Freitag, 16. November 2012

Früher war alles besser. Oder: A tribute to Bobby.

Ich wohne in einem ruhigen kleinen Seitensträßchen in Barmbek-Nord. Es gibt hier nicht viel. Vierstöcker, Einzimmer-/Zweizimmer-Wohnungen. Fünf Gehminuten bis zur Fuhlsbüttler Straße, wo man alles bekommt, was man so im Alltag braucht. Diverse Discounter, Edeka, Döner-Dealer, Asia-Läden, die geschmacksverstärktes Zeug feil bieten, es gibt auch ein paar Bars, Restaurants, gute sogar, und man kann seine Kohle im ortsansässigen Sportwettenbüro auf den Kopf hauen oder bei "Orion" gegen weiß der Geier was eintauschen, das aber sicherlich "Schwung" in die Beziehung bringt. In welcher Form auch immer. Zur U Habichtstraße läuft man 6 Minuten, zur Bushaltestelle nur drei. Die beiden verkehrenden Buslinien sind berühmt-berüchtigt für ihre konsequente Verweigerung der auf dem Fahrplan ausgeschriebenen Zeiten. Gern fahren sie auch mal in Kolonne, vermutlich zum Sprit sparen, da der hintere 277er-Bus im Windschatten des vorderen 277er-Busses, der eigentlich zehn Minuten früher hätte hier sein sollen, fährt. Aber gut, man gewöhnt sich an so einiges.

Nicht gewöhnen werde ich mich daran, das Bobby nicht mehr den kleinen aber feinen Kiosk an der Ecke Herbstsweg/Nölkensweg betreibt. Bobby ist mein Freund seitdem ich vor mehr als zehn Jahren in diesen "Kiez" gezogen bin. Er war immer da mit seinem kleinen Eckladen. Ein kleiner "Tante-Emma-Laden"...in diesem Fall eben quasi ein "Onkel-Bobby-Laden". Das gibts ja kaum noch, das ist schade. Unsortiert, völliges Durcheinander, Chaos galore, man bekam vom Bier über TK-Pizza bis hin zu Toilettenpapier und Tampons so gut wie alles dort. Notfalls auch mal "auf Rechnung". Bobby war kulant, wenn er einen kannte.

Morgens auf dem Heimweg vom Club konnte man dort angetrunkenerweise "frische" Brötchen kaufen, einen "guten" Kaffee trinken. An der Eingangstür hatte Bobby einen Zettel geklebt: Hier "lecker" Kaffee!! Ich hab ihm sicher zehn Mal erklärt, daß das so derbe ironisch klingt und keiner den "lecker" Kaffee kaufen wird (außer mir, wenn ich angetrunken vom Club heim kam)...hat ihn nicht gejuckt. Der Zettel hing da bis zum Ende.

Auch schön, wenn man am Samstag Morgen komplett zerstört heim kam und bei Bobby strandete...der war meist genauso kaputt, weiß der Himmel, was der nachts getan hatte und wie er es geschafft hatte, seinen Laden pünktlich zu öffnen. Er hatte immer ein offenes Ohr. Die Frau hat dich beschissen? Bobby spendiert morgens um sieben nen Kurzen. Dein Verein hat verloren? Bobby spendiert morgens um sieben nen Kurzen.  Du schaffst die 60 Meter Fußweg und drei Stockwerke Treppen bis zu deinem Bett nicht mehr? Bobby lässt dich im verrauchten Hinterzimmer auf der Couch pennen. Ist mir nicht nur einmal passiert...das Aufwachen war immer ziemlich eklig. 

Freitag abends war immer Grillabend bei Bobby, es gab selbstgemachte afghanische Fleischspieße, ich weiß nicht, was für ein Fleisch das war und wie es gewürzt war, es war aber schlichtweg großartig lecker. Seine afghanischen Kumpels haben Salate gemacht (anscheinend können Männer sowas tatsächlich), und so bekam man für ganz wenig Geld unfassbar geiles Essen...ich will diese Zeiten SOFORT zurück!! Bei schlechtem Wetter oder im Winter bei Minusgraden wurd auch gern mal im Hinterzimmer gegrillt, da kannte Bobby nix. Fenster auf, Grill an und dann alle den Qualm gen Fenster wirbeln. Hat geklappt, es ist niemand gestorben und alle bekamen, was sie wollten: Tolle Stimmung, großartiges Gegrilltes...eine tolle Zeit.

Die gesamte Nachbarschaft zwischen 16 und 60 traf sich dort jeden Freitag vorm Laden, es wurde gegessen, getrunken, gefeiert...was für Abende! Bis spät in die Nacht manchmal. Nach zwölf Stunden Arbeit bin ich da teilweise noch bis nachts um drei hängengeblieben.

Zur WM 06 hatte sich Bobby eine Leinwand und ein Projektiergerät besorgt, seinen Laden zu den Spielen der deutschen Mannschaft komplett umgebaut und dann sowohl drinnen als auch draussen ein privates Public Viewing veranstaltet. Da war wahnsinnige Stimmung, die ganze Nachbarschaft im Trikot, mit Flagge und Gesichtbemalung, "Lotte", der Mops der Nachbarn wurde spontan zum "Sport-Mops" deklariert und lief von da an für den Rest des Turniers mit schwarz/rot/goldenem Iro durch die Gegend. Kurz: Das Public Viewing auf dem Heiliggeistfeld mit 60000 Fremden war ein Kindergarten dagegen. Bei allen Spielen der deutschen Mannschaft hatten meine Jungs und ich "reservierte" Plätze in der letzten Reihe, wir haben zusammen die Hymne gesungen und gejubelt, als wären wir bereits Weltmeister. Was haben wir zusammen gefeiert, uns in den Armen gelegen. Und Bobby mittendrin. Und was haben wir nach dem Halbfinale gegen Italien zusammen getrauert. Diese verdammten...

Und was hab ich geflucht, als im Achtelfinale "Schland", das von meiner kompletten Nachbarschaft grad bei Bobby nach vorn gebrüllt wurde, meine Jungs in blau und gelb schon in den ersten 15 Minuten vollkommen abfertigte. Das Spiel habe ich in weiser Vorraussicht anderswo gesehen, nicht bei Bobby, die Schmach wäre zu groß gewesen.

2008 bei der EM haben wir da auch alle zusammen gefeiert, nach dem 3-2 im Halbfinale gegen Türkiye gabs sogar einen Autokorso nur mit uns "Kiez-Freunden".

Au Mann, das waren ganz ganz tolle Zeiten "damals"...


...und dann gabs einen Besuch vom Ordnungsamt. Die Nachbarin, die über Bobbys Lädchen wohnte, hatte es gerufen. Und das Ordnungsamt wedelte mit dem Zeigefinger und sagte "Du darfst keinen Spaß haben!". Wie Ämter in diesem tollen Land eben so sind.

Und seitdem war Schluss. Nix mehr Grillabend, nix mehr abends vor dem Lädchen sitzen und gemütlich quatschen...Spaß haben war ja offiziell verboten. Die Nachbarin ist vier Monate später ausgezogen, man erzählt sich, einige "Vorfälle" hätten sie dazu veranlasst. Davon weiß ich nichts. Natürlich nicht.

Bobby hatte schon aufgegeben, als die Nachbarin verschwand...vermutlich zurück auf ihr kleines Dorf, aus dem sie gekommen war...da ist es ab 18 Uhr schön ruhig und keiner stört mehr.  Back to the roots quasi. Bobby verschwand auch. Er studiert jetzt wieder. Und ich vermisse ihn.

Den Laden hat dann ein Bekannter von Bobby übernommen. Ein Vietnamese, ich weiß nichtmal seinen Namen. Der macht seinen Job sehr gut, hat die Innenausstattung optimiert, hat die Öffnungszeiten optimiert (nun auch Sonntags), das Angebot beibehalten, wenn nicht gar verbessert und er gibt sich wirklich Mühe. Ich drücke alle erdenklichen Daumen, daß das weiterhin klappt! Und nicht nur ich, auch jeder in der Nachbarschaft.

Aber so wie zu Bobbys Zeiten wirds nicht wieder werden. Ein Freund ist weg. Und das ist schade.

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