Montag, 29. Juli 2013

Dschungelnacht / Momentaufnahme: Dschungel

Es war heiß am Samstag. Irritierend heiß, denn viel blauen Himmel habe ich eigentlich nicht gesehen. Eher grauen, bedeckten. Kaum Sonnenstrahlen, rein optisch hatte das was von Ende Oktober.

Und trotzdem erschlug einen die drückende Schwüle, sobald man vor die Tür trat. Der Tageseinkauf wurde zur Tortur. Aber zumindest hatte ich Glück gehabt und auf dem Heimweg einen Zehner im Gras gefunden, der zwar sehr mitgenommen aussah, mich aber trotzdem freute!

Als ich gegen 23.30 Uhr die knapp hundert Meter von F.'s Bude zu meiner zurück lief, wir hatten uns zusammen die erste (und vermutlich einzige) Saison-Niederlage des glorreichen FC Bayern (Ironie aus) angeschaut, ging es dann allmählich, nur noch 24 Grad waren es laut einem Thermometer in der Nachbarschaft. Das ist eine Temperatur, die mir gefällt. Gern auch tagsüber. Und zwar maximal.

Kurz darauf saß ich bei weit geöffnetem Fenster in meinem Schreibtischstuhl, nuckelte am eisgekühlten Multivitaminsaft und aus der Dunkelheit vor dem Fenster hörte ich verschiedene lärmende Vögel und zirpende Grillen. Letztere hörte man nur, wenn die Vögel mal die Schnäbel hielten. Es erinnerte mich stark an irgendwelche Dokumentationen, die ich recht gern im TV schaue, Forscher kriechen des Nachts im Dschungel herum, auf den Nachtsichtkameras huschen Schatten umher und zur Untermalung krakelen Vögel und zirpen Grillen.

Akustisch bin ich da grad mit dabei. Temperaturmäßig auch. Nur zum Glück ohne herumkriechendes Ungetier, abgesehen von einer Spinne weit oben in der Zimmerecke, mit der ich mich trotz ihrer Unansehnlichkeit darauf geeinigt habe, das sie bleiben darf. Sie fängt Mücken, ich lass sie in Ruhe, so ist der Deal. Solang sie oben in ihrer Ecke bleibt. Erwische ich sie in Bodennähe, landet sie im Klo...aber das wird sie verstanden haben, ich hab's ihr oft genug vorgebetet.

Ich habe keine Lust, die Nacht zuhause zu hocken. Und mir kommt eine Idee.

Akustisch Dschungel, die Temperaturen implizieren das auch und ich habe quasi zehn Euro "über"...

...einen Klamottenwechsel, 21 Minuten Fahrt mit der U3 und sieben Minuten Fußweg später sitze ich im "Dschungel" an der Schanzenstraße.

In meiner absolut liebsten Bar/Kneipe/sichernichtLounge dieser Stadt.

Die es wohl nicht mehr lange geben wird. Gentri-fick-dich schlägt mal wieder zu. Und jetzt erwischt es einen meiner Lieblingsorte, bisher hatte ich da "Glück gehabt".

Die Betreiber dieser HHer Institution haben sogar angeboten, die fucking doppelte Miete wie bisher zu zahlen, sie hätten das stemmen können...der Besitzer des "Objekts" hat das abgelehnt. Man sollte ihn teeren und federn und im Kreis herumschubsen! Ich mach den Job! Für lau.

Statt des "Dschungel" kann man hier dann wohl bald neue Loft-Wohnungen mit Aufzug für die Luxuskarren bestaunen, es gibt ja noch zu wenige davon. Und deren Fassaden werden keine drei Tage ohne erste Grafittis oder Farbbeutel überstehen, da nehm ich jede Wette an.

Ich bin wirklich gespannt, wann sie ernsthafte Planungen anstellen, die Flora dicht zu machen...

Zukunftsmusik, und zwar keine gute.

Welcome to the djungle! Man rennt beim Eintreten gegen die Wand aus aufgestauter Tagesresthitze und Zigarettenqualm kombiniert mit lärmenden durcheinanderquatschenden Stimmen und Brian Molko, dessen markante Stimme grad aus den Lautsprechern tönt, "Days before you came", schon immer eins meiner favorisierten Lieder der Band. Ein guter Anfang!

Ich tanke mich zur Bar durch, es ist erwartungsgemäß rappelvoll.

"Moin, White Russian bitte!"

Die leicht verträumt dreinblickende Barfrau lächelt und ich auch, denn ich weiß, das ich gleich den besten "White Russian" der Stadt bekommen werde - und zwar unschlagbar billig. 2.80€ kostet der Spaß hier.

Und ergattere einen Stuhl an einem Einzeltisch. Zwar nah am Klo, dafür kann ich fast den gesamten Laden einsehen.

Es ist dunkel, alle Tische sind restlos besetzt, die Oasis-Gallagher-Brüder singen nun aus den Boxen, "Don't look back in anger", ich denke, daß sie sich das ja selber auch mal zu Herzen hätten nehmen können und erinnere mich daran, wie es dem "Loveboy", einem ehemaligen guten Freund, mit dem ich ständig hier im "Dschungel" war, schier das Herz zerrissen hat, als seine Lieblinge pöbelnd die Band gen Nirwana schickten.

"Mann, das war echt unschön" denk ich mir, schaue rüber zu unserem ehemaligen Stammplatz neben dem Eingang und nehme einen Schluck vom "White Russian". Großartig wie eh und je.

Arm in Arm kommen zwei Mädels herein, sie passen nicht so recht ins Bild. Tussig angehaucht, optisch eher Hans-Albers-Platz oder wenigstens Galao-Strich am Schulterblatt. Sie kichern und eine bestellt zwei Drinks, die andere verschwindet auf dem Klo. Allein, ohne ihre Freundin. Ich bin irritiert, aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel.

Das Mädel braucht ewig auf dem Klo, würd ein Kerl 10 Minuten auf nem Bar-Klo verschwinden, kämen mir die übelsten Assoziationen plus Kopf-Akustik, bestehend aus Fürzen und gequältem männlichen Ächzen, während der warmgemachte Bohneneintopf von mittags sich den Weg in die Freiheit bahnt - bei Mädels denk ich an Rosenduft und wie alles pink glitzert.

Es ist verrückt.

Die Freundin der auf dem Klo Verschwundenen hat inzwischen Gesellschaft bekommen, drei Typen Anfang zwanzig drängeln sich um sie, sie sehen aus, als wären sie vom Schlagermove übrig geblieben, vermutlich sind sie die Restbestände eines Junggesellenabschieds, die zum Abschluss des selbigen nicht mehr in die Strip-Bar gelassen wurden und deshalb nun so tun, als sei das hier eine.

Sie gröhlen, tatschen...und es dauert keine fünf Minuten, bis sie fliegen. Begleitet vom Barkeeper und einigen volltätowierten bedreadlockten Stammgästen. Herr Molko singt dazu seinen "Song to say goodbye". My oh my...

Aus dem Sanitärbereich taucht endlich die verloren geglaubte Freundin auf und die beiden stürzen sich auf ihre Getränke und plappern los. Meist beide zur gleichen Zeit.

Während ich den Blick über die beleuchtete Bar, das Volk davor und das eingerahmte NoFx-Tourposter daneben schweifen lasse, läuft der "Pulp Fiction"-Soundtrack im Hintergrund.

"Vincent: Oh man, I shot Marvin in the face.

Jules: Why the fuck did you do that!

Vincent: Well, I didn't mean to do it, it was an accident!

Jules: Oh man I've seen some crazy ass shit in my time...

Vincent: Chill out, man. I told you it was an accident. You probably went over a bump or something."

Kopfkino. Fein!

Während ich den zweiten weißen Russen an der Bar ordere, belausche ich relativ unfreiwillig, wie das Tussi-Mädel die Klobesetzerin informiert. "...und dann haben der Bar-Typ und so'n paar Ungepflegte die rausgeschmissen, obwohl die nur bisschen gefummelt haben! Echt voll ätzend! Asis hier!"

Leider konnte ich der Trulla nicht unbemerkt in ihr Glas spucken, ich hätt es gern getan.

Stattdessen lausche weiter toller Musik, Bad Religion, Archive, Beatsteaks, Tocotronic etc, sitze entspannt weitere 45 Minuten auf meinem heimeligen Plätzchen, beobachte Tanzende, Sturzbetrunkene, die von Stühlen fallen, beobachte herzliche Begrüßungen und Abschiede, einmal fließen dabei sogar Tränen, irgendwann werden die Tussi-Mädels hinauskomplimentiert, sie hatten von quieken und tratschen auf besoffenes Pöbeln umgeswitcht.

Ein Bier noch, dann ist vom gefundenen Zehner sogar noch was übrig für einen Snack auf dem Heimweg. Mein Gott, wie gut!!

Am Bier nippen. Einer kotzt fast vor die Theke, Freunde geleiten ihn raus. Am Bier nippen, dazu "Millencolin" aus den Lautsprechern, ich feiere, ich kenn die Band persönlich, Stunden später werd ich sie live sehen und hören!

Am Bier nippen, eine lokale HipHop-Größe entert samt Entourage den Laden, highfivet das Barpersonal, keinen interessiert das. Er setzt sich auf "Loveboy"'s und meinen ehemaligen Stammplatz.

Ich warte auf "Doug", den Stammgäste und ihre angestammten Sitzplätze verteidigenden Barmann aus "How I met your mother", der erscheint aber leider nicht.

Also exe ich mein Bier und mach mich auf den Heimweg. Und als ich aus dem "Dschungel" heraus trete...

...heller Tag! Was zur Hölle?!?

Dschungelmorgen. Gegen sechs Uhr. Zeit total vergessen.

Nach Hause gehen! Jetzt!!

Als ich knapp eine Stunde später im aufgeheizten Schlafzimmer im Bett liege und die Decke am Körper klebt, flüstert mir Brian Molko "Without you I'm nothing" ins Ohr und ich nicke so allmählich weg...

Ab heut sind erträgliche Temperaturen angesagt und ich freue mich!

Und zum ersten Schnee mach ich ein Fass auf!!

6 Kommentare:

  1. Mal wieder toll geschrieben. Man hat das Gefühl dabei zu sein.
    Der Laden hört sich gut an, und 2,80 für einen White Russian ist phänomenal.
    Nur das mit dem Schnee, das solltest du überdenken.

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    1. Hey TS :)

      Der "Dschungel" ist wirklich grandios, sollte es ihn bei deinem nächsten HH-Besuch noch geben, dann solltest du definitiv mal hin, vor allem, wenn du White Russian magst! Ich hab ihn noch nirgendwo besser getrunken, vom Preis mal ganz abgesehen. Dazu immer gute Leute, gute Musik, gute Geschichten...was ich in dem Laden nicht schon alles erlebt habe :)) Der wird mir echt fehlen, wenn er mal weg ist...

      Was den ersten Schnee angeht...ich bin Winter-Fan, keine Ahnung, woher das kommt. Und ich freu mich tatsächlich drauf! Aber solang es nicht mehr saharamäßig wird, darf es auch gern noch eine ganze Weile warm bleiben. Warm, nicht heiß! Heiß ist schlecht, das will ich nicht! :)

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  2. Bin durch und durch Sommerfan. Optimal ist es, wenn es heiss und schwül ist. 35 ° im Schatten.
    Leider hab ich das höchstens 2 Wochen im Jahr. Da hast du Glück mit deiner Vorliebe für Winter.

    Der Dschungel wäre definitiv im Programm, wenn ich lang genug in HH sein sollte. Gute Musik ist schwer zu finden.

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    1. 35 Grad im Schatten und schwül ist optimal, das hab ich nun echt noch nie gehört. Ist ja krass :) Tage mit solchen Temperaturen verbringe ich fast ausschließlich unter der kalten Dusche...zumindest inzwischen. Mit fortschreitendem Alter scheint bei mir die Hitzetoleranz deutlich zu schwinden, bei meinen USA-Trips daaamals bin ich bei 40+ Grad draußen rumgesprungen wie ein junger Gott. Heute absolut undenkbar.

      Verrückt!

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  3. Immer dieses Gejammer über die Temperaturen. Wie wärs mal mit ein bisschen Konditionierung in ner Sauna? ;-)

    Im Übrigen gibts im Dschungel bestimmt nicht den besten White Russian der Stadt, aber das Gesamtpaket stimmt. Schön düstere Spelunke, brauchbare Musik, ordentlicher Drink zu nem guten Preis und sinnvolle Öffnungszeiten.

    M.

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    1. Du kennst das doch mit meinem Gejammer, ich bin eher Polarkreis als Äquator ;)

      Was den weißen Russen angeht, da wirst du Recht haben, den gibt's sicherlich irgendwo in der Stadt noch besser - fragt sich, ob in gleichem Ambiente und mit dem gleichen unschlagbaren Preis/Leistungs-Verhältnis. Das bezweifele ich mal offiziell, lass mich aber gern vom Gegenteil überzeugen ;)

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