Donnerstag, 6. Februar 2014

Vorne rechts: Von der Unannehmlichkeit, Beifahrer zu sein

Eine Bundesstraße irgendwo im spätabendlichen Schleswig-Holstein.

Im Wagen ist es grausig kalt, die Frontscheibe ist beschlagen und teilweise von innen eingefroren, man sieht so gut wie nichts. Sowas kenne ich vom ersten Auto meines besten Schulfreundes, einem klapprigen Fiat Panda Baujahr 1983, der auf Asphalt-Trennscheiben durch das dörfliche Niedersachsen rollte, den man notfalls öffnen konnte, indem man an der richtigen Stelle mit ein wenig Nachdruck gegen die Fahrertür schlug und dessen Wert wir zum Ende seines langen Kleinstwagenlebens hin verdoppelten, indem wir mittig in der Rück"bank" Platz für eine Zapfmaschine samt handelsüblichem 5-Liter-Fässchen schufen, was zu einigen (außer für den alk-losen Fahrer) denkwürdigen Wochenden-Fahrten in die 70 Kilometer entfernte Großraum-Disse führte. Die Karre war im Winter ständig von innen eingefroren, das war Standard.

In dem fast noch aktuellen Mittelklasse-Sport-Coupè, in welchem ich gerade sitze, hatte ich das nun so nicht erwartet und bin einigermaßen überrascht.

Die Fahrerin erzählt fröhlich und freimütig und ohne um den heißen Brei herum zu quatschen, wie mit Ach und Krach die dritte praktische Fahrprüfung bestanden wurde. Es hatte wohl eher mit dem Mitleid des Prüfers als mit fahrerischem Können zu tun, womöglich handelte der aber auch aus reinem Selbstschutz.

"...auf jeden Fall hat er gesagt, eigentlich sei ich durchgefallen. Aber irgendwann müsste es ja auch mal gut sein und außerdem hatte er schon viele an dem Tag durchfallen lassen, also hab ich meinen Führerschein trotzdem bekommen. Ein netter Typ, echt!

...

Eigentlich kann ich nämlich echt nicht gut Auto fahren. Aber man kann ja auch nicht alles können!" kommt es lachend und selbstbewusst vom Fahrersitz und zeitgleich macht der Wagen einen Schlenker Richtung Baumgrenze zur Rechten, was mit einem überraschten "Huch!!" kommentiert wird. Mehr, als zustimmend und betroffen zu nicken, kriege ich leider grad nicht hin.

Ich bin zu konzentriert darauf, mich irgendwo klammheimlich fest zu krallen und den Körper anzuspannen, vor dem geistigen Auge läuft dort eh seit Fahrtbeginn ein kunterbunter Zeichentrickfilm ab. Meist fahren darin Zeichentrickautos gegen Zeichentrickbäume oder durchbrechen Zeichentrickschranken, um dann von Zeichentrickschnellzügen auf die Hörner genommen zu werden. Immer, wenn das passiert, ploppen über der Szenerie Geräuschblasen auf und in denen steht sowas wie "BAAAMMMMMM!!" oder "RUUUUMMMMMMSS!!" oder "KADOOOOOOOOONK!!"

Richtig, ich bin ein furchtbarer, ein ganz ganz furchtbarer Beifahrer.

Ich bremse energisch mit, ich rufe mit einem Anflug von Panik in der Stimme "Da kommt einer, da KOMMT einer!!!", wenn ich in gefährlich anmutender Entfernung ein heran nahendes Fahrzeug sehe - auf der Hinfahrt, als es noch hell war, tat ich das auch, weil das heran nahende Fahrzeug ein recht großer und schneller SUV war und er war viel zu nah, um vor ihm noch einzubiegen - erhört wurde ich auf dem Fahrersitz aber leider nicht. Ich war sehr glücklich, dass der große schnelle SUV gute Bremsen und das Gefährt, in dem ich unterwegs war, eine recht respektable Beschleunigung aufzuweisen hatte. Ein paar graue Haare sind wahrscheinlich trotzdem wieder dazu gekommen...

Aber warum bin ich ein so bescheidener Beifahrer?

Genau weiß ich das gar nicht. Früher war das nie so. In Kufi`s Fiat habe ich mich nie irgendwo festgeklammert und Blut und Wasser geschwitzt, wenn er die Möhre mit Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h über die waldgesäumten kurvigen Straßen meiner emsländischen Heimat prügelte und wenn ich so zurück denke, dann gab es auf solchen Fahrten eigentlich alle paar Kilometer Grund zu panischem Geschrei. Aber das war damals wohl grad ausverkauft.

Oder anders: Eine Mischung aus Testosteron-Überschuss und jugendlichem Leichtsinn, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Übermut und ebenso viel "Scheißegal!"-Einstellung.

Insgesamt war ich als Fahrer bisher "nur" in drei Unfälle verwickelt, von denen "nur" einer - einer zu viel - auf meine Kappe geht. Im Nachhinein wundert mich das ein wenig, bin ich doch damals mit 18, 19, 20 selbst gefahren wie ein Henker - ich bin absolut nicht stolz drauf.

Ich gehe aber davon aus, dass der Tag, an dem ich zum "Schisser auf dem Beifahrersitz" wurde, der 15.12.2001 war.

Auf dem Beifahrersitz eines Smart ging es von Bonn die A1 hoch nach Hamburg und fast am Ziel, kurz hinter der Abfahrt "Tötensen" (die heißt wirklich so und dort um die Ecke lebt (immer noch?) Dieter Bohlen), gab es Blitzeis. Leider hatten wir aber das Radio nicht an, also hatten wir keine Vorwarnungen über den Äther gehört.

Ich weiß noch, dass wir auf der Überholspur grad an einer Kolonne von LKWs vorbei zogen und laut Tacho etwa bei 120 waren. Dann habe ich mich in den Fußraum gebückt, weil mein Schuh offen war. Abgefahren, an was für einen Unsinn man sich nach so langer Zeit noch erinnert. Als ich nach ein paar Sekunden wieder nach vorne aus dem Fenster schaute, schlingerte die Autobahn von rechts nach links und wieder zurück. Zuerst minimal, dann immer schneller. Ich habe gar nicht kapiert, was das heißt und war ziemlich verwundert.

Vom Fahrer, einem sehr guten Freund, kam die knappe Ansage: "Festhalten. Das knallt gleich!"

Dann ging es links in die Mittelleitplanke und danach machten wir auf der Überholspur drei oder vier recht langsame Pirouetten. Ich habe keine Ahnung, wieso wir nicht über die linke auf die rechte Spur, also zwischen oder direkt vor einen der LKW`s geschliddert sind, ich weiß aber, das wir uns auf Höhe des Fahrerhauses eines blauen LKW drehten und ich erinnere mich, dass der Fahrer zu uns herunter schaute und ich zu ihm hoch und die Blicke trafen sich immer dann, wenn der Smart sich wieder in Fahrtrichtung gedreht hatte. Der LKW-Fahrer schüttelte sehr bestimmt mit dem Kopf und der Blick sagte in etwas aus: "Bleibt bloß auf Eurer Spur, wenn Ihr mir vor die Karre rutscht, dann seid ihr Matsch und dann werd ich echt mächtig sauer!"

Wir haben die Spur nicht verlassen, stattdessen ging es noch zwei weitere Male in die Mittelplanke, ob es am Können des Typen neben mir lag oder einfach Glück oder Zufall war, weiß ich bis heute nicht.

Zum Stehen kamen wir quer zur Fahrtrichtung, auf der Überholspur einer vielbefahrenen Autobahn jetzt auch eher ungünstig, daran habe ich in dem Moment aber überhaupt keinen Gedanken verschwendet. Es wurde kurz gecheckt, ob der jeweils andere ok ist, dann war der nächste Gedanke, dass wir die Trümmerteile einsammeln müssten. So ein Smart besteht ja quasi nur aus der Fahrerkabine und ganz viel Plastik drum herum (zumindest war das damals so, heute wird das evtl ein bisschen anders sein), das ganze Plastik, Kotflügel, Frontschürze und so weiter, lag wild verstreut auf der A1 herum.

Ich bin mir absolut nicht sicher, ob wir zuerst den Krempel eingesammelt haben, schliddernderweise, man hätte auf der Autobahn Schlittschuh laufen können und darüber habe ich mich in dem Moment totlachen müssen oder ob wir - und ich hoffe, so war es - zuerst den Wagen auf den Standstreifen geschafft haben. Der fuhr nämlich noch! Und das nichtmal schlecht! Bis zu dem Tag hatte ich immer über Smarts gelästert, zu klein, zu hässlich etc...seit dem Unfall habe ich einen Heidenrespekt vor den Dingern!

Mit fast allen Trümmerteilen im Inneren wurde es zwar etwas unbequem, aber wir haben es bis zur nächsten Abfahrt geschafft (natürlich auf dem Standstreifen und nicht mehr mit dreistelliger Geschwindigkeit, eher so im Schritttempo). Dort haben wir auf einem Parkplatz gehalten und die Polizei alarmiert. Die wunderte sich dann weniger darüber, dass wir keinerlei Kratzer abbekommen hatten, sondern machte lieber zotige Anspielungen über die gemeinsame Wohnadresse, da ich zu der Zeit noch keine eigene Wohnung gefunden hatte und beim Kumpel auf der Couch wohnte. Die blöden Sprüche würde ich mir heutzutage auch in der Situation sicher nicht mehr gefallen lassen, aber damals...mein Gott, Dorfbullen halt. Da kann man eh nicht viel erwarten.

Zuhause angekommen nach einer Odysee im Abschleppwagen, haben wir uns ein Bier aufgemacht und auf unseren gemeinsamen "zweiten Geburtstag" angestoßen, denn die Aktion hätte auch ganz ganz anders ausgehen können. Am Abend des 15.12. gönne ich mir bis heute etwas besonderes und das wird auch so bleiben.

Die weichen Kniee und all das kamen bei mir erst viel später. Als ich das erste Mal viele Wochen später wieder auf einen Beifahrersitz steigen musste, es war ein Taxi heim vom Kiez und der Fahrer akzeptierte nur mich als Nebenmann, da der Rest der Truppe ihm zu betrunken war. Es hat Überwindung gekostet, mich auf den Beifahrersitz zu setzen und die zwanzig Minuten von der Reeperbahn heim nach Barmbek-Nord waren nicht wirklich angenehm. Festhalten, Mitbremsen, Schwitzen...auf ein Mal alles da.

Seitdem vermeide ich das. Wenn ich eine Mitfahrgelegenheit nutze, dann bin ich möglichst früher als alle anderen am Treffpunkt, damit ich meinen liebsten Platz hinter dem Fahrer ergattere - also das genaue Gegenteil vom Beifahrersitz...aber das fällt mir jetzt grad erst auf und mag Zufall sein.

Am Wochenende sitze ich wohl wieder neben oben angesprochener Fahrerin auf oben angesprochenem Beifahrersitz. Das Wetter wird besser sein, keine vereisten Scheiben mehr. Sehr gut! Das macht ein wenig Hoffnung.

Vielleicht trink ich am Abend vorher einfach ein Bier zuviel, dann schlaf ich innerhalb von Minuten im Auto ein.

Das ist zwar unhöflich, insgesamt aber gar keine schlechte Idee...

7 Kommentare:

  1. Die Abfahrt Tötensen liegt an der A261 der Querverbindung von der A1 (Buchholzer Dreick) auf die A7 (Dreieck Südwest).

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    1. Danke für den Hinweis! Da hab ich all die Jahre falsch gelegen, das tut mir leid und ärgert mich jetzt! Das war dann wohl "gefährliches Halbwissen", obwohl ich der 100-prozentigen Überzeugung war, dass es die A1-Abfahrt "Tötensen" war - denn auf der A1 ist das ganze tatsächlich passiert, da vertue ich mich nicht - und habe das auch nie großartig nochmals überprüft.

      Jetzt bin ich etwas verwirrt und werde nochmal Google oder Wikipedia befragen, welche Abfahrten es da in der Ecke noch gibt. Die, in "deren Nähe der Bohlen wohnt", das hab ich schon so oft bei irgendwelchen Mitfahrgelegenheiten gehört...Du hast nicht zufällig eine Idee, welche ich meine?!?

      Irritierte Grüße und einen schönen Start ins Wochenende!

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    2. Googlen hilft!

      Wir meinten beide die selbe Ausfahrt, allerdings habe ich mich in der Autobahn vertan. Das mit der A1 nehme ich also alles zurück und behaupte ab jetzt das Gegenteil: A261 ist natürlich völlig korrekt! www.autobahn-online.de hat da geholfen, denn am Buchholzer Dreieck sind wir noch an einem Stück vorbei gekommen...ich dachte, wir seien weiterhin auf der A1 unterwegs gewesen.

      Ich lass es im Text ab mal einfach stehen - die Aufklärung meines kleinen Fehlers kann dann ja in den Kommentaren nachgelesen werden. Danke nochmals für den Hinweis, ab jetzt weiß ich Bescheid!

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    3. Ja, diese nur 10km lange A261 hat es in sich. Zum einen geht es von Buchholz aus bergab, und dann ist sie eigentlich eine recht lang gezogene Linkskurve. Beides bemerkt man aber nicht sofort. Wenn es da glatt wird und man zu schnell ist, landet man schnell in den Brennnesseln. Glück gehabt. Ich bin neugierig, was ist aus dem Smart geworden? Repariert oder Totalschaden?

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    4. Der Smart war ein Firmenwagen und wurde als "wirtschaftlicher Totalschaden" verklappt. Ab in die Schrottpresse.

      Abgesehen vom demolierten Außenbild hatte er wohl auch einen schweren Schlag am Motor abbekommen, der nicht reparabel war.

      Er hat uns noch runter von der Autobahn gebracht, viel weiter wäre aber dann nicht mehr gegangen. Pflicht vollbracht - Auf Wiedersehn!

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  2. Da hast du aber wirklich Glück gehabt. Zweiter Geburtstag. Habe beim Lesen schwitzige Hände bekommen.
    Bin auch eine schlechte Beifahrerin. Eine sehr schlechte. Allerdings ohne Grund.

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    1. Ja, das war wirklich eine große Menge Glück. So ein Smart ist ja - um die Erfahrung bin ich reicher - wirklich stabil gebaut, aber wenn wir auf die rechte Spur geraten wären, dann wäre sehr wahrscheinlich Feierabend gewesen und es hätte maximal noch zu einer kleinen Schlagzeile in der Morgenpost gereicht.

      Dir allzeit gute (Mit-)Fahrt! Im Nachhinein hab ich ja eine halbwegs interessante Geschichte zu erzählen, aber die Situation in dem Moment wünsche ich niemandem...das war gruselig. Zwar musste ich, als es überstanden war, sehr lachen, aber das war wohl irgendwas zwischen Schock und Erleichterung.

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