Mittwoch, 23. Juli 2014

Von Lucia und Paula und Tim und dem Namenlosen

Montag Nacht kurz vor 0 Uhr in der U-Bahn:

"Lucia, wann sind wir denn da?"

"Vier Stationen noch bis Barmbek und da steigen wir um in die S1 und dann eine Station später steigen wir aus und da holt uns Marvin dann ab."

"Cool, ich freu mich total. Ist echt super, das Marvins Kumpel eine Party schmeißt. Die Wohnung seiner Eltern soll total toll sein!"

"Ja, ich freu mich auch, die haben einen Pool und auch einen Kamin!"

"Echt? Wow, das ist geil!"

"Ja, ich mag Kamine auch, meine Großeltern haben einen und den machen sie an Weihnachten immer an, voll gemütlich!"

"Ooooooooooh!!! Tooooooooll!!"

"Ja, aber ich glaube, das wir heute eher den Pool nutzen als den Kamin. Der ist ja drinnen, da wird es nicht zu kalt nachts!"

"Heute Nacht wird es eh nicht kalt, es sind doch jetzt noch so 25 Grad!"

"Ich springe bestimmt in den Pool, ich hab mir sogar letzte Woche extra einen neuen Bikini gekauft, den zieh ich heut zum ersten Mal an! Premiereeeee!!" Lucia strahlt übers ganze Gesicht.

"Oooooooooooooooh, tooooooooooll!!!"

Die Jungs schauen sich beim Gedanken an Lucia in ihrem neuen Bikini aufgeregt an.

Sechzehn Sekunden Schweigen.

"Lucia, dein Oberteil ist echt hübsch! Steht dir!"

"Oh, cool, danke Tim, das habe ich letzte Woche bei H&M gekauft. Mit dem Bikini zusammen."

"Oh, dann bin ich auf den erst richtig gespannt!"

Lucia lacht. Tim grinst schief. Der namenlose Cap-Träger schaut genervt.

Dann:

"Paula, Marvin schreibt grad über Whatsapp, daß er uns nicht abholen kann, ruf den mal an!"

Paula ruft Marvin an.

"Hey Marvin, hier ist Paula, warum holst du uns nicht ab? Das hatten wir doch so abgemacht? Wir wissen doch gar nicht, wo wir hin müssen!"

Pause.

"Ach so, du bist schon betrunken...wir sind aber auch ziemlich spät dran. Ja dann ist ok, wir finden das dann schon irgendwie."

"Was?"

"HAHA, echt jetzt??"

"Ja ok, neeh, dann mach mal! Chrissie macht nicht mit jedem rum, die Chance musst du nutzen!"

"Ja, danke, dir auch! Bis nachher!"

"Was los Paula?" fragt Tim.

"Marvin kann uns nicht abholen, der macht gleich mit Chrissie rum sagt er!"

"Alter, der hat aber auch immer Glück! Scheiße, Chrissie wollte ich heut klar machen. Ich hab euch gesagt, daß wir früher fahren müssen!" sagt der Junge mit dem Cap und schaut noch genervter.

"Kannste doch trotzdem noch." sagt Paula. "Das wird ja ne lange Nacht. Und sonst suchste dir ne andere."

Dabei grinst sie ihn eindeutig zweideutig an.

Merkt er aber nicht.

"Stimmt, mach ich dann halt später" antwortet er und jetzt schaut sie auch genervt aus ihrem figurbetonten Träger-Top.

"Kann eigentlich einer von euch Tüten drehen?" fragt der Namenlose mit der Cap nach einer kurzen Pause.

"Das macht Marvin, wenn der grad nicht wieder irgendwo mit irgendeiner rum macht, der kann das!"

"Super, ich hab extra nochmal was eingekauft gestern, das war nicht leicht, aber ich kenn da ja Leute."

"Die sind älter, oder?" fragt Lucia.

"Ja, klar! Aber ich kenn die schon länger, die verkaufen keinen Scheiß, das glaub mal." antwortet der Namenlose.

"Oh Mann das ist so cool! Was hast du gekauft?" In Lucias Stimme schwingt eine gewisse Bewunderung mit.

Während Lucia den mit dem Cap anhimmelt, schießt Paula vernichtende Blicke in ihre Richtung, die selbst mir im Abteil gegenüber unangenehm sind.

"Nichts Dolles hab ich gekauft, Weed halt und ne kleine Platte, das reicht schon. Aber ihr müsst was dazu bezahlen!"

Zustimmendes Nicken.

Paulas Handy piept.

"Super, Fenja schreibt grad, daß sie den Wodka für die Mischen hat! Find ich voll gut!"

"Perfekt! Weil ohne betrunken sein kann ich nicht kiffen!" sagt Tim. "Dann muss ich immer so derbe husten und der Scheiß wirkt nicht. Geht nur, wenn ich dicht bin."

"Du bist ja auch ne Pussy!" antwortet der Namenlose.

Alle lachen.

Ich nicht.

Denn die, die da grad die derbe Abschussparty mit integriertem Rumhuren planen, sind keine Woodstock nachhängenden abgeranzten Studenten-Hippies und auch keine fast fest im Leben stehenden Mittzwanziger im alle paar Wochen auflodernden Partyrausch.

Lucia, Paula, Tim und der Namenlose sind vielleicht fünfzehn. Und das ist noch optimistisch geschätzt.

Mir ist sowas ja im Prinzip komplett egal, von mir aus kann jeder mit seinem Leben anstellen, was er will, der mit der Zeit angestaute Druck muss schließlich auch irgendwie irgendwann wieder raus und man muss da seine Wege finden. Kenn ich ja selbst.

Sollen sie doch von mir aus rauchen wie ein Schlot, sich gepanschten Dreck in die Venen drücken, bis die irgendwann platzen, saufen bis zum Untergang oder wie bescheuert und ohne Verstand mit allem und jedem durch die Gegend vögeln...ist mir alles vollkommen egal. Jeder so wie er es für richtig hält.

Solang es mir nicht auf den Sack geht.

Hier ist es anders.

Sohnemann ist nur ein, zwei Jahre jünger als die, die sich da grad lautstark über Alkohol, Drogen und Rumgeficke unterhalten.

Und die Jungs und Mädels sehen nicht mal aus wie fast volljährig, die sie ja auch nicht sind, sie sehen exakt aus wie das, was sie sind: Kinder.

Ich bin relativ selten sprachlos, aber das ist jetzt einer dieser Momente.

Barmbek.

Endhaltestelle.

Lucia, Paula, Tim und der Namenlose steigen aus und wechseln auf den S1-Bahnsteig Richtung alkohol-und drogenbeseelter Abschussfeierei bei Marvins Kumpel irgendwo in der "Friede, Freude, Eierkuchen"-Nachbarschaft in Stadtparknähe wo nicht der Pöbel und die Ghetto-Kids leben, sondern tendenziell eher die "gehobenere Gesellschaft".

Ich höre sie noch diskutieren und lautstark reden, während ich auf dem Weg aus dem Bahnhof hinaus meine Kopfhörer aufsetze und dem Telefon die Musikauswahl überlasse.

Das letzte, das ich höre, bevor die Musik einsetzt, ist eine der Mädels, die eine andere mit schriller Stimme als "Nutte" beschimpft.

Eine Millisekunde lang bin ich versucht zu grinsen, dann brettern mir ein paar amtliche breakdowns in den Gehörgang und ich bin wieder geerdet.


Solange Sohnemann seine Play Station und Fußball noch interessanter als das andere Geschlecht und irgendwelche Party-Eskapaden findet, kann ich ruhig schlafen.

Ich beschließe, über das "wie lange noch" ein anderes Mal nachzudenken, fühle mich augenblicklich besser und laufe nach Hause.

In meinem Rücken fährt die S1 aus dem Bahnhof und bringt Lucia, Paula, Tim und den mit der Cap an ihr Ziel.

Destination Abschuss.

Generation Abschuss.

Irgendwie auch ein bisschen tragisch.

Irgendwie schon.

6 Kommentare:

  1. Deprimierend. Ich als niedersächsischer Kleinstädtler bekomme das ja nicht so schlimm mit; aber: eiderdaus. Ich war mit 15 nicht so. Mit 19 vielleicht. Aber nein. Deprimierend. Zukunft. Ich will keine Kinder. Nicht solche.

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  2. Ja, deprimierend. Meine Tochter ist 9 und ich hoffe, mit 15 wird sie nicht so etwas machen.

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    1. Bis sie 15 ist, macht man in dem Alter was anderes.
      Und: du wirst das meiste gar nicht erfahren ;)

      (Ehrlich gesagt fand ich meinen Sohn in dem Alter -verglichen mit mir "damals"- extrem "brav")

      Die ExilHamburgerin

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  3. Mag sein das es eher deprimierend ist.
    Aber die Kids gabs doch schon "immer".
    Mein Vater hat als teen schon mal definitiv mehr gekifft, gesoffen und andere scheisse gebaut als ich in dem alter :P
    (hat ihn nicht davon abgehalten spaeter ein Leben zu fuehren was man umgangssprachlich wohl als vernuenftig/erfolgreich bezeichnen wuerde)

    Und es sind bei weitem nicht alle die so drauf sind, das ist ja nur der kleine teil der so negativ herraussticht...

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  4. So eine Phase hatte ich auch mal. Grenzen testen. Ging rum.
    Hatte halt zuhause eine sichere Bande.

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  5. Locker bleiben. Ich habe mit 13 angefangen mit dem ganzen Scheiß. Das wächst sich aus. :)

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