Dienstag, 18. Juni 2013

Der Schatten, der die Nacht durchflattert

Schlafenszeit.

Noch kurz ein Blick aus dem Fenster, nur so zum Abschalten. Mal gucken, wieviele Fenster im Wohnblock gegenüber noch erleuchtet sind. Allzu viele werden es nicht sein.

Ich lasse den Film, den ich grad angesehen habe, im Kopf Revue passieren. So ein Quark.

Außerirdische Hirnfresser mit glühenden Augen, die eine Großstadt angreifen und nachts deren Bewohner reihenweise anfallen und enthirnen. Als ob es sowas...

..."Moment mal!" denk ich mir, "Das wäre eine Erklärung für die Existenz von RTL2 und Formaten wie "Frauentausch" oder "Berlin: Tag und Nacht"!"

Ich öffne das Fenster, lehne mich heraus und...

...auf Augenhöhe im Baum, der vor meinem Schlafzimmerfenster steht, hockt ein Paar kugelrunder gelb leuchtender Augen, das zu einem dunklen Schatten gehört. Würgegeräusche sind zu hören. Es klingt in etwa so, als würde man einen kleinen Hund strangulieren, eklig, gruselig!

Ich zucke zusammen und stolpere vor Schreck rückwärts, der Hirnfresser ist da, um mich auszusaugen, da bin ich mir kurzzeitig recht sicher. Gleich wird er mich anspringen!

Während ich rückwärts taumele, stolpere ich über meinen Schreibtischstuhl und falle. Rücklings. Dem Boden entgegen.

Mein letztes Stündlein hat geschlagen, soviel ist mir klar. Entweder brech ich mir beim Sturz das Genick oder aber der fiese Hirnfresser erwischt mich und ich werde RTL2-Schauer. Beides definitiv uncool.

Ich falle. In Zeitlupentempo. Mein Leben zieht an mir vorbei. Zumindest gewisse Momente, in denen es auch knapp war.

Zum Beispiel, als mal ein Smart, auf dessen Beifahrersitz ich saß, auf der A1 südlich von Hamburg während des Überholens einer LKW-Kolonne auf Blitzeis geriet und fröhlich Pirouetten drehte. Es gab mehrere Einschläge in die Mittelleitplanke, der Wagen verließ aber nie die Überholspur. Ich erinnere mich, daß ich aus dem Seitenfenster schaute, direkt in das Führerhaus des 40-Tonners neben uns. Der Fahrer schaute zu mir in unserem außer Kontrolle geratenen Kleinstwagen hinab und schüttelte vehement den Kopf. Als wollte er sagen "Bleibt, wo ihr seid! Kommt nicht auf die Idee, vor meinen Truck zu schleudern. Denn dann seid ihr tot und ich bin ein psychisches Wrack."

Herzkasper-Gefahr.

Der rotierende Smart blieb brav auf seiner Spur, niemandem ist was passiert.

Ich hab gelacht, als die Cops kamen. Die waren sauer deswegen.

Während ich falle, grinse ich zufrieden.

Oder der Moment im amerikanischen mittleren Westen am Lake Ozark im Süden des Bundesstaates Missouri. Ich hab da einen Haufen Verwandte und war auch drei Mal drüben in den Staaten während meiner Schulzeit. Hab da viel gesehen und erlebt. Zum Beispiel ne Schießerei in nem Vorort von St.Louis, das ist da aber normal. man legt sich halt flach auf den Boden und wartet, bis es nicht mehr knallt. Danach macht man mit dem weiter, was man vor der Schießerei tat. Ist ja nix passiert.

Ich saß am Lake Ozark auf einer Holzbank, meine (um hunderttausend Ecken) Verwandte fotografierte für die Nachwelt und ich griff mit der linken Hand unter die Sitzbank, warum auch immer. Ich berührte etwas "haariges weiches" und eine Sekunde später rannten acht Beine um ihr Leben. Eine dicke fette Tarantel. Und das passiert natürlich mir, der eine ausgewachsene Arachnophobie hat (auch damals schon).

Herzkasper-Gefahr!

Meine um tausend Ecken verwandte Tante erzählte mir dann zur Beruhigung, das sei alles ok, sie hätte die Viecher regelmäßig im Haus...ich hab nächtelang nicht geschlafen.

Ich atme tief durch, die Mistviecher haben mich nicht erwischt, halleluja! Ich falle weiter.

Zeit. Lu. Pe.

"Damals, die Schlägerei auf der damaligen Arbeitsstelle, wo dann auch die Cops kamen und all das. Da haste auch nur Glück gehabt, das der Typ mit der Wumme dich mochte. Sonst hätt das uncool enden können!" denke ich.

Und falle.

Aufprall.

Weich und warm. Kuschelig!

Ich bin nicht tot, Genickbruch my ass, ich liege mit dem Kopf in dem Haufen Klamotten, den ich eigentlich vor Stunden in die Waschmaschine schmeißen wollte, was ich dann mit Blick auf die Uhrzeit aber nicht tat. War ne gute Idee...

Ich liege mit dem Kopf zwischen meinen getragenen Socken und Boxershorts, schaue aus dem mir gegenüberliegenden Fenster und erwarte den Angriff des Hirnfressers mit den leuchtenden Augen.

Die Eule auf ihrem Ast kurz vorm Fensterbrett macht ob des Krawalls, den ich veranstaltet habe, während ich rücklings in den Wäschehaufen fiel, einen gutturalen Laut, krallt sich im Wortsinn die Maus, die sie in Ruhe verputzen wollte, als ich mein Fenster öffnete und verschwindet.

Ich rappele mich auf, es war recht gemütlich mit dem im Wäschehaufen ruhenden Kopf. Aber das ist ja keine Dauerlösung.

Ich trete ans Fenster, im Wohnblock gegenüber sind noch zwei Fenster erleuchtet. Wenige. Wie erwartet.

Auf dem Ast vor meinem Fenster entdecke ich Eulenkacke.

Das Federvieh hat gewonnen.

4 Kommentare:

  1. mal gucken obs jetzt klappt, verbunden mit einem kompliment: du hast ne "schöne schreibe"..kommt atmosphärisch klasse rüber

    die nicht-mehr-stumme-hamburg-exilantin

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    1. Astrein hat's geklappt und ich bedanke mich für das Kompliment! Mir gefällt, wenn's dir gefällt! :)

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  2. Eulen in Hamburg?! Ist doch großartig!
    Aber erst mal wär ich wohl auch erschrocken gewesen.
    Zum Tarantelerlebnis hier eine Definition aus meinem persönlichen Lexikon:

    "Ekeltod" (der): Sofortiges Versagen sämtlicher Körperfunktionen, ausgelöst durch Berührung mit arachnoiden Lebensformen. Mehr oder weniger starke Ausprägung, abhängig von der Größe des Arachniden. Besonderheit: Der Hirntod tritt nicht ein, so daß das Opfer in Extremfällen bei vollem Bewußtsein realisiert, wie ihm Nasenlöcher, Mund und Augen "zugesponnen" werden.
    Therapie: Keine. Sofern das Opfer transportfähig ist, sollte man es umgehend in die Nervenklinik seines Vertrauens einweisen.

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  3. Es soll sogar eine Menge verschiedener Eulen-Arten im Stadtgebiet geben, sogar Uhus! Hab ich letztens im TV gesehen, da war ich schon beeindruckt! Und find ich auch toll, aber die sollten schon aufhören, mich unnötigerweise zu erschrecken...

    Nach Deiner "Ekeltod"-Definition kribbelt es mich nun überall und ich habe Socken angezogen, nackte Füße unter dem Schreibtisch erschienen mir auf ein Mal als unpassend. Da ist es dunkel, wer weiß, was da lauert??
    Mit Achtbeinern hab ich noch einige Erlebnisse mehr, die könnt ich vielleicht mal niederschreiben. Das wär aber echt eklig...aber vielleicht hilft's ja sogar? Man soll sich ja seinen Ängsten stellen! Mal gucken...

    (Skorpione, bekanntlich ja auch Arachniden, find ich übrigens seltsamerweise extrem cool und werd mir irgendwann mal einen anschaffen. Pandinus imperator, der Kaiserskorpion, ein geiles Viech! Aber die scheren-und-stachellosen Achtbeiner gehen gar nicht!)

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