Donnerstag, 19. Dezember 2013

Der Wahnsinn in der Warteschlange

Letztens ist mir mal wieder am Abend die Glühbirne in der Deckenleuchte durchgebrannt und da ich natürlich wie immer keine Ersatzbirne in der Wohnung hatte, verbrachte ich die Zeit bis zum Schlafen gehen im schummerigen Licht einiger Kerzen und einer Weihnachts-Pyramide auf der Fensterbank sowie dem flackernden Licht des Fernsehers und des LapTop-Monitors. Das war in Ordnung, es gefiel mir sogar ein bisschen.

Tags darauf waren meine Eltern zum traditionellen vorweihnachtlichen Besuch in der Stadt und Mutter teilte meine Meinung so gar nicht, als ich ihr vom vorabendlichen Fauxpas erzählte. Da müsse SOFORT eine neue Birne her sagte sie in einem Tonfall, der nicht den Hauch einer Diskussion zu ließ. Direkt ins nächste Geschäft ginge es, um für adäquaten Ersatz zu sorgen.

So weit, so gut.

Dumm nur, dass das nächste Geschäft dieser Art die "Saturn"-Filiale auf der Mönckebergstraße direkt am Hauptbahnhof war, noch dazu war es um die allgemeine Feierabendzeit herum, wo sich NOCH mehr Volk in der Hamburger Innenstadt tummelt als eh schon in den Wochen vor Weihnachten.

Solche Argumente prallten an meiner Mutter allerdings ab wie ein Flummi, denn zuhause im niedersächsischen Nichts gibt es so etwas wie vorweihnachtlichen Trubel in der Einkaufsmeile nicht. Denn dort gibt es keine Einkaufsmeile.

"Jetzt geh da rein und besorg schnell eine Glühbirne, wir warten hier kurz!" sagte sie, "Papa kann dann eine rauchen und ich schau eben in ein paar Schaufenster. So lang wird das ja nicht dauern!"

Beim letzten Satz musste ich ein wenig lachen, aber wie gesagt: Diskussion von vornherein ausgeschlossen.

Ich also rein zu "Saturn", Böses vorhersehend.

Das Objekt der Begierde war schnell gefunden. Keine drei Minuten nach Betreten des Ladens war ich schon wieder auf dem Weg zur Kasse.

Fünf Kassen waren offen, an jeder so vier oder fünf Kunden vor mir. Ich entschied mich für die goldene Mitte.

Das war ein Fehler.

Die ersten beiden Kunden wurden noch problemlos abgefertigt und ich hatte nur noch zwei "Damen" vor mir. Die erwiesen sich aber als Totalschäden.

Der ersten war das auch optisch anzusehen. Während sie darauf wartete, dass sie an die Reihe kam, bohrte sie hingebungsvoll in der Nase. Wann die Haare zuletzt Wasser, geschweige denn Shampoo gesehen hatten, kann ich nur schätzen und ich würde auf einige Tage tippen. Die fettigen Strähnen wurden von rosafarbenen Spangen "in Form gehalten", vermutlich wären sie aber eh von allein an betreffender Position kleben geblieben...allgemein machte die gute Frau nicht den gepflegtesten Eindruck, aber ich will nicht urteilen. Jeder, wie er es mag.

Auf jeden Fall kaufte sie einen Haufen CDs, ich habe den "Eighties Mix" gesehen und irgendwas mit "Charts 2013" im Namen. Gruselig. Charts 2013. Robin Thicke, Daft Punk und das halbnackte Kind mit dem Undercut auf der Abrissbirne. Nein, schön ist anders. Geschmack erst recht...

Der junge Verkäufer scannt also CD nach CD. "Das macht dann 73, 50€ bitte!"

Sie zückt ihr Portemonnaie. Grelles rosa. Mit "Pikachu" drauf. What the fuck?!? Zieht drei Zwanziger heraus und drückt sie ihm mit fragendem Blick in die Hand.

"Das reicht noch nicht, da fehlt noch was!"

Ein weiterer Zehner wandert aus ihrer Geldbörse in Kassiererhände.

Jetzt schaut er fragend. Vermutlich sucht er insgeheim die versteckte Kamera. "Prima, jetzt noch drei fuffzich!" Sie starrt. Er auch. Sie an. Ich beginne zu realisieren, dass es noch ein Weilchen dauern wird, bis ich meine Eltern wiedersehe. Mal wieder die falsche Kassenschlange.

Zögerlich wechseln einige Münzen von A nach B, ich zähle mit, wir sind jetzt bei 73 Euro und zehn Cent. 40 Cent fehlen noch, das Finale ist nah.

Da zückt sie den Fuffi!

"Ich habe keine Münzen mehr!" sagt sie in bedauerndem Tonfall. Der Kassierer schaut jetzt, als stände ein Alien vor ihm und irgendwie ist das ja auch so. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine Wand, gegen die ich meinen Kopf schlagen kann.

Das war`s, sie hat bezahlt, er hat das Rückgeld herausgegeben, das Elend hat ein Ende, Erleichterung setzt ein, die ungeduschte Pummelfee in der Trainingsjacke kann den Abflug machen.

Das tut sie aber nicht.

Sie bleibt wie festgewachsen an der Kasse stehen und beäugt interessiert die ausliegende Auswahl an Plastiktüten. Ob die kostenlos seien, möchte sie wissen.

Das seien sie und sie dürfe sich so viele nehmen, wie sie möchte, erklärt der junge Mann an der Kasse, der inzwischen so aussieht, als würd er ihr liebend gern an die Gurgel gehen. Mir geht es inzwischen ähnlich.

"Da klingelt aber nichts, wenn ich dann raus gehe?" Die Frage kommt bestimmt. Investigativ. Klauen, nein, das möchte sie nicht. Auch keine kostenlosen Plastiktüten. Auf die Bestätigung, dass es garantiert auf dem Weg aus dem Laden nicht klingele, erfolgt eine dreifache Nachfrage.

"Sind sie sicher?" - "Ja." - "Wirklich?" - "Ja, wirklich!" - "Und es klingelt garantiert nicht? Sind sie WIRKLICH (sie betont das erste "i" lang) sicher?"

In den Kassiereraugen blitzt es gefährlich, er schiebt Kopfkino und in diesem bearbeitet er Madame Fetthaar mit einem langen Messer. Dazu wahlweise water boarding oder Elektro-Schocks.

"Ich. Bin. Mir sicher. Sehr." presst er zwischen den Zähnen hervor.

Endlich gibt sie ihren Posten an der Kasse auf, nicht ohne sich eine der kleinen Plastiktüten, die in Elektromärkten halt so angeboten werden und in den ihre CD-Sammlung mit Mist-Musik garantiert nicht passt, zu sichern. Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass sie das bitte erst bemerken möge, wenn ich gezahlt habe...

Die Kundin, die nun noch vor mir an der Reihe ist und die vergangenen sechs oder sieben Minuten erstaunlich stoisch ertragen hat, macht mir Hoffnung. Älteren Semesters, eleganter Mantel, hochklassiges Handy...die kann unmöglich ähnlich nervtötend sein.

Falsch.

"Guten Abend, ich möchte einen Gutschein für meinen Enkel kaufen." - Der Mann an der Kasse schaut erleichtert. "Gerne, welchen Wert soll der denn haben?" - "277 Euro." - "Oh. wir bieten nur Gutscheine für 250 Euro an. Oder halt kleinere Geldwerte. Zehn Euro. 25 Euro...50..." - "Das ist schlecht, ich brauche nämlich einen über 277 Euro!"...

Ich brech das hier mal ab, denn ansonsten tippe ich morgen noch.

Der Kassierer und die elegante Dame einigten sich dann nach langer Diskussion, ich musste die ganze Zeit an einen Amoklauf denken, er hatte sich zwischenzeitlich aufgegeben, darauf, dass sie drei Gutscheine ersteht, 250€, 20€ und 5€. Nachdem die Scheine im Wechsel für die drei in einem Umschlag steckenden Gutscheine in die Kasse gewandert waren, wandte sich die elegante Dame das Kackweib nochmals an den jungen Kassierer. Es sei eine Frechheit von ihm, sie müsse jetzt die fehlenden 2€ auf den Umschlag kleben. Sowas wäre ihr noch nicht untergekommen. Schämen solle er sich.

Hätte sie noch einen weiteren Satz begonnen, ich hätte ihr mit Anlauf ins Kreuz getreten.

(Zwischendrin hatte die rosa Bedrohung von vorher übrigens nochmals einen Auftritt. Ihr war nach minutenlangem Herumprobieren dann doch aufgefallen, das ihr CD-Stapel im Leben nicht in die eine kleine Plastetüte passt. "`tschuldigung, darf ich die Tüte eintauschen? Für eine große?" - "Selbstverständlich!" - "Dann klingelt es aber auch nicht, wenn ich..." Zu meiner absoluten Überraschung hat sie den Killerblick des Kassenmenschen direkt verstanden)

Dann habe ich bezahlt. Meine Glühbirne. 1,99€. Und dann raus zu meinen Eltern. Inzwischen war es dunkel.

Eine Vermisstenanzeige hatten sie noch nicht aufgegeben. Daddy hatte aber einige neue graue Haare im Vollbart. Mutter hatte währenddessen die halbe Mönckebergstraße leer gekauft.

Und ich sitz abends nicht mehr im Dunklen. Hat mich nur 1,99€ und mehrere Lebensjahre gekostet, das Nervenkostüm muss komplett überholt werden, ich bin nur noch ein zitterndes Wrack und fasele davon, "Saturn" in die Luft zu sprengen. Aber sonst ist alles schön. Schwund ist ja bekanntlich immer.

Ich geh nachher los und kaufe mir ein rosafarbenes Portemonnaie. Für 277 Euro. Und danach lasse ich mich einweisen.

8 Kommentare:

  1. 'Da zückt sie den Fuffi!'

    mein kopf wurd rot, die tränen stiegen mir in die augen. brauch ne pause oder mein kollege pisst mir ans bein. ach herrlich. ersma den text übers molotow lesen.

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    1. Ging mir in dem Moment ähnlich. Neben dem wutroten Kopf und den Verzweiflungstränen in den Augen fehlte zum Gesamtbild nur noch aus den Ohren aufsteigender Qualm. Comic-mäßig mit einer tutenden Dampflok unterlegt.

      Ich hoffe, der Kollege hat an sich gehalten ;))

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  2. bin jetzt durch. einfach herrlich.

    - j

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  3. Mal wieder wunderbar lustig! eigentlich nicht zum lachen und dennoch herrlich komisch - brilliante Auffassungsgabe :-D

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    1. Danke Dir! Während der Wartezeit wusste ich nicht genau, ob ich lachen oder weinen soll. Das war tragisch und komisch zugleich. Prima, wenn ich das ansatzweise rüberbringen konnte :)

      Komm gut ins Wochenende!

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  4. Herrlich, einfach nur herrlich, wenn es nicht zugleich ein wenig aggro machen würde.
    Es löst ähnliche Emotionen aus, wenn bei Harry Potter die rosa Katzentante über den Bildschirm flimmert.

    Aber ich kann dich voll verstehen, habe heute den selben Fehler gemacht und mich in den Saturn-Mö gewagt, was man für einen USB Adapter nicht alles tut. Und wer ist Schuld...Mutti, die muss das ja haben. Freitag, früher Nachmittag und trotzdem Japanische Verhältnisse.

    Aber das Highlight war C&A, eine singende, Gitarre spielende Klofrau, da stehen die Kunden schlange, nicht, weils besetzt ist, sondern um der guten Frau zuzuhören.

    Hast du denn diesmal den Obdachlosen mit seinem Weihnachtsklimbim gesehen?
    Ich leider nicht, war aber auch mehr darauf bedacht dieses Little-Tokyo wieder hinter mich zu bringen.

    LG aus Ohlsdorf

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    1. Oh, Himmel ja, die Katzentrulla bei HP, stimmt, jetzt wo du es sagst!! Wahnsinn!

      Den Obdachlosen habe ich leider wieder nicht entdeckt, ich hatte allerdings mit meinen Eltern auch genug zu tun. Die haben ihr Leben lang in Dörfern gewohnt und verhalten sich in (Groß)Städten in etwa so wie ein Sack Flöhe. Man weiß nie, was sie als nächstes tun, es ist verrückt!

      Evtl bin ich Montag Morgen vor der Heimreise nochmal in der Innenstadt, dann achte ich nochmal drauf, ob ich ihn sehe!

      Ich musste zwei Mal lesen: Eine singende und Gitarre spielende KLOFRAU?? Bei C&A??? Was zur Hölle...? DAS hätt ich dann doch gern gesehen! Sowas erwarte ich (wenn überhaupt) in irgendnem überteuerten Hipster-Schuppen in der Schanze, aber im Leben nicht bei C&A. Nichts gegen die Kette, aber sie ist ja im Normalfall doch eher "bodenständig" :)

      Hab ein schönes Wochenende!

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  5. daraus könnte man einen wunderbaren Werbespot machen...für Amazon. Ja, leider. Solche Erlebnisse sind es, die den Onlinehändlern die Kunden zutreiben. Und irgendwann die Städte veröden lassen. Seufz.

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