Mittwoch, 10. Juli 2013

Warum Schneewittchen eine Angel trägt.

Ich gehöre einer Randgruppe an.

Der Randgruppe derer, die weder tätowiert noch gepierct sind.

Ich merk es immer wieder, ohne Körperschmuck, sei das nun der Ring im Nasenflügel, durch die Unterlippe, die Brustwarze oder noch weiter südlich, seien es flesh tunnel oder ear plugs in den Ohrläppchen oder sei es Tinte unter der Haut, egal in welcher Form, Arschgeweih, Oberarm-Tribal, chinesische Schriftzeichen, die "Glück" oder "Kraft" bedeuten sollen und in Wahrheit vermutlich für "Dosensuppe" stehen...Sterne, Anker (besonders hier in Hamburg sehr angesagt), die obligatorische Knastträne, Bilder von Haustieren, Verwandten, Verwandten mit Haustieren und so weiter und so fort, es gibt nichts, was es nicht gibt und irgendwer findet sich immer, der es sich irgendwo auf den Körper hacken lässt.

Jetzt nicht falsch verstehen, ich mag sowohl Tattoos als auch Piercings sehr gern, zumindest größtenteils, es gibt nur wenige Dinge, die gar nicht gehen. Und das ist dann auch nur mein persönlicher Geschmack, andere Menschen sehen das anders und lassen sich mit Vergnügen Ringe durch Augenbraue oder Eichel ballern.

Find ich gut, wenn sie das tun, weil es ihnen gefällt. Ihr Körper, ihre Entscheidung, jeder wie er mag.

Heißt ja nicht, dass ich das dann auch Abfeiern muss. Ich muss das nicht mehr haben.

Früher, so mit 19/20 war ich auch richtig scharf auf Piercings, snake bites sollten es sein, also links und rechts jeweils ein Stecker oder Ring durch die Unterlippe. Da war ich richtig hinter her, mal scheiterte es am Kontostand, mal am Veto der Lebensabschnittsgefährtin und ein Mal konnte ich den Termin nicht wahrnehmen, weil ich mit Grippe das Bett hütete.

Es hat nicht sollen sein. Find ich inzwischen echt gut.

Bei Tätowierungen sieht es anders aus. Da ist seit ewigen Jahren was geplant und das wird früher oder später umgesetzt.

Denn obwohl es einen riesengroßen Haufen von Tattoos gibt, die mir nicht gefallen, so gibt es doch auch eine ganze Menge, die ich ob der dahinter steckenden Geschichte klasse finde.

Eine Freundin hat sich vor drei Jahren auf die Innenseite ihres Oberarms in knallbunten Farben Schneewittchen inken lassen. Und Schneewittchen trägt in einer Hand eine Angel und in der anderen einen Schraubenschlüssel.

What??

Völlig bescheuert fand ich das, dann hat sie mir erzählt, dass ihr verstorbener Opa sie "Schneewittchen" nannte, sie ständig mit zum Angeln nahm und sie für's Schrauben an Autos begeisterte. Dieses völlig abstrakte Tattoo hatte einen bewegenden Hintergrund und war quasi ein Denkmal.

Jemand, der mir seit Jahren sehr nahe steht, hat einen Engelsflügel großflächig auf der linken Rückenhälfte. Vom Schulterblatt bis fast runter zur Hüfte. Auf Nachfrage, warum es nur einer sei, wurde mir von einem belauschten über zwanzig Jahre zurückliegenden Gespräch ihrer Eltern erzählt, in dem es darum ging, dass die Tochter laut Mutter doch ein Engel sei, der Vater erwiderte wohl lachend: "Naja, zumindest ein halber!"

Ein halber Engel hat folgerichtig auch nur einen Flügel. Verdammt logischer Gedankengang.

Ich liebe solche Hintergrundgeschichten!

Auf dem Konzert meiner liebsten Band im Juni in Berlin sah ich ein maximal 25-jähriges Mädchen, optisch eher eine Mauerblume, Typ Sekretärin auf Auslauf. Die komplette Innenseite ihres linken Arms war bunt, man sah eine Straße komplett mit Mittelstreifen und Grünzeug an den Seiten. In der Ellenbogengegend fuhr ein bös dreinblickendes Auto, auf der Oberarm-Straße lagen überfahrene Strichmännchen in angedeuteten Blutlachen mit x-Augen, auf der Unterarm-Straße flüchteten derweil andere Strichmännchen vor der heranrollenden Gefahr.

Ernsthaft, das Ding war grandios gestochen - aber wie bekloppt muss man sein, um überhaupt auf so eine Idee zu kommen?!? Großartig!!

Tags drauf saßen Kumpel M. und ich auf der Feté de la musique im Gras und bleiche Streichholzbeine in knielangen braunen Cordhosen "tanzten" an uns vorbei, sie gehörten zu einem ebenso bleichen Typen, der nicht nur durch einen zottigen rotbraunen Schnauzer, sondern auch durch die Tattoos auf seinen blassen Schienbeinen punkten konnte. Rechts ein dickes schwarzes plus-Zeichen, links ein dickes schwarzes minus-Zeichen.

Für sowas will ich Hintergrundinformationen!

Warum lässt sich ein Mädel Anfang zwanzig ein amokfahrendes Auto auf kompletter Armlänge stechen? Warum trägt ein Hipster-Nerd +/-auf den Schienbeinen? Und warum grade da, es muss doch so beschissen weh tun, wenn man dort tätowiert wird, so direkt auf den Knochen??

Die sind doch alle wahnsinnig...

Aber: Jeder wie er mag.

Sollnse doch alle.

Ich trau mich bald auch.

Irgendwann.

In den nächsten Jahren...

10 Kommentare:

  1. mein 20jähriger sohn hat sich grad letzte woche nochmal inständig bedankt, das ich ihm, als er 14 war, die zustimmung zum lippenpiercing verweigert habe....
    lg
    die exilhamburgerin,die sich 1985 tätowieren lassen hat,als das noch was "besonderes" war..

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    1. Hallo liebe Exilantin :)

      14 find ich nun auch extrem jung für ein Piercing, wenn man sich aber mal so auf den Straßen umschaut, scheint es genügend Eltern zu geben, die dem Nachwuchs den erforderlichen "Mama-Zettel" ausstellen.

      Sohnemann ist jetzt 12, wenn der in zwei Jahren mit der Frage nach nem Piercing ankommen sollte, dann zeig ich ihm den Vogel :) Aber vermutlich will er eh lieber das BVB-Logo tätowiert haben - was ja fast noch schrecklicher ist!!

      1985, ja, da war ein Tattoo noch besonders! In meinem Heimatdorf in NDS gab es sowas nicht, die ersten echten Tattoos hab ich im TV in Filmen gesehen und dachte, die seien aufgemalt. Als mein bester Schulfreund sich mit 16 tätowieren ließ, haben Menschen die Straßenseite gewechselt, wenn sie das Tattoo sahen. Tätowiert sein war zumindest in unserer Einöde ein Synonym für "schlecht, böse, Knast". Ich hoffe inständig, daß das hier in der "großen Stadt" anders war...

      Liebe Grüße ins Exil :)

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  2. Hab die Tage eine Frau gesehen, die auf dem linken Oberarm einen prall gefüllten Dickdarm tätowiert hatte.
    Weiß nicht, ob ich die Geschichte dazu kennen muss.
    Ansonsten toller Text mal wieder, ich mag deine Beschreibungen.
    .
    (Hab dir ne email mit "pull the plug" geschickt)

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    1. Nochmal hej! Den Hintergrund eines Dickdarm-Tattoos bräuchte ich nun auch nicht, umso mehr stellt sich die Frage, wie verrückt oder auf welcher Pille man sein muss, um auf so eine Idee zu kommen? Das ist doch Wahnsinn!

      Ansonsten danke ich fürs Kompliment!

      (Und die Mail! Das letzte Mal war ich wohl vor einem halben Jahr in meiner Mailbox, ich hätte ungelesene Mails im deutlich vierstelligen Bereich...hab deine aber zum Glück direkt gefunden! Hab dazu noch was unter deinem betreffenden Post gesagt. Passt ja besser.)

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  3. Einfach fragen (wenn der Träger des Tattoo nicht sehr finster dreinblickt) :-)

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    1. Das würd ich im Normalfall tun, aber manchmal bin ich so baff, daß ich auf die Idee erst komme, wenn es zu spät ist :) Und der +/- Typ "tanzte" ja quasi auch nur vorbei an mir und wirbelte Sand und kleine Steinchen auf, da hab ich mich geärgert und nicht dran gedacht.

      Nächstes Mal, DEN erkenn ich wieder! :)

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  4. Und was soll es bei dir werden? Schon ne Idee? Vielleicht ein Arschgeweih? ;)

    M.

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    1. Neeh, ich lass mir "M. ist doof!" auf die Stirn tätowieren oder ein Herz mit dem Namen deiner Mutti ;p Btw, wie geht's denn der?

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  5. lass es einfach - dieser Trend geht vorüber. die meisten Tattoos sind einfach nur hässlich. und piercings sowieso. viele meiner freundinnen haben schon ordentloich Geld ausgegeben, sich den Kram wieder ausradieren zu lassen....

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    1. Es von vorn herein einfach sein zu lassen, ist sicherlich die beste Idee. Das spätere Entfernen muss höllisch schmerzhaft sein, das verbrannte Geld mal außen vor...

      Mal gucken, vielleicht bin ich irgendwann spontan so "verrückt" und leg mich unter die Nadel (wäre eh nur ein kleiner Schriftzug in schwarz, nix ausgefallenes/großflächiges also), vielleicht bleib ich auch einfach "nackt".

      Ich lass mich überraschen :)

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