Samstag, 15. Dezember 2012

Freitag, der 14. Dezember 2012

Freitag, der 14. Dezember 2012. Zehn Tage noch bis zum heiligen Abend und 17 Tage noch, bis ich zum Jahreswechsel wieder mit großen Augen auf irgendeinem Dach in Berlin stehe, das Feuerwerk bestaune und in mich rein "Aaaaaah!!!" und "Oooooh!!!" mache.

Freitag, der 14. Dezember 2012. Der Schnee schmilzt zu Matsch, es regnet und dann friert der ganze Krempel wieder über. Auf den natürlich ungeräumten Straßen meiner Nachbarschaft könnte man Schlittschuh laufen, so glatt ist es. Leider besitze ich keine Schlittschuhe, auf ihnen laufen kann ich eh nicht, das hab ich versucht und einen angebrochenen Brustwirbel brauch ich nicht nochmal.

Freitag, der 14. Dezember 2012. Der Dönerdealer braucht nur 20 Sekunden zu lang, um mir mein Wechselgeld heraus zu geben, der Bus ist weg, der nächste kommt in 15 Minuten. Oder in elf, vielleicht aber auch erst in 19, wer weiß das schon, nach Plan fährt hier ja nichts auf diesen zwei Linien, mit denen mich seit einem Jahrzehnt eine Hassliebe sondergleichen verbindet. Ich beschliesse, dem Wetter zu trotzen, auf meinen recht anständigen Gleichgewichtssinn zu vertrauen und den Heimweg, es ist ja nur eine einzige Haltestelle plus ein paar Extrameter weiter, zu Fuß anzutreten, immer ganz kleine Schritte machend, dort, wo nicht gestreut ist, immer einen Fuß vor den anderen, das wird schon werden! Und wenn ich mich hinlege, dann wenigstens bitte nicht in eine der Schmelzwasserpfützen, das wäre nett! 15 Minuten und einige kleinere oder größere Rutsch-und-Schlidderaktionen später bin ich zuhause. Gleichgewichtssinn FTW!!

Freitag, der 14. Dezember 2012. Natürlich ist der Döner inzwischen kalt, aber er schmeckt. Bisschen viel von der dickflüssigen scharfen Soße ist drauf und überhaupt, die gibts anderswo in besser. Aber ich will ja nicht meckern. (Was soll eigentlich dieses grüne Kräuterzeug, rein optisch Petersilie-ähnlich, zwischen den Zwiebeln? Hat das Sinn? Das wandert von zwischen den Zwiebeln direkt zwischen die Zähne und das sieht dann echt scheiße aus.) Nächstes Mal, wenn kein Eisregen ist, geh ich wieder zum Lieblings-Dönermenschen.

Freitag, der 14. Dezember 2012. Nach dem Essen ein bisschen zocken, ich melde mich zum Online-Poker an. Um Spielgeld natürlich nur, ich bin ja leider nicht Rockefeller. Selbst wenn würd ich wahrscheinlich nur um Spielgeld spielen, neben Schlittschuh fahren bin ich nämlich auch kein Held im Pokern. Gute Hände spiele ich zu offensichtlich, schlechte Hände zu offensiv bei Täuschungsversuchen und zu selten einfach gar nicht. Schlechte Vorraussetzungen. Ich tippe meinen uralten Nickname ein, "HurtKid" plus mein Geburtsdatum, den Namen hab ich mir mal irgendwann aus einer Bierlaune heraus erwählt, während nebenbei ein Konzert von Blink 182 auf MTV lief. Blink mochte ich tatsächlich in grauer Vorzeit mal und MTV zeigte noch Musikvideos und sogar ganze Konzerte, an diesen beiden Tatsachen kann man in etwa erahnen, WIE lange ich diesen Nickname schon benutze. (Entstanden übrigens, weil ein Stagediver sich während des Konzerts verletzte und von der Bühne die Ansage "Make way for the hurt kid!" kam). Angemeldet checke ich die verschiedenen Pokertische, Texas Hold 'Em, no limit raise, das ganze am Neuner-Tisch, das solls sein. Virtuell setze ich mich an den Tisch - und es dauert keine Minute, bis ich die erste private Nachricht aus den USA erhalte, in der etwas steht wie "Schämst du dich nicht, du Arschloch??" Ich bin verwirrt, da kommt von einem anderen User aus den USA die nächste Nachricht, er teilt mir mit, er wünschte, ich würde in der Hölle schmoren. Dann gehts auch öffentlich im neben dem Spiel laufenden Chat los, mir werden Dinge an den Kopf geworfen, Kanada stimmt mit ein und dann auch andere Nationen. Ich folde mein Paar Damen, logge mich aus und bin jetzt wirklich ernsthaft verstört. Was war DAS??

Freitag, der 14. Dezember 2012. Der Tag, an dem ich weder am PC noch per Handy noch per TV irgendwelche Nachrichten verfolgte.

Dann aber doch.

Freitag, der 14. Dezember 2012. Der Tag, an dem irgendwo in der nordöstlichen Provinz der Vereinigten Staaten irgendein durchgeknalltes Arschloch bei einem Amoklauf über 20 Menschen umgebracht hat, die meisten davon Kinder zwischen fünf und zehn. Als ich das irgendwann gegen ein Uhr nachts online lese, werde ich blass und mir wird schlecht. Normalerweise bin ich nicht so, mir ist vieles relativ "egal" bzw ich lass es nicht an mich ran, hab meine eigenen Sorgen, da bin ich ehrlich meist ein totaler Egoist. Sicher, das ist alles schlimm und ein flaues Gefühl im Magen bleibt. Aber das vergeht wieder. Das ist dieses Mal anders. Wie kann ein erwachsener Mensch..."Mensch"...losgehen und Kleinkinder "abknallen"?? Im Ernst, ich hab schon eine ganze Menge Scheiße gesehen, gehört und gelesen, aber es gibt Dinge, die gehen weit darüber hinaus und die versteh ich nicht - was vielleicht auch ganz gut so ist. Das ist so eine verdammt kranke Welt, in der wir leben...ich bin fassungslos.




Ich weiß nicht so genau, warum mir das so reingeht. Bei ähnlichen Verbrechen war das nicht so ein Tritt in die Magengrube. Vielleicht, weil Sohnemann grad in dem Alter ist? Ich weiß es nicht...

Mein Nickname hat bei meinen Mitspielern am Tisch wohl (verständlicherweise) einen Nerv getroffen und ich kann die Reaktionen in gewisser Weise nachvollziehen. 

Freitag, der 14. Dezember 2012.

Ein grauenhafter Tag.


(Ich weiß nicht, ob dieser Text lange online bleibt. Weil ich mir nicht sicher bin, ob ich die richtigen Worte gefunden habe oder generell richtig mit diesem Grauen umgegangen bin. Vielleicht wird er bald wieder gelöscht. Aber das Schreiben hat gut getan.)

2 Kommentare:

  1. Wehe du löscht den. Guter Text. Gut getroffen. Weiter so.

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    1. Ja, er bleibt drin. Vielleicht formulier ich noch Kleinigkeiten um, mal sehen. Nachdem Posten war ich mir nicht sicher, ob das alles so "ok" ist - jetzt fühlts sich "besser" an. Danke für deine Meinung!

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