Samstag, 5. Oktober 2013

Rock mi!

Ich leide.

Und das extrem.

Es hat mich mal wieder erwischt.

Ich habe mal wieder einen Ohrwurm. Und ich LIEBE ja Ohrwürmer.

Irgendwann am Donnerstag der Deutschen Einheit nahte das Unheil in Form eines Werbespots im stummgeschalteten TV, an dem mein Blick hängen blieb. Auf dem Bildschirm zappelten mehrere hippe stylische junge Kerle in so etwas wie einer Choreographie herum, sie bespritzten sich gegenseitig mit Wasser und anscheinend sangen sie.

Ohne Ton erinnerte das an eine Boy-Band oder einen homoerotischen Softporno (wobei zwischen den beiden Auswahlmöglichkeiten die Übergänge wohl eher fließend sind).

"Was zur Hölle ist das jetzt wieder für ein Mist?" dachte ich mir und dann machte ich einen Fehler.

Fernbedienung in die Hand, Stummschaltung beenden, wo ist die Taste? Ah, hier. Klick.

Fehler.

Großer Fehler.

"Komm, zeig mir no a bisserl, i wills a bisserl wissen, rock mi heut Nacht! Tanz ma a bisserl Schieber, oder was ist dir lieber, rock mi heut Nacht! Schau mir in die Augen, Kleine, du bist a ganz a Feine,rock mi heut Nacht! Drah di um, drah di um, bis der Tanzbodn kracht!" dröhnt es aus dem Fernseher. Dazu bespritzen sich junge Männer in einem See schuhplattelnd mit Wasser und strahlen dabei, als wären sie in Fukushima live vor Ort gewesen.

Bei mir setzt augenblicklich eine Schockstarre ein und ich sitze mit offenem Mund da und starre. Das ist wie ein Unfall auf der Autobahn, es ist eklig und überhaupt nicht schön, man kann aber nicht wegschauen.

Als ich mich nach Sekunden wieder rühren kann und panisch auf die Mute-Taste hämmere, ist es bereits zu spät. Die Bilder und vor allem diese elende Melodie samt dem urbayrischen Mist-Refrain sind im Kopf und haben sich tief in die Netzhaut gebrannt und in den Gehörgang gebohrt.

"Komm, zeig mir no a bisserl, i wills a bisserl wissen, rock mi heut Nacht!"

Ich sehe sechs Typen um die 30, alle nett anzusehen, für jeden Geschmack was dabei, die Damenwelt dürfte begeistert sein. Das Boy Band-Ding wird absolut durchgezogen. Da ist einer in bayrischer Tracht, Krachlederne und rot-weiß-kariertes Hemd, es fehlt nur der Seppl-Hut, den kann er nicht tragen, der würd die Frisur ruinieren.

"Tanz ma a bisserl Schieber, oder was ist dir lieber, rock mi heut Nacht!"

Da ist einer im oberkörperbetonten Shirt, dazu trägt er die obligatorische Wollmütze, die man auch im Sommer halt so trägt, wenn man was auf sich hält und ein ziemlich cooler Typ ist.

"Schau mir in die Augen, Kleine, du bist a ganz a Feine,rock mi heut Nacht!"

Da ist einer mit ner Schiebermütze. Die sind ja auch ganz angesagt in letzter Zeit. Zwei oder drei der "feschen Buam" tragen diese ewig langen Ketten um den Hals, die bis zum Bauchnabel baumeln und die man bei H&M für 2,95 hinterher geworfen bekommt, ich nehme jede Wette an, das an zumindest einer ein Kreuz hängt. Muss so sein. Ist erstens in und chic, zweitens will die erzkatholische Fangemeinde bedient werden.

Und welche Frau kann man heutzutage (selbst im tiefsten Unterbayern) noch mit "Du bist a ganz a Feine!" ansprechen, ohne hinterher ihren Handabdruck und die Kratzer der Fingernägel im Gesicht zu haben? Ich mein, so rede ich nichtmal mit dem Hund meiner Eltern, weil mir das zu doof ist. Und der Hund mir wahrscheinlich hinterher aus Rache in die Schuhe pinkelt.

"Drah di um, drah di um, bis der Tanzbodn kracht!"

Für jeden Geschmack ist was dabei. Dunkelhaarig, blond, muskulös, schlank, Typ Aufreißer, Typ schüchterner Junge...eine fucking Boy Band. Nur einen Südländer oder einen Farbigen gibt`s nicht. Durfte früher in kaum einer Boy Band fehlen, mit aufgemotzter Volksmusik für die schunkelnden besoffenen Wies`n-Massen ist das aber wohl nicht kompatibel.

Da stehen sie im seichten Uferwasser vor einer Gebirgskulisse, schuhplatteln, grinsen so sympathisch und eiskalt wie einst Jeffrey Dahmer und ich hab jetzt ihren Scheiß im Ohr und werd ihn nicht mehr los.

Volksmusik-Boy-Bands. Was kommt als nächstes? Schlager-Hipster? Ein junger Jürgen Drews-Verschnitt in skinny Jeans, neonfarbenen Nike Airs und "Arcade Fire"-Shirt, der dann nicht mehr der König von Mallorca sondern der von Eimsbüttel oder Prenzlauer Berg ist? Ich hab ein bisschen Angst...

Rock mi!

Jaja. Fick di!

12 Kommentare:

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    1. Man kann es schwerlich besser zusammenfassen Amelie! Es ist ganz ganz furchtbar...

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  2. Herzliches Beileid. Mir sind die gestern auch über den Kasten gehuscht und auch mein Zapp-Reflex ließ mich gemein im Stich. Hängt wohl damit zusammen, daß man mittlerweile den Alpen-Radar scharf gestellt hat, weil man den nächsten Tiroler Patrioten Pop im Anflug wähnt. Die Musikindustrie scheint aber nur zwei Richtungen des musikalischen Waterboardings miteinander verquicken zu wollen. Und da den Honks von der Industrie grundsätzlich alles zuzutrauen ist, werden uns wohl noch weitere Bands dieses Formats unser Gehör deflorieren. Das Pferd wird totgeritten.

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    1. Moin Piet, geteiltes Leid ist halbes Leid, mir geht`s schon etwas besser.

      Ich hab tatsächlich etwas Sorge, was mir morgen oder übermorgen aus TV oder Radio entgegen schallt, denn offensichtlich kommt dieser Mist ja an bei der breiten ("breit" kann man hier wahrscheinlich wörtlich nehmen) Masse an.

      Schön übrigens Deine Formulierungen "musikalisches Waterboarding" und "Tiroler Patrioten-Pop" (Anspielung auf "Frei.Wild" vermute ich mal schwer). Chapeau! Ich musste sehr grinsen! Dabei ist das alles eher nicht zum Lachen...

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  3. Werbung für was, frag ich mich da. Urlaub in Bayern? DSDS? H&M? Hirnamputation?

    M.

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    1. Neeh, Werbung für das Album dieser Kasper-Truppe! Das ist ne richtige Band. Die meinen das ernst! Ich hab mal die mal gegooglet, die haben richtig viele "Fans". Es geht zuende...

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  4. Kleiner Tipp: Glotze erst gar nicht anschalten, oder das Ganze sachlich als Milieu-Studie nutzen, und dich herzlich freuen, dass du nicht Teil des breiten Publikums bist. :-)

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    1. Ja, die Glotze einfach aus zu lassen ist wohl die vernünftigste Lösung. Leider brauch ich eine Hintergrundbeschallung, wenn ich zB am Rechner sitze, Musik funktioniert leider nicht und bei absoluter Stille werde ich wahnsinnig. Also dudelt sinnlos der TV im Hintergrund.

      Milieu-Studie. Hmm. Immer gern und ich ertrag ja einiges, aber ich glaube, das Milieu, dem solch verstörendes Zeug entspringt, möchte ich lieber nicht studieren. Das kann nicht gesund sein ;(

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  5. Kenn ich mit der Glotze,die laufen muss.
    Ich brauche das zum Einschlafen. Blöden Sender rein, leise drehen und beim TV-Lagerfeuer wegpennen.

    Wenn du arte oder 3 sat, n-tv, oder phoenix wählst, wird dir das, was du da erdulden musstest nicht passieren.
    :-)

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  6. Das ist ja wirklich furchtbar. Da steht uns noch einiges bevor, fürchte ich. "Musikalisches Waterboarding" trifft es sehr gut!

    *geht schaudernd ab

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  7. das grauen wird bereits von Monsieur Gabalier verkörpert

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    1. Der Gabalier war damals noch nicht aus den Untiefen der musikalischen Vorhölle aufgestiegen, aber ich stimme zu. DER (und der unkaputtbare Helene F.) sind NOCH schlimmer. Das Gute daran: Irgendwann kann es unmöglich NOCH schlimmer werden. Geht einfach nicht! Der Punkt sollte bald erreicht sein...

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