Montag, 27. Januar 2014

Freaks. Da ist wieder einer.

Später Abend. Der Wind weht kleine Schneeflocken durch die eisige Luft, die Gehwege sind rutschig und glitzern im Laternenlicht und die Straßen sind ausgestorben.

Nichtmal die Deppen, die ansonsten den Ring 2 als Rennstrecke nutzen und da in ihren entweder pervers teuren oder sinnlos aufgemotzten Schwanzverlängerungen Rennen fahren und danach vermutlich mit einem nassen Fleck in der Shorts aus der Karre steigen, sind heut unterwegs. Breitreifen und Bodenfrost sind keine coole Mixtur und man will den liebgewonnen Nuttenmagnet ja auch nicht vor den nächsten Laternenmast setzen.

Niemand ist unterwegs.

Man sitzt lieber in den erleuchteten warmen Wohnzimmern mit dem Lieblingsmenschen im Arm vorm Fernseher und vor der Heizung liegt schnurrend die Katze. So oder ähnlich seh ich es immer in Werbespots für Schokopralinen oder Weichspülmittel, wenn ich es mal wieder nicht geschafft habe, rechtzeitig umzuschalten.

Ich sitze dann vorm Fernseher und rege mich auf. Ich bin zwar ein großer Freund von Klischees, aber diese schmierigen, die in der Werbung immer und immer wieder gezeigt werden, gehen mir gewaltig auf den Sack. Warum sitzen denn die Protagonisten nicht dort, wegen mir auch Arm in Arm und er schaut ihr dann verträumt in die Augen, sie lächelt ihn liebevoll an und er sagt dann mit sanfter Stimme sowas wie "Mein Gott, der Durchfall macht mich fertig! Ich vertrage einfach keinen Rollmops!"

Oder: "Ach Schatz, du hattest wie immer Recht. Die Kurzhaarfrisur steht dir tatsächlich überhaupt nicht!"

Ich halte solche Dialoge für eindeutig realistischer, als das, was mir die Fernsehwerbung vermitteln will. Im Ernst, niemand kann mir erzählen, dass er oder sie mit dem Partner oder der Partnerin Arm in Arm auf dem heimischen Sofa hockt und sich dabei, von mir aus auch verliebt lächelnd, die komplette Zeit in die Augen starrt, während in der Flimmerkiste grad ein deutscher L-Promi im australischen Busch auf einem Emu-Hoden herum kaut oder ein mir bis dato gänzlich unbekannter "Prince Kay One" eine Sechzehnjährige auf ihre Oberweite reduziert, bevor Herr Bohlen sie dann aufgrund ihrer logischerweise nicht an das Original heranreichende Darbietung eines "Adele"-Songs derart in der Luft zerreißt, dass das arme Mädchen gar nicht anders kann, als sich als Konsequenz selbst zu ritzen.

Ich glaube einfach nicht, dass Paare das tatsächlich tun. Und ich war schon mehrmals Teil eines Paares, mir ist die Situation also durchaus bekannt.

Aber gut, TV-Werbung halt. Mit der steh ich ja eh auf Kriegsfuß.

Am Donnerstag Abend, kurz vor Mitternacht, hätte ich mich dann aber tatsächlich gern in einer solchen klischeeüberladenen Situation befunden, denn statt im warmen Wohnzimmer zu sitzen, lief ich über den rutschigen Gehweg auf dem Weg zum Supermarkt des Vertrauens und der kalte Wind peitschte mir die Schneeflocken ins Gesicht. Die Laune befand sich unterhalb des Gefrierpunktes. Passend zur Außentemperatur also.

Aus einem nichtigen Grund. Kein Käse mehr im Haus. Oder besser: Der, der noch da war, sah so aus, als passe er besser in den Mülleimer als in meinen Magen. Gouda mit grünlichen Flecken isst man wohl lieber nicht mehr...

Da aber ein Frühstücksbrötchen ohne eine Scheibe Käse vollkommen unvorstellbar ist, musste ich also noch los. Was tut man nicht alles... Um mein Suchtmittel Nummer eins (die Billig-Fanta vom Aldi) noch zu bekommen, habe ich für die kurze Strecke zur nächsten Filiale auch schon mal ein vorbei fahrendes Taxi genommen, da grad kein Bus fuhr und ich es zu Fuß nicht mehr vor Ladenschluss geschafft hätte.

Vor lauter schlechter Laune gönnte ich mir neben meinem heiß ersehnten Gouda noch eine Astra-Knolle. Das war dann wohl der Fehler.

"Pflopp"! Bier auf, einen kleinen Schluck, dann Kragen hoch. Heim! Schnell! Wind. Schnee. Kälte. Doof!

"Hey, du hasn Bier! Wart mal!" ruft es von hinten und aus einer dunklen Ecke, auf die einige Einkaufswagen des Marktes einen direkten Einblick versperren, kommt ein junger Kerl auf mich zugelaufen. Keine zwanzig, recht klein, recht schmal, recht seltsam.

"Is ja sogar n Astra!" stellt er fest, als er keuchend und strahlend vor mir steht. "Kann ich haben?"

Die Frage "Kann ich haben?" kannte ich bisher nur von Kleinkindern bis maximal zum Grundschulalter. Und selbst bei denen nervte sie mich ehrlich gesagt extrem.

"Ähm...kannst du WAS haben?" Das siezen keinen Zweck hatte, war von Anfang an klar...

"Na, das Bier! Ich hab keins! Aber hab Durst!"

Ein außerordentlich logischer Gedankengang, den ich auch von mir kenne.

"`tschuldigung, ist das Ihr Granada Coupé, das Sie da grad geparkt haben? Kann ich haben? Wie Sie sehen, gehe ich zu Fuß und das tue ich nicht gern."

Oder: "Hey, sorry, Sie da, der Herr, der wild mit der Lady am Rummachen ist, die aussieht wie Bar Refaeli! Ja, genau, Sie! Hi! Ist das Ihre Frau oder Freundin? Falls ja, kann ich haben? Denn augenscheinlich haben Sie bereits und, naja, ich könnt grad...Deal?"

Klar, hinkende Vergleiche, aber der Punkt ist ja: Man geht nicht zu nem Typen, der seine Karre parkt oder mit seiner hübsch anzuschauenden Frau oder Freundin zugange ist und fragt dummdreist "Mensch, cool! Darf ich (auch) mal?" Tut man nicht. Ist doof. Nervt. Gut, auf Droge sieht man das unter Umständen anders, da habe ich keinerlei Erfahrungswerte. Und das ich mit meiner Astra-Knolle gegen ein Granada Coupé oder Bar Refaeli ein wenig abstinke...nur ein wenig...das ist mir auch klar. Aber es geht ja ums Prinzip!

"Alter! Geh rein in den Laden, kauf dir dein eigenes Bier. Von mir aus ne Buddel Champagner. Oder was weiß ich. Aber geh mir nicht mehr auf den Sack! Ernsthaft, es ist inzwischen nach null Uhr, es schneit, es ist saukalt, es ist windig. Und warum bin ich manchmal so ein verfickter Gutmensch, ich hätte dich von vornherein ignorieren sollen. Nicht mit dir reden sollen. Warum auch, man sieht dir an, dass da nichts Sinnvolles kommen wird. Die Augen flippern hin und her wie geschmetterte Tischtennisbälle, links, rechts, oben, unten, wie hast du es eigentlich geschafft, zu mir rüber zu laufen, ohne auf die Fresse zu fallen?? Sehen kannst du doch vermutlich mal einfach gar nichts außer Kopfkino. Farben schmecken und so. Blau schmeckt nach Salz und gelb nach Marmorkuchen. Im Ernst jetzt...leb irgendwo anders weiter, aber nicht in meiner Nähe!"

Er schaut bedröppelt als hätte er verstanden, was ich gesagt habe. Ist natürlich nicht so, soviel ist klar.

Ich setze meine Kopfhörer auf, drehe mich um und die Musik laut, heut mal Heaven Shall Burn und gehe los. Gegenwind. Schneeflockengepeitsche im Gesicht. Vielen Dank.

Meine Handschuhe habe ich natürlich wie immer zuhause vergessen, sodass die rechte Hand mit meiner schwer erkämpften Astra-Knolle so ganz allmählich an eben dieser fest friert. Weiter, immer weiter, das hat schon Olli Kahn gesagt und der Mann hatte bekanntlich immer eine Scheiß-Frisur, ansonsten aber Recht.

Angekommen an der Ring-Brücke warte ich - warum auch immer - an einer roten Fußgängerampel, als mich eine Hand auf die Schulter tippt, während ich grade den Refrain von "Counterweight" in Gedanken mit brülle.

Der Depp. Mit den flippernden Augen.

Wer sonst.

Er strahlt mich an, so gut das eben geht. Mal das eine, mal das andere Auge glänzt in meine Richtung.

"Oh Mann...Kollege, WAS willst du? Du nervst!"

"Ich hab ein Bier!" Er schaut extrem stolz. "Sie wollten mir keins verkaufen, ich musste es stehlen!" fügt er hinzu und selbst das ist mir inzwischen egal. "Prost!"

In der Hoffnung, den Quälgeist endlich los zu werden, habe ich mit ihm angestoßen. Im Schneewirbel. Bei minus zehn Grad oder so. Inzwischen bibbernd vor Kälte.

Er freut sich derbe in seinem Drogenfilm, er kichert wirr. Es ist auf jeden Fall an der Zeit, zu verschwinden.

"Alter, ich bin raus. Kalt. Schnee, Wind. Außerdem kann ich dich in etwa so gut leiden wie einen offenen Scheinbeinbruch. Ernsthaft, ist gut jetzt!"

"Nur eins noch!" sagt er. "Den Kuss! Wir sind ja jetzt Brüder!"

Und ohne eine weitere Erklärung und während ich ihn noch ungläubig anstarre, setzt er dazu an, mich zu küssen.

Ich habe dank vielen Jahren, in denen ich Basketball gespielt habe, recht gute Reflexe entwickelt und weiche ihm aus, der Typ hat sogar die Augen geschlossen, als er mich anspringt wie ein Vampir in "From dusk till dawn", ein "Kuss"-Versuch, der eher einem Kopfstoß gleicht, es reißt ihn vorwärts von den Beinen und er fliegt in Zeitlupe kopfüber ins Leere und links an mir vorbei, landet aber relativ weich in einem Busch.

Im Sommer hätte ich ihn einfach dort gelassen, aber bei den momentanen Außentemperaturen wäre das wohl ein Todesurteil gewesen. Von daher hab ich ihn aus dem Grün gezogen und ihm klar gemacht, dass er sich schnellstmöglich verpissen soll. Das tat er. In den grad ankommenden 172er Bus. Richtung Fuhlsbüttel.

Aus den Augen, aus dem Sinn. Hallelujah! Oben in Fuhlsbüttel kann sich dann jemand anders mit dem Vogel herumschlagen. Vielleicht endet er ja am Airport. Im Frachtraum. Richtung Südostasien. Das wär doch schön.

Idioten, Vollpfosten und Bekloppte. Es gibt viele, viel zu viele...die Frequenz, in der sie mir auf den Sack gehen, hat erstaunlicherweise abgenommen - wenn sie mich aber dann doch mal ins Auge gefasst haben, dann kommt sowas dabei heraus.

Will ich nicht. Echt nicht. Ich will nur meine Ruhe. Das kann doch eigentlich echt nicht so schwer zu verstehen sein...

Als ich dann gegen 00.35 Uhr zuhause angekommen war, habe ich mich mit meinem superkalten Bier in meinen Fernsehsessel gesetzt, habe einen tiefen Zug genommen, habe innerlich gefröstelt, versucht, den Fernseher zu fixieren - und bin eingeschlafen.
Ich bin gespannt, wie ich den Fleck wieder aus dem guten altrosefarbenen Sessel heraus bekomme. Und aufwachen, um dann fest zu stellen, dass das Hosenbein nass ist, irritiert extrem!

Gleich muss ich wieder raus auf die eisekalte Straße. Es wäre super, wenn ich von durchgeknallten Wochenend-Restposten verschont bliebe. Ich drück mir dafür sogar selbst die Daumen...

5 Kommentare:

  1. ach komm, das war doch jetzt nicht soo schlimm....

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    1. Neeh, das war es nicht. Es geht definitiv "schlimmer", keine Frage! Allerdings haben bis dato noch nicht allzu viele (wildfremde) Kerle versucht, mich auf offener Straße zu küssen - von daher fand ich die Situation doch ein wenig..."ungewohnt".

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  2. Geil!
    Ich war's nicht.

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