Samstag, 27. Juli 2013

Der große Knall

Freundin M. und ich sitzen, da dieser Text in der Vergangenheit spielt, angepasst in "Übergangsjacke" und Kapuze verpackt an einer Straßenkreuzung in der Schanze und beobachten das Treiben um uns herum. Es ist laut, chaotisch, ein wildes Durcheinander, die Gruppen der Feiernden laufen aus allen möglichen Richtungen ins Blickfeld und wieder hinaus und spiegeln sich in den Wasserpfützen, die der letzte Regen hinterlassen hat.

Wir trinken Astra und hätten lieber gern Glühwein.

Eine typische Hamburger Juni-Nacht bei windigen 13 Grad, man wünscht sich eine dickere Jacke oder zumindest einen Schal. Das ist dann also der Sommer 2013. Na denn...(inzwischen wissen wir es besser. Und motzen schon wieder. Zumindest ich. Sehr. Bitte weg mit der elenden Hitze! Und zwar schnell! Ich freu mich auf den ersten Schnee...)

"Darf ich einmal knallen?" fragt Freundin M. unvermittelt und ich habe keine Ahnung, was sie von mir will. "Na, knallen!!" antwortet sie auf Nachfrage nachdrücklich und der ausgestreckte Zeigefinger deutet auf meine Jackentasche.

Sie schaut dabei gefährlich abenteuerlustig. In etwa den gleichen Blick setzt sie auf, wenn sie auf Parties statt einem Biermischgetränk einen Kurzen trinkt oder ein Mal im Jahr bei rot über eine Ampel geht.

Ach verdammt. Stunden vorher hatte ich in der S-Bahn in meiner Jackentasche ein paar sehr gemeine Silvester-Böller entdeckt, die mir Freund L. beim zurückliegenden Berlin-Besuch mit einem Zwinkern zugesteckt hatte, "Mach ma orndlich Krawall da uff deim Dorf!" hatte er dazu gesagt.

Die Dinger hatte ich komplett vergessen und mich dementsprechend zuerst gewundert, dann gefreut, als ich sie fand. Und dann hatte ich sie M. grinsend unter die Nase gehalten und erzählt, wie ich an die Schätzchen gelangt war, dabei hatte ich leider vergessen, daß M. auf das laute Geböllere an Silvester sehr steht, was ich bei einer Frau doch eher ungewöhnlich finde.

Und jetzt ist sie angefixt. Jetzt muss es laut werden! Und da wird notfalls solange gequengelt und eine Schnute gezogen, bis ich nachgebe. Freundin M. kann das, das hat sie perfektioniert. Und mich kriegt man so leider.

Eigentlich wollte ich die Dinger, vor denen ich wirklich Respekt habe, einfach bis zum kommenden Jahreswechsel aufbewahren und dann zum Feuerzeug greifen, aber...

Freundin M. ist begeistert und mustert den maximal fünf Zentimeter langen Knallkörper interessiert von allen Seiten. Über die pinke Außenhülle freut sie sich besonders.

"Und der ist also laut?" - "Der ist nicht laut, der ist RICHTIG laut!" - "Ist der legal?" - "Den hat L. aus Polen geholt...also vermutlich eher nicht." Ich winke ab, sie strahlt. Und nestelt ein Feuerzeug aus der Umhängetasche.

"Tu mir den Gefallen, schmeiß das Ding erst, wenn keine Leute in der Nähe sind! Bitte! Und auf offenes Gelände! Bloß nicht in die Bushaltestelle, sonst brauchen wir nämlich eine neue!"

Sie nickt, wartet den passenden Moment ab, schaut dabei hochkonzentriert und dann fliegt das Ding.

Fliegt.

Die Zündschnur sprüht Funken.

Die Sekunden werden ewig lang...

Der Böller landet auf Asphalt. Mitten auf der Kreuzung. Und rollt.

Und rollt.

Er hätte schon längst hochgehen müssen, Freundin M. schiebt verstimmt die Unterlippe vor.

Der Böller rollt unter einen am Straßenrand geparkten SUV. Ich ahne Schlimmes...

"Komm, lass uns gehen" sagt M., die Enttäuschung ist ihr anzusehen, "der ist nass geworden, der geht nicht mehr..."

Sekundenbruchteile später zerreißt ein ohrenbetäubender Knall nach einem grünen Lichtblitz die Nacht, die Alarmanlage des SUV heult los, meterweit entfernte Fußgänger springen erschrocken aus dem Stand drei Meter hoch und in Deckung und denken, den Gesichtern nach zu urteilen, zuerst an eine Bombe.

Freundin M. steht der Mund offen und mit so großen Augen hab ich sie auch noch nie gesehen.

"Ja, ich hab dir doch gesagt: Freie Fläche!!", ich muss zugeben, ich hab das so nicht kommen sehen. Wer kann erstens erahnen, daß das Mistding per Gefälle genau unter die Nobelkarosse rollt und woher soll ich zweitens wissen, das Freundin M. so weit werfen kann?? Normalerweise wirft sie einen Erdnussflip auf drei Meter Entfernung akkurat mindestens einen Meter neben das angepeilte Ziel...und jetzt murmelt ihre Fliegerbombe da zielgenau unter die aufgemotzte Karre. Ernsthaft, wie wahrscheinlich ist das?

M. ist immer noch in Schockstarre, als der erste Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene ankommt. Die Beamten stürmen aus dem Wagen, vermuten wahrscheinlich ein Attentat, aus einer nahegelegenen Bar ist der Besitzer des SUV aufgetaucht und nach mehrmaliger Umrundung seines Wagens gibt er den Polizisten Handzeichen, die ich als "Nichts kaputt, alles gut!" deute. Innerlich atme ich tief durch.

"Du, M.? Ich glaub, wir sollten jetzt gehen!" - "Ich glaub das auch..." Ihre Stimme zittert.

"Das war jetzt irgendwie doof, oder?" fragt sie auf dem Heimweg. "Hätte besser laufen können" antworte ich, "aber ist ja nix passiert! Und ich müsst ja schon gut lachen, wenn die Morgenpost das morgen wieder irgendwelchen randalierenden Linken in die Schuhe schieben will. Und dabei warst das bloß du!"

Freundin M. nickt gedankenverloren.

"Das war echt ganz schön laut!" murmelt sie vor sich hin, um dann abrupt stehen zu bleiben. "Hier ist kein Mensch und auch keine teuren Autos. Darf ich nochmal??"

Den Rest des Heimweges ertrage ich Quengeln, Schmollen und vorgeschobene Unterlippen. An M.'s Heimathaltestelle werde ich mit einem tieftraurigen Blick bedacht, bevor sie aussteigt. Aber das ist nur Masche, das kenn ich seit über zehn Jahren, das wirkt nicht zwei Mal in einer Nacht.

Ich habe den Waggon nun für mich, setze die Kopfhörer auf und das Handy shufflet zu "Eminem - Drop the bomb on 'em".

Zufall? Ganz bestimmt.

4 Kommentare:

  1. Einen Erdnussflip zu werfen, ist ja auch viel schwieriger als einen Böller :-)

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    1. Da hast du allerdings auch wieder Recht!

      Erdnussflips werfe ich übrigens immer nur in die Luft, um sie dann mit dem Mund aufzufangen, mein Rekord liegt bei 29 nacheinander gefangenen :)

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  2. Haha, damit habt ihr den Wunsch von L. erfüllt. Er wär bestimmt stolz auf euch ;-)

    M.

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    1. Denke ich auch! :) Muss ihm die Story unbedingt erzählen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe! Oder du übernimmst den Part, wenn du ihm mal über den Weg läufst :)

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