Samstag, 8. März 2014

"Wenn kommt, kommt!" (2): Damals im Ex-Job:Das Problemvolk und die Suchtis

Leider habe ich länger als geplant gebraucht, um der angestrebten "Wettbüro-Serie" ein zweites Kapitel hinzu zu fügen. Das tut mir leid. Ich hoffe, dass das in Zukunft zügiger geht. Aber wenn der Kopf nicht frei ist, dann fällt mir leider das Schreiben schwer.

Im ersten Teil der "Wettbüro-Serie" hatte ich ja über gewisse Kunden sowohl positiver als auch negativer Natur erzählt. Und mein werter Mitleser und Co-Blogger "gnaddrig" hat da in seinem Kommentar erwähnt, dass es in seiner relativ direkten Nachbarschaft auch ein Wettbüro gäbe, dieses sei ihm aber nie negativ oder generell eigentlich gar nicht aufgefallen.

Das war mir neu. Ich kenne das anders.

Und zwar in der Form, dass Wettbüros zu 99,9% immer auffallen und negativ aufgenommen werden, wenn sie sich in der mehr oder weniger direkten Nachbarschaft befinden. Und nach meinen Jahren, die ich in so einem Laden gearbeitet habe, kann ich das nachvollziehen. Und zwar komplett. "Gnaddrig" ist da zu beneiden, entweder lebt er in der Nähe des entspanntestes Wettbüros der Republik oder er selber ist dermaßen tiefenentspannt, dass das Chaos, welches so ein Laden im Normalfall mit sich bringt, ihn einfach nicht tangiert. In beiden Fällen würde ich dazu gratulieren wollen. Beides ist beneidenswert.

In meinem Laden war das anders.

Es verging selten eine Schicht ohne Vorkommnisse. Das variierte von Pöbeleien über Herumgeschubse bis hin zu handfesten Auseinandersetzungen. Und ich spreche da nicht von "Mann gegen Mann", das waren ausgewachsene Massenprügeleien. Da gingen auch mal fünfzehn Leute auf der Straße aufeinander los, ohne dass ich oder andere Unbeteiligte irgendeinen Grund auch nur hätten erahnen können. Von einer auf die andere Sekunde brach das los.

Alles ruhig. Ein Mal zwinkern. BÄÄÄÄÄÄÄÄMM!!! Complete fucking mayhem! Einfach so, ohne irgendeine Vorankündigung.

Glücklicherweise passierte so etwas während meiner Schichten immer ohne Waffen. In den ganzen Jahren, in denen ich den Job gemacht habe, wurden "nur" zwei mal Messer als Drohgebärde eingesetzt, nie benutzt. "Komm doch, isch stesch disch ab, schwör!" Es flogen während meiner Schichten immer "nur" die Fäuste. Von Kollegen habe ich aber auch andere Geschichten gehört. Vom Totschläger über Gas- bis scharfer Waffe war da alles dabei. Ich bin froh, dass ich davon verschont geblieben bin.

Stress war an der Tagesordnung, aber meine Kollegen und ich haben oft beruhigend eingreifen können. Man glaubt es kaum, aber ein bisschen gutes Zureden ("Alter. lass doch den Scheiß, das lohnt doch gar nicht...komm, ich geb dir n Kaffee aus.") reichte häufig schon. Zumeist wurde der, der grad sein Gegenüber noch "ficken" und "kalt machen" wollte dann zum weinerlichen Verlierer, der zusammengesunken auf seinem Hocker hockend einen grausigen aber immerhin geschenkten Automaten-Kaffee aus einem Pappbecher trank und früher oder später fragte, ob ich ihm nicht was leihen könne. Einen Zehner nur. Todsichere Wette. "Wir sind doch Freunde, Alter!"

Man stumpft echt ab, wenn man tagtäglich so eine Scheiße erlebt und sogar mittendrin hängt. Oder besser: in dem abgefuckten Elend "gefangen" ist. Ich gebe Bedürftigen gerne mal einen Taler, aber während ich den Job gemacht habe, habe ich mir die Leute da in der Straßenecke genauer angeschaut als sonst. Ich wurde einfach zu oft von irgendwelchen Verlierern während der Schicht angeschnorrt. "Nur den Zehner! Bitte! Ein todsicherer Tipp! Das läuft, das Ding! Habe ich von nem Insider gehört! Komm Alter, ist doch nur n Zehner..."

Die richtig Kaputten, die auch ihre Leber oder ihre Enkeltochter verkauft hätten, um weiter zocken zu können, musste man echt abwimmeln. Einige von denen hätten mir vermutlich auch ohne mit der Wimper zu zucken einen geblasen, wenn ich das für "Leih mir mal zehn Euro" gefordert hätte. Tragisch, wie tief ein Mensch abrutschen kann...mich macht das traurig. Im Nachhinein.

Während man da im Laden steht und seinen Job macht, darf man daran nicht denken. Sonst verleiht man hier mal einen Zehner und da mal einen Fünfer und hat am Ende der Schicht ganz schnell für umsonst gearbeitet und den Verstand riskiert und wenn es ganz dumm kommt, dann zahlt man sogar drauf.

Um die Kasse auszugleichen.

Und aus einer 8-/10-/12-Stunden-Schicht will man nicht mit einem Minus im Portemonnaie rausgehen. Ist mir zwei Mal passiert, dann aber auch richtig derbe. Allerdings nicht wegen gnädiger Gaben, sondern weil ich mich (vermutlich) bei einer Auszahlung verzählt hatte. Nach zehn Stunden anstrengender Arbeit ein Minus von fast 200 Tacken in der Kasse zu haben, ist ein unfassbar beschissenes Gefühl!...es macht absolut gar keinen Spaß.

Zurück zum eigentlichen Thema.

Warum auch immer hatte vor allem ich bei der "problematischen Kundschaft" einen guten Stand und viele Sympathisanten, das hat mir bei meinen Schichten oft geholfen. Und deshalb habe ich auch zumeist die Spätschichten bis 23 Uhr, 0 Uhr oder darüber hinaus machen "dürfen".

Je später der Abend, desto schwieriger die "Gäste". Alkohol, Drogen, Frust wegen bereits verlorener Wetten, you name it. Mit den Folgen durfte ich mich dann abends herum schlagen.

Aus unerfindlichen Gründen bin ich mit dem Problemvolk aber meist gut klargekommen. Ich hatte meine Verbündeten unter den Kunden, die standen mir in den seltenen Konfliktsituationen, in die ich geraten bin, zur Seite, ohne die hätte ich garantiert mal Dresche bezogen. Und dafür bin ich den Jungs auf jeden Fall dankbar. Im Vergleich zu dem, was ich von Kollegen gehört habe, waren meine Spätschichten eher so entspannte Abende im Freundeskreis.

So hab ich sie natürlich nie gesehen, aber in Relation zu Erzählungen, von denen ich mir sicher bin, dass sie nicht erfunden sind (Schläge, Tritte, Anspucken, Drohungen gegen die Familie etc)...ich hab wohl echt Glück gehabt. Und hab wohl den richtigen Weg, um mit dem komplizierten Kundenvolk umzugehen, gefunden.

"You get what you give!"

Eine gewisse freundliche Bestimmtheit, ein offenes Ohr und vor allem Offenheit gegenüber jedem, der einem gegenüber steht, sind da ganz hilfreich. Und all besitze ich wohl in einem gewissen Maße. Und wenn ich es erst während dem Ex-Job gelernt habe. Es ist da und es ist hilfreich. In den skurrilsten, stressigsten und unerwartetsten Situationen.

"Problemvolk". Damit asoziiert man ja im Normalfall und ganz klischeehaft den "Digger, Alder, Schwör!"-sagenden Jugendlichen mit Emigrations-Hintergrund, dicken Oberarmen und ner aufgemotzten Karre, nichts anderes als 3er BMW oder direkt einen fetten Benzer. Davon hatte ich tagtäglich einige im Laden.

Mit keinem der Jungs habe ich jemals Sorgen gehabt. Im Gegenteil: freundlich, hilfsbereit, wenn es nötig war. Die haben mich sogar gesiezt! Ernsthaft, da steht ein Typ Mitte zwanzig vor mir, doppelt so breit wie ich, 1,5 Köpfe größer als ich, Oberarme wie ich Oberschenkel, das ganze natürlich mit den entsprechenden Tribals "verziert", an dem würd ein verdammter D-Zug abprallen...und der fragt dann fast schon schüchtern mit leisem Stimmchen "Entschuldigen Sie, ich bräuchte mal Ihre Hilfe!"

Die Jungs mögen anderswo "Problemvolk" sein, in meinem Laden waren sie es nicht, wenn ich dort war. Die waren alle entspannt und gute Jungs. Mit der Ausnahme, die ich in Teil eins erwähnte.

Die problematischsten Kunden waren immer die Besoffenen. Egal, welcher Nationalität sie angehörten.

Es gab "Marcelo" aus Tunesien, nüchtern der freundlichste Mensch der Welt. Ab spätestens 20 Uhr war er aber voll wie Indien, mir gegenüber immer noch freundlich, er wollte mich dann immer umarmen und küssen... ... ...jeden anderen im Shop bepöbelte er übelst und wenn er an den falschen geriet, gab es natürlich Ärger. Lauten Ärger. Die Cops kamen wegen ihm häufig, fast immer schaffte er es aber irgendwie, im Trubel zu entwischen. Ein Mal hat er mir sturzbesoffen in den Laden gepisst, ein RTW holte ihn ab. Die Sanitäter schlug und bespuckte er mit letzter Kraft solange, bis ich ihn beruhigen konnte. Mein Cheffe hätte mich wegen der vollgepissten Stühle fast gefeuert...

Wir hatten auch den "Immer-Nörgler". Irgendwo aus dem Osten Europas. Ich weiß es nicht genau. Der war zwar nicht besoffen, keifte meine Kollegen und mich aber sogar dann an, wenn er grad aus zwei Euro 200 gemacht hatte. "Hätte ich doch zehn Euro gesetzt! Oder zwanzig! Das war doch klar! So eine Scheiße"
. Trinkgeld gab er natürlich nie, stattdessen steigerte er sich, trotzdem er seine Kohle grad hundertfach vermehrt hatte, immer vollkommen in seine Wut hinein, sodass er irgendwann mal (nicht während einer meiner Schichten) um sich schlug und Hausverbot bekam.

Letztens traf ich ihn zufällig beim Einkaufen und er erkannte mich. Nüchtern (in diesem Fall ist "nüchtern als "nicht im Spielrausch" zu verstehen) ist er ein vollkommen ausgeglichener freundlicher Mensch...

Der krasseste war ein junger Deutschrusse, ich kenne seinen Namen nicht. Ein Tier von Mensch, knappe zwei Meter groß, lässig 120 kg schwer. Ein rasierter Sasquatch, eine absolute Kampfmaschine. Eines Tages am späten Abend, als ich allein meine Schicht erledigte und mich bereits auf den verdienten Feierabend vorbereitet hatte, stand er plötzlich vor mir. Blutüberströmt, taumelnd und lallend. Er hatte eine tiefe Platzwunde auf der Stirn, außerdem war seine Unterlippe aufgeschlitzt. Sein Blut tropfte auf den Tresen und in meinen Arbeitsbereich, er bemerkte das aber, besoffen wie er war, anscheinend gar nicht und beharrte darauf, seine Tipps abgeben zu wollen. Beim Ansagen seiner Wetten spuckte er sein Blut in meine Richtung.

Da war dann Feierabend. Es machte KLICK und mir wurde klar, dass ich aus dem Job schnellstmöglich raus will und muss.

Den Blutüberströmten hat dann unter seinem Protest ein von mir gerufener RTW abgeholt, später hat sich herausgestellt, das der Kerl vorher am Hauptbahnhof drei Typen, denen er Geld schuldete, übelst zugerichtet hat. In den regionalen Nachrichten war von "Schwerverletzten" die Rede. Einer von denen hat ihm wohl einen abgebrochenen Flaschenhals durchs Gesicht gezogen, daher seine Wunden. Sein überall im Laden verteiltes Blut durfte ich dann aufwischen. Um irgendwann gegen 0 Uhr.

Ich habe mich danach auf alle durch Blut und Spucke übertragbaren Krankheiten testen lassen. Alles gut gegangen. Alle Tests negativ. Man kommt da aber schon ins Schwitzen...

8 Kommentare:

  1. Derbe, Alter. Aber ich weiß, was du meinst, wenn du sagt, dass du so einen Job nicht ewig machen kannst. Ich stand mal an der Tür. Wedding. 90er. Lighthouse hieß der Laden, glaube ich. Blut. Schlägereien. Messer. Und jeden Abend mehrmals die Bullen. Ewig kannste so einen Job nicht machen, da gehste vor die Hunde, es sei denn du heißt Sven Marquardt oder siehst so aus. :)=

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    1. Der Marquardt! Eine absolute Type...

      Momentan so ganz ohne Job bereue ich meinen damaligen "Absprung" - der falsche Zeitpunkt war es aber nicht. Das war notwendig. Ich war nie näher dran, endgültig bekloppt zu werden.

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  2. ......das ist eine sorte mensch, die sich "spieler" nennt - im endeffekt gleichzusetzen mit einem junkie. und was macht ein klassischer junkie, wenn er stoff braucht: lügen, betrügen, manipulieren, klauen......

    also ganz einfach hände wech von sowas.

    ähem........bei mir hat das aber auch lange zeit gedauert. ich habe nämlich ein "retter-syndrom" mit einer fetten co-abhängigkeit gehabt!!!

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    1. Das "Retter-Syndrom" hatte ich anfangs auch. Hab es mir im Laufe der Jahre, in denen ich den Job machte, aber abgewöhnt. Bringt einen nicht weiter.

      Einen wahrhaftig Bedürftigen erkenne ich auch heute noch und gebe gerne, wenn es geht.

      Kein einziger meiner Kunden war auch nur ansatzweise "bedürftig"...das waren - wie du schon sagst - Junkies. Mit denen, die irgendwo in der Gosse und im Dreck liegen, habe ich Mitleid. Mit denen, die ihre komplette Kohle in einem Laden wie dem "meinen" verzocken und dann schmierig herum schnorren, wenn sie irgendwann pleite sind, habe ich absolut gar kein Mitleid. Im Gegenteil, da kommt mir die Galle hoch!

      Aus deiner "Co-Abhängigkeit" bist du hoffentlich raus? Abhängigkeit ist immer scheiße...

      Schönen Sonntag!

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  3. Servus,

    nachdem ich kürzlich vom beschaulichen Dorfe nach Wien gezogen bin, bin ich auch zum ersten Mal richtig mit Wettbüros in Kontakt gekommen.

    Im Umkreis von 200m um meine Wohnung gibt es deren 5. Von morgens bis Abends lungert verschiedenstes Volk davor herum. Wobei das anscheinend ethnisch homogene Wettbüros sind.

    Vor einem hängen immer die Schwarzafrikaner rum, vor dem nächsten die Jungs aus Osteuropa, vorm dritten die aus der Türkei. Grandios. Und bei keinem gehste mit nem wirklich guten Gefühl vorbei. Nicht aufgrund der Nationalität an sich, sondern wegen der Klientel die das einfach ist. Brrr.

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    1. Servus nach Wien!

      Deinen Kommentar hätte ich gerne hörbuchgleich als Audio-Datei gehabt, ich mag den österreichischen Akzent sehr gern :)

      Deine Beobachtungen ob der ehtnischen Trennungen kann ich bestätigen. Hier in Hamburg gab es das ähnlich. In meinem Shop war die Überzahl der Kunden aus Afrika, der Shop nahe des HBF hatte den Balkan zu Gast, der Shop auf Pauli hatte zu 95% türkische oder türkisch-stämmige Kundschaft, deswegen wurden dort vermehrt türkische oder zumindest türkisch-sprachige Kollegen eingesetzt.

      Natürlich gab es in allen Filialen auch Kunden aus anderen Herkunftsländern, die bestätigten dann aber zumeist die Regel.

      Dein Unwohlsein ob der fünf Shops in der Nachbarschaft kann ich komplett nachvollziehen, das hat ja was von Berlin-Wedding oder von Hamburg in HBF-Nähe. Mein Ding wär das auch nicht, in meiner Hood ist es, was das Wettbüro-Thema angeht, noch erstaunlich ruhig. Zwei gibt`s. 500 Meter von meiner Bude entfernt, ich lauf täglich dran vorbei..

      Da ich aber einen Großteil der Kunden dort von früher kenne, habe ich absolut keinen Grund, beunruhigt zu sein.

      Grüße nach Wien und einen schönen Start in die Woche! Liegt in Wien noch Schnee?? Falls ja wäre ich sehr sehr neidisch... :)

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    2. Servus in den ganz weit hohen Norden!

      Audio hätte Dir nicht sehr geholfen, nachdem ich aus dem bayerischen Dorfe herzog und ursprünglich aus Rheinland-Pfalz komme. :)

      Es wurde hier letztens einer der Shops mit einem Graffito behandelt. Man schrub in großen roten Lettern "Negärkneihpe" (sic!) an die Scheibe. Witzigeweise an den, an dem die Kundschaft am ethnisch Österreichischsten aussieht. Aber das zeigt ja auch nur, dass der Künstler auf mehr als einer Ebene ein Depp ist.

      Letztens hab ich mich beim Vorbeigehen sehr sicher gefühlt - ich kam grade vom Einkaufen und hatte den neuen Eispickel in der Hand. ;) Ansonsten muss ich quasi bei jeder Tätigkeit dran vorbei, Einkaufen, Frisör, Post, etc, die liegen strategisch günstig. Wie mir letztens eine besorgte ältere Anwohnerin mitteilte, immer wenn hiern Laden zu macht kommt entweder ein Wettbüro oder ein Puff rein.

      Schnee? What´s that? Am Samstag hab ich noch welchen gefunden, so 800 Höhenmeter über Wien. Ansonsten hatten wir hier diesen Winter in Wien selbst vielleicht 3 Schneetage. Ist halt auch Flachland.

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  4. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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