Freitag, 11. April 2014

"Wenn kommt, kommt!" (3): Damals im Ex-Job: Geld - Mal ist es da, meist ist es weg.

Im dritten Teil der "Wettbüro-Serie" geht es um das liebe Geld.

Darum geht es zwar in vielen Lebenssituationen zu bestimmten prozentualen Anteilen, jemandem, der zum Zocken ein Wettbüro betritt und seine mehr oder weniger sauer verdiente Kohle auf den Tisch legt, dem geht es zu 100 Prozent ums Geld, um den möglichen Gewinn. Wenn nicht gar zu 110 Prozent.

Wie vielleicht bereits in Teil eins und Teil zwei der Serie durchgeklungen ist, war sich meine Kundschaft in vielen Punkten sehr ähnlich.

Viel halbseidenes Volk, dem man nicht unbedingt im Dunkeln auf der Straße begegnen wollte, viele "harte Kerle", die so lange auf dicke Hose machten, bis ihnen ein noch "härterer Kerl" die Grenzen aufzeigte...(es gab tatsächlich eine Art Hierarchie - aber dazu evtl ein anderes Mal mehr)..., locker 50 Prozent werden wohl eine Knastvergangenheit gehabt haben, die Liste könnte ich noch recht lange fortsetzen.

Spielsüchtig waren bis auf einige wenige Ausnahmen, die tatsächlich nur alle paar Tage mal zum Spaß vorbei schauten, alle. Mindestens 95% der Kunden waren Stammkunden, die täglich im Laden waren und das dann nicht nur für ein paar Minuten. Wir hatten da einige, die standen bereits Minuten vor der Laden-Öffnung (11 Uhr vormittags) vor der Tür und warteten, wenn um 11.01 Uhr noch nicht offen war, weil mal wieder der Drucker streikte oder sich sämtliche PCs aufgehängt hatten (passierte beides in schöner Regelmäßigkeit), klopften sie wild an die Scheiben und deuteten hektisch auf ihr Handgelenk. "Seit einer Minute sollte geöffnet sein, macht hinne! Gleich beginnt in der dritten walisischen Liga ein Feldhockey-Spiel und auf das will ich wetten!!".

Nein, ich übertreibe nicht...es gibt so Bekloppte. Viele. Eben diese Gestalten durfte man dann zum Feierabend (meist zwischen 23 und 0 Uhr, ab und zu auch später) teils unter erheblicher Gegenwehr aus dem Shop hinaus "komplimentieren". Den ganzen langen Tag über hatten die nichts anderes getan, als Kreuze auf Wettscheine zu malen und auf Mannschaften und Spiele zu tippen, bei denen sie oft nicht mal wussten, auf welchem Kontinent diese Mannschaften spielten oder diese Spiele statt fanden oder um welche Sportart es sich überhaupt handelte. Die saßen auf ihrem Stuhl, starrten tumb auf die Monitore, gaben alle zehn Minuten einen Wettschein ab, holten sich alle 45 Minuten einen grauenhaft schlechten Automaten-Kaffee und gingen alle drei Stunden pinkeln. Jeden beschissenen Tag aufs Neue.

Was für ein "Leben"...

Ich schweife ab. Zurück zum Wesentlichen.

So ähnlich sich meine täglich wiederkehrende Kundschaft auch war, in einem Punkt gab es gehörige Unterschiede.

Das Geld.

Der eine haute mir ohne mit der Wimper zu zucken mehrere hundert Euro oder auch deutlich mehr auf den Tresen, der andere spielte immer nur für den minimalen Einsatz von zwei Talern.

Zu meinen Stammkunden gehörte ein waschechter Millionär, der aber aussah, als habe er seit Tagen im Gebüsch auf der anderen Straßenseite übernachtet - vermutlich war das auch gar kein so abwegiger Gedanke. Ich habe maximal Zwanzigjährige gesehen, die Geldmengen lose in der Hosentasche hatten, mit denen ich meine Wohnungsmiete über Jahre hinweg problemlos hätte zahlen können. Das waren Beträge, die ich noch NIE auf meinem Konto gehabt habe. Ich erinnere mich an einen Typen, keinen Tag älter als 25, er legte mir zwei Geldbündel auf den Tresen. Ein Bündel Hunderter und ein Bündel Zweihunderter.

"Das sind 10000 Euro, setz die mal auf das und das Spiel!" sagte er. Man hinterfragt sowas dann nicht, man macht es einfach. Natürlich spekuliert man da auf ein entsprechendes Trinkgeld, sollte die Wette treffen.

Blöderweise hatte ich die Scheiße an den Hacken, in den ganzen Jahren wurde nicht eine der Wetten, die ich angenommen habe und deren Einsatz jenseits der 1000 Euro lag, gewonnen. So auch diese für 10000 Taler nicht. Weil die falsche Mannschaft in der allerletzten Spielminute ins Tor traf. Ansonsten hätte der Typ sein Geld mal eben verdreifacht.

Hat er aber nicht.

Man sollte nun annehmen, dass mensch ausrastet, wenn man grad 10000 Euro verloren hat. Verbrannt. Im Klo runtergespült. Die Kohle ist weg. Wegen ein paar Sekunden, die der Schiri zu lange nachspielen ließ.

Ich habe Menschen ausflippen sehen, weil sie durch so eine Situation 100 oder 200 Euro verloren haben, die haben geschrieen, getobt, mit Stühlen geschmissen...der Typ, der grade 10000 Tacken versenkt hatte, rastete aber nicht aus. Er legte mir lächelnd einen Zehner als Trinkgeld auf den Tresen, sagte "Wenn`s heut nicht klappt, dann vielleicht morgen!" und ging.

Mein Chef hat sich natürlich über die Einnahme gefreut, so viel Kohle auf einen Schlag streicht man selbst in der Sportwetten-Branche nicht so häufig ein. Mir war der Kunde ab dem Moment suspekt und das sehr. Jemand, der in dem Alter den Verlust von so viel Geld einfach lässig weg lächelt, kann unmöglich sauber sein. Das schließt sich einfach aus. Und ich (er)kenne doch meine Pappenheimer...

Aber es geht auch anders. Ganz ganz anders.

Eines Tages kam einer meiner afrikanischen Jungs zu mir, einer, der eher selten im Laden war, ein sehr netter Kerl Mitte 50. Er legte mir strahlend seine Kundenkarte (ähnlich wie eine Bank-Karte und man kann mit ihr auch online zocken) auf den Tresen und sagte "Ich möchte bitte 50000 Euro haben."

Ich musste lachen und antwortete "Ja, ich auch!", ich hielt das Ganze für einen Scherz. Bis auf meinem Monitor ein Fenster aufploppte, das mir das Guthaben auf der Karte verriet. Knapp über 80000 Euro.

Da wird einem - zumindest mir - dann schwindelig. So viel Geld...die höchste Geldsumme, die ich mal ausgezahlt habe, ergo bar in der Hand hielt, war 28000 Euro...das sind für mich unvorstellbare Mengen Geld! Ich hatte noch nie auch nur ansatzweise einen fünfstelligen Betrag auf dem Konto...

Unnötig zu erwähnen, das Summen wie 50000 Euro natürlich in bar nicht im Shop vorrätig waren, wir hatten da zwar eine gehörige Rücklage, das war viel Geld, nicht aber SO viel. Nicht mal ansatzweise. So musste ich auf ein saftiges Trinkgeld verzichten und dem Kunden leider mitteilen, dass er noch einen oder zwei Tage auf seinen Reichtum warten müsse, denn der kam dann per Überweisung. Er nahm das entspannt lächelnd auf, es gibt wahrscheinlich Schlimmeres, als einen oder zwei Tage lang warten zu müssen, bis einem über 80000 Euro aufs Konto überwiesen werden.

Zu der Sache gibt es noch eine interessante Randnotiz.

Den Wettschein, der traf und 80000plus einbrachte, wurde gar nicht von dem, der am Ende die Kohle einsackte, ausgefüllt. Der Gewinner stand lediglich in der Warteschlange hinter demjenigen, der den Wettschein ausgefüllt hatte, dieser entschied allerdings, dass er lieber auf andere Spiele tippen wolle. Der hinter ihm wartende zukünftige "Gewinner" fragte dann den eigentlichen "Ausfüller", ob er den Schein spielen dürfe, da er grad noch zwei Euro Münzgeld über habe und das wurde bejaht.

Er durfte. Und hatte ein paar Stunden später aus seinen zwei Euro mehr als 80000 Euro gemacht.

Demjenigen, der den Schein ursprünglich ausgefüllt hatte, hat er 500€ als Dank geschenkt (na herzlichen Glückwunsch!) und jeder Mitarbeiter unserer Filiale hat von ihm 50 Euro Trinkgeld bekommen.

50 Euro Trinkgeld, da schlackern jetzt wohl einigen die Ohren. Ich setze noch einen drauf, mein höchstes Trinkgeld waren 100 Euro. Allerdings hatte ich dem Kunden, den ich gut kannte und mochte, die zehn Euro, mit denen er dann gespielt hatte und aus denen er am Ende knappe 400 Euro gemacht hatte, geliehen. Er "bedankte" sich quasi nur. Ob der Höhe des "Trinkgelds" war ich dann doch ein wenig überrascht...

...

...
Mit großen Geldsummen umzugehen war im Prinzip also Alltag für mich. Am Ende des Tages spät am Abend, wenn man die ganzen Suchtis und die wenigen Normalen aus dem Laden hinauskomplimentiert hatte, kam dann die Kassen-Abrechnung. Und das war immer einer der miesesten Teile des Jobs!

Zu viel? Zu wenig?? Punktlandung???

Ich hatte manchmal zu viel in der Kasse und habe mir dann davon spät nachts noch was Gutes zu essen oder ein Bier zum Feierabend gegönnt, eine Punktlandung, bei der die Kasse nach allen Unwegbarkeiten des Tages bei +/- 0 steht, gab es ganz ganz selten und ein Verlust war im Prinzip Standard. Wenn man stundenlang unter Hochdruck mit Einflüssen aus jeder Richtung an der Kasse hockt, dann rutscht früher oder später was durch und man gibt zuviel Wechselgeld herausb.

Mal einen Euro, mal zehn. Passiert halt.

Das zahlt man dann aus der eigenen Kasse zurück. Da ist das Trinkgeld dann ganz fix wieder weg. Der Großteil der Kundschaft freute sich halt eher über ein paar Taler mehr zum Verzocken anstatt das unberechtigt erhaltene Geld zurück zu geben, zurück gegeben haben es nur ganz ganz wenige. Traurig und uncool, anders war es aber nicht zu erwarten.

Wenn dann auf ein Mal 1000 (in Worten: Eintausend) Euro in der Kasse fehlen, wird es kompliziert.

Das passierte mir an einem Freitag, ich hatte die Spätschicht und war seit Stunden allein im Laden, es war gegen 23.30 Uhr und ich war dementsprechend bedient.

Dazu kam noch, dass 1000 Taler an einem Wochenende wegen dem ganzen weltweiten Fußballzeug (am Wochende wird auf jeden Mist gewettet) essentiell wichtig sein können...wenn die in der Kasse fehlen, weil sie "irgendwo" sind, dann ist das nicht gut. GAR nicht gut!

Nicht nur ich steckte also in der Bredouille sondern auch meine Arbeitskollegen, die am nächsten Tag, einem Bundesliga-Spieltag. an dem korrekte Kassenbestände immens wichtig sind, arbeiteten. Und da fehlten mal eben 1000€, also zwei Drittel des generellen Kassenbestandes.

Vorspulen. Sonntag Abend.

Entgegen meiner Erwartungen waren meine Arbeitskollegen trotz der vierstelligen fehlenden Unsumme gut durch das Wochenende gekommen, ich hatte inzwischen mit meinem Chef telefoniert und klar gemacht, dass ich das fehlende Geld natürlich zurückzahlen würde...abstottern bei den nächsten Gehältern oder so...

Nachdem ich das Telefonat mit Cheffe beendet hatte, lief ich entnervt durch meine Wohnung, meinen im Weg liegenden Rucksack, den ich seit Tsgen nicht mehr beachtet hatte, kickte ich achtlos und fluchend zur Seite.

Aus ihm fielen zwei Geldrollen, 50€-Scheine, jeweils zu zehnt gebündelt.

1000 Euro.

Ich habe bis heute keine Erklärung dafür, wie das Geld in meinem Rucksack gelandet ist, vermute aber, dass ich die zwei Geldbündel vom Tresen und in meinen offenen Rucksack gewischt habe, als ich wild gestikulierend mit einem Kunden diskutierte, während der Inhalt "meiner" Kasse, die ich grad abrechnete, um mich herum verstreut lag...da kann man schon mal unbewusst was vom Tisch fegen, wenn man gestikuliert, diskutiert und streitet..

Ich habe das Geld zurück gegeben und wurde gefragt, was da passiert sei, das konnte ich leider nicht beantworten oder erklären.

Kurze Zeit später wurde mir gekündigt. Fristlos. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...

Seitdem bin ich raus aus der Szene, ich laufe nur noch täglich an einer Filiale meines ehemaligen Arbeitgebers vorbei und sehe dort ehemalige Kunden und Bekannte. Dann wechselt man ein paar nette Worte und wünscht sich Glück.

Im Leben oder beim Zocken, je nachdem, was man präferiert..

Mit der Zocker-Szene will ich NIE wieder etwas zu tun haben, ich habe genug Erfahrungen gesammelt und noch mehr davon brauche ich nicht...ich bin vorerst kuriert.

4 Kommentare:

  1. Mal wieder toll geschrieben. Du machst das nicht zufällig beruflich?

    Gruß nach Hamburch

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  2. Nein, ich mach das nicht beruflich. Würd es aber sehr gern tun!

    Ich grüße zurück aus Hamburch nach...wo auch immer. Hab ein schönes Wochenende! :)

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  3. Die Trilogie (da kommt aber doch sicher noch mehr?) hat mich jetzt traurig und gleichzeitig froh gemacht.

    Traurig, weil: Ich eigentlich geahnt habe, aber nie so genau wissen wollte, was sich hinter diesem Wettschuppen verbirgt, der eins meiner absoluten Lieblingsbasislager "bei mir umme Ecke" abgelöst hat. Selbstverständlich hab ich nie einen Fuß reingesetzt und das war wohl auch die beste Entscheidung..

    Froh, weil: Derartige "Ich-war-jung-und-brauchte-das-Geld"-Jobs zum Glück lange hinter mir liegen. Und ich jetzt in einem (naja, fast) gemütlichen Büro mit schönem Ausblick im bequemen Sessel sitze, nie ein Blutüberströmter oder Besoffener oder beides vor der Tür steht und auch noch nie jemand an meinen Schreibtisch gepinkelt hat, außer dem Köter meines Chefs:-)

    Freue mich auf die Fortsetzungen!

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  4. Jau, da kommt noch mehr. Da sollten schon mehr als drei Teile "draußen" sein, aber beim Schreiben hab ich grad ein bisschen die Scheiße an den Hacken... Wenn ich das so grob überblicke, dann sollte ich am Ende bei acht bis zehn Wettbüro-Dingern landen.

    Ich glaub, so ein Büro-Job wäre nicht meine Welt. Nicht, dass ich es schon probiert hätte... Aber ich steh schon auf diesen "face to face"-Kundenkontakt. Ich hatte in der Wettbutze nur einfach die falschen Kunden... Man stelle sich vor, da wären nur nette entspannte Menschen um mich rum gewesen, dann hätte ich täglich in lustiger Runde bei echt gutem Stundenlohn Fußball geschaut - es gibt Schlimmeres.

    Ich seh mal zu, dass ich mich schleunigst um Teil vier kümmere!

    PS: Es klingt blöd und chauvinistisch, ist aber nicht so gemeint: Aber als Frau ist es eine ziemlich gute Idee, einen Bogen um solche Läden zu machen. Es sei denn, du stehst um zotige Sprüche und Verehrer, die du im Leben nie haben wolltest, aber leider auch nicht mehr los wirst. Darüber kommt auch noch ein Text, den habe ich schon angefangen..

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