Mittwoch, 31. Juli 2013

Es ist aus.

Jahrelang stand es am Pfeiler der Brücke, über die die U3 aus meinem Heimatbahnhof in die Stadt hinaus fahrend den Ring 2, die vierspurige Rennstrecke quasi direkt vor meiner Haustür, kreuzt.

"Kocham çie Tina!"

Ganz unten, knapp über dem Gehweg stand es mit schwarzer Dosenfarbe in recht ansehnlicher Handschrift an die graue Wand geschrieben, verziert mit einem knallroten Papierherz, das an die Wand geklebt war und das erstaunlicherweise die Witterungen verdammt gut überstand, nur ein wenig verblichen war es mit der Zeit, man sah es aber immer noch von Weitem, wenn man zur Bahn ging.

Jedes Mal musste ich lächeln, wenn ich die drei Worte las, nicht selten standen andere Passanten dort und schauten, beneideten vielleicht Tina, einige fotografierten und manch einer hat sich vielleicht sogar überlegt, der Herzdame einen ähnlichen Liebesbeweis zu erbringen.

Als ich vorhin vorbei lief, kniete auf dem Gehweg vor dem Schriftzug ein junger Mann, Mitte zwanzig maximal, mehr Ränder als Augen und die unterlaufen, er hatte wohl lang nicht mehr geschlafen. Am helllichten Tag übermalte er fein säuberlich die Buchstaben mit der selben grauen Farbe, die auch den Rest der Wand "kleidet".

Neben ihm eine Flasche Rotwein, die für ihn wohl eher halbleer als halbvoll war. Hochkonzentriert und mit tieftraurigem Blick malte er, der vorbeirauschende Verkehr störte ihn nicht.

Grad, als ich auf dem Heimweg wieder an der Stelle vorbei kam, war nichts mehr zu sehen, alles grau in grau in grau.

Nur die jetzt leere Rotweinflasche und das in drei fast gleich große Teile zerrissene Papierherz am Fuß der Brücke erinnerten noch an die drei Worte, schwarz auf grau und in ansehnlicher Handschrift.

"Viel Glück heut Nacht und viel Glück demnächst, wenn Du weiter machst oder untergehst, wenn Du aufhören willst und einsehen musst zwischen "Komm zurück!" und "wirklich Schluss." (Kettcar - Balkon gegenüber)

Montag, 29. Juli 2013

Dschungelnacht / Momentaufnahme: Dschungel

Es war heiß am Samstag. Irritierend heiß, denn viel blauen Himmel habe ich eigentlich nicht gesehen. Eher grauen, bedeckten. Kaum Sonnenstrahlen, rein optisch hatte das was von Ende Oktober.

Und trotzdem erschlug einen die drückende Schwüle, sobald man vor die Tür trat. Der Tageseinkauf wurde zur Tortur. Aber zumindest hatte ich Glück gehabt und auf dem Heimweg einen Zehner im Gras gefunden, der zwar sehr mitgenommen aussah, mich aber trotzdem freute!

Als ich gegen 23.30 Uhr die knapp hundert Meter von F.'s Bude zu meiner zurück lief, wir hatten uns zusammen die erste (und vermutlich einzige) Saison-Niederlage des glorreichen FC Bayern (Ironie aus) angeschaut, ging es dann allmählich, nur noch 24 Grad waren es laut einem Thermometer in der Nachbarschaft. Das ist eine Temperatur, die mir gefällt. Gern auch tagsüber. Und zwar maximal.

Kurz darauf saß ich bei weit geöffnetem Fenster in meinem Schreibtischstuhl, nuckelte am eisgekühlten Multivitaminsaft und aus der Dunkelheit vor dem Fenster hörte ich verschiedene lärmende Vögel und zirpende Grillen. Letztere hörte man nur, wenn die Vögel mal die Schnäbel hielten. Es erinnerte mich stark an irgendwelche Dokumentationen, die ich recht gern im TV schaue, Forscher kriechen des Nachts im Dschungel herum, auf den Nachtsichtkameras huschen Schatten umher und zur Untermalung krakelen Vögel und zirpen Grillen.

Akustisch bin ich da grad mit dabei. Temperaturmäßig auch. Nur zum Glück ohne herumkriechendes Ungetier, abgesehen von einer Spinne weit oben in der Zimmerecke, mit der ich mich trotz ihrer Unansehnlichkeit darauf geeinigt habe, das sie bleiben darf. Sie fängt Mücken, ich lass sie in Ruhe, so ist der Deal. Solang sie oben in ihrer Ecke bleibt. Erwische ich sie in Bodennähe, landet sie im Klo...aber das wird sie verstanden haben, ich hab's ihr oft genug vorgebetet.

Ich habe keine Lust, die Nacht zuhause zu hocken. Und mir kommt eine Idee.

Akustisch Dschungel, die Temperaturen implizieren das auch und ich habe quasi zehn Euro "über"...

...einen Klamottenwechsel, 21 Minuten Fahrt mit der U3 und sieben Minuten Fußweg später sitze ich im "Dschungel" an der Schanzenstraße.

In meiner absolut liebsten Bar/Kneipe/sichernichtLounge dieser Stadt.

Die es wohl nicht mehr lange geben wird. Gentri-fick-dich schlägt mal wieder zu. Und jetzt erwischt es einen meiner Lieblingsorte, bisher hatte ich da "Glück gehabt".

Die Betreiber dieser HHer Institution haben sogar angeboten, die fucking doppelte Miete wie bisher zu zahlen, sie hätten das stemmen können...der Besitzer des "Objekts" hat das abgelehnt. Man sollte ihn teeren und federn und im Kreis herumschubsen! Ich mach den Job! Für lau.

Statt des "Dschungel" kann man hier dann wohl bald neue Loft-Wohnungen mit Aufzug für die Luxuskarren bestaunen, es gibt ja noch zu wenige davon. Und deren Fassaden werden keine drei Tage ohne erste Grafittis oder Farbbeutel überstehen, da nehm ich jede Wette an.

Ich bin wirklich gespannt, wann sie ernsthafte Planungen anstellen, die Flora dicht zu machen...

Zukunftsmusik, und zwar keine gute.

Welcome to the djungle! Man rennt beim Eintreten gegen die Wand aus aufgestauter Tagesresthitze und Zigarettenqualm kombiniert mit lärmenden durcheinanderquatschenden Stimmen und Brian Molko, dessen markante Stimme grad aus den Lautsprechern tönt, "Days before you came", schon immer eins meiner favorisierten Lieder der Band. Ein guter Anfang!

Ich tanke mich zur Bar durch, es ist erwartungsgemäß rappelvoll.

"Moin, White Russian bitte!"

Die leicht verträumt dreinblickende Barfrau lächelt und ich auch, denn ich weiß, das ich gleich den besten "White Russian" der Stadt bekommen werde - und zwar unschlagbar billig. 2.80€ kostet der Spaß hier.

Und ergattere einen Stuhl an einem Einzeltisch. Zwar nah am Klo, dafür kann ich fast den gesamten Laden einsehen.

Es ist dunkel, alle Tische sind restlos besetzt, die Oasis-Gallagher-Brüder singen nun aus den Boxen, "Don't look back in anger", ich denke, daß sie sich das ja selber auch mal zu Herzen hätten nehmen können und erinnere mich daran, wie es dem "Loveboy", einem ehemaligen guten Freund, mit dem ich ständig hier im "Dschungel" war, schier das Herz zerrissen hat, als seine Lieblinge pöbelnd die Band gen Nirwana schickten.

"Mann, das war echt unschön" denk ich mir, schaue rüber zu unserem ehemaligen Stammplatz neben dem Eingang und nehme einen Schluck vom "White Russian". Großartig wie eh und je.

Arm in Arm kommen zwei Mädels herein, sie passen nicht so recht ins Bild. Tussig angehaucht, optisch eher Hans-Albers-Platz oder wenigstens Galao-Strich am Schulterblatt. Sie kichern und eine bestellt zwei Drinks, die andere verschwindet auf dem Klo. Allein, ohne ihre Freundin. Ich bin irritiert, aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel.

Das Mädel braucht ewig auf dem Klo, würd ein Kerl 10 Minuten auf nem Bar-Klo verschwinden, kämen mir die übelsten Assoziationen plus Kopf-Akustik, bestehend aus Fürzen und gequältem männlichen Ächzen, während der warmgemachte Bohneneintopf von mittags sich den Weg in die Freiheit bahnt - bei Mädels denk ich an Rosenduft und wie alles pink glitzert.

Es ist verrückt.

Die Freundin der auf dem Klo Verschwundenen hat inzwischen Gesellschaft bekommen, drei Typen Anfang zwanzig drängeln sich um sie, sie sehen aus, als wären sie vom Schlagermove übrig geblieben, vermutlich sind sie die Restbestände eines Junggesellenabschieds, die zum Abschluss des selbigen nicht mehr in die Strip-Bar gelassen wurden und deshalb nun so tun, als sei das hier eine.

Sie gröhlen, tatschen...und es dauert keine fünf Minuten, bis sie fliegen. Begleitet vom Barkeeper und einigen volltätowierten bedreadlockten Stammgästen. Herr Molko singt dazu seinen "Song to say goodbye". My oh my...

Aus dem Sanitärbereich taucht endlich die verloren geglaubte Freundin auf und die beiden stürzen sich auf ihre Getränke und plappern los. Meist beide zur gleichen Zeit.

Während ich den Blick über die beleuchtete Bar, das Volk davor und das eingerahmte NoFx-Tourposter daneben schweifen lasse, läuft der "Pulp Fiction"-Soundtrack im Hintergrund.

"Vincent: Oh man, I shot Marvin in the face.

Jules: Why the fuck did you do that!

Vincent: Well, I didn't mean to do it, it was an accident!

Jules: Oh man I've seen some crazy ass shit in my time...

Vincent: Chill out, man. I told you it was an accident. You probably went over a bump or something."

Kopfkino. Fein!

Während ich den zweiten weißen Russen an der Bar ordere, belausche ich relativ unfreiwillig, wie das Tussi-Mädel die Klobesetzerin informiert. "...und dann haben der Bar-Typ und so'n paar Ungepflegte die rausgeschmissen, obwohl die nur bisschen gefummelt haben! Echt voll ätzend! Asis hier!"

Leider konnte ich der Trulla nicht unbemerkt in ihr Glas spucken, ich hätt es gern getan.

Stattdessen lausche weiter toller Musik, Bad Religion, Archive, Beatsteaks, Tocotronic etc, sitze entspannt weitere 45 Minuten auf meinem heimeligen Plätzchen, beobachte Tanzende, Sturzbetrunkene, die von Stühlen fallen, beobachte herzliche Begrüßungen und Abschiede, einmal fließen dabei sogar Tränen, irgendwann werden die Tussi-Mädels hinauskomplimentiert, sie hatten von quieken und tratschen auf besoffenes Pöbeln umgeswitcht.

Ein Bier noch, dann ist vom gefundenen Zehner sogar noch was übrig für einen Snack auf dem Heimweg. Mein Gott, wie gut!!

Am Bier nippen. Einer kotzt fast vor die Theke, Freunde geleiten ihn raus. Am Bier nippen, dazu "Millencolin" aus den Lautsprechern, ich feiere, ich kenn die Band persönlich, Stunden später werd ich sie live sehen und hören!

Am Bier nippen, eine lokale HipHop-Größe entert samt Entourage den Laden, highfivet das Barpersonal, keinen interessiert das. Er setzt sich auf "Loveboy"'s und meinen ehemaligen Stammplatz.

Ich warte auf "Doug", den Stammgäste und ihre angestammten Sitzplätze verteidigenden Barmann aus "How I met your mother", der erscheint aber leider nicht.

Also exe ich mein Bier und mach mich auf den Heimweg. Und als ich aus dem "Dschungel" heraus trete...

...heller Tag! Was zur Hölle?!?

Dschungelmorgen. Gegen sechs Uhr. Zeit total vergessen.

Nach Hause gehen! Jetzt!!

Als ich knapp eine Stunde später im aufgeheizten Schlafzimmer im Bett liege und die Decke am Körper klebt, flüstert mir Brian Molko "Without you I'm nothing" ins Ohr und ich nicke so allmählich weg...

Ab heut sind erträgliche Temperaturen angesagt und ich freue mich!

Und zum ersten Schnee mach ich ein Fass auf!!

Samstag, 27. Juli 2013

Der große Knall

Freundin M. und ich sitzen, da dieser Text in der Vergangenheit spielt, angepasst in "Übergangsjacke" und Kapuze verpackt an einer Straßenkreuzung in der Schanze und beobachten das Treiben um uns herum. Es ist laut, chaotisch, ein wildes Durcheinander, die Gruppen der Feiernden laufen aus allen möglichen Richtungen ins Blickfeld und wieder hinaus und spiegeln sich in den Wasserpfützen, die der letzte Regen hinterlassen hat.

Wir trinken Astra und hätten lieber gern Glühwein.

Eine typische Hamburger Juni-Nacht bei windigen 13 Grad, man wünscht sich eine dickere Jacke oder zumindest einen Schal. Das ist dann also der Sommer 2013. Na denn...(inzwischen wissen wir es besser. Und motzen schon wieder. Zumindest ich. Sehr. Bitte weg mit der elenden Hitze! Und zwar schnell! Ich freu mich auf den ersten Schnee...)

"Darf ich einmal knallen?" fragt Freundin M. unvermittelt und ich habe keine Ahnung, was sie von mir will. "Na, knallen!!" antwortet sie auf Nachfrage nachdrücklich und der ausgestreckte Zeigefinger deutet auf meine Jackentasche.

Sie schaut dabei gefährlich abenteuerlustig. In etwa den gleichen Blick setzt sie auf, wenn sie auf Parties statt einem Biermischgetränk einen Kurzen trinkt oder ein Mal im Jahr bei rot über eine Ampel geht.

Ach verdammt. Stunden vorher hatte ich in der S-Bahn in meiner Jackentasche ein paar sehr gemeine Silvester-Böller entdeckt, die mir Freund L. beim zurückliegenden Berlin-Besuch mit einem Zwinkern zugesteckt hatte, "Mach ma orndlich Krawall da uff deim Dorf!" hatte er dazu gesagt.

Die Dinger hatte ich komplett vergessen und mich dementsprechend zuerst gewundert, dann gefreut, als ich sie fand. Und dann hatte ich sie M. grinsend unter die Nase gehalten und erzählt, wie ich an die Schätzchen gelangt war, dabei hatte ich leider vergessen, daß M. auf das laute Geböllere an Silvester sehr steht, was ich bei einer Frau doch eher ungewöhnlich finde.

Und jetzt ist sie angefixt. Jetzt muss es laut werden! Und da wird notfalls solange gequengelt und eine Schnute gezogen, bis ich nachgebe. Freundin M. kann das, das hat sie perfektioniert. Und mich kriegt man so leider.

Eigentlich wollte ich die Dinger, vor denen ich wirklich Respekt habe, einfach bis zum kommenden Jahreswechsel aufbewahren und dann zum Feuerzeug greifen, aber...

Freundin M. ist begeistert und mustert den maximal fünf Zentimeter langen Knallkörper interessiert von allen Seiten. Über die pinke Außenhülle freut sie sich besonders.

"Und der ist also laut?" - "Der ist nicht laut, der ist RICHTIG laut!" - "Ist der legal?" - "Den hat L. aus Polen geholt...also vermutlich eher nicht." Ich winke ab, sie strahlt. Und nestelt ein Feuerzeug aus der Umhängetasche.

"Tu mir den Gefallen, schmeiß das Ding erst, wenn keine Leute in der Nähe sind! Bitte! Und auf offenes Gelände! Bloß nicht in die Bushaltestelle, sonst brauchen wir nämlich eine neue!"

Sie nickt, wartet den passenden Moment ab, schaut dabei hochkonzentriert und dann fliegt das Ding.

Fliegt.

Die Zündschnur sprüht Funken.

Die Sekunden werden ewig lang...

Der Böller landet auf Asphalt. Mitten auf der Kreuzung. Und rollt.

Und rollt.

Er hätte schon längst hochgehen müssen, Freundin M. schiebt verstimmt die Unterlippe vor.

Der Böller rollt unter einen am Straßenrand geparkten SUV. Ich ahne Schlimmes...

"Komm, lass uns gehen" sagt M., die Enttäuschung ist ihr anzusehen, "der ist nass geworden, der geht nicht mehr..."

Sekundenbruchteile später zerreißt ein ohrenbetäubender Knall nach einem grünen Lichtblitz die Nacht, die Alarmanlage des SUV heult los, meterweit entfernte Fußgänger springen erschrocken aus dem Stand drei Meter hoch und in Deckung und denken, den Gesichtern nach zu urteilen, zuerst an eine Bombe.

Freundin M. steht der Mund offen und mit so großen Augen hab ich sie auch noch nie gesehen.

"Ja, ich hab dir doch gesagt: Freie Fläche!!", ich muss zugeben, ich hab das so nicht kommen sehen. Wer kann erstens erahnen, daß das Mistding per Gefälle genau unter die Nobelkarosse rollt und woher soll ich zweitens wissen, das Freundin M. so weit werfen kann?? Normalerweise wirft sie einen Erdnussflip auf drei Meter Entfernung akkurat mindestens einen Meter neben das angepeilte Ziel...und jetzt murmelt ihre Fliegerbombe da zielgenau unter die aufgemotzte Karre. Ernsthaft, wie wahrscheinlich ist das?

M. ist immer noch in Schockstarre, als der erste Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene ankommt. Die Beamten stürmen aus dem Wagen, vermuten wahrscheinlich ein Attentat, aus einer nahegelegenen Bar ist der Besitzer des SUV aufgetaucht und nach mehrmaliger Umrundung seines Wagens gibt er den Polizisten Handzeichen, die ich als "Nichts kaputt, alles gut!" deute. Innerlich atme ich tief durch.

"Du, M.? Ich glaub, wir sollten jetzt gehen!" - "Ich glaub das auch..." Ihre Stimme zittert.

"Das war jetzt irgendwie doof, oder?" fragt sie auf dem Heimweg. "Hätte besser laufen können" antworte ich, "aber ist ja nix passiert! Und ich müsst ja schon gut lachen, wenn die Morgenpost das morgen wieder irgendwelchen randalierenden Linken in die Schuhe schieben will. Und dabei warst das bloß du!"

Freundin M. nickt gedankenverloren.

"Das war echt ganz schön laut!" murmelt sie vor sich hin, um dann abrupt stehen zu bleiben. "Hier ist kein Mensch und auch keine teuren Autos. Darf ich nochmal??"

Den Rest des Heimweges ertrage ich Quengeln, Schmollen und vorgeschobene Unterlippen. An M.'s Heimathaltestelle werde ich mit einem tieftraurigen Blick bedacht, bevor sie aussteigt. Aber das ist nur Masche, das kenn ich seit über zehn Jahren, das wirkt nicht zwei Mal in einer Nacht.

Ich habe den Waggon nun für mich, setze die Kopfhörer auf und das Handy shufflet zu "Eminem - Drop the bomb on 'em".

Zufall? Ganz bestimmt.

Freitag, 19. Juli 2013

Einhundert!

Heute mal kurz:

Hätte mir Mitte Juli letzten Jahres jemand erzählt, ich hätte Mitte Juli diesen Jahres 100 Einträge auf meinem eigenen Blog gepostet, ich hätte laut gelacht und demjenigen den Vogel gezeigt.

Eigener Blog, klar! Das ist so wahrscheinlich, wie als wenn mein Team kommende Saison Meister wird.

Sprich: Ausgeschlossen.

Mein Team ist natürlich nicht Meister geworden, aber dies hier ist Blogpost Nummer 100.

Und ich freu mich!

Es macht mir Spaß, dann und wann mal aus meinem Viertel zu berichten oder über das, was mir grad im Kopf herumschwirrt und ich freue mich auf weitere 100 (und mehr) Momente, in denen ich mir den Mist oder Unsinn von der Seele schreiben kann, und zwar in der Art, daß es auch noch anderen Spaß macht!

Vielen Dank für euer Interesse an meinem Ding, das ich hier veranstalte!

Vielen Dank für die zahlreichen Kommentare!

Vielen Dank Kumpel M., du hast mir solange in den Arsch getreten, bis ich mich tatsächlich mit dem Blog-Gedanken angefreundet habe. (Btw, wie geht's deiner Mutti?)

Post Nummer 100, ich freu mich!

Auf geht's zu den nächsten (paar)hundert!

Mittwoch, 17. Juli 2013

Die Irren sind los!/Barmbek love

Es muss am Klima liegen.

Oder an der Planetenkonstellation, der Mond steht grad günstig zum Jupiter und somit der Aszendent Barmbek-Nord gut zum Aszendenten "Deppen, wohin man schaut" oder was weiß ich...

...gestern Abend standen offensichtlich die Planeten günstig für alle Irren meines Viertels.

Komplett Bekloppte von Barmbek-Nord: Vereinigt euch!

Gut, das taten sie zum Glück nicht, aber die Einzelauftritte hatten was.

Eine Komödie in drei Akten. Tragödie? Tragikomödie? Horrorstreifen?

Part 1 - The original gangsta:

Den "original gangsta" treffe ich alle zwei Wochen mal, er dürfte Mitte/Ende zwanzig sein, ist maximal 1,65 groß, trägt immer einen schwarzen Kapu mit in rosa glitzernder Rückenaufschrift, die da eben besagt: "Original gangsta". Dazu trägt er eine weite Hose mit "G-STAR"-Aufschrift auf dem Heck, die er aber im "Arsch-frisst-Hose"-Style so dermaßen hochgezogen trägt, das mir beim bloßen Anblick die Familienplanung schmerzt.

Ich treffe ihn am Dienstag Abend an der Pfandabgabe des Penny-Marktes, er ist auf 180 und versucht zum wiederholten Male, eine aus schwerem Grünglas bestehende Prosecco-Flasche der Wiederverwertung zuzuführen.

Was natürlich nicht klappt.

Seit Minuten stopft er die voluminöse Flasche zurück in die Eingabe-Öffnung, eine Sekunde später wird sie wieder ausgespuckt. Und der Kurze wird allmählich sauer, er brüllt den Automaten an, zusammenhauen würd er ihn und "ficken", denn der Pfandautomat sei eine "Nutte".

Ich kann den Lachkrampf kaum unterdrücken, die Dame vor mir hat allerdings genug gehört, drückt mir ihr Leergut in die Arme.

"Ich muss hier weg, sonst verpass ich dem gleich eine!" sagt sie und geht. Ich hätt das gern gesehen...

Derweil hat der "Gangsta" sich so hochgeschaukelt, daß er dem Pfandautomaten kurzentschlossen einen Kopfstoß versetzt. Ich traue meinen Augen nicht.

Piiieeep, plopp, da ist die Prosecco-Buddel wieder, den Automat hat der Angriff kalt gelassen.

Der "original gangsta" wird derweil mit blutender Wunde an der Stirn vom doppelt so großen Securitymenschen aus dem Laden "begleitet". Er flucht und strampelt wie Rumpelstilzchen, ob er sich selbst zerreißt? Das kann ich durch die beklebten Außenfenster der Filiale leider nicht beobachten.

Ich gebe entspannt meine Pfandflaschen ab, zahle Toast, Schinken und TK-Lasagne an der Kasse und verlasse den Laden.

Ich laufe zur Bushaltestelle Hellbrookstraße, ich habe keine Lust auf das Gewimmel am Barmbeker Bahnhof.

Part 2: Der Stormtrooper und Chewbacca:

Ich laufe also die nichtmal 300 Meter die Fuhle entlang, nach ein paar Sekunden höre ich schon lautes Hupen und Gejohle.

Quasi in Schrittgeschwindigkeit nähert sich aus meinem Rücken ein aufgemotzter Ford Scorpio, hellblau, aus dem Fahrerfenster hängt bis zum Nabel ein Stormtrooper und aus dem Beifahrerfenster Chewbacca (oder ein Ewok, der sich lang nicht rasiert hat).

Ich bin kein Star Wars-Fan, ich hab maximal die Hälfte der Filme gesehen, aber einen Stormtrooper und Chewbacca (oder nen Ewok) erkenn ich grad noch so.

Chewbacca (bzw der Ewok) bewirft aus dem Beifahrerfenster hängend Passanten zielgenau mit Bonschern, Kölner Fastelovend im Juli auf der Fuhle, ich muss SEHR grinsen - und sammle mir auch ein paar "Kamelle" auf.

Frage mich nur, wie der Trooper die Karre eigentlich steuert? Mittels Willenskraft? Oder hat der zwei Meter lange Beine?

Musikalisch untermalt wird das ganze übrigens durch laute deutsche Country-Musik. Was ist das, "Truckstop"?

Die Typen sind auf jeden Fall amtlich bekloppt und haben so gut wie jedem, den ich sah, ein Grinsen oder Lachen ins Gesicht "genötigt". War interessant, die immer angespannten Schlipsträger, die auf den Gehwegplätzen des "Café Saigon" zu Abend essen, mal herzhaft lachen zu sehen. Und zusammen zu lachen, Anzugträger und ich. Ganz ungezwungen.

Chewbacca und dem Trooper sei Dank.

Das Hupen und Johlen ist noch nicht verhallt, aber ich habe meine Haltestelle erreicht. Ich muss zwar nur eine einzige Station weiter wieder raus, da der Bus aber in zwei Minuten kommen soll (der Fahrplan ist ja bei meinen beiden Linien mehr Vorschlag als ernst zu nehmen) und da ich eh Zeit habe...

Part 3: Wer ist Patrick?!?

...da ich ja eh Zeit habe, warte ich auf den Bus und bevor ich mich entschieden habe, welche Band mich nun bitte beschallen soll, lenkt mich "Patriiick?" ab.

Ich sehe über meine Schulter. Eine Frau, optisch Mitte 40, verwahrlost, auf eine Krücke gestützt. Sie steht vor einem hipsterigen Mittzwanziger.

"Patriiiiiick?"

Er winkt ab und hipstert zur anderen Seite der Haltestelle, da richtet er dann den Undercut und bindet den Nike Air-Schnürsenkel neu.

Unsere Blicke treffen sich sekundenlang und wir können uns nicht entscheiden, ob wir uns gegenseitig abschätzig angrinsen oder viel eher zunickend Glück wünschen sollen, er ist der Bekloppten schon entkommen, ich dagegen...

...nicht und er wünscht Glück. Und als er sich abwendet, grinst er sich eins. Damnit!!

"Patriiiiiick?

Ignorieren. Bekloppte immer ignorieren.

"PATRIIIIIIIICK???"

Ig...no....riiiieee...ren! Die geht weg. Von allein. Bestimmt!

"PAAAAAAATRIIIIIIIICK!?!?!?"

Mein Ohr dröhnt. Ignoranz war nicht der richtige Weg.

"ICH BIN NICHT PATRICK!!"

Ich erwarte Gegenwehr. Stattdessen schauen mich weit aufgerissene Augen an. "Wer ist denn dann Patrick? Das tut mir jetzt leid!"

Ich gehe zum Ausstieg, aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie sich vor einer sitzenden Blonden, die ängstlich schaut, aufbaut. Ich nehme an, die Hübsche ist auch nicht Patrick.

An der nächsten Haltestelle verlasse ich den Bus. Eine Station, egal, dank der frischen Luft krieg ich den Kopf wieder frei.

Zehn Minuten später. Zuhause.

Auf dem Ring 2 reißt einer seine Rennmaschine auf 150 hoch. Es röhrt fast ohrenbetäubend. Der Nachbar von unten hat seinen obligatorischen nächtlichen Hustenanfall, nach dem man den Wecker stellen kann. Der erste Flieger gen Fuhlsbüttel durchschneidet die stille Morgenluft, ich schaue ihm hinterher. Bald geht die Sonne auf.

Ich mag das. Ich liebe dieses Viertel.

Donnerstag, 11. Juli 2013

Was nervt.

Es gibt Dinge, die nerven.

Parkplatzsuche mit Freundin F. zum Beispiel, die ihr Auto nicht in für Lastwagen gemachten Parklücken unterbringen kann, sie braucht eine Freifläche von der Größe der halben Binnenalster, um ihr Klein-KFZ unbeschadet irgendwo einzuparken, sowas ist in HH schwer zu finden, sie vertraut aber jedes Mal wieder darauf und ich ertrage es stoisch vom Beifahrersitz aus, denn ich habe gelernt, das Hereinreden sie das Fahrzeug nur noch konfuser herumsteuern lässt und das Gefahrenpotential, das eh schon nicht niedrig ist, nur noch erhöht.

Also bin ich still.

Manche Dinge nerven sogar sehr.

Wespen, die sich seit Jahren in den warmen Monaten durchs gekippte Fenster immer wieder in mein Schlafzimmer verirren - natürlich immer dann, wenn ich grad gemütlich liege - und die dann laut summen und, dämlich wie sie sind, immer wieder voll gegen die Fensterscheibe fliegen, weil sie selbst nach der fünfundzwanzigsten Kollision mit eben jener nicht checken, daß das nicht der Weg nach draußen ist.

"Summ summ summ...PONG...Pause, Wespe sitzt verdattert und mit Brummschädel auf der Fensterbank...summ summ summ...PONG...Pause..." Und so weiter. Sie geben nicht auf! Wespen sind vermutlich das dümmste Viehzeug, das ich kenne.

Irgendwann stehe fluchend auf, fange das dämliche Mistvieh mit einem Becher ein und entlasse es in die Freiheit, brülle unflätige Schimpfworte hinterher und lege mich wieder hin. Kaum liege ich entspannt und bequem, so summt und pongt es wieder. Wespen sind alle dumm. Bald wird es bei RTL2 eine Daily Soap über sie geben.

Oder die Leistung meiner Herzensmannschaft in der letzten Saison. Mein Gott, wie das nervt! Aber ich mag nicht drüber reden. Oder schreiben.

Manche Dinge nerven mich so richtig derbe, daß ich sie gerne abschaffen möchte.

Zum Beispiel die BILD-Zeitung mit ihren reißerischen und (zumindest in der online-Version) oft grammatikalisch grauenhaften Artikeln, die ich zur Belustigung lese, - oder besser: zur Belustigung lesen wollte - eine dumme Angewohnheit, die ich mir abgewöhnen sollte.

Denn das klappt fast nie, das mit der Belustigung, da ich mich zumeist über oben genanntes oder andere Dinge wie Worttrennungen per sinnlosem Bindestrich (Binde-Strich), blutrünstige reißerische Wortkombinationen ("Killer-...", "Blut-..." und "Hammer-..." sind immer gern genommen, auch in Kombination und letzteres gern im Sportsegment...Sport-Segment) so aufrege, daß der eh schon auf ein Minimum begrenzte Informationsanteil, den diese schlimme Parodie einer Tageszeitung vermittelt, vollkommen ins Leere läuft.

So speichere ich beispielsweise nie das Alter von Mandy/Jacky/Eileen aus Luckenwalde/Erfurt/Bottrop, die ihren Opa/ihre Oma/die Schwiegereltern überraschen will, indem sie auf Seite eins der tragischerweise populärsten Tageszeitung der Nation obenrum blank zieht und sich so zur Wichsvorlage für Bauarbeiter quer durch die Republik macht.

Mama ist stolz.

Bestimmt.

Und Opa oder Schwiegerpapa freuen sich sicher auch. Irgendwann. Allein unter der Dusche.

Und was am allerALLERschlimmsten nervt:

Ohrwürmer!

Und ich hab seit einigen Tagen einen. Gruseligster Art! Schlimm, ganz schlimm! Er geht nicht weg, ich schlafe damit ein, wache damit auf, selbst, wenn ich andere, GUTE, laute Musik höre, dudelt "Daft Punks" "Get lucky" im Hintergrund herum.

Nicht anhören, bitte keinen Selbstversuch, man wird es nicht mehr los! Selbst dann nicht, wenn man mit dem Kopf auf den Schreibtisch haut. Das tut nur weh. Untermalt von "Daft Punk".

Wegsaufen geht auch nicht, hab ich am Wochenende probiert. Null Erfolg.

Ich denke, ich gebe auf. Warte, bis ich alt und grau und senil werde. Und "Daft Punk" vergesse.

Bis dahin gilt:

"I'm up all night to get lucky!"

Mittwoch, 10. Juli 2013

Warum Schneewittchen eine Angel trägt.

Ich gehöre einer Randgruppe an.

Der Randgruppe derer, die weder tätowiert noch gepierct sind.

Ich merk es immer wieder, ohne Körperschmuck, sei das nun der Ring im Nasenflügel, durch die Unterlippe, die Brustwarze oder noch weiter südlich, seien es flesh tunnel oder ear plugs in den Ohrläppchen oder sei es Tinte unter der Haut, egal in welcher Form, Arschgeweih, Oberarm-Tribal, chinesische Schriftzeichen, die "Glück" oder "Kraft" bedeuten sollen und in Wahrheit vermutlich für "Dosensuppe" stehen...Sterne, Anker (besonders hier in Hamburg sehr angesagt), die obligatorische Knastträne, Bilder von Haustieren, Verwandten, Verwandten mit Haustieren und so weiter und so fort, es gibt nichts, was es nicht gibt und irgendwer findet sich immer, der es sich irgendwo auf den Körper hacken lässt.

Jetzt nicht falsch verstehen, ich mag sowohl Tattoos als auch Piercings sehr gern, zumindest größtenteils, es gibt nur wenige Dinge, die gar nicht gehen. Und das ist dann auch nur mein persönlicher Geschmack, andere Menschen sehen das anders und lassen sich mit Vergnügen Ringe durch Augenbraue oder Eichel ballern.

Find ich gut, wenn sie das tun, weil es ihnen gefällt. Ihr Körper, ihre Entscheidung, jeder wie er mag.

Heißt ja nicht, dass ich das dann auch Abfeiern muss. Ich muss das nicht mehr haben.

Früher, so mit 19/20 war ich auch richtig scharf auf Piercings, snake bites sollten es sein, also links und rechts jeweils ein Stecker oder Ring durch die Unterlippe. Da war ich richtig hinter her, mal scheiterte es am Kontostand, mal am Veto der Lebensabschnittsgefährtin und ein Mal konnte ich den Termin nicht wahrnehmen, weil ich mit Grippe das Bett hütete.

Es hat nicht sollen sein. Find ich inzwischen echt gut.

Bei Tätowierungen sieht es anders aus. Da ist seit ewigen Jahren was geplant und das wird früher oder später umgesetzt.

Denn obwohl es einen riesengroßen Haufen von Tattoos gibt, die mir nicht gefallen, so gibt es doch auch eine ganze Menge, die ich ob der dahinter steckenden Geschichte klasse finde.

Eine Freundin hat sich vor drei Jahren auf die Innenseite ihres Oberarms in knallbunten Farben Schneewittchen inken lassen. Und Schneewittchen trägt in einer Hand eine Angel und in der anderen einen Schraubenschlüssel.

What??

Völlig bescheuert fand ich das, dann hat sie mir erzählt, dass ihr verstorbener Opa sie "Schneewittchen" nannte, sie ständig mit zum Angeln nahm und sie für's Schrauben an Autos begeisterte. Dieses völlig abstrakte Tattoo hatte einen bewegenden Hintergrund und war quasi ein Denkmal.

Jemand, der mir seit Jahren sehr nahe steht, hat einen Engelsflügel großflächig auf der linken Rückenhälfte. Vom Schulterblatt bis fast runter zur Hüfte. Auf Nachfrage, warum es nur einer sei, wurde mir von einem belauschten über zwanzig Jahre zurückliegenden Gespräch ihrer Eltern erzählt, in dem es darum ging, dass die Tochter laut Mutter doch ein Engel sei, der Vater erwiderte wohl lachend: "Naja, zumindest ein halber!"

Ein halber Engel hat folgerichtig auch nur einen Flügel. Verdammt logischer Gedankengang.

Ich liebe solche Hintergrundgeschichten!

Auf dem Konzert meiner liebsten Band im Juni in Berlin sah ich ein maximal 25-jähriges Mädchen, optisch eher eine Mauerblume, Typ Sekretärin auf Auslauf. Die komplette Innenseite ihres linken Arms war bunt, man sah eine Straße komplett mit Mittelstreifen und Grünzeug an den Seiten. In der Ellenbogengegend fuhr ein bös dreinblickendes Auto, auf der Oberarm-Straße lagen überfahrene Strichmännchen in angedeuteten Blutlachen mit x-Augen, auf der Unterarm-Straße flüchteten derweil andere Strichmännchen vor der heranrollenden Gefahr.

Ernsthaft, das Ding war grandios gestochen - aber wie bekloppt muss man sein, um überhaupt auf so eine Idee zu kommen?!? Großartig!!

Tags drauf saßen Kumpel M. und ich auf der Feté de la musique im Gras und bleiche Streichholzbeine in knielangen braunen Cordhosen "tanzten" an uns vorbei, sie gehörten zu einem ebenso bleichen Typen, der nicht nur durch einen zottigen rotbraunen Schnauzer, sondern auch durch die Tattoos auf seinen blassen Schienbeinen punkten konnte. Rechts ein dickes schwarzes plus-Zeichen, links ein dickes schwarzes minus-Zeichen.

Für sowas will ich Hintergrundinformationen!

Warum lässt sich ein Mädel Anfang zwanzig ein amokfahrendes Auto auf kompletter Armlänge stechen? Warum trägt ein Hipster-Nerd +/-auf den Schienbeinen? Und warum grade da, es muss doch so beschissen weh tun, wenn man dort tätowiert wird, so direkt auf den Knochen??

Die sind doch alle wahnsinnig...

Aber: Jeder wie er mag.

Sollnse doch alle.

Ich trau mich bald auch.

Irgendwann.

In den nächsten Jahren...

Montag, 8. Juli 2013

Die "Burschenschaft Germania": Nazis in Winterhude

"Herr Fährlich, sie müssen sich jetzt wirklich von hier entfernen!"

"Ihnen ist schon klar, daß sie eine Gruppe verwirrter neureicher Jugendlicher schützen, die zu einem gewissen Prozentteil rechtsradikale Gedanken verfolgt und die mit bekannten Mitgliedern der NPD Kontakte unterhalten, eventuell sind einige der kackbraunen Idioten sogar grad da drin!?!" frage ich den Cop, der in Ganzkörperrüstung Robocop-gleich vor mir steht und heftig nach frischer Luft hechelt, denn es ist heiß in der albernen Kampfmontur.

"Ich weiß nur, ich will dich hier nicht haben. Also geh oder ich sorg dafür!"

Er duzt mich.

Und deutet auf sein Pfefferspray.

Ich hab tausend Argumente, die diese Diskussion sinnvoll weiterführen könnten, sogar in die richtigen Bahnen leiten könnten vielleicht, das will er aber nicht hören.

Er hat nur ein Argument.

Tränengas.

Totschlagargument. Geh auf deinen eigenen Beinen oder du wirst rausgetragen, deine Wahl.

Krass.

Gezi Park lässt grûßen.

Hier mitten im gutbürgerlichen Winterhude an der Sierichstraße.

Ich entferne mich ein paar Meter, Robocop wendet sich anderen "Störenden" zu, älteren Damen und Herren, ein jüngeres Mädel fasst er rüde am Arm und zerrt sie weg.

Von oben schauen die Mitglieder der Burschenschaft in ihren niedlichen uniformierten Outfits auf das Geschehen hinab, einer deutet kurz den Hitlergruß an, wird aber von einem höhergestellten Arschloch neben ihm zurück gehalten, es wird auf ihn eingeredet, er verschwindet gramgebückt im Haus. Die nächsten paar Wochen wird er wohl einstecken müssen. Die "arme" Drecksau...

Die Mitglieder der Burschenschaft "Germania" stehen weiterhin oben auf ihrem Balkon in ihren Uniformen, die farblich nicht zu den zumeist in feistem schweinchenrosa gehaltenen Gesichtern passen wollen, sie gaffen herab, man sieht eine gewisse Unsicherheit in den Blicken.

Burschenschaft "Germania". Sagt das nicht überhaupt schon alles?

Nach eigener Definition steht dort oben auf dem Balkon die etwas dicklich geratene Gruppe der " Führungskräfte der Zukunft".

Im Ernst! Die machen da keine Witze! Die sehen sich als Elite an! Der Stadt? Des Landes? Man weiß es nicht...aber eine selbsternannte "Elite", bestehend aus Söhnen reicher Eltern in Kombination mit Berechnenden aus der NPD und ähnlichem Gesocks...eine verdammt beschissene Mischung! Das muss im Keim erstickt werden oder darf besser gar nicht erst aufkommen!

Ein paar hundert haben deswegen am Samstag vorm Burschenschaftshaus und in der Nähe demonstriert, friedlich. Wenn die Nazibrut sich zeigte, wurde gepfiffen, gebuht und Plakate wurden geschwenkt. Mein Favorit:

"Noch so jung und schon so scheiße!"

Eskaliert ist da niemand.

Das ist gut.

Schlecht ist, das der Idiotenverein weiterhin existiert, weiterhin seine Bleibe in der Sierichstraße hat und weitere Aktionen gegen den dreckigen "Burschenschaft Germania"-Haufen vermutlich auch keinen Erfolg haben, rechtlich ist es ihnen nicht verboten, sich zu treffen.

Was bleibt?

Gegen rechte Kacke einstehen ist Pflicht, egal, ob gegen die von nem Cop, vom fehlgeleiteten Nachbarn oder wie in diesem Fall von Söhnen von hochbezahlten Durchschnittsdeppen, die auf nem Balkon stehen und sich für was besseres halten.

Nazi-Dreck muss raus!

Die elende Burschenschaft in der Sierichstraße muß raus.

Generell muss der Gedanke aus den Köpfen raus!

Es wird endlich Zeit!

Freitag, 5. Juli 2013

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, in einer 1,7-Millionen-Stadt jemanden, der nichtmal in besagter Stadt lebt, zufällig zu treffen, den man unbedingt nicht treffen möchte? Prozentual sollte das doch im Prinzip ausgeschlossen sein...

Samstag Abend. Nichtsahnend nehme ich Freundin M.'s Anruf entgegen.

Ab da hatte ich dann den Salat.

Sie drängt hartnäckig darauf, ausgehen zu wollen, man selber hat das ja am Tag des unheiligen "Schlagermove" unbedingt vermeiden wollen, man plante einen Abend mit Chips vorm Fernseher.

Es war ein guter Plan.

Aber dann quengelte Freundin M. lautstark und leider kann sie das so gut, daß sie mir früher oder später ein ausreichend schlechtes Gewissen anquatscht, das mich doch dazu veranlasst, meine Wohnung zu verlassen.

Ihren Vorschlag, an der S Reeperbahn auszusteigen um beim "Schlagermove" "nur mal zu gucken", konnte ich zum Glück abschmettern, denn "nur mal gucken" endet IMMER fatal.

Sei das nun beim Shoppen mit Mutti ("Ich kauf das nicht, ich will nur mal gucken!"...das "Gucken" kostete dreistellig) oder mit Kumpel F. unterwegs beim Schanzenfest ("Eyh, da ist n Feuerspucker! Komm mit, ich will nur mal gucken!"...das "Gucken" wurde zu selbst probieren und dann zu einem Rettungswageneinsatz und einer extrem unentspannten Nacht im AK Altona.) oder aber in früheren Jahren mit "Don Thommes", "Immanuel Cunt" und dem "Loveboy" in aus dem Ruder laufenden Wochenendnächten rund um die Reeperbahn. ("Sonntag Morgen, 9.20 Uhr. Komm, rein in die Bar. Nur mal gucken!"...das "Gucken" endete meist mit Abschuß und das ist ja selten schön. 15 Uhr im hoffentlich eigenen Bett aufwachen und Montag Morgen zur Arbeit fühlen wie vom Bus überfahren. Dann abends mit den Jungs die Nacht rekapitulieren. Manchmal dann doch etwas peinlich.)

"Nur mal gucken" ist NIE gut! Fakt!

So verschlug es Freundin M. und mich in eine Bar in der Schanze im Dunstkreis der Roten Flora, eher nobel, eine Bar, in die ich von mir aus im Leben nicht gehen würde, wenn Freundin M. aber halt möchte: Na gut.

Etwas komisch gucken die Hemd-in-Jeans-Träger schon, als ich auf Tischsuche durch die Gänge streife...hängende Hose, Bandshirt, Kapuze, unrasiert, das ist hier trotz Schanzennähe nicht oft gesehen. Das ist eher ein Styler-Schuppen.

Ein freier Tisch ist bald gefunden, Getränke bestellt, ein Kristallweizen für mich, ein Cocktail mit ganz viel Fruchtzubehör für Freundin M.

Ich bemängele die fehlende Zitronenscheibe bei meinem Getränk, die wird fix nachgeliefert und danach bin ich sehr zufrieden mit der Gesamtsituation.

Und dann tritt das oben bereits angesprochene ein.

Ich höre ein Lachen.

Ein bekanntes.

Schaue herum, entdecke an einem Tisch einen blonden Pferdeschwanz, sehe eine Umhängetasche mit einem markanten Aufnäher...

...FUCK!!

Während ich das denke, dreht meine Ex sich warum auch immer um, schaut mich sekundenlang an, erkennt mich, springt von ihrem Stuhl und eilt in meine Richtung.

Freundin M. freut sich. "Guck mal, ich glaub, die kennt dich!" sagt sie. Und fügt Sekunden später "Wart mal, ist das nicht deine Ex, die dir mal auf meiner Geburtagsfeier auf die Hose gekotzt hat?" hinzu.

"Naaaaaaa?" sagt langgezogen die Ex, das hat sie damals vor Jahren zu Beziehungszeiten schon getan und da ging es mir auch schon tödlich auf die Nerven.

Ich nicke nur.

"Ich hab nicht erwartet, dich HIER zu treffen!" sagt sie.

Das hab ich auch nicht gedacht.

Und was aus ihr geworden ist. Au Mann!

Früher haben wir in abgefuckten Läden bei unbekannten Bands in vorderster Front getanzt, haben gefeiert, bis nichts mehr ging, haben auch mal Arm in Arm stundenlang in der U-Bahn gepennt, wir haben graue Wände zusammen bunt gemacht, haben langweilige Parties im Alleingang gerockt und Dächer erobert, um bei Sonnenauf-oder-untergang zusammen zu sein und an solchen Orten haben wir unsere Initialen mit Edding oder Dose an die Wand gehauen. Es waren verdammt gute Zeiten.

Aber die sind lange vorbei.

Vor mir steht ein blondes Püppchen im rosa Shirt und die skinny Jeans enden in Stiefeln.

Ist das ihr Ernst?

Und sie quasselt mich voll. Mit Sinnlosigkeiten. Sie zerstört das Bild, das ich in der Erinnerung gespeichert hatte.

Gut so!

Freundin M. hat sich entfernt, "Ihr beiden habt doch bestimmt einiges zu bereden!"

Unterdessen tut die Ex alles, um Thema zu bleiben. Rollt alte Geschichten der zweideutigen Art auf. "Damals, dies das, weißt du noch...". Ich weiß noch. Aber bleibe tapfer.

Ich rufe Freundin M. zurück.

"Lass uns gehen, bitte. Ich bin hier fertig."

Freundin M. grinst die Ex demonstrativ an und wirft sich mir an den Hals, die Ex äugt fassungslos hinter uns her.

Dann wird sie von einem Anzugträger, der mich mit einem Tötungsblick bedenkt, aufgesammelt. "Ist alles ok Schatz" fragt er und küsst sie auf die Wange.

"Nein!" antwortet sie, er schaut irritiert und ich muss grinsen. Nehme Freundin M. an die Hand, nur kurz, bis wir außer Sichtweite sind, und verlasse die Bar.

"Die hasst mich jetzt!" sagt Freundin M., ich kann das nur bestätigen. "Aber damals, als die dich vollgekotzt hat auf meiner Feier, da war die noch keine Tusse, oder?" fragt sie, ich bestätige auch das. M. nickt erleichtert.

Hält inne.

"Ich hab dich also so'n bisschen vor ihr gerettet?"

"So'n bisschen, ja."

"Dann geht das nächste Getränk aber so'n bisschen auf dich!" grinst sie und boxt mich in die Seite.

Ach verdammt, da hat sie mal wieder gewonnen.

Donnerstag, 4. Juli 2013

Mein Hausmeister - das schwer arbeitende Wesen.

"Tür Schloß kaputt! Stein liegen lassen! Hausmeister!"

Das steht in krakeliger Handschrift auf einem Zettel, der laminiert seit Samstag auf der Schwelle der Haustür meines Wohnhauses liegt.

Und zwar beschwert von einem handelsüblichen Pflasterstein von der Sorte, die man sonst auf Demos fliegend antrifft. Gleichermaßen dient der Pflasterstein in diesem Moment als Türstopper, denn sollte die Tür ins Schloß fallen, dann kommt keiner mehr von draußen rein.

Denn "Tür Schloß kaputt!"

Und es steht da ja auch in ausdrücklicher Form handschriftlich auf dem DinA4-Zettel.

"Stein BITTE liegen lassen, danke! Der Hausmeister" wäre auch zuviel verlangt, Höflichkeit, was soll das denn, ist ja keine verkackte wild durcheinander vögelnde Hippie-Kommune hier, ist n Klinkerbau in nem ehemaligen Arbeiterviertel Hamburgs und da ist der Hausmeister der, der das Sagen hat!

Ich würd solche Frechheit ja fast akzeptieren oder zumindest darüber hinweg sehen, wenn der kleine dickliche Mann, der meiner Begleitung bei der Schlüsselübergabe damals so dermaßen offensichtlich auf den Po starrte und es grad eben noch schaffte, ein Sabbern zu unterdrücken, daß selbst die Maklerin peinlich berührt errötete und meine Begleitung in ein anderes Zimmer bat ("Die Männer kriegen das allein hin!" plus verlegenes Kichern)...ja, ich könnt das ignorieren und zwar, wenn der Mann zumindest in Notfällen seinem Job nachgehen würde.

Aber das tut er nicht.

Ich hab ihn erst zwei Mal kontaktiert seit meinem Einzug in dieses Irrenhaus.

Einmal ging es an einem Sonntag Nachmittag um eine zu erneuernde Sicherung (noch die alten aus Porzellan, keine Umlegschalter, ist n altes Haus), eine war nämlich durchgebrannt und legte nun die komplette Küche lahm, meine TK-Truhe taute vor sich hin und bewässerte fröhlich den Raum und dem Kühlschrankinhalt konnte man beim Verderben zusehen. Nachbarn konnten nicht helfen, doof wie ich bin, hatte ich auch selbst keinen Ersatz parat, also rief ich den angeblichen Retter in der Not an.

Kommentar meines "Hausmeisters" am Telefon war: "In zwei Stunden ist die Formel 1 fertig, danach komm ich dann mal vorbei!"

Tat er nie. Rief auch nie zurück. Bei späterer Ansprache auf das Thema wusste er von nichts.

Auf der Suche nach einer passenden Sicherung bin ich in der Parallelstraße Stunden später fündig geworden.

Der zweite Notruf ging ums Schlaf-/Wohnzimmerfenster. Denn das fiel mir entgegen, als ich von "auf Kippe" zu "geschlossen" wechseln wollte. Nicht komplett, die untere Schraube hielt es noch und ich konnte es im Kipp-Modus wieder "befestigen", nur stand es unten rechts nach innen in den Raum ab, ein paar Zentimeter "nur", weit genug aber, um Kälte, Regen, Wind und Viehzeugs Einlass zu gewähren.

Ums kurz zu machen: Im Spätherbst, allerdings auch generell ein untragbarer Zustand. (Und wie sowas überhaupt passieren kann...das Argument "Ist n altes Haus" passt da nicht mehr. Fenster fällt einfach so aus dem Rahmen, wär's mir nicht fast auf den Schädel gefallen, würd ich das gar nicht glauben.)

Mein "Hausmeister" reagierte schwer bestürzt. Ob alles ok sei wollte er wissen. Und direkt am nächsten Morgen seien Handwerker da und brächten das in Ordnung.

Das hat er mir bei den folgenden Anrufen an den beiden Tagen darauf auch erzählt, ich habe das Fenster (ich hatte es inzwischen mit diversen Lagen Frischhaltefolie und Klebeband zumindest abgedichtet) dann zunächst auf eigene Rechnung reparieren lassen und die Rechnung dann an meinen Vermieter geschickt - der dann fragte, warum ich nicht den Hausmeister kontaktiert hätte... Ein Teufelskreis. Zumindest wurde gezahlt.

Und jetzt liegt also seit Samstag ein Ziegelstein als Türstopper in der Haustür, der Pseudo-Hausmeister war schon da, hat aber außer nem krakeligen handgeschriebenen Schildchen, das dazu auch im Imperativ und in schlimmer Grammatik verfasst ist, sonst nix geschafft. Mich wundert das nicht. Allein, das er die paar Worte geschrieben hat, es grenzt an ein Wunder.

Er hat was GETAN!! Mit seinen eigenen Händen, ich werd bekloppt!

Aber im Ernst, dafür zahl ich?

Die Haustür steht offen, letztes Mal, als das so war, wurden aus den Kellerräumen diverse Fahrräder und Zubehör gestohlen und ich hatte die Zeugen Jehovas und die GEZ vor der Tür stehen. Ich hab in meiner Freizeit echt Besseres zu tun!

Ein anderes Mal, als die Haustür offen stand, hat sich ein Obdachloser im Keller einquartiert. Und seine Geschäfte da verichtet. "Geschäfte"...

Die Säuberung der Keller-Räume wurde anteilsmäßig auf alle Bewohner umgelegt bei der nächsten Miete.

Ich habe also mehr Miete gezahlt, weil ein angeblicher Hausmeister, dessen Lohn ich per Miete ebenfalls mitfinanziere, seinen Job nicht macht. Und meine Nachbarn unten, die ein Kellerabteil haben, haben dazu noch den Verlust von Wertgegenständen zu beklagen. Zahlten also für Wiederbeschaffung NOCH mal drauf. Es ist purer Wahnsinn.

In meinem letzten Job war es so: Bau ein Mal Scheiße und du wirst abgemahnt. Bau zwei Mal Scheiße und du bist raus.

Mein Hausmeister-Plagiat umgeht das Problem elegant - er tut einfach gar nichts.

Und behält so seinen Job.

Wer nichts macht, kann nichts falsch machen.

Es ist manchmal so einfach!

(Da ich auf den Mist keinen Bock mehr habe, unternehm ich jetzt was dagegen. Werd die Nachbarn ansprechen. Antreiben. Aufhetzen! Riot riot upstart!!

(Agnostic Front http://m.youtube.com/watch?v=NwsB1VP6mVs )

Let's go!)