Sonntag, 13. Oktober 2013

Flüchtlinge

Lampedusa. Wie viele Tote? 270? Irgendwie sowas. Paar Tage später nochmal 25 oder mehr Ertrunkene. Und Vermisste, viele Vermisste. Warum? Warum waren sie auf diesem überfüllten Boot?

Ich weiß es nicht, aber ich habe Vermutungen: Weil sie auf der Suche nach einem besseren Leben waren. Weil sie Angst hatten und vor der geflohen sind. Vor der Angst vor ihrem zurückliegenden Leben, vor Verfolgung, vor Folter, vor Tod.

Seit Monaten ist die St. Pauli-Kirche ein Flüchtlingslager. Eine Gruppe afrikanischer Flüchtlinge aus Syrien hat hier Zuflucht und Obdach gefunden, es sind 50. Oder vielleicht 60. Oder gar 70. Ich weiß es nicht genau.

Ich weiß auch nicht genau, wann sie in Hamburg ankamen. Irgendwann im Sommer. Mai, Juni, Juli, eigentlich ist es auch egal. Die Medien berichteten groß darüber, die MoPo, das Abendblatt, natürlich die elende BILD. "Die Flüchtlinge sind da!"

Kurz darauf wurde daraus ein "Wohin mit den Flüchtlingen?" und die Antwort war die oben erwähnte Kirche. Vorher hatten die meisten von ihnen auf der Straße gelebt.

Dann war Ruhe in den Medien. Vermutlich haben die werten Herren und Damen Redakteure/-innen sich gedacht "Die haben ja jetzt ein Dach über dem Kopf. Denen geht`s jetzt gut! Lass uns über Micaela Schäfers aufgepumpte Möpse schreiben!"

Und wahrscheinlich interessieren die Silikontitten einer F-Prominenten den deutschen Durchschnittsbürger auch eher, als das Schicksal von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten.

Das ist tragisch.

Ich war zwei Mal in diesem "Flüchtlingslager".

Auf einem Blog, den ich lese, wurde zu Spenden aufgerufen. Nahrungsmittel, Kleidung, Schuhe, gerne auch Hygiene-Artikel wurden gebraucht. Ich sammelte ein paar Dinge zusammen, eine Winterjacke, die mir nicht mehr passte, aber noch tip top in Ordnung war, einige Paar Socken, eine Packung Nassrasierer und Shampoo für die Haare.

Angekommen an der Kirche traf ich den Pfarrer an, der es überhaupt erst möglich machte, das die Flüchtlinge hier unterkommen konnten, ich übergab meine Dinge und er lächelte mich an. Das würde helfen, sagte er. Vor allem die Rasierer würden gebraucht, "seine Jungs" hätten nicht so sehr Lust auf einen Vollbart.

Zwei Monate später war ich nochmal dort, habe Kleinigkeiten abgegeben, nichts besonderes. Zahnpasta etc. Ich sah jemanden, der meine gespendete Jacke trug. Und er sah den Umständen entsprechend "zufrieden" aus. Das hat mich gefreut!

Das "Freuen" endete spätestens, als ich zum ersten Mal las, das die Stadt Hamburg den Flüchtlingen ein Container-Dorf zum Übernachten oder generellem Leben verwehrt hat.

Stattdessen nimmt man diesen Menschen, die eh schon alles verloren haben, Besitz, Familie, Freunde, jetzt auch noch die Menschlichkeit, indem man ihnen eine Unterkunft verweigert. "Nein, selbst in Containern wollen wir euch nicht wohnen lassen. Bleibt, wo ihr seid. Dusche? Ach komm, die habt ihr doch auch nicht gehabt, da wo ihr herkommt!" Es ist beschämend...

Um selbst das noch zu toppen, gab es am Freitag eine Razzia plus Straßenkontrollen. Kontrolliert wurden aber ausschließlich (!) Farbige. Warum? Weil sie farbig sind oder dunkelhäutig oder maximalpigmentiert? Oder wie nennt man das politisch korrekt?

Man wollte der "Flüchtlingsgruppe" Zugehörige erwischen, um ihre wahren Identitäten festzustellen. Um festzustellen, ob sie überhaupt in diesem ach so tollen Land sein dürfen. Und wenn nicht, dann ab nach Hause. Oh, da wird gefoltert und da herrscht Bürgerkrieg? Verdammt, das ist eher uncool. Egal. Viel Glück da im Abenteuerland!

Kontrollen, bei denen der Durchschnitts-Deutsche durchgewunken wird, mein Kumpel Mohammed, mit dem ich unterwegs war, allerdings nicht. Weil er schwarz wie die Nacht ist. Allerdings spricht er astreines dialektfreies Deutsch, besseres, als das der Kontrolleure, sie machten sich lächerlich und Mo lachte sich tot. Mich wundert, das die Herren Kontrolleure seine Witze geschluckt haben...ich hatte Gegenwehr erwartet. Mindestens hätten sie ihn zu Boden bringen müssen, den Neger, was erlaubt der sich?

In der virtuellen Zeitung habe ich gelesen, das aus dem Flüchtlings-Camp einige verhaftet wurden, weil sie sich nicht ausweisen konnten.

Ich nehme an, dass man, wenn man auf einem extrem überfüllten und wahrscheinlich nicht seefesten Kahn von Westafrika nach Italien/Lampedusa "rübermacht", nicht als allererstes den Reisepass griffbereit hat, wenn man von Rettungsbooten aus den Fluten gehievt wird.

Ironie beiseite, das ist menschenverachtendes ekelhaftes Verhalten und absolut tragisch und traurig.

Menschen suchen Schutz und Hilfe - und heraus kommt DAS! Ich bin entsetzt und traurig, dass so etwas hier passiert...ich dachte, die selbsternannte "Weltstadt" hat da mehr zu bieten. Mehr Freundlichkeit gegenüber jenen, die das brauchen. Aber nein, ist nicht drin. Hamburg, meine Perle und kein Mitleid für niemanden. Schade.

Momentan schäme ich mich, hier zu leben. In Hamburg. Der "schönsten Stadt der Welt".

Die Flüchtlinge in der St. Pauli-Kirche sehen das vermutlich anders. Und ich bin auf ihrer Seite.

12 Kommentare:

  1. Es ist in derr Tat beschämend. In Hamburg und im Rest der Republik auch.
    Europa macht die Schotten dicht.
    Wenn du dich engagieren willst, was du ja ohnehin mit deinen Spenden bereits machst, dann werde Mitglied bei Pro Asyl http://www.proasyl.de/, oder einer anderen Orga. Ich bin schon dabei.

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    1. Danke für den Link TS, ich werde mir das mal anschauen!

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  2. Ersetze "Hamburg" durch "x-beliebige Stadt in Deutschland" oder gerne auch "in Europa".

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    1. Da hast Du leider Recht.

      Ich weiß nicht, ob es diese menschenentwürdigenden Razzien auch in anderen Städten gab - es ist aber eigentlich auch egal. Was da gerade passiert ist beschämend und macht mich wütend.

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    2. Grundsätzlich dürfte es bundesweit ähnlich laufen. War da nicht vor kurzem was mit Beschlagnahmung von Decken und Schlafsäcken in Berlin? In Bayern geht es vielleicht noch eine Spur härter zu, anderswo vielleicht mal ein bisschen weniger schlimm. Aber nicht prinzipiell anders.

      [stammtisch]Es ist aber auch eine Unverschämtheit von den ganzen Flüchtlingen, vor allem von den Wirtschaftsflüchtlingen. Die könnten sich doch in ihren Heimatländern so schön am eigenen Haarschopf zuzüglich Entwicklungshilfe aus dem Schlamassel ziehen. Müssten nur anständig arbeiten wie wir fleißigen Deutschen. Aber nein, die machen lieber auf Mitleidstour im Mittelmeer. Und dann auch noch unsere Kirchen besetzen! [/stammtisch]

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    3. Stimmt, jetzt wo Du es sagst, über eine Aktion in Berlin (müsste das Camp in der Oranienstraße gewesen sein...) habe ich auch etwas gelesen. Danke für den Hinweis!

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    4. Ich lese gerade auf Zeit Online, dass derzeit in Berlin am Brandenburger Tor wieder ein Hungerstreik von Asylbewerbern stattfindet. Im Gegensatz zum letzten Mal vor einem Jahr gibt die Bundesregierung keinen Mucks von sich. Die haben anscheinend vor, das Problem einfach auszusitzen.

      Dass man sich nicht von einer Gruppe Asylbewerber erpressen lassen will bzw. den Eindruck vermeiden muss, erpressbar zu sein, kann ich dabei verstehen. Aber dass man das schon seit Jahren immer wieder hochkochende Problem der Behandlung Asylsuchender so konsequent ignoriert, ist zutiefst beschämend.

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    5. "Das Problem aussitzen" scheint die Methode der Wahl zu sein, den Anschein hat es. An so einem prominenten Ort hatte ich eher schnelle Eingreiftruppen erwartet -> "Aus den Augen (der Touris), aus dem Sinn!" Stattdessen will man das Geschehen wohl mehr oder weniger totschweigen.

      Auch wundert mich, dass ich ebenso nichts von Soli-Aktionen irgendwelcher Gruppen/Aktivisten gehört habe, normalerweise geht sowas doch immer fix. Auch unter den Teppich gekehrt? Oder bin ich einfach blind/taub durch die letzten Tage gegangen? Weiß jemand meiner Berliner Leser evtl mehr?

      In HH gab es am DI Abend (mal wieder) eine Soli-Demo, die (mal wieder) aus dem Ruder gelaufen ist. Ich finde gut, wenn jemand den Mund aufmacht, demonstriert und sich querstellt - aber ob brennende Barrikaden und fliegende Pflastersteine den Flüchtlingen wirklich irgendwie helfen? Das bezweifle ich sehr und vermute eher das Gegenteil. Werden wieder angespannte Tage in HH in der nächsten Zeit, weitere "Aktionen" sind angekündigt. Man darf gespannt sein.

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  3. ein schlichtes Danke hierfür..

    die exil-hamburgerin

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    1. ich nochmal:
      hier nachträglich noch ein link zum thema:
      http://www.publikative.org/2013/10/18/hamburg-jenseits-von-gut-und-boese/

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    2. Danke dir für den Link! Ich schau in mir im Laufe des Tages an, leider habe ich gerade keine Zeit dazu. Liebe Grüße aus Barmbek! :)

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  4. Traurig, aber dafür treffsicher die Unmenschlichkeit aufgeschrieben.

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