Traditioneller Vorweihnachtsbesuch der Eltern. In der großen Stadt.
Meine Eltern können "große Stadt" nicht. Haben ihr ganzes Leben in Dörfern verbracht. Alles überfordert. Der Verkehr, die Menschenmassen, alles.
Es fliegen Sätze durch die Luft, die man von früheren Besuchen schon gewohnt ist. Erfahrungswerte.
"Hier, Sohn, ich hab dir Essen mitgebracht. Der gute Kohl, den du so magst! Ist noch Platz in der Truhe?"
"Ach, Junge, wie deine Wohnung aussieht! Du musst mal aufräumen! Und saugen, auch unter dem Schrank!"
"Papa, ich predige es seit zehn Jahren, wenn du in meiner Wohnung rauchen möchtest, dann bitte am offenen Fenster!"
Oder das sehr Mario Barth-esque "Doch, es hat Sinn, daß die Fernbedienung auf dem Bett und nicht neben dem Fernseher liegt...!", das sich so bei jedem einzelnen Besuch wieder abspielt, seit Jahren, immer gleich. Einstudierte Antworten.
"Wo möchtet ihr denn heute shoppen, Mutter?" - "Wo gibt es denn hier was?" Ich wusste natürlich, dass diese Antwort kommt, ein Duplikat der letzten Jahre, aber es gehört eben zum Spiel dazu.
Also heute mal wieder Innenstadt. Nicht EKZ Hamburger Meile, sonst ein gern genommenes Ziel meiner Altvorderen. Das haben sie irgendwann 2003 für sich entdeckt und seitdem immer wieder gern. Alte Liebe rostet nicht. Oder: Never change a winning team.
Heut also direkt ohne Zwischenstopp in die Spitaler oder die Mönckeberg. Straße. Dort durch die Gegend geirrt. Hier eine Kaffeepause. "Oben bei Karstadt? - Oben bei Karstadt." Dann noch C&A. H&M. C&P. Was gibts noch?
Klar, Kaufhof. Rein da. Alle Stockwerke durch, "nur mal gucken", wie Mutter das nennt. Heut guckt sie nicht nur, sie kauft. Drei Mal. Das gabs noch nie, Premiere, Daddy und ich schauen nur noch ungläubig aus der Wäsche. History in the making. Und wir waren dabei!
Fünfter Stock. Spielzeug, Restaurant, bla.
Ich habe keine Lust mehr, Spielzeugabteilung my ass, ich setz mich auf einen der wenigen angebotenen Lederklotzsitzplätze. Ich will meine Ruhe...
...und mein Blick fällt auf einen Typen. Der schaut sich den ferngesteuerten Kran neben der Rolltreppe an. Er dreht sich um und ich erkenne ihn. Ein "Promi".
Im TV sieht der immer so seriös aus, ist auch immer so angezogen, in all seinen Sendungen, immer Jackett, immer gut frisiert mit ner Menge Gel. So auf "Schwiegersohn, den man lieben muss". Aber auch auf "kleiner Chaot, witziger Typ, Komplettsympat", das soll die gegelte Wuschelfrisur aussagen. Ich hab den für harmlos gehalten. Und jetzt rennt der in der Spielzeugabteilung vom Kaufhof mitten im November in nem fast bis zum Nabel aufgeknöpften Hemd rum. Präsentiert seine schlecht rasierte Brust. Macht einen auf Macker. In meinem letzten Job hatte ich einige Typen mit solcher Optik, die waren nicht "Schwiegersohn", die waren nicht "Komplettsympat". Die waren Zuhälter.
Passend dazu erscheint eine bis zum Ende solariendurchgebräunte, auf Hippiehure gedresste Mittdreißigerin an seiner Seite, guckt verächtlich. "Ich bin besser als ihr, ich lass mich von nem C-Promi ficken!" sagt ihr Blick und sie fummelt am Ausschnitt des "Promis" herum. Er schaut in die Runde, die befummelte Brust stolz geschwellt. Er ist hier der Held, seine Gelfresse sieht man ab und an im TV. Er ist der Boss. Und seine Olle hat Silikontitten.
Sein Blick bleibt drei Sekunden bei mir hängen, unsere Blicke treffen sich. Er wartet, daß ich mich beeindruckt zeige. Tu ich nicht. Für eine Sekunde scheint er irritiert, dann fasst er sich, setzt ein Siegerlächeln auf und geht.
Eine Begegnung der dritten Promi-Art.
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