Montag, 12. Mai 2014

Ein Abgesang

Der "Dschungel" an der Schanzenstraße.

Einer der besten Orte in dieser manchmal so elenden Stadt.

Wie viele Abende, Nächte und frühe Morgenstunden habe ich dort verbracht, mit guten Freunden oder auch allein, zum quatschen, um Menschen kennen zu lernen oder einfach nur, um sie zu beobachten, um guter Musik zu lauschen, um Kette zu rauchen, weil alle anderen das auch taten, um ab und zu mal ein Bier oder einen White Russian zu viel zu trinken. Und um einfach mal wieder runter zu kommen.

Normalerweise zieht es mich da nicht an einen vollen lauten Ort wie den "Dschungel", normalerweise flüchte ich an ruhige Orte, wo mir niemand auf die Nerven geht. Nachts in den Hafen, durch den alten Elbtunnel ganz rüber auf die andere Seite der Elbe nach Steinwerder und da dann auf die Kaimauer gegenüber der Landungsbrücken. Beine baumeln lassen. Seele auch.

Oder ich suche mir im Hafen irgendwo einen Steg, eine Anlegestelle mitten im Wasser. Irgendwo hinter dem Fischmarkt. Da ist nachts kein Mensch, wahrscheinlich, weil da nachts kein Mensch sein darf. Aber es ist toll dort, wenn man da nachts auf dem Rücken liegend in den Himmel schaut und man kaum etwas hört außer den Wellen.

Der "Dschungel" war der einzige belebte Ort, der zum Abspannen vollkommen okay war. Wenn nicht gar perfekt. Warum das so war kann ich nicht sagen. Das weiß ich selber nicht.

Nun existiert der "Dschungel" an der Schanzenstraße ja schon lange nicht mehr, er ist umgezogen.

Ist umgezogen worden.

Gentrifikation, natürlich. Was auch sonst.

Die Bereitschaft der Betreiber, die doppelte Miete wie bisher zu zahlen, wurde vom Grundstücks-Eigentümer ignoriert und abgeschmettert. Raus! Alle raus!

Seit etwa einem Jahr residiert der "Dschungel" nun an der Sternstraße und ich war auch schon ein paar Mal drin.

Und ich muss sagen: Es fehlt was.

Glattgeleckt sieht die Ladenfront nun aus. Wie irgendeine weitere austauschbare Schicki-Lounge irgendwo auf der Langen Reihe.



Mir gefällt das nicht. Klar, nachts und beleuchtet macht die Fassade immer noch was her...gemütlich sieht das aus und einladend. Aber nicht nach dem alten "Dschungel", den ich kenne. Es fehlt was. Aber ich weiß nicht, was es ist...



(Das Foto habe nicht ich geschossen sondern Tom aus Neukölln, als er Anfang des Jahres zu Besuch in Hamburg war.)

Der neue "Dschungel" in der Sternstraße auf dem Schlachthof-Gelände in prominenter Nachbarschaft zum "Knust", einem der besten Live-Clubs in der Stadt, hat sich verändert. Nicht nur die Fassade, auch das Innenleben. Wer die alte Inneneinrichtung nicht kennt, der wird die neue mögen. Ich mag sie nicht. Ich denke dabei an eine mediterran angehauchte Lounge, in der man Cocktails schlürft. Oder Shisha raucht.

Auch die Kundschaft ist eine andere. Wo früher vollgehackte Rockabillies mit Jeansjacke und Gel-Tolle oder Iro-tragende Punks mit ihren Hunden neben einer Horde zugedröhnter über Freud oder Nietzsche diskutierenden Psychologie-Studenten hockten, während NoFx, Placebo oder Tocotronic das Ganze beschallten, sitzen hier nun auch Menschen vor ihrem MacBook und tippen. Irgendwas mit Medien. Kostenabrechnung für die Altbauwohnung in der Augustenpassage um die Ecke wo der Quadratmeter jenseits der 20 Euro liegt. Dafür bekommt man aber Stuckverzierungen im Scheißhaus.

Im alten "Dschungel" unvorstellbar. Gab`s da einfach nicht. Es wäre aber aufgrund der Optik der Fassade wohl auch niemand auf die Idee gekommen, sich mitsamt seinem MacBook hier einen Milchkaffee zu bestellen. Und das war gut so.

An der leerstehenden Ruine des alten "Dschungel" bin ich in den letzten Monaten fast jedes Mal vorbei gelaufen, wenn ich in der Schanze unterwegs war und der Anblick war fast schon tragisch und machte mich traurig.



Eine Zeit lang kursierte das Gerücht, dass in die Ruine eine "Starbuck`s"-Filiale einziehen solle. Zum Glück hat sich das nicht bewahrheitet. Dann hätte die Schanze wohl mal wieder gebrannt.

Stattdessen kommen dann jetzt wohl wieder die üblichen Verdächtigen. Oberklasse-Wohnungen. Penthouses. Nobel-Karossen. Und dann weinen sie wieder alle, weil Farb-Bomben an die frisch weißgetünchten Fassaden fliegen, Graffitis und Stencils gesprayt werden oder wenn am ersten Mai oder in Gedenken ans Schanzenfest oder auch einfach nur mal so wieder ein Luxus-SUV in Flammen aufgeht. Man hat das ja nicht kommen sehen...

Burn motherfucker, burn!

Ich bin nach wie vor gegen das Abfackeln von Oberklasse-Fahrzeugen und werde das nie gut heißen...aber inzwischen habe ich ein gewisses Verständnis.

Den alten "Dschungel" gibt es nicht mehr.

Auch die Ruine ist weg.

Abgerissen.



Ausradiert.



Ein kleiner Rest gelber Fassade sträubt sich noch. An dieser Wand befand sich die Bar. Dort, wo der Schutthaufen liegt, stand ein Barhocker, auf dem ich oft gesessen habe. Direkt rechts neben dem Eingang. Über mir an der Wand ein NoFx-Poster ("Punk in drublic") und ein ausgestopftes Krokodil, von dem niemand so recht wusste, wo das eigentlich hergekommen war.



Übrig bleibt ein Trümmerhaufen...



...auf dem oben drauf ein fetter Bagger hockt.

Und übrig bleiben eine Menge lustiger, schöner, teils versoffener Erinnerungen und Geschichten, die ich nicht missen möchte.

Ich werde mir eine neue liebste Bar der Stadt suchen müssen, es ist an der Zeit. Der "Dschungel" ist endgültig Geschichte.

Schade.

4 Kommentare:

  1. Wenn so ein Laden umzieht, finde ich das fast noch schlimmer als Schließung und Abriß, denn da kann man ihn wenigstens so in Erinnerung behalten, wie er war. An anderer Stelle wieder reanimieren-das klappt fast nie. Man hockt dann trübselig da drin, kann vielleicht nicht mal genau sagen, was fehlt; weiß aber daß man es nicht mehr findet:-( Geht mir zumindest so. Aber in HH stehen die Chancen ja nicht schlecht, wenigstens ein Erstz-Basislager zu finden. ich drück Dir die Daumen!

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    1. Jepp, das habe ich auch beobachtet: Umsiedlung an eine neue Adresse klappt in den seltensten Fällen. Das ist Fakt. Der "Dschungel" ist - im wahrsten Sinne des Wortes - ein komplett neuer Laden geworden und in diesem Fall ist das leider nicht positiv. Zugegeben: Der White Russian ist nach wie vor super und allein wegen dem werd ich wohl noch hin und wieder im "Dschungel" zu finden sein. Aber als Basislager und/oder Rückzugsort ist er definitiv raus aus der Verlosung. Die Zeiten sind vorbei.

      Danke fürs Daumen drücken, da ich relativ abergläubisch bin, vertraue ich fest darauf, dass das hilft ;) Grüße nach NRW!

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