Sonntag, 9. Februar 2014

Schwiegersohn wider Willen

Gestern Nachmittag war ich zum Einkaufen in Steilshoop.

Steilshoop, das dürfte zumindest den Hamburgern bekannt sein, ist tendenziell mal eher so etwas wie ein "Problembezirk", manche sagen auch "Ghetto" dazu. Schön Plattenbau an Plattenbau, grau in grau, schlechtes "Grafitti" an den Wänden.

Überdurchschnittlich oft höre ich hier auf der Straße, wie Menschen ankündigen, dass sie schwören, die Mutter ihres Gegenübers beglücken zu wollen oder ähnliches und die Texte von angeblichen "Musikern" wie "Bushido" oder dem krassen "Fler" kennen hier vermutlich 75 Prozent der Jugendlichen von vorne bis hinten auswendig.

Bis Steilshoop muss ich nur zwei Stationen mit einer meiner beiden Haus-Buslinien, die sich beide nicht mal ansatzweise an den Fahrplan halten, fahren, weswegen das pünktliche Erreichen von einem der Busse in etwa so ein Glücksspiel ist wie Pferdewetten oder das dienstägliche Bingo im Altenheim am Schwalbenplatz.

Oft fahre ich nicht Richtung "Steilo", aber wenn denn mal ein Großeinkauf anliegt, dann bietet es sich an, weil es dort an einer Straßenkreuzung alle drei großen Discounter auf einer Ecke gibt und ich mir so eine Menge Lauferei erspare.

Gestern, etwa 14.30 Uhr, Einkauf beendet, ich schleppe meinen schweren Rucksack ächzend über den Supermarkt-Parkplatz.

Mir entgegen kommt ein junges, südländisch aussehendes Mädchen, 16, 17, irgendwas um den Dreh. An der Kasse war sie mir schon aufgefallen, da sie sich über irgendetwas ausschüttete vor lachen und ihr Lachen dermaßen ansteckend war, dass ich meines kaum noch unterdrücken konnte.

Sie zerrt einen Einkaufswagen des Discounters hinter sich her, bei dem die "Wegfahrsperre" eingerastet ist, da der Einkaufswagen bis zum Familien-Van außerhalb des Parkplatzes mitgenommen wurde. Da macht es dann "klack" und eins der Vorderräder des Einkaufswagens wird blockiert, sodass er kaum noch manövrierbar ist.

Sie zieht und zerrt aus Leibeskräften, sie müht sich richtig ab, kommt aber kaum voran.

Doch Hilfe naht.

Ein Typ Anfang 20, klamottentechnisch eher so BWL-Student im dritten Semester mit rose-farbenenem Hemd, welches er in die Hose gesteckt hat und edel aussehenden Leder-Slippern, also in Steilshoop ein eher ungewohnter Anblick, greift beherzt zu, fasst mit an, zusammen ziehen sie den störrischen Karren zum Abgabepunkt, sie bedankt sich strahlend, er lächelt sie an und tätschelt ihr zum Abschied die Schulter.

Auftritt des Vaters (breit gebaut mit obligatorischem Oberlippenbart, eine imposante Erscheinung):

Recht laut Türkisches (vermute ich) brüllend, stürmt er auf die beiden zu, baut sich zwei Meter vor dem BWLer auf, fuchtelt wild mit den Händen und ruft laut

"Du MEINE Tochter angefasst! Jetzt du musst heiraten!!"

Dem armen Studi fällt alles aus dem Gesicht, ich habe noch nie jemanden gesehen, dem so dermaßen der Stift geht. Und ich stehe halb fassungslos, halb belustigt (Schadenfreude ist die schönste Freude...) daneben und gucke vermutlich ziemlich doof aus der Wäsche.

Der Studententyp schnappt nach Luft und stammelt irgendwas von "...doch nur helfen..." und "...gar nicht angefasst...", während der Vater ihn weiterhin mit herunter gezogenen Augenbrauen beängstigend anstarrt.

"Du sie angefasst, ich gesehen! Willst du sagen, das gut?? Das keine gut!!" ruft er.

Schweigen, ohrenbetäubend, ein paar Sekunden lang.

Dann bricht der Vater in schallendes Gelächter aus. Wendet sich seiner Tochter zu, die ungläubig den Kopf schüttelt. "Gut, was?" Geht dann zum immer noch schockiert dreinschauenden Einkaufswagenschiebehelfer, grinst ihn breit an und klopft ihm auf die Schulter.

"Sie sind ein guter Typ! Bleiben Sie so! Vielen Dank, dass Sie meiner Tochter geholfen haben! Einen schönen Tag noch!"

Unter den irritierten Blicken vieler Zuschauer steigt er dann in seinen Wagen und fährt davon. Seine immer noch perplexe Tochter sitzt auf dem Beifahrersitz und guckt peinlich berührt. Und der Studententyp hat sich noch keinen Zentimeter bewegt, er hat vermutlich den Schock seines Lebens.

Dann fängt einer an zu lachen. Dann noch ein anderer Beobachter. Dann ich. Schließlich auch das "Opfer".

Als ich ihn auf dem Weg zur Bushaltestelle überhole, zuckt er trotzdem zusammen. Zuhause gab es wahrscheinlich erstmal zur Beruhigung einen Kurzen.

Oder zwei.

11 Kommentare:

  1. ?????????!!!!!!!!!!!!!!!!!! Einkaufswagen mit Wegfahrsperre, die ab einem bestimmten Radius blockiert?? Sowas gibt es inzwischen in der großen Stadt??
    egal, was die eigentliche Story betrifft: DAS versetzt mich in Schockstarre.
    Ich fühle mich unendlich "Landeiig" und alt..

    Das keine gut!! GAR keine gut!!

    die Exilhamburgerin

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    1. Jepp, seit nem knappen Jahr oder so seh ich die Dinger immer öfter. Man erkennt sie an einer roten, manchmal auch gelben Halb-Verschalung über dem (meistens rechten) Vorderrad. Und sobald man dann vom Kundenparkplatz fährt, rastet da eine Sperre ein. Wie das genau funktioniert - keine Ahnung. Ist aber echt mühsam, die Wagen dann an den Bestimmungsort zurück zu befördern. Ich bin auch mal darauf reingefallen, als das neu war.

      Ja, die große Stadt entwickelt sich weiter. Leider sehr oft in die falsche Richtung, das ist auch nix gut, aber wohl nicht zu ändern und auch ein anderes Thema.

      Danke für`s Mitlesen und Kommentieren. Das SEHR gut!! ;)

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    2. Das liegt daran, dass viele von den Dingern mitgenommen wurden um damit den Einkauf nach Hause zu zerren und dann einfach vorm Haus stehengelassen werden. An der Ecke Schmachthäger Strasse/Meister-Franke-Strasse standen zu Spitzenzeiten schonmal 20 Penny-Einkaufswagen die sich im laufe von 3..4 Wochen dort angesammelt haben. Bei einem geschätzen Wert von 200,- pro Wagen ist das schon ein enormer Verlust. Ein Schaden den DU als ehrlicher Kunde mitträgst. Ganz abgesehen davon dass sich, wenn erstmal 2..3 Wagen dort stehen, auch anderer Unrat danebengestellt wird. Angefangen vom Sofa, über Badewanne bis hin zu blauen Tüten habe ich dort schon alles gesehen.

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    3. Das stimmt, in meiner nicht mal 250 Meter langen Straße standen zeitweise auch mehrere Einkaufswagen von den Supermärkten und Discountern an der Fuhle herum und "blockierten" teils Fahrradstellplätze oder Parkplätze, von denen wir hier eh viel zu wenige haben. Ich besitze weder Auto noch Rad, stell es mir aber schon nervig vor, wenn man endlich einen Parkplatz gefunden hat, den dann aber erstmal frei räumen muss. Am besten noch nach einem langen Arbeitstag und im strömenden Regen. Neeh, schönen Dank auch.

      Im Herbst rollte einer dieser Wagen auf abschüssigem Gelände gegen das Auto eines Freundes, das gab unschöne Kratzer. Sowas ist dann schon sehr ärgerlich.

      Von daher finde ich die Wegfahrsperren gut und sinnvoll. Liegt aber vielleicht auch daran, dass ich die Wagen eh nie nutze und mich daher mit der Problematik noch nie herum schlagen musste ;)

      Übrigens würde ich vermuten, dass so ein Standard-Einkaufswagen bei Neuanschaffung die 200€ sogar noch (deutlich) überschreitet. Ich meine, ich hätte darüber mal was gelesen, da mag ich mich aber auch grad vertun... Gefährliches Halbwissen!

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  2. Antworten
    1. Definitiv! Im Programm eines mäßig "lustigen" Comedian à la Bülent Ceylan hätte ich mir so eine Szene vorstellen können, aber live auf nem Discounter-Parkplatz in Steilo...grandios! Ich freu mich immer noch :)

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  3. Hallo, ich habe die Tage schon mal kommentiert, aber bin wohl nicht durchgekommen. Na, ein zweiter Versuch kann wohl nicht schaden.

    Jedenfalls verbeuge ich mich vor deiner Schreibe. Abgefahrene Geschichte, das.

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  4. Hej!

    Tut mir leid, dass der erste Kommentier-Versuch fehl geschlagen ist! Ab und an scheint mal ein Kommentar spurlos zu verschwinden, ich merke das dann immer erst, wenn man mich darauf hin weist. Ich habe schon an den entsprechenden Einstellungen herum gebastelt, aber ich entdecke den Fehler nicht... Hoffentlich klappt ab jetzt alles reibungslos :)

    Danke für`s Kompliment, das ehrt mich!

    Grüße und einen schönen Wochenendstart aus Barmbek!

    (PS: Ich habe jetzt mal fix bei dir ein wenig gelesen und denke, das Kompliment kann ich wohl exakt genau so zurück geben. Bei mehr Zeit wird mehr gelesen! Bis denn!)

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  5. Ich glaub nicht das es nur beim "kurzen" geblieben ist. Auch wieder herrlich ehrlich und direkt aus dem Leben. Fantastisch wie der Mitbürger das Klischee für sich benutzt hat. Köstlich amüsant.

    Weiter so^^
    Gruß von S. aus Berlin

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