Mittwoch, 8. Januar 2014

Manchmal wird alles unwichtig...

Ursprünglich hätte hier ein ganz anderer Text stehen sollen. Über Silvester oder über Berlin oder irgendwas zur aktuellen Lage in Hamburg. Stichwort "Gefahrenzone".

Alles hinfällig geworden und in die zweite Reihe gerückt.

Vorhin habe ich das erste Mal, seit ich wieder zurück in Hamburg bin, bei Kumpel F. angerufen. Wollte abends rüber gehen. Bisschen über Silvester quatschen, bisschen PS zocken, das Übliche halt.

An sein Handy ging seine Freundin S. und auf die Frage, ob er grad in der Nähe sei, gab es eine Pause und die Antwort, ich solle lieber mal schnell vorbei kommen, dann würde sie mir in Ruhe erzählen, was los ist. Am Handy ginge das nicht so gut.

Das ist etwas, das man so am Telefon nicht unbedingt gesagt bekommen möchte, weil es zumindest in meinem Kopf zuerst mal die allerschlimmsten Gedanken aufkommen lässt. Wäre der schlimmste Fall eingetreten, dann würde ich jetzt aber nicht hier sitzen und tippen...

Also saß ich in F.`s Wohnzimmer auf der Ledercouch und hörte seiner Freundin zu.

Es ist nicht alles hängen geblieben und ich habe vieles schon wieder vergessen, aber F. hatte einen schweren Schlaganfall. Sein zweiter. Mit Anfang 30. Er ist, als seine Freundin morgens zur Arbeit ging, in die Dusche gestiegen und im Bad auf dem kalten Fliesenboden liegend hat sie ihn, als sie sieben Stunden später wieder heim kam, aufgefunden. So gut wie nicht mehr ansprechbar.

Der herbeigerufene Notarzt schätzte nach der Erstversorgung die Überlebenschancen auf "vielleicht fünf Prozent" ein. Die ersten beiden Tage in der Klinik stand F. "auf der Kippe", obwohl er wieder bei klarem Verstand war. Momentan ist eine Körperhälfte gelähmt.

Wie grausam muss es sein, mit klarem Kopf im Klinikbett zu liegen und zu wissen, dass man auf der Schwelle zwischen Leben und Tod steht, was für eine Hilflosigkeit muss man da fühlen? Ich kann und ich WILL es mir gar nicht vorstellen. Und selbst wenn ich es könnte und wollte, dann kämen meine Vorstellungen wahrscheinlich nicht ansatzweise an das wahre Grauen, das man als Betroffener in der Situation fühlt, heran.

Ich habe dann mit S. noch ein wenig zusammen gesessen und versucht, Normalität vorzuspielen, damit sie auch ein wenig zur Ruhe kommt und schlafen kann. Small Talk, dumme Witzchen, hilfloses Gestammel - es scheint aber geholfen zu haben.

Mit einem flotten Spruch und möglichst wenig zitternder Stimme habe ich mich im Treppenhaus verabschiedet, bin dann möglichst festen Schrittes die ersten paar Treppen hinab gestiegen, die restlichen gerannt, nachdem die Wohnungstür zugefallen war - und dann habe ich unten vor dem Haus in den Vorgarten gekotzt.

Jetzt sitz ich in meiner Wohnung herum und fühle mich eklig hilflos. Es ist ein verdammt beschissenes Gefühl, ich kann es überhaupt nicht leiden und weiß auch nicht wirklich, wie ich damit umgehen soll.

Morgen fahr ich in die Klinik, übermorgen auch...jeden verdammten Tag, bis er da raus ist.

Ich bin mir sicher, dass F. wieder fit wird. Nicht mehr der, der er vor dem Schlaganfall war, dass schließen die behandelnden Ärzte aus. Aber er wird wieder werden. Wir werden wieder zusammen die Nächte durch zocken, er wird mich wieder in überlaufene Charts-und-Antanz-Clubs am Albers-Platz schleppen und er wird mir wieder Sprüche drücken, wenn sein Verein gewonnen und meiner verloren hat.

Und ich werde es lieben. Jeden Moment davon.

Alter, zieh durch! Häng dich rein! Du packst das, das weiß ich und das weißt auch du! Die Jungs und ich sind IMMER bei dir! Der Dicke hat aus 100% auch keine 75% gemacht damals, also bau keinen Scheiß...

...wir sehn uns morgen, mein Freund.

16 Kommentare:

  1. ich hatte einen herzinfarkt, als ich vormittags mit dem hund in die stadt ging und geld abholen wollte. dazu ist es nicht mehr gekommen. seither nehme ich mir im leben nur noch die nächsten 15 sekunden vor. mehr wäre vermessen.

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    1. Das ist, so glaube ich, eine sehr vernünftige Einstellung zum Leben, die mir gestern auch wieder in den Sinn kam.

      Ich hoffe und wünsche, dass Du hast die Leidenszeit gut weg gesteckt hast und es Dir wieder gut geht!

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    2. ist schon fast 2 Jahre her, und ich war auch nicht 30, sondern 50. gerechnet hab ich damit trotzdem nicht, nicht mit einem herzinfarkt, eher irgendwo ausrutschen und mit dem schädel aufknallen.immerhin hab ich dadurch mit dem rauchen aufgehört, und siehe, es tut tatsächlich gut. solange sich keiner eine kippe anmacht in meiner nähe, sonst gibts ohrlaschen.

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  2. Mit Anfang 30? Das kann und will man sich wirklich nicht vorstellen.

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  3. Mensch Thorge, das ist hart!
    Für den Kumpel, die Freundin, für dich.
    Ich hoffe er kommt wieder auf die Füße.
    Die Aussage des Notarztes ist anmaßend und der Freundin gegenüber einfach nur gefühlskalt.
    So etwas macht man nicht, und im Übrigen lässt sich so eien Aussage (5% Überlebenschance) auch gar nicht so aus dem Stand machen.
    Ich wünsche jedenfalls das Beste für euch alle!

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    1. Ich danke dir!

      Die Aussage des Notarztes hat mich auch ziemlich schockiert, aber F.`s Freundin meinte, sie hätte eine klare Ansage gewollt und nichts Schwammiges. Ihr hat`s wohl in irgendeiner Form geholfen und insofern ist es wohl "ok". Ich wäre mit der Ansage definitiv nicht klar gekommen.

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  4. Mit Anfang 30 den zweiten Schlag. Das ist ein Schlag!
    Und dann noch sieben Stunden. Wenn er hochkommt braucht er viel Geduld, starke Kampfgefährten und einen gescheiten Arzt.
    Mehr wie virtuell Daumen drücken kann ich nicht.

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    1. Starke Gefährten hat er definitiv an der Seite, was die Ärzte angeht, da sind wir alle morgen (bzw heute, DO) schlauer, da es dann zum ersten Mal zur Reha geht - an sich hat die Klinik aber einen ganz guten Ruf. Einzig die Geduld macht mir ein wenig Sorgen, davon hatte er noch nie allzu viel. Und Überdrehen und zu schnell zu viel wollen ist in so einem Fall wohl eher schädlich als hilfreich - vermute ich, ich bin ja kein Mediziner.

      Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir den Kerl wieder auf die Füße kriegen! Es wird hart, aber es wird klappen!

      Vielen Dank für gedrückte Daumen!

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  5. Meine Partnerin 32 hatte das auch am 26 Dezember zum Glück hat der Schlaganfall sie nur gestreift, dabei denkt man immer Schlaganfall kommt erst nach 50 oder so und wir sind erst gerade im Sommer Eltern geworden mache mir da schon sorgen wenn ich auf arbeit bin und schreibe immer alle stunde mal ein Kontroll SMS will ja nicht nach Hause kommen und meine halbjährige Tochter krabbelt neben der toten Mutter.

    P.S. so kitschig es klingt man sollte daraus lernen zufrieden sein mit dem was man hat und ein bisschen mehr das jetzt geniessen wer weiss ob die zukunft noch kommt

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    1. Ich finde, das klingt gar nicht "kitschig", der Satz ist schon wahr. Das "hier und jetzt" sollte man viel mehr schätzen, als man das gemeinhin tut. Denn von einer auf die andere Sekunde kann es weg sein.

      Ich wünsche deiner Partnerin eine gute Besserung und dass sie in Zukunft von solchen Dingen verschont bleibt und Dir und Deiner kleinen Familie wünsche ich alles Gute! Genieß die Zeit mit Deiner kleinen Tochter, die wird schneller groß, als Du Dir vorstellen kannst :)

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  6. ... crap, alter ... ich drück die daumen...

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    1. Danke Mann. Das können wir echt brauchen! Und ich Depp hatte echt gedacht (/gehofft), 2014 wird besser als 2013...

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  7. puh, ja- hier grad bei einer Bekannten Darmkrebs im Endstadium... auch eine deutliche Ansage, das das Leben endlich ist und die angeblichen Wichtigkeiten nur sekundär sind. Verdammt, womit geben wir uns ab, was eigentlich sooooo egal ist..
    ich habe diese elende Hilflosigkeit und Angst schonmal miterlebt. Scheiße ist das- ich kanns nicht anders nennen..
    Allen Beteiligten, insbesondere Kumpel F. tolle Therapeuten und starke Wegbegleiter!!

    die HH Exilantin

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    1. Dankeschön! Die (zumindest ihm gegenüber) starken Wegbegleiter hat er in seiner Freundin und den anderen Jungs und mir und was die Therapeuten angeht, da bin ich guter Dinge, denn die Klinik hat einen guten Ruf. Ich glaub, das passt schon.

      Für mich ist diese Hilflosigkeit und Angst leider neu, ich kenne es nicht, wenn jemand aus dem engeren Personenkreis "auf der Kippe" steht. Ich habe mir nahe Menschen durch Unfälle verloren und ein Schulfreund war mal an Krebs erkrankt, allerdings war der meines Wissens nach nie lebensbedrohend.

      Zu wissen, das einer meiner besten Freunde in Lebensgefahr ein paar Kilometer entfernt in der Klinik liegt und ich absolut GAR nichts tun kann - das ist vollkommen neu für mich und damit komme ich überhaupt nicht zurecht. Ich hab mich selten so beschissen gefühlt wie im Moment.

      Deiner Bekannten wünsche ich...ja, was wünscht man jemandem, der in so einer Situation ist? "Endstadium". Fuck.
      Klingt es "dumm", wenn ich ihr eine möglichst schöne verbleibende Zeit mit ihren Liebsten wünsche und das es, wenn es dann soweit ist, möglichst friedlich passieren möge? Ich weiß es grad nicht besser zu formulieren, aber das Geschriebene kommt nah an das Gedachte heran.

      Auch dir viel Kraft in dieser schlimmen Situation!

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  8. beklemmend...hoffentlich geht alles gut!!!

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