Freitag, 14. Dezember 2012

Einmal Wedding. Und zurück?

"...ob wir uns sehen können? Ja, sicher, aber ich hab noch was zu erledigen!" sagt die Pseudofreundin. "Ok? Kann ich doch mitkommen?" sag ich. Schweigen. Dann "Kannst du schon, wenn du unbedingt willst." Na, das klingt begeistert.

Zwei Stunden später treffen wir uns am Alexanderplatz. Kurze Begrüßung, Standard, Bussi links/rechts. 

"Was hast du denn noch zu erledigen?" frag ich und ernte Herumgedruckse. "Meine Fresse, jetzt sag halt!", ich kann und mag mich nicht länger zurückhalten, ich lass mich doch nicht verarschen! Denn ich ahne ja, was dahintersteckt.

"Ich muss in den Wedding. Leopoldplatz." - "Aha. Und dann?" Weiß ich ja längst, wills aber hören. "Nur so." - "Ahja, an nem Mittwoch Abend gegen 23 Uhr willst du 'nur so', aus Spaß vermutlich, ausm Prenzlberg zum abgefuckten Leopoldplatz fahren? Echt jetzt mal, ich leb nicht in Berlin, aber blöd bin ich auch nicht."

Den innerlichen Zusammenbruch kann man beobachten, zuerst die Mimik, die sich verändert, dann wird der Körper schlaff, die Schultern hängen, Gestik ist gar keine mehr vorhanden. Totale Aufgabe. Dann Trotzreaktion. Schreien. Ficken soll ich mich und scheißegal bin ich auch. Zwei Minuten danach der totale Kollaps, ich kann sie grad noch auffangen, bevor der Kopf aufs Pflaster klatscht.

Jemand ruft eine Ambulanz, die sie allerdings ablehnt, als sie wieder wach ist. Die Sanitäter ziehen unverrichteter Dinge wieder ab, zumindest wurden sie nicht angepöbelt. Die hätten sicher auch besseres zu tun gehabt... Das ganze wird allmählich richtig mies und auch ein wenig peinlich.

Aber ich lass sie ja nun nicht allein durch Berlin laufen. Also in die Bahn gen Wedding, davon abhalten endet wieder böse.. Vom Alex zum Leopoldplatz, U8 bis Osloer, rein in die U9 bis mitten im Shit. Und dann warten. "Mein Kerl kommt gleich!"

"Scheiße! Was tu ich hier?" denk ich mir, während ich da so stehe und mich umschaue. Jede einzelne Sitzbank mit jemandem besetzt, der darauf schläft, mitten auf dem Platz seh ich eine Gruppe von drei Personen, offenkundig im Streit, ich höre russische oder polnische Wortfetzen herüberschallen, stehen können die Typen alle kaum noch, interessanterweise geht trotzdem keiner zu Bodem bei dem Gerempel und Geschubse. Was fehlt, sind die Mädels am Straßenrand, die "ficki-ficki" flüstern.

Ihr wird es zu bunt, sie geht entschlossen auf zwei augenscheinlich Betrunkene zu und fragt ganz direkt. "Habt ihr was?" - "Mädchen, wir haben alles, was du willst!"...das reicht mir, ich zieh sie weg, werde beschimpft, ist mir egal, bei Gegenwehr krieg ich die beiden los, die können sich so oder so kaum noch auf den Beinen halten. Mein Beschluss, nach heute den Kontakt abzubrechen ist nun gefasst, heut Nacht aber halt ich sie noch aus jeglichem Mist raus. So gut das eben machbar ist.

Ihr Dealer taucht auf. Allerhöchstens 25, gegelte Haare, Jogginghose, ekelhaft. Er begrüßt mich mit Bussi links und rechts (das kenn ich doch??), ich tu mir das an, damit hier nichts aus der Bahn läuft. "Hany" nennt er sich. Er hat eine blutige Narbe auf der Wange aber blitzeblank weiße Zähne. "Da ist ein Deal scheiße gelaufen!", so erklärt er die Narbe, "Sind neue Zähne, nach dem kaputten Deal hatte ich keine mehr! Aber ich hab dem Zahnarzt gut gezahlt!" sagt er in astreinem Deutsch, kein "Altah", kein "Digger", nichts mit Mutter ficken...er redet reinstes hochdeutsch. Soviel zum Klischee.

Wir laufen etwa zehn Minuten, dann wird es ernst. "Willst du auch kaufen, mein Freund?" - "Nein, auf keinen Fall, ich begleite nur!" (warum auch immer)... "Ok, dann chill mal! Wir gehen jetzt in das Haus da drüben, Ware checken und so! Ist da immer gut! Lauf nicht weg, mein Freund! Bleib hier sitzen!" Er schenkt mir eine Marlboro, die soll mich wohl überzeugen, an Ort und Stelle zu bleiben.

Also sitz ich da, auf ner Tischtennisplatte, die vor einem Kinderspielplatz steht, schmöke die verkackte Kippe weg, eine Mutter mit Kinderwagen geht vorbei und lächelt mich an und ich lächele zurück, denn verstellen kann ich mich gut. Eigentlich stell mir Fragen. Warum geh ich nicht einfach? Warum ruf ich nicht die Cops? Warum bin ich überhaupt hergekommen?!? Warum hab ich diesen beschissenen Beschützerinstinkt, dem ich grad folge...zumindest gesund heim nach Prenzlberg soll sie kommen, was danach ist... und warum will ich DAS überhaupt? Erklären kann ichs mir nicht.

So sitz ich da in einer doch recht familiär aussehenden Seitenstraße, sehe all die erleuchteten Fenster mit Schatten dahinter und warte beinebaumelnd, daß sie aus diesem harmlos aussehenden Dönerladen zurück kommt, der nur so tut, als würde er türkische Spezialitäten verkaufen...das wahre Geschäft findet wie in einem schlechten Krimi im Hinterzimmer statt. Und den Laden kannte vor zwei Jahren, in der Zeit, in der diese Geschichte spielt, kaum wer, hat mir der Dealer erzählt, stolz grinsend mit seinen Blitzezähnen, das war ein Geheimtipp. Mit Passwort und so. Wie im Film halt.

Ich hab sie dann noch heim in den Prenzlauer Berg gebracht und ihr vor der Haustür gesagt, daß das unser letztes Treffen war. Tränen sind geflossen, im Normalfall komm ich damit gar nicht klar, dieses Mal aber hab ich die nächste Tram gen "weg von hier" genommen. Vorher noch ein Bier gekauft für die Fahrt, um die ganze Geschichte zu beerdigen. Oder eher zu ersäufen.

In der Bahn skippt das Handy zum grandiosen "Short stories with tragic endings", einem meiner Lieblingslieder.

Wie passsend. Wie passend....




1 Kommentar:

  1. Derbe Geschichte. Manche wollen nicht glücklich werden, man muss sie ziehen lassen. Samariter reiben sich an sowas auf und werden zuletzt selber mit nach unten gezogen.

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