ansonsten hätte es vermutlich Aiusschreitungen gegeben, Hamburger Autofahrer sind eh tickende Zeitbomben, im Feierabendverkehr aber nochmal unzurechnungsfähiger!), 50% der Polizeiwagen sind verschwunden und gescherzt oder geknufft wird in Uniformiertenkreisen auch nicht mehr, stattdessen tauscht man ernste Blicke aus und gestikuliert wild.

(Vorgestern stand dann in der Morgenpost, daß der Täter zum Nachdruck seiner Forderung, den Tresor zu öffnen, in die Wand schoss. Der Tresor war allerdings leer und der Täter ist weiterhin flüchtig.)

Ein paar Minuten später stehe ich auf dem Bahnsteig, meine Bahn kommt in sieben Minuten.

Von links kommt eine junge Frau heran, ich seh sie an und denk noch "Na, die kann aber nicht gesund sein, klapperdürr und Gesichtsfarbe wie ein Liter Vollmilch!", da streckt sie den Arm aus, bekommt meine Jacke am Kragen zu fassen und dann drehen ihre Pupillen nach oben weg und sie wird ohnmächtig. Klappt vor mir zusammen wie ein Kartenhaus.

Jugendliche fünf Meter neben mir lachen und zücken die Handies, ich hocke neben ihr und habe keine Ahnung, was zu tun ist. Das erste, was mir einfällt: Der Kopf muss weich liegen! Vermutlich totaler Quatsch, aber ich ziehe meine Jacke aus und lege sie unter ihren Kopf.

"Seitenlage, stabile Seitenlage!!" höre ich von links, ein Mann um die 60 kommt hinzu, kniet sich neben mich, während seine Frau gleichzeitig die filmenden Jugendlichen beschimpft, nach Hilfe ruft und den Notruf gewählt hat.

Tatsächlich kriege ich es hin, sie in die stabile Seitenlage zu bringen, an dem Gerücht, daß man in Notsituationen altes Wissen abrufen kann, ist vielleicht doch was dran. Mein letzter Erste-Hilfe-Kurs war im letzten Jahrtausend, eventuell wäre eine Auffrischung nicht so ganz verkehrt.

Der RTW ist schnell da, auch Polizisten von oben auf der Straße haben auf das Rufen der Dame reagiert (unter anderem der Raucher und der Sonnenanbeter) und so sitzen sie, ihr Mann und ich nun auf einer Bank und beobachten aus der Entfernung, was die Ärzte tun. Mein Gott, hätte ich grad gern eine Zigarette...

Nach fünfzehn Minuten oder so wird das Mädchen in einen Rollstuhl gehoben und abtransportiert. Sie ist sehr angeschlagen aber stabil sagt der Sanitäter, bevor er sich für die Hilfe bedankt und dann verschwindet.

Der Herr neben mir gibt seiner Frau einen dicken Schmatzer auf die Wange und sagt (ich schwöre, daß das wahr ist!) "Heut trink ich, bis die Lichter ausgehen!". Sie nickt und antwortet "Mach das. Und ich geh dann zur Ulla!"

2 Kommentare:

  1. Herzrasen beim Anblick von Kontrolleuren:-)))
    Das Komische daran ist, daß das bleibt!Den Reflex wirst Du nie wieder los. Ich bin bestimmt schon seit 20 Jahren nicht mehr schwarz gefahren und kriege trotzdem noch Adrenalin, wenn so ein Typ auftaucht.
    Wahrscheinlich wird das auch noch so sein, wenn wir mit Krückstock in der Bahn sitzen und die Kontis nicht mal mehr den Behindertenausweis sehen wollen;-)

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  2. Ja, denke auch, das Trauma wird bleiben. Aber könnt schon lustig werden so mit Fluchtreflex, Rollator und Hackenporsche in überfüllten U-Bahnen. Spannende Kombination! :)

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