Donnerstag, 27. Juni 2013

Momentaufnahme: Holocaust-Mahnmal

Freitag Nachmittag, Holocaust-Mahnmal:

Eine Gruppe junger Spanier redet lautstark, man weiß nicht, wer da grad mit wem redet oder ob alle nur heiße Luft in die angenehm warme Freitagnachmittagsluft blasen. Es scheint bald so. Sie reden wild durcheinander. Dann raffen sie sich zusammen und fotografieren sich, der linke Arm um die Schulter des Kumpanen, die rechte Hand umklammert die Beck's-Flasche. Oder die selbstgedrehte Kippe klemmt zwischen zwei Fingern. Wahlweise macht man auch das Victory-Zeichen. Das geht so keine zehn Minuten, dann haben sie genug, die geleerten Flaschen bleiben auf den Stelen zurück.

Und ich hab wieder ein wenig Ruhe.

Aber nicht lange. Zwei plappernde Skandinavierinnen betreten die Szenerie, gekleidet in eleganten bunt geblümten Sommerkleidern, die eine trägt einen großen runden Strohhut, die andere eine riesige Sonnenbrille, die blonden Haare sind zu Zöpfen geflochten. ABBA 2.0, fehlen nur noch die Typen in Schlaghosen.

Mamma Mia!

Ich meine, schwedische Wortfetzen heraus zu hören, aber das wird Einbildung sein, dazu ist mein Schwedisch auch einfach zu schlecht. "Fahrradschlüssel" oder "kleiner Schmetterling" kann ich - aber das war's dann auch fast.

Bevor die beiden (nicht ohne Selbstportrait vor der Kulisse natürlich) weiterziehen, drückt die rein optisch eleganter wirkende (die mit dem Strohhut) ihre lange weißfiltrige Kippe an einer Stele aus - und rotzt dann lautstark neben den qualmenden Filter. Dann stöckeln beide divenhaft davon.

Ich schaue ihnen nach, bis sie um die nächste Ecke verschwinden. Nicht aus Interesse, eher aus Unglauben.

Auftritt asiatische Reisegruppe.

Sie folgen auf Schritt und Tritt einer hektischen Touri-Führerin, die ihre Infos in einem Tonfall wie ein extrem angepisster Panzergeneral herausbellt. Die Asiaten lächeln, nicken, alle vier Sekunden klicken die Auslöser. Dann geht's im angezogenen Tempo weiter zum Brandenburger Tor und von da wohl im Stechschritt weiter zu neuen Zielen, bevor es dann nach elf Stunden Berlin flugs weiter in den Flieger nach Paris oder London geht.

Europa in fünf Tagen, Asiaten haben doch so gut wie keinen Jahresurlaub, über so eine Reisegruppe hab ich letztens noch einen Bericht im TV gesehen und kam mir leicht verscheißert vor - aber vermutlich ist das die Realität.

Großfamilienmütter versuchen, derweil ich den Asiaten noch hinterher schaue, ihre wild durch die Gegend flitzende Brut auch nur ansatzweise im Zaum zu halten und zu einem Gruppenfoto zusammen zu koordinieren, was natürlich vollkommen mißlingt und die Mutti im selbstgeklöppelten Batik-Top dazu veranlasst, in einer mir unverständlichen Mundart, müsste ich raten, würd ich Richtung Saarland tendieren, ihren Unmut in den strahleblauen Himmel zu schreien. Die Blagen ziehen weiter unbeeindruckt ihre Kreise. Und Quietschen. Und Schreien. Und nerven ungemein.

Es herrscht eine Athmosphäre wie auf einem Jahrmarkt und ich will ja nicht spießig klingen...aber dafür ist das hier irgendwie der falsche Ort. Der verdammt falsche Ort.

Vermutlich war ich aber auch einfach zur falschen Zeit am falschen Tag da. Sonniger Freitag Nachmittag zur Ferienzeit...hätt ich wissen müssen.

Ich mag diesen Ort.

Nachts ist er großartig! Wenn man fast allein dort ist und dann im Stelen-Labyrinth doch unerwartet auf andere Nachtschwärmer trifft. Oder auf Touri-Kids, die der Aufsichtsperson nach gruseligen Mitternachtsgeschichten entkommen sind und kreischend fast kollabieren, wenn man unerwartet vor ihnen steht.

Aber das ist dann auch wieder zu laut.

Ein Ort wie das "Holocaust-Mahnmal" verdient ruhige Momente und ebenso braucht es Ruhe, um zu begreifen (oder begreifen zu können), wie wichtig dieser Ort ist.

Und das ist so vielen so egal.

Und das find ich schade.

11 Kommentare:

  1. das, was du schilderst, lässt sich mit einer einfachen Formel begründen: mangelnder Respekt
    Die Leute sind gar nicht mehr in der Lage, sich an solchen Orten mal ein bischen zurückzunehmen--- dreizweieins: Meins.


    Ja, es ist manchmal gruselig

    die Exilhamburgerin

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    1. Da wirst du wohl Recht haben. Mangelnder Respekt in einer gewissen Kombination mit Unwissen. Vielleicht auch Unwillen, Respekt zu zeigen (auch und gerade vor Orten/Denk-/Mahnmalen etc), da "tun sich viele schwer", was ich nicht verstehen kann (und will).

      Ich finds echt schlimm. Da markier ich auch gern mal den "Moralapostel" ;)

      Danke für deinen Kommentar!

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  2. Ruhig mag ich ihn auch lieber, diesen wichtigen und besonderen ort in Berlins Mitte.
    Ihn zu begehen, und meinetwegen auch durch umher rennen zu erfahren, finde ich ok, rotzen, saufen, Party feiern, Müll abladen empfinde ich als sher störend.
    Obwohl ich mindestens ein Mal pro Woche da bin, ist das Mahnmal für mich etwas ganz Besonderes. Schön, dass du es ähnlich empfindest.

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    1. Ich denk mal, jeder braucht so ein, zwei Orte, an denen er "mal runterkommen" kann...Kopf frei kriegen und so.

      Hier in HH fahr ich runter zum Hafen, da findet sich immer ein ruhiger Fleck, vor allem natürlich abends/nachts.

      In B zieht es mich, wenns tagsüber mal still und ohne Trubel um mich rum sein soll, zur Ruine der Klosterkirche. Dahinein verirren sich laute Gruppen nicht, man hat seine Ruhe und ist für sich, hört aber das Leben "draußen", der Alex ist ja nur einen Steinwurf weit weg. Quasi totale Ruhe mitten im Großstadtlärm, ohne den ich auch nicht funktioniere. Perfekt für mich. Ein Lieblingsort!

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  3. Das gleiche Scheißvolk treibt sich am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow rum und posiert eitel vor den Blòcken mit den Zitaten von Josef Stalin. Irrwitze auf zwei Beinen, bildungsfern, dummfrech und laut.

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  4. @thorge: bei der Klosterkirche war ich schon lange nicht mehr, obwohl ich oft in der Gegend bin. Hab ich irgendwie vergessen. Danke für den Hinweis!
    Die Dimension des Mahnmals ist natürlcih nochmal eine ganz andere. Gedenken,Erinnern und vielleicht auch ein bisschen Begreifen und Lernen
    .@underdog: Irgendwie scheinen diese dummdreisten Halbsinner doch irgendein Gespür für besondere Orte zu haben. Leider können sie mit denen aber nicht anders umgehen, als mit allem anderen auch.
    Ganz gut, dass da regelmäßig die Polizei patrouilliert, und ein Auge drauf hat.

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  5. Oha, da hab ich wohl für meinen Mahnmal-Besuch den richtigen Zeitpunkt (Februar, dunkel, arschkalt..) gewählt. Sogar Kollege Laberback, der sonst nicht so schnell zu beeindrucken ist, hielt ausnahmsweise die Schnüss und wir wanderten schweigend herum.
    Touristenschwärme sind (meistens) einfach zum Kotzen!
    Mit Grusel erinnere ich mich an meinen letzten Besuch des "Weltkulturerbe Angkor Wat". Bullenhitze; das einzige Lüftchen die Darmwinde der (zu 99 % chinesischen) Touristen. Ohrenbetäubendes Geplapper, Gelächter und Geschrei. Schmutzige nackte Fußsohlen wurden der Buddhastatue entgegengestreckt. Die wunderbaren Steinreliefs glänzend vom Begriffeln mit fettigen, schwitzigen Händen. Kein Respekt vor der Kultur, kein Respekt vor den Einheimischen. Man wollte wohl nur einen Punkt im Programm abhaken. Und ich konnte gar nicht so viel kotzen, wie mir davon schlecht wurde.

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  6. Hey :) Das Mahnmal im Dunkeln zu besuchen ist eine sehr gute Idee, weniger Touris, die Wege durch das Stelen-Labyrinth scheinen noch verworrener...ich bin oft nachts da, wenn Kumpel M. mal wieder früh zur Arbeit muss und wir deshalb nicht ausgehen können. Er pennt, ich erkunde die nächtliche Stadt. Jedes Mal wieder grandios! Ich liebe das! Was man da so entdeckt... :)

    Was mich grad neidisch macht: Angkor Wat! Die Hitze würd mich fertig machen, aber das mal sehen...bestenfalls noch nachts unbemerkt rein schlüpfen...ein Traum!! Seit Jahren bin ich Fan von dem Ort und sauge sämtliche Info darüber aus den Medien quasi auf, vor drei Jahren war ein Freund in Kambodscha...hat aber lieber im Hotel am Pool gechillt, statt sich mit seiner Gruppe Angkor Wat anzuschauen. Ich war kurz davor, ihn zu erwürgen!! Wieso ist mensch so?? Unfassbar.... Ich könnt grad schon wieder kotzen deswegen. Definitiv einer der Top-5-Orte, die ich unbedingt mal sehen will!! Weit weit oben auf meiner Liste...

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    1. Dann solltest Du nicht nur-dann MUSST Du da mal hin.Nicht nur der Angkor Wat selbst, die gesamte riesige Anlage ist so unglaublich beeindruckend; das muß man mit eigenen Augen gesehen haben. Scheiß auf die Hitze, die Spinnen etc. Ich sage nur: Sonnenuntergang an den Gesichterfelsen des Bayon-Tempels. Es haut Dich aus den Socken.
      Im Gespräch ist immer wieder, die Besucherzahlen zu limitieren bzw. die Tempelanlage zu schließen, bevor gewisse Touristen mit ihrer Kletterei und Betatscherei alles endgültig ruiniert haben. Besser wäre es wohl. Laß Dir also vielleicht nicht zu viel Zeit.
      Aber Kambodscha ist nicht nur wegen Angkor eine Reise wert. Im Gegensatz zu Thailand ist es noch nicht von den Touris ausgelutscht, außer in Siem Reap bei Angkor. In Phnom Penh grüßt man sich als Westler noch, wenn man sich auf der Straße begegnet.Mal sehen, wie lange das so bleibt.
      Und bevor ich jetzt hier zu einem ausschweifenden Reisebericht aushole-Cut;-))
      Solltest Du den Trip mal anpeilen, kannst Du mich gerne antriggern,ich kann Dir bestimmt ein paar nützliche Tips geben. Schulde Dir ja noch was für den genialen Berlin-Kneipenleitfaden!

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    2. Das mit den limitierten Besucherzahlen habe ich gelesen und find's auch nachvollziehbar und gut, solche Orte müssen geschützt werden Touri-Massen und deren Auswirkungen. Irgendwann schmiert der erste mit Edding ein fieses Tag ran, ist doch grad erst vor zwei, drei Monaten in Ägypten passiert...haut n 15jähriger Chinese mal eben so "I was here" samt Datum in Mandarin auf ne x-tausend Jahre alte Hieroglyphen-Wand, ich hab das erst für einen verspäteten Aprilscherz gehalten. Mir war's früher zu peinlich, den Scheiß an die Wand der Bushaltestelle zu hauen, deshalb hab ich's gelassen, er feuert das mal eben so quer über Weltkulturerbe. Ich werd wahnsinnig...

      ...zurück zu Angkor Wat. In der näheren Zukunft sieht's, was meine Reisepläne angeht, eher mau aus, der Kontostand hat was dagegen. Sollte ich aber unerwarteten Reichtum erlangen, dann sitz ich kurz drauf im Flieger. Erst NY und Verwandtenbesuch in St. Louis und danach wird die Liste abgearbeitet. Asien ist zwar nicht so meine Ecke, aber dummerweise haben sie Angkor Wat ja nunmal da hin gebaut ;) Bleibt mir wohl nix anderes übrig. Ich hau dich definitiv vorher an, aber wie gesagt: Das ist recht ferne Zukunftsmusik :(

      Wann bist du denn mal wieder in der Hauptstadt? Vielleicht treib ich mich zu der Zeit ja auch da rum? Und wann startest du eigentlich endlich mal einen Blog? Ich wäre ja schwer begeistert, wenn du das tätest! ;)

      Ich muss jetzt erstmal "Gesichterfelsen des Bayon-Tempels" googlen, das sagt mir so leider grad nix. Bin gespannt!

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    3. Kurzer Nachtrag: Der Tempel/Felsen ist der Hammer!! Ich kannte ihn vom Sehen, aber der Name war mir unbekannt! Wieder was gelernt, cool, danke! :)

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