Samstag, 8. November 2014

Ein Bild vorm Knust

Da sitzt man samt Begleitung biertrinkend, einen der sicherlich letzten temperaturtechnisch angenehmen Abende im Jahr 2014 genießend und in ein Gespräch vertieft auf einer Bank auf dem Platz am alten Schlachthof im Schanzenviertel und denkt sich nichts Böses.

Und dann hat er seinen Auftritt, der Antiheld des Tages.

"Hi, kann mir vielleicht einer von euch helfen?" fragt er.

"Schätze schon, wobei denn?" antworte ich.

"Ich möchte ein Foto von mir mit dem Knust im Hintergrund. Da geh ich nämlich gleich auf das Konzert, weißte? Ein Selfie halt von mir vor dem Knust halt. Kriegste das hin?"

Ich stutze kurz.

"Ähm...du möchtest, daß ich ein Foto von dir schieße, wie du in einer Pose deiner Wahl vorm Knust stehst? Jo, krieg ich hin, klar. Ist dann aber halt kein Selfie."

Er schaut verdutzt und erwidert.

"Häh? Aber ich will ein Selfie haben! Fürs Internet! Mach das doch mal! Kann doch nicht so schwer sein!"

Stimmt, ist im Normalfall auch nicht allzu schwer. Mir schwant, daß das hier anstrengend werden könnte, die Begleitung amüsiert sich derweil bereits köstlich.

"Alter, ich kann kein Selfie von DIR machen. Nur von MIR. Aber das tu ich nicht, alberner Scheißtrend und so, hab ich keinen Bock drauf."

Er schaut nicht irritiert, dafür wird er aber unentspannt.

"Klar kannst du von mir ein Foto machen, auch wenn du keinen Bock drauf hast!"

Ich, verzweifelter Gesichtsausdruck, Freundin H. zucken verdächtig die Mundwinkel.

"Natürlich kann ich ein Foto von dir machen, ich kann sogar einhundert, ach was, eintausend Fotos von dir machen und das mit wachsender Begeisterung. Aber ein Selfie? Ich? Von dir? Keine Chance! Sorry! Alter, daß heißt doch nicht aus Spaß "Selfie", das musst du doch checken!"

Freundin H. hält sich leise glucksend beide Hände vor den Mund und versucht verzweifelt, ihren aufkommenden Lachanfall irgendwie im Zaum zu halten.

Ihm reicht es jetzt.

"Mann, du bist echt so einer, wegen dem ich Großstädte nicht leiden kann! Da sind sie alle so wie du. Unfreundlich und eingebildet! Alles Arschlöcher! Ausnahmslos! Anstatt mal für fünf Sekunden mein Handy zu nehmen und ein Selfie von mir zu schießen..."

... Freundin H. hält es nicht mehr aus und der Lachkrampf platzt aus ihr heraus wie das Monster aus "Alien" auf der Kinoleinwand aus seinen Opfern.

Das wird vom Antihelden mit einem bitterböse gemeinten Blick quittiert, der alles nur noch schlimmer macht.

H. hustet und prustet, keucht und wedelt sich mit den Händen verzweifelt Luft zu, was aber auch nicht gegen herunterkullernde Lachtränen hilft.

Der Antiheld entfernt sich fluchend in Richtung einer anderen Bank, um die sich eine vielköpfige Gruppe von anderen Konzertbesuchern geschart hat, vielleicht bekommt er da sein fremdgeschossenes Selfie, daß er so gern möchte. Er starrt dabei mit bösem Blick zu uns herüber.

Kurze Zeit später wird auch drüben laut gelacht und hohe Fünfen werden verteilt. Sieht nicht so aus, als habe er Erfolg gehabt.

Freundin H. greift, als sie den erneuten ernüchterten Abgang des Antihelden beobachtet, ganz tief in die Schatzkiste aus der Wortspielhölle und kommentiert die Szenerie mit einem furztrockenen "Tschüß, go fuck yourselfie!"

Ich befürchte, daß ich die Frage "'tschuldigung, kannst du eventuell ein Selfie von mir schießen?" in der nächsten Zeit öfter mal zu hören kriege...

2 Kommentare:

  1. Das tut weh.

    Aber dafuer wuerd ich auch rueber kommen und dich mal fragen ob du mal bitte ein selfie von mir machen koenntest. Menschen -.-

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  2. Lieber Konzertbesucher,
    gib die Hoffnung nicht auf, es gibt nicht nur ignorante, herablassende Städter, die deine Stärke - nämlich dir bestimmte Dinge selbst zu erklären, auch wenn du dabei manchmal nicht ganz richtig liegst - nicht gleich zu einer Schwäche ummünzen und dich vor aller Welt vorführen.

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