Samstag, 13. April 2013

Tornado

Vorhin habe ich im TV eine Doku gesehen.

"Die zehn furchteinflößendsten Situationen im Luftverkehr" oder so ähnlich.

Es war interessant, allerdings ist meine Lust, endlich mal wieder ein Flugzeug zu besteigen und irgendwo hin zu fliegen doch nach dieser Doku deutlich geringer, als sie es vorher war. Hat seinen Grund.

Ich bin in frühen Jahren relativ viel durch die Gegend geflogen und mein erster Flug kam mir wieder ins Gedächtnis, als ich im TV die Bilder von Flugzeugen sah, die durchgeschüttelt wurden oder von Passagieren, die kreidebleich über die Landebahn geführt wurden.

Mein erster Flug war drei Monate nach meinem 16. Geburtstag, ist also schon ein paar Tage her. Es war nicht mein erster Urlaub "allein" (= ohne Eltern), im Jahr zuvor war ich bereits mit drei Freunden in einem Jugendzeltlager und hatte dazu halb Europa vom heimischen Emsland bis nach Lissabon per Reisebus durchquert, das war schon eine ziemliche Ochsentour, war aber nichts gegen meinen ersten Flug.

Der ging von Münster über Frankfurt und Chicago zum Endziel, dem Lambert Airport in St. Louis, Missouri. Angepeilte Reisezeit sollte irgendwas um elf Stunden sein, also alles im Rahmen.

Wider Erwarten hat ein Großteil des Weges auch gut geklappt, ich bin ohne größere Zwischenfälle (in Frankfurt ist mir die Sonnenbrille ins Klo gefallen, das zählt nicht) bis Chicago gekommen.

Chicago O'Hare war damals der Airport mit dem größten Fluggastaufkommen weltweit und ist auch heute noch in den Top Five, wenn mich nicht alles täuscht. Hat mich vollkommen überwältigt. Ich hatte planmäßig zwei Stunden Aufenthalt, hab mir erstmal, um mich anzupassen, einen fetten Burger besorgt, dazu einen Familienbecher Dr. Pepper, das kannte ich aus einem Care-Paket, das die US-Verwandschaft mal schickte - seit dem Tag bin ich dem Zeug verfallen. Bepackt mit Handgepäck und Ami-Fraß hab ich mich dann mitten in eine der Aufenthaltshallen gesetzt und mich umgeschaut, vor lauter Staunen und lauter neuer Eindrücke wurde der Burger kalt und die Limo warm. Draußen braute sich derweil Unheil zusammen.

Denn sowohl Chicago als auch St. Louis liegen im mittleren Westen der USA und dort ist im Juni/Juli Tornado-Saison. Und die Tornados in den Staaten haben mit den "Tornados" hier eher selten was gemein. Und da meine Reise natürlich nicht wie geplant ablaufen konnte, gabs halt mal nicht nur einen, sondern gleich zwei Tornados, die nacheinander über Chicago herein brachen und den gesamten Flughafen mal einfach komplett lahm legten. Für über zehn Stunden.

Ich habe insgesamt drei Mal umgebucht, drei Mal wurden die Flüge wieder gecancelt, ich kannte die TWA-Mitarbeiter inzwischen mit Vornamen und den Klomann auch. Und hatte einiges an Kohle in Burger und Dr. Pepper investiert.

Dann hieß es, American Airlines würde gen STL starten, meine neuen TWA-Freunde haben mich umgebucht, der Klomann himself hat mit seiner elektrischen Reinigungskarre zum weit entfernten Gate gefahren, damit ich pünktlich bin...dann saß ich im Flieger, sah aus dem Fenster und der Himmel war grün. Richtig leuchtend grün. Ich weiß noch, daß ich mich gefragt hab, ob das wohl ein gutes Zeichen ist.

Der Flieger war ein kleiner, Kurzstrecke eben, das mögen vielleicht 60 Plätze gewesen sein, davon war aber maximal ein Viertel besetzt. Freie Platzwahl quasi. Ich wollte etwas schlafen und hab mich weit hinter alle anderen Mitflieger gesetzt, um meine Ruhe zu haben. Nach dem Start bin ich sofort eingeschlafen.

Aufgewacht bin ich, weil ich ordentlich durchgeschüttelt wurde und der Anschnallgurt mir in den Bauch drückte, das tat weh. Aus dem Fenster heraus sah man nichts außer weiß, das Flugzeug wurde herumgeschmissen wie ein Spielzeug, sogar ein paar dieser Abteile über den Sitzen sind aufgegangen und das Zeug flog rum, zum Glück dort, wo niemand saß. Von vorn im Flieger, ich hatte mich ja nach hinten verkrochen, hab ich Geschrei gehört und die einzige Stewardess an Bord rief immer wieder, alle sollten ruhig bleiben und den Kopf schützen.

Ich hatte Angst und zwar so richtig. Ich hab nicht rumgeschrien oder geflucht, ich war einfach erstarrt. Und dann kam durch den Mittelgang eine Frau auf mich zu, die zog sich an den Sitzen in meine Richtung und schaffte es auf den Platz neben mir. Und schrie mich an "Get your head down! Stuff is flying! This will end ok. It's all good!" und drückte ab da meine Hand. Ich hab die Stimme immer noch im Kopf. Freundlich, hell, sehr bestimmt.

Ich weiß nicht, woher sie kam und warum sie zu mir kam, ich saß ja absichtlich weit hinten. Eigentlich kann mich da niemand gesehen haben. Vielleicht bin ich beim Einsteigen an ihr vorbei gelaufen und sie hat sich erinnert, ich weiß es nicht. Geholfen hat sie mir definitiv.
Ein paar Minuten später war das Unwetter vorbei und der Flug war wieder ruhig. Der Himmel dämmerungsblau, nicht mehr grün, die Aussicht toll, nicht mehr weiß vom Hagel. Mir war das alles scheißegal, ich wollte nur noch festen Boden unter den Füßen.

Nach der Landung hat mich die Unwetter-Frau nochmal umarmt und angelächelt. "See, it's all good!" und denn war sie weg. Und ich hab mich auf die Suche nach meiner Verwandschaft gemacht und die auch schnell gefunden.

Nie wieder gefunden hab ich allerdings die Frau aus dem Flugzeug. Selbst lokale Radiosender haben sich in die Suche eingeschaltet...kein Ergebnis. Ich hätte mich sehr gern noch ein Mal bedankt für die Unterstützung im bisher erschreckendstem Moment meines Lebens.

Als ich vorhin durchgerüttelte Flugzeuge und kreideblasse Passagiere im TV sah, da wurde mir ein bisschen schlecht und schwindelig. Vielleicht schau ich mit sowas einfach nicht mehr an. Ist vermutlich besser. Flashbacks sind gar nicht sooo lustig.

Und sobald mal wieder fliegen? Das überleg ich mir nochmal...

3 Kommentare:

  1. Na ja Sommer gibts ja auch manchmal bei uns ;)
    LG aus der schönsten Stadt der Welt

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  2. Auf Autobahnen kannst du viel schlimmeres erleben...

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    1. Da hast du sicherlich Recht! Vermutlich nimmt man (in diesem Fall ich) es einfach anders war, da man (wieder ich) halt deutlich mehr Beinahe-Unfälle im Straßenverkehr als im Luftverkehr erlebt (hat).

      Will sagen, ich hatte in dem Flugzeug wesentlich mehr Schiß, als in Situationen auf deutschen Autobahnen, obwohl ich mich "da oben" wohl deutlich eher in Sicherheit befand als auf einer Durchschnitts-BAB voller Hobby-Rennfahrer.

      Fest steht: Nochmal brauch ich die Erfahrung definitiv nicht :)

      Liebe Grüße nach B!

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