Mittwoch, 17. Juli 2013

Die Irren sind los!/Barmbek love

Es muss am Klima liegen.

Oder an der Planetenkonstellation, der Mond steht grad günstig zum Jupiter und somit der Aszendent Barmbek-Nord gut zum Aszendenten "Deppen, wohin man schaut" oder was weiß ich...

...gestern Abend standen offensichtlich die Planeten günstig für alle Irren meines Viertels.

Komplett Bekloppte von Barmbek-Nord: Vereinigt euch!

Gut, das taten sie zum Glück nicht, aber die Einzelauftritte hatten was.

Eine Komödie in drei Akten. Tragödie? Tragikomödie? Horrorstreifen?

Part 1 - The original gangsta:

Den "original gangsta" treffe ich alle zwei Wochen mal, er dürfte Mitte/Ende zwanzig sein, ist maximal 1,65 groß, trägt immer einen schwarzen Kapu mit in rosa glitzernder Rückenaufschrift, die da eben besagt: "Original gangsta". Dazu trägt er eine weite Hose mit "G-STAR"-Aufschrift auf dem Heck, die er aber im "Arsch-frisst-Hose"-Style so dermaßen hochgezogen trägt, das mir beim bloßen Anblick die Familienplanung schmerzt.

Ich treffe ihn am Dienstag Abend an der Pfandabgabe des Penny-Marktes, er ist auf 180 und versucht zum wiederholten Male, eine aus schwerem Grünglas bestehende Prosecco-Flasche der Wiederverwertung zuzuführen.

Was natürlich nicht klappt.

Seit Minuten stopft er die voluminöse Flasche zurück in die Eingabe-Öffnung, eine Sekunde später wird sie wieder ausgespuckt. Und der Kurze wird allmählich sauer, er brüllt den Automaten an, zusammenhauen würd er ihn und "ficken", denn der Pfandautomat sei eine "Nutte".

Ich kann den Lachkrampf kaum unterdrücken, die Dame vor mir hat allerdings genug gehört, drückt mir ihr Leergut in die Arme.

"Ich muss hier weg, sonst verpass ich dem gleich eine!" sagt sie und geht. Ich hätt das gern gesehen...

Derweil hat der "Gangsta" sich so hochgeschaukelt, daß er dem Pfandautomaten kurzentschlossen einen Kopfstoß versetzt. Ich traue meinen Augen nicht.

Piiieeep, plopp, da ist die Prosecco-Buddel wieder, den Automat hat der Angriff kalt gelassen.

Der "original gangsta" wird derweil mit blutender Wunde an der Stirn vom doppelt so großen Securitymenschen aus dem Laden "begleitet". Er flucht und strampelt wie Rumpelstilzchen, ob er sich selbst zerreißt? Das kann ich durch die beklebten Außenfenster der Filiale leider nicht beobachten.

Ich gebe entspannt meine Pfandflaschen ab, zahle Toast, Schinken und TK-Lasagne an der Kasse und verlasse den Laden.

Ich laufe zur Bushaltestelle Hellbrookstraße, ich habe keine Lust auf das Gewimmel am Barmbeker Bahnhof.

Part 2: Der Stormtrooper und Chewbacca:

Ich laufe also die nichtmal 300 Meter die Fuhle entlang, nach ein paar Sekunden höre ich schon lautes Hupen und Gejohle.

Quasi in Schrittgeschwindigkeit nähert sich aus meinem Rücken ein aufgemotzter Ford Scorpio, hellblau, aus dem Fahrerfenster hängt bis zum Nabel ein Stormtrooper und aus dem Beifahrerfenster Chewbacca (oder ein Ewok, der sich lang nicht rasiert hat).

Ich bin kein Star Wars-Fan, ich hab maximal die Hälfte der Filme gesehen, aber einen Stormtrooper und Chewbacca (oder nen Ewok) erkenn ich grad noch so.

Chewbacca (bzw der Ewok) bewirft aus dem Beifahrerfenster hängend Passanten zielgenau mit Bonschern, Kölner Fastelovend im Juli auf der Fuhle, ich muss SEHR grinsen - und sammle mir auch ein paar "Kamelle" auf.

Frage mich nur, wie der Trooper die Karre eigentlich steuert? Mittels Willenskraft? Oder hat der zwei Meter lange Beine?

Musikalisch untermalt wird das ganze übrigens durch laute deutsche Country-Musik. Was ist das, "Truckstop"?

Die Typen sind auf jeden Fall amtlich bekloppt und haben so gut wie jedem, den ich sah, ein Grinsen oder Lachen ins Gesicht "genötigt". War interessant, die immer angespannten Schlipsträger, die auf den Gehwegplätzen des "Café Saigon" zu Abend essen, mal herzhaft lachen zu sehen. Und zusammen zu lachen, Anzugträger und ich. Ganz ungezwungen.

Chewbacca und dem Trooper sei Dank.

Das Hupen und Johlen ist noch nicht verhallt, aber ich habe meine Haltestelle erreicht. Ich muss zwar nur eine einzige Station weiter wieder raus, da der Bus aber in zwei Minuten kommen soll (der Fahrplan ist ja bei meinen beiden Linien mehr Vorschlag als ernst zu nehmen) und da ich eh Zeit habe...

Part 3: Wer ist Patrick?!?

...da ich ja eh Zeit habe, warte ich auf den Bus und bevor ich mich entschieden habe, welche Band mich nun bitte beschallen soll, lenkt mich "Patriiick?" ab.

Ich sehe über meine Schulter. Eine Frau, optisch Mitte 40, verwahrlost, auf eine Krücke gestützt. Sie steht vor einem hipsterigen Mittzwanziger.

"Patriiiiiick?"

Er winkt ab und hipstert zur anderen Seite der Haltestelle, da richtet er dann den Undercut und bindet den Nike Air-Schnürsenkel neu.

Unsere Blicke treffen sich sekundenlang und wir können uns nicht entscheiden, ob wir uns gegenseitig abschätzig angrinsen oder viel eher zunickend Glück wünschen sollen, er ist der Bekloppten schon entkommen, ich dagegen...

...nicht und er wünscht Glück. Und als er sich abwendet, grinst er sich eins. Damnit!!

"Patriiiiiick?

Ignorieren. Bekloppte immer ignorieren.

"PATRIIIIIIIICK???"

Ig...no....riiiieee...ren! Die geht weg. Von allein. Bestimmt!

"PAAAAAAATRIIIIIIIICK!?!?!?"

Mein Ohr dröhnt. Ignoranz war nicht der richtige Weg.

"ICH BIN NICHT PATRICK!!"

Ich erwarte Gegenwehr. Stattdessen schauen mich weit aufgerissene Augen an. "Wer ist denn dann Patrick? Das tut mir jetzt leid!"

Ich gehe zum Ausstieg, aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie sich vor einer sitzenden Blonden, die ängstlich schaut, aufbaut. Ich nehme an, die Hübsche ist auch nicht Patrick.

An der nächsten Haltestelle verlasse ich den Bus. Eine Station, egal, dank der frischen Luft krieg ich den Kopf wieder frei.

Zehn Minuten später. Zuhause.

Auf dem Ring 2 reißt einer seine Rennmaschine auf 150 hoch. Es röhrt fast ohrenbetäubend. Der Nachbar von unten hat seinen obligatorischen nächtlichen Hustenanfall, nach dem man den Wecker stellen kann. Der erste Flieger gen Fuhlsbüttel durchschneidet die stille Morgenluft, ich schaue ihm hinterher. Bald geht die Sonne auf.

Ich mag das. Ich liebe dieses Viertel.

4 Kommentare:

  1. Herrlich, dein Kiez. Er erzählt Geschichten und du kannst sie aufschreiben.

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    1. Unter anderem dafür lieb ich ihn! Langweilig wird's hier selten :) Aber einen Abend, an dem alle Irren kollektiv abdrehen, kannte ich bisher auch noch nicht!

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  2. Ich bin Patriiiiiick! :-P

    M.

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    1. Und wieso sucht dich dann eine verwahrloste Frau mit fettigen Haaren im HHer ÖPNV? Das wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet... ;)

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