Donnerstag, 1. August 2013

Die hübsche Irre und das Gemüse.

U1, Wandsbek-Gartenstadt Richtung City.

Ich döse in einem Viererabteil und beobachte die vorbeiflitzenden Lichter.

Die Bahn hält an der Straßburger Straße, wo ich fast mal gewohnt hätte, zum Glück hab ich die Wohnung damals nicht genommen, denn in der ersten Nacht, die ich dann dort verbracht hätte, wurden im Treppenaufgang, den ich vom Schlafzimmerfenster aus gesehen hätte, zwei Menschen niedergestochen und nur einer hat das überlebt. Das wäre der "perfekte Einstieg" gewesen, er blieb mir glücklicherweise erspart. An meiner jetzigen Heimathaltestelle gibt's nichtmal Grafittis, so harmlos ist die. Und ich find's gut.

Es steigt eine Frau ein. Sie hat die schulterlangen Haare zu zwei Pferdeschwänzen gebunden und lächelt mich an, als ich gelangweilt die neu Zugestiegenen mustere.

Ich frage mich kurz, warum sie lächelt. Dann schalte ich zurück in den Egal-Modus und da die Bahn jetzt unterirdisch fährt und es dementsprechend nicht lohnt, aus dem Fenster zu schauen, beschäftige ich mich mit meinem Handy.

Mir gegenüber setzt sich ein Schatten auf die Sitzbank, ich bemerke und verdränge es, ich suche grad verzweifelt einen anständigen Stürmer für meinen virtuellen Fußball-Manager, seit der Schürrle auf die Insel abgewandert ist, hab ich zwar Geld ohne Ende, dafür im Angriff aber ein klaffendes Loch. Und es gibt keinen adäquaten Ersatz auf dem Markt...verdammt noch eins!! First world problems...

"Hi!" sagt der Schatten.

Ich blicke auf. Verdattert.

Die Lächelnde mit den doppelten Pferdeschwänzen.

"Äh...hi? Kann ich was für dich tun?" frage ich.

Und es geht los...

"Ich heiße SoUndSo, ich habe jahrelang auf der Straße gelebt, meine Tochter ist jetzt acht Monate alt, wir leben jetzt in einem Mutter-Kind-Heim und kommen da gut zurecht!"

Aha. Das ist schön für sie. Also so semi-schön zumindest. Besser als Gosse. Und gepflegt sieht sie auch aus, auf jeden Fall. Aber was will sie?

"Oh Mann, das tut mir leid, deiner Kurzen geht's aber gut, ja?"

Sie nickt wild, die Pferdeschwänze fliegen herum. Eigentlich sieht sie recht hübsch aus. Bisschen blass vielleicht. Und wirre Augen. "Crazy eyes" nennt meine Lieblingsserie das. Ich weiß jetzt, was sie meinen!

"Ja ja, meiner Tochter geht's gut, sie ist grad bei der Oma! Aber...kannst du mir denn jetzt helfen?"

Das ist grad doof, denn ich hab grad maximal 40 Cent bei mir und das nächste Ziel ist ein Geldautomat. Also sage ich "Ich hab aber leider grad kaum Geld dabei, nur ein paar Cent, das tut mir echt leid!".

Ich ernte einen verwirrten Blick.

"Geld? Nein, will ich nicht. Aber hast du ne Gurke? Oder was in der Richtung? Das würd ich nämlich nehmen!", um das zu bejahen, nickt sie wieder heftig und die Haare wirbeln wieder umher.

Jetzt schaue ich verwirrt. Suche die versteckte Kamera. Finde sie nicht.

"Entschuldigung, nein, die Gurke, die ich sonst ständig mit mir herum trage, hab ich ausgerechnet heut leider zuhaus vergessen!" antworte ich todernst, "Das tut mir jetzt echt leid!" Die Ironie sollte schon erkennbar sein.

Sie tätschelt mein Knie. "Ach, das macht nichts. Das hör ich jedes Mal!"

"Ja, niemand achtet heutzutage noch auf sein Gemüse" denke ich und hadere mit mir. Hätt ich doch bloß die verdammte Gurke eingepackt, sie liegt ja im Kühlschrank und fristet ein trauriges Dasein. Ich hätte seit Minuten meine Ruhe.

Eine weitere Minute lang starrt sie mich frontal mit weit aufgerissenen Augen und ohne zu blinzeln (!) an und ich gucke Löcher in die Luft und tüftele an einem Fluchtplan.

"Nächste Haltestelle: Lübecker Straße!" tönt es aus den Lautsprechern.

"Oh, hier muss ich raus!" verkündet sie und strahlt.

Ich strahle auch. Innerlich. "Ach, schade! War ne nette Unterhaltung, echt!" lüge ich ihr ins Gesicht, ohne dabei auch nur zu zwinkern. Sie freut sich einen Keks, steht auf, hält inne, dreht sich zu mir um und winkt. Dann hüpft sie auf einem Bein aus der Bahn und den Bahnsteig entlang.

Ich schaue ihr hinterher, bis sie aus meinem Blickwinkel verschwindet und die Bahn in den Tunnel fährt.

Ich hab jetzt Ruhe. Gern hätt ich jetzt eine Gurke aus meiner Hosentasche gezogen und dann triumphierend "Hahaaa!" gerufen...naja, nächstes Mal.

Am Hauptbahnhof steige ich aus und gerate vom Regen in die Traufe.

(...to be continued...)

7 Kommentare:

  1. Vielleicht möchte man besser gar nicht wissen, was eine Irre mit einer Gurke in einer Bahn vorhat.

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    1. Das möchte zumindest ich definitiv auch nicht wissen! Zum Glück hat mich jegliches Kopfkino bisher verschont, das darf gern so bleiben!!

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  2. Dir ist schon klar, dass das Wort Gurke ganz schön zweideutig ist!?

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    1. Ja, das ist es in der Tat...aber so ist's halt gewesen. Die Zweideitigkeit ist mir aber tatsächlich erst beim Schreiben aufgefallen. Dieser Moment, wenn man inne hält und "Oh oh!" denkt...

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  3. du reist echt noch ohne Gurke, wenn du mit Bus oder Bahn unterwegs bist?! Ihr Hamburger seid ja mal sowas von out! ;)

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  4. orange is the new black

    ?!

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    1. Hmm...ich stehe auf dem Schlauch und sehe wahrscheinlich den Wald wieder vor Bäumen nicht. Wie meinen?! :)

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