Sonntag Morgen. 05.36 Uhr.
Stille.
Endlich.
Ich liebe das Großstadtleben, die Hektik, den ständigen Geräuschpegel bestehend aus stetig vorbeirauschenden Autos auf dem nahen Ring 2, dem langanhaltenden tiefen Rauschen, wenn wieder ein großer Jet Fuhlsbüttel anfliegt, gern auch mal den kläffenden Nachbarshund oder den hustenden Nachbarn, der eben diesen Hund spätnachts noch Gassi führt.
Mein liebstes Nachtgeräusch ist allerdings das der U3, wenn sie bremsend in den Heimatbahnhof aus Richtung City, Schanze, Pauli kommend, einfährt um ihre Passagiere auf den Bahnsteig auszuspucken, ein einmaliges unverkennbares Geräusch. Sechs oder sieben Minuten später höre ich dann manchmal Schritte am Haus vorbei gehen oder wie sich unten die Haustür öffnet und Nachbarschaft vom Feiern oder von der Nachtschicht heimkommt. Ein Kopfkino, das ich mag.
Und warum dann "Sonntag Morgen. 5.36 Uhr. Stille. Endlich."??
Weil all meine lieben Nachtgeräusche übertönt wurden durch Gegröhle, Gepöbel, grausige Musik, Würgegeräusche, mit Quietschestimme ins Handy gejaulte Liebesschwüre...
Ich habe das große Glück, direkt neben einem Schulgelände zu wohnen und auf dem Grundstück gibt es seit etwa drei Jahren einen Jugendtreff, dort trifft sich die Jugend der sozial eher schwächeren Nachbarstadtteile Steilshoop und Dulsberg und einmal im Jahr ist da ein Sommerfest oder sowas.
Im Prinzip kommt man da an 364 Tagen des Jahres gut miteinander klar, man hört nur hin und wieder mal irgendwelches Gedisse weil irgendwer wohl voll homo ist oder eine maximal Fünfzehnjährige liegt heulend auf dem Gehweg, weil Hussein oder Niels oder Kevin wieder mit Chantal oder Fatime oder Samantha-Joleen geknutscht hat, obwohl doch SIE seit VIER Tagen mit ihm zusammen war. So richtig! Große Liebe und so...
Alltagsdramen.
Wenn ich frage, ob ich helfen kann, soll ich Opfer mich verpissen. Denn sonst knallts. Echt. Schwört sie, die Teenie-Tussi. Während sie verheult im Dreck liegt. Ich muss dann immer ziemlich lachen. Weswegen ich dann von der im Schmutz liegenden (es ist immer die gleiche, es geht nur immer um andere Jungs und Kontrahentinnen) nur noch wüster beschimpft werde, was wiederum mich noch mehr lachen lässt...ein Teufelskreis. Ich mag ihn. Sie lernt's nicht.
Ich hab also RTL 2 in live direkt vor meiner Haustür.
Auf dem Schulgelände gibt's außerdem eine kleine Sporthalle, ich sehe dort regelmäßig Kampfsportler trainieren und auch eine Yoga-Gruppe für Frauen gab's dort mal. Diese Halle kann man wohl auch privat mieten, Geburtstagsfeiern, Firmenfeier, Jubiläen jedweder Art, you name it.
Bisher hatte man immer Acht gegeben, daß pro Abend nur ein Ort "belegt" war, aber dann muss der Azubi Mist gebaut haben und so gab's am letzten Samstag ein Zusammentreffen der Welten: Ghetto-Kids vs. Silberhochzeits-Gesellschaft.
Während der Sportschau gegen 19 Uhr fing es an, zwei Kleinbusse zwängten sich durch die Kopfsteinpflasterstraßen meiner Nachbarschaft und entluden Horden fröhlich plappernder Menschen auf den Fußweg, alle offensichtlich gut miteinander bekannt oder verwandt und gut gelaunt, es wurde zunächst mal ein Kurzer gekippt und die leeren Fläschchen wurden in einer Tüte gesammelt, ich war einigermaßen erstaunt. Im Normalfall fliegen die Dinger straight in den nächsten Busch und das war's dann. Ich war also guter Dinge, meine Straße würde am nächsten Tag nicht aussehen wie ein Schlachtfeld.
Gut, die recht bald ertönende laute Schlagermusik war nicht mein Fall, es gibt aber Schlimmeres.
"Schlimmeres" lief mir dann im Bus auf der Heimfahrt vom Einkauf über den Weg.
"Schwör Mann! Ja, geht einiges! Einiges Diggie, eyh, Bitches Diggie, schwör! Komm XYZ-Straße, schwör Diggie, hab Weed am Start, wir ficken die Diggie!" - ... - "Häh??" - ... - "Was Freundin, schwul oder was?? Komm XYZ-Straße Diggie oder bist du homo oder was??"
Wenn ich sowas belausche(n muss), muss ich automatisch immer an Amoklauf denken. Warum nur?
Und jetzt ahne ich Fürchterliches! Und werde kurz darauf bestätigt, Unmengen Jugendlicher, alle in loser Kombination uniformiert in Jogginghose, Karohemd, Kapuzenjacke und G-STAR-Klamotten laufen mit mir von der Bushaltestelle zum Schauplatz des anstehenden Spektakels, ich bin grad in meiner Wohnung angekommen, habe die Einkäufe verstaut und die Calzone in den Ofen geworfen, da geht unten auf der Straße schon das Gebeule los. Sie zerren sich an ihren Hemdskrägen im Kreis über die Straße, es hat was niedliches. Irgendwer ruft laut "Fick ihm Ahmed, fick dem sein Arsch!!"
Ich muss schmunzeln.
21.25 Uhr
Die Calzone schmeckt nicht. Auch das noch.
21.45 Uhr:
Die Lautstärke der Schlagermusik erhöht sich schlagartig. Die kiffenden Intensivtäter in Ausbildung unten vorm Haus zucken zusammen. "Alta, schwör, ich geh hin und geb denen!" sagt einer, der rein optisch noch von Mutti gestillt wird. "Diggah, geh Alda, fick die!!" sagt einer, der einen Kopf größer ist.
Nichts passiert.
Sie nicken sich zu. Denen mit der Schlagermucke haben sie es gezeigt!
"Lass uns Bitches suchen!" schlägt einer vor. Johlend zieht die Elite von dannen.
23.00 Uhr:
Auf dem riesengroßen Schulgelände scheint es keine Toiletten zu geben. Immer, wenn ich aus Interesse den Kopf aus dem Fenster strecke, seh ich Männlein oder Weiblein an mein Haus pissen. Oder schlimmeres.
Da kam mir eine Idee.
Vier Minuten später liege ich mit einer geladenen Wasserpistole, die kürzlich die kleine Tochter einer Freundin hier vergessen hat, an meinem Fenster auf der Lauer. Und beschieße aus der dunklen Wohnung fast im Minutentakt lachend zielgenau jeden, der sich meiner Fassade nähert oder schon an ihr steht oder hockt. Zumeist ergibt das irritierte Blicke in den sternenklaren Himmel. "Eyh, ich glaub, es regnet!" - "Was, Regen! Du laberst voll Alte!!" Ich treffe das Großmaul mit der Wasserpistole direkt ins Gesicht und unterdrücke einen Jubelschrei, er braucht ein paar Sekunden und presst dann "Eyh, ich glaub, JETZT regnet es echt!" heraus.
Sie pöbelt ihn an. Er pöbelt zurück. Dann verschwinden sie. Endlich.
00.45 Uhr:
Sackhaarlose aus Steilo und Dulsberg schubsen sich auf der Straße herum und wollen die Mütter der jeweiligen Widersacher beglücken. Einer ruft, er habe keine Mutter, sein Gegner erwidert darauf "Fick isch eben dein Bruder du Opfer!"
Im Nachbarhaus bricht Gelächter aus, ich sehe zwei Jungs auf ihrem Balkon stehen, sie feiern die auf der Straße stattfindende Tragikomödie.
Mangels Balkon lehne ich mich sehr weit aus dem Fenster und proste den beiden zu. Sie freuen sich und laden mich auf ihre VIP-Lounge ein, ich lehne dankend ab. Runter auf die Straße zum Mob? Ich denke nicht...
01.05 Uhr:
Zwei Wagen mit uniformierten Freunden und Helfern parken in der Straße, sämtliche Gruppen Jugendlicher stieben in alle Richtungen auseinander. Einer rennt slapstickmäßig vor einen Baum und geht k.o., wird dann von den Cops eingesammelt. #facepalm
01.50 Uhr:
Ich höre ein mir bekanntes Gejammere. Draußen sitzt die oben erwähnte ständig Heulende auf der Grundstücksmauer und beweint mal wieder einen Verflossenen. Ich ziele, der Wasserstrahl würd sie direkt im Nacken treffen. "Finaler Rettungsschuss", eins meiner zwei liebsten Wortgebilde der deutschen Sprache.
Aber ich lasse sie laufen und mit ihrem Elend allein.
02.40 Uhr:
Mehrere Polizeiwagen sind wieder da und lösen die Party im Jugendtreff auf, während die Cops Jugendliche nach Waffen abtasten und Platzverbote erteilen, steigt ein Besucher der anderen Feier seelenruhig über die Grundstücksmauer, lässt die Hose sinken und ist kurz davor, mir vor die Fassade zu scheißen. Direkt unter meinem Fenster...
...der noch dreiviertelvolle Tank meiner Waffe ist schnell abgebaut und ausgegossen und das Wasser ergießt sich über den an die Hauswand hockend angelehnten Asi, der sofort aufspringt, flucht und nun untenrum entblößt in meinem "Vorgarten" steht.
Das interessiert die Cops dann doch. Er wird nach Protesten direkt auch abtransportiert. Von seinen Mitfeiernden nimmt niemand davon Notiz.
04.05 Uhr:
Menschen streiten sich lautstark darum, wem das Taxi gebührt, das grad vorgefahren ist. Der Fahrer brüllt mit, er würd auch beide Paare fahren. Man müsst sich doch nicht streiten. Er wird nicht gehört. Schließlich hat er genug und brüllt " Ihr steigt jetzt ein und ihr anderen haltet die Fresse!" Acht Sekunden darauf rast das Taxi mit quietschenden Reifen los. Problem gelöst.
05.00:
Laute LAUTE Schlagermusik...die Nachbarschaft dürfte wieder wach sein. Guildo Horn hat alle lieb, der König von Mallorca feiert sein Bett im Kornfeld und das rote Pferd hat sich ganz einfach umgedreht, das Mistvieh.
Rausschmiss-Musik galore! Wer jetzt nicht geht, ist taub.
05.30:
Taumelnd verschwinden die letzten Party-Maniacs aus meinem Blickfeld. Auf dem Weg zur U3 werden sie leiden. Ich kenn den Weg in dem Zustand. Nur eben aus der anderen Richtung kommend. Die motherfuckers, die!!
Ich muss breit grinsen.
05.36 Uhr:
Stille.
Endlich.
LOL! Kligt ja nach ganz großem Kino!
AntwortenLöschenM.
Da du ja vorhin am Telefon meintest, du kennst das rote Pferd nicht - hier isses:
Löschenhttp://www.youtube.com/watch?v=YovvypUvDAo
Viel "Spaß"! ;) Für etwaige Folgeschäden wie Ohrenbluten, Hirnkrämpfe oder den dringenden Wunsch, stundenlang vor eine Wand zu laufen, übernehme ich keine Verantwortung. Anhören auf eigene Gefahr!!
Viel Spaß aufm Wasser! :))
Hihi, tolle Story...
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