Montag, 23. Juni 2014

"Die Ghanaer erkennen Sie an den gelben Stutzen!"

"Die Ghanaer erkennen Sie an den gelben Stutzen!" informierte vor einigen Jahren Marcel Reif seine TV-Zuschauer, als eben dieses afrikanische Team gegen die deutsche Nationaltruppe antreten musste.

Bis heute ist das eines meiner liebsten Zitate, wenn es um König Fußball geht und ich freue mich immer wieder, wenn ich ein Spiel Ghanas und die gelben Stutzen sehe und dementsprechend - mehr zu meiner als zur Belustigung anderer - das Zitat anbringen kann. Weniger freue ich mich, wenn ich Marcel Reif kommentieren höre, aber das ist eine andere Geschichte.

Samstag Abend, als sie wieder mal gegen Deutschland spielten, trugen die Ghanaer übrigens rote Stutzen. Ich habe sie zunächst nicht erkannt.

Das erste Mal publikes Gucken mit der besten Hamburg-Freundin stand auf dem Plan, die Motivation war launetechnisch eher gering, aber versprochen ist versprochen und Freundin F. kann ich eh keinen Wunsch abschlagen.

Als es dann, als ich um 19 Uhr die Wohnung verlies, auch noch zu regnen begann, war ich vollends bedient. Public Viewing im Regen, na herzlichen Glückwunsch.

Der Plan war es, sich irgendwo in der Schanze mit vielen anderen vor einer Bar das Spiel anzusehen, das machen die Beste und ich seit knapp zehn Jahren regelmäßig so und bisher haben wir noch kein Spiel zusammen verloren. Und da sie bekennender Fan "Schlaaands" ist, komplett mit Trikot, Fähnchen und Gesichtsbemalung, habe ich als zumindest in diesem Jahr (fast) neutraler Beobachter da in gewisser Weise die Arschkarte gezogen und sehe mich ebenfalls schon mit charmant aufgezwungener Kriegsbemalung in den Nationalfarben herum laufen.

Als wir uns treffen, hat sie zu meiner Erleichterung erstens keine schwarz/rot/güldene Schminke im Gesicht und zweitens auch noch zwei Bier dabei. Ist definitiv eine zum Heiraten, meine rein platonische bessere Hälfte.

In der Schanze finden wir natürlich keinen Sitzplatz vor einer der Bars auf dem Galao-Strich mehr, dafür hätten wir vermutlich seit zwei Tagen hier campen müssen wie vierzehnjährige kleine Mädchen beim Kartenvorverkauf für ein Miley Cyrus-Konzert oder wie finanzschwache Studenten vor der nächsten IKEA-Filiale, wo man dann im Wintersonnenwenden-Schlussverkauf das Bett "Hardvik" zum Schnäppchenpreis bekommt.

Ein frisches Bier später haben wir einen okayen Stehplatz mit gutem Blick und gutem Ton vor einer Bar am Schulterblatt gefunden und ganz im Ernst: Sitzen beim Fußball?!? Ich denke nicht...

"Hymne hören, du musst die Hymne hören!!" hektikt Freundin F. herum.

Seit ich beim Halbfinale der Heim-WM 2006 gegen Italien mal die Nationalhymne verpasste (und wir wissen fast alle, wie das dann geendet ist), weil ich auf dem Klo war, ist es laut ihr meine erste Bürgerpflicht, vor wichtigen Schlaaand-Spielen bei der Hymne parat zu stehen. Alles andere bringt Unglück. Sagt sie. Ich finde das zwar ein wenig weit hergeholt, aber eine Diskussion ist da so unnötig wie ein italienischer WM-Triumph, von daher spiele ich einfach mit.

Freundin F. freut sich dann und ich habe meine Ruhe.

Die erste Halbzeit plätschert irgendwie so vor sich hin und selbst trotz roter Stutzen kann ich inzwischen die Ghanaer von den deutschen Spielern unterscheiden. Der Trick ist, auf die Frisuren zu achten...

Das Spiel ist ein wichtiges aber leider bisher kein spannendes.

Interessanter ist da schon das Volk, das rings um uns herum steht.

Rechts von mir eine Truppe Mitt-Dreißigerinnen, die das Spiel herzlich wenig interessiert, sie sind nur da, um Sami Khedira anzugucken, weil er (ich zitiere) "der hübscheste Mann Deutschlands ist", der aber "die kleine Blonde, wie heißt sie noch, das Miststück, vögelt.".

Sympathisch, die Damen! Versuchen gar nicht erst, irgendwelches gefährliche Halbfachwissen vorzuspielen wie die siebzehnjährigen Tussis, die in den deutschen Farben gebadet in der ersten Reihe des Fan-Festes schrill quiekend und "POLDIIIIII" oder "SCHWEINIIIII" verehrend auf den Schultern ihrer Lebensabschnittsgefährten hocken und damit einem großen Teil derer, die tatsächlich das Spiel und nicht die Spieler beim Trikottausch sehen wollen, den Blick auf die Leinwand versauen.

Mit den Mädels rechts von mir stoße ich an, mein Bier und ihre unvermeidliche Sektpulle. Ich find sie gut, sie heucheln kein Interesse, sie unterhalten sich angeschickert und ergo leise kichernd ausschließlich über die Optik der Spieler. Den Hummels, den würden sie alle gern mal...und den Müller, den würden sie auch alle nicht von der Bettkante schubsen. "Aber der ist ja verheiratet und außerdem so zehn Jahre jünger als wir!" merkt eine mit traurigem Blick an. "Das der verheiratet ist, macht ja nichts" erwidert ihre Freundin, "aber so ein junger Kerl kann doch nichts. Da bleibt der Spaß doch auf der Strecke!". Zustimmendes Nicken. Ich muss lachen und mir wird verschmitzt zugezwinkert.

"Soll ich dich retten?? Die baggern dich doch an!" flüstert die Beste von der anderen Seite. Ich kann beruhigen. "Neeh, die baggern mich nicht an, ich passe nicht ins Beuteschema. Ich hab weder das Aussehen vom Hummels noch den Kontostand vom Müller."

Da das Spiel Ende der ersten Hälfte überhaupt nichts mehr her gibt, widmen F. und ich unsere Zeit der Beobachtung der direkt vor uns stehenden englischsprachigen Jungs, einer sieht ein bisschen aus wie Prinz Harry, ein anderer mit seiner platten Nase ein bisschen wie ein ziemlich schlechter Kirmesboxer. Zwei reden ununterbrochen miteinander, die anderen beiden stehen stillschweigend links und rechts daneben. Einer trägt ein "Schweinsteiger"-Trikot. Außerdem trinken sie alle Weizenbier. Augustiner. Aus der Flasche. Pfui!

Drei von den Vieren haben ihre Flasche geleert, eine neue muss natürlich schnell her. Vorrat ist auch da, man(n) denkt ja mit - blöderweise aber meist nicht zu Ende.

Keiner der vier hat einen Flaschenöffner am Mann. Nach kurzer Ungläubigkeit macht sich eine gewisse Panik in den Gesichtern breit.

Da es entwürdigend wäre, irgendeinen der Umstehenden nach einem Flaschenöffner, Feuerzeug oder ähnlichem zu fragen, wird halt improvisiert. Und wenn das Öffnen eines Bieres dann eben mehrere Minuten in Anspruch nimmt...egal. Wenigstens hat man sein Gesicht gewahrt. Zumindest fast. Am Ende werden die Flaschen dann in minutiöser Kleinstarbeit mit einem Fahrradschlüssel aufgehebelt. Als der Kronkorken endlich von der letzten Flasche ploppt, wollen Freundin F. und ich fast in frenetischen Jubel ausbrechen,

Derweil hat bereits die zweite Halbzeit begonnen und ist noch nicht alt, als eine Flanke sich in den westafrikanischen Strafraum verirrt, wo der Götze mit seiner Hipster-Frise sie unter Zuhilfenahme verschiedenster Körperteile irgendwie ins ghanaische Tor bugsiert.

Um mich herum werden Arme in die Höhe gerissen und es wird gejubelt. Die Mädelstruppe rechts von mir verschüttet fast ihren Rotkäppchen-Sekt und die Jungs vor uns jubilieren, dabei schlägt einer dem anderen versehentlich den Ellenbogen krachend ins Gesicht. Hat ein bisschen was von Mosh-Pit. Aber nur ein bisschen.

Auf dem Spielfeld werden nun die Visiere herunter geklappt und ein wildes Hauen und Stechen beginnt, zwischen lautstarkem Jubel während einer Chance von Jogis Jungs bis hin zu entsetztem kollektiven Aufstöhnen, wenn ein Afrikaner auf "Schlaaands" Tor zustürmt, liegen meist nur wenige Momente.

Links neben mir taucht auf Schulterhöhe ein Kopf auf. Er trägt eine Schirmmütze, die für eine bekannte deutsche Versicherung wirbt, der spärliche Bartwuchs wuchert wild. Und dann redet der Kopf.
"Des könnens net! Ei, de Ghanaäh, des könnens net verdeidige! Wennde Mario de Ball so b`gommt, des ist net zu verdeidige! Weisch?"

Himmel hilf, der Prenzlauer Berg ist ist am Start! Dem Kiezneurotiker , ist einer entwischt und mir zugelaufen! Das muss doch jetzt nicht sein...

Während der nächsten paar Spielminuten rückt der Kopf immer näher an mich heran, Freundin F. amüsiert sich köstlich, ich eher nicht so. So engen Körperkontakt hatte ich länger nicht mehr, wenn das noch zwei Minuten so weiter geht, dann werde ich ihn wohl meinen Eltern vorstellen müssen.

Aus dem Nichts erziehlt Ghana den Ausgleich und der Kopf, zu dem ein mit Jutetasche, die Werbung für ein Schuhgeschäft macht, behangener hagerer Körper in Parka und Hochwasserhose gehört, echauffiert sich.

"Ei, g`sagt hab ichs! Des wars! Des Spiel is g`laufn! De Neuer, die gröschte Pfeif uffde Welt!!

Kurz danach geht der Kopf weg und mitten in mein innerliches Glücksgefühl fällt das nächste Gegentor. Zwei junge dunkelhäutige Mädels schreien schrill vor Freude, ein wenig klingt es wie in den "Scream"-Filmen, wenn mal wieder eine der Protagonistinnen massakriert wird. Viele schauen sich irritiert um, aber statt einem Blutbad gibt es nur zwei strahlende hübsche Mädels zu sehen, die ausgelassen tanzen und mit der bunten ghanaischen Fahne wedeln.

Ich erwarte Idioten, die das Ganze mit dummen Sprüchen kommentieren, das habe ich ja erst ein paat Tage früher nach dem Spiel der Ivorer erlebt. Aber das passiert nicht. Die Mädels werden fotografiert, oft, und sie lieben das und posen. Das wars aber auch schon.
Keine Schmährufe. Gar nichts. Verrückt. Und toll!

Freundin F. hat inzwischen außer dem Spiel auch die vier Jungs vor uns ausgiebig beobachtet und hat heraus gefunden, dass wir es mit ein paar Amis zu tun haben. Ein Versuch, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, scheitert allerdings, denn Miro Klose, der, der wie ein Mädchen läuft, erzielt aus dem Nichts das 2-2, torjubelt mit seinen 35 Jahren per Salto, den er weder steht noch sitzt, es aber irgendwie schafft, sich bei der Landung keine wichtigen Knochen zu brechen und wirklich alles und jeder ist nun außer Rand und Band.

Abgesehen von den beiden hübschen Afrikanerinnen natürlich.

Es wird gesprungen, Fremde umarmen sich, Fäuste werden in die Höhe gereckt... Und das nach einem Ausgleichstor in der Gruppenphase gegen Ghana.

Das Spiel plätschert dann bis zum Abpfiff so vor sich hin.

Unentschieden, eine spannende zweite Halbzeit. Freundin F. und ich sind zufrieden.

Der deutsche "Fan", der sich alle zwei Jahre mal vier Wochen lang Fußball für Fußball interessiert und sich dazu das "Fan-Set" im Discounter seiner Wahl für 9,95€ kauft, um während des Turniers authentisch rüber zu kommen, tickt da natürlich anders.

Als vier ghanaische Jungs in den Landesfarben mit lautem Trommeln und feierlichem Gesang an uns vorbei laufen und den Punktgewinn feiern, brüllt aus dem Hintergrund ein intelligenzbegrenzter Vollidiot irgendwas von wegen "Neger" und so weiter rein.

Peinlich und armselig. Zum Glück bleibt das die Ausnahme, der Großteil der Umstehenden freut sich mit den Vieren, einige versuchen ungelenk im Takt der Trommeln zu "tanzen", was den Afrikanern ungläubiges Grinsen abnötigt.

Freundin F. geht noch mit einer Arbeitskollegin feiern, ich fahre nach Hause. In der Bahn treffe ich noch ein Paar, beide im Trikot der "Black Stars". Es wird eine fröhliche Heimfahrt, leider steigen die beiden drei Stationen vor mir aus.

Am barmbeker Bahnhof passiert dann, was seit langen Wochen überfällig war. Ich laufe Denny, dem Haus-Nazi über den Weg. Ich war ihm eine lange Zeit erfolgreich aus dem Weg gegangen, wenn ich ihn von Weitem auf der Straße sah, wechselte ich die Straßenseite und wenn ich ihn an der Bushaltestelle sah, ging ich lieber zu Fuß.

Denny ist harmlos und irgendwie bemitleidenswert, ich meide aber jede persönliche Begegnung. Wochenlang hat das geklappt und jetzt renne ich nachts gegen ein Uhr in ihn rein.

Er steht mit ein paar anderen vermutlich ebenso Hirnbefreiten auf dem Busbahnhof, er und seine Leute sind vor lauter schwarz/rot/goldenem Gedöns kaum noch zu erkennen, was nicht unbedingt von Nachteil sein muss. Denny trägt eine große Fahne als Umhang, dazu einen Schal und die deutschen Farben hat er sich natürlich auch ins Gesicht gemalt. Auf der linken Wange leider spiegelverkehrt.

Gold/Rot/Schwarz.

Kann man mal machen. Diese Dreifach-Schminkstifte sind aber auch nicht einfach zu handhaben.

Ich muss grinsen, unterdrücke das aber, denn dummerweise spricht Denny mich an und seine Entourage, bestehend aus zwei stiernackigen kahlrasierten Schränken und einer dümmlich grinsenden und schlecht blondierten Bratze mit stupidem Gesichtsausdruck und Springerstiefeln, mustern mich missmutig von oben bis unten.

"Na Zecke? Auch mit dem Bus fahren?" fragt Denny laut. Er erntet von Umstehenden einige Blicke, interessierte und genervte.

"Warst wohl auch Fußball gucken, häh? Unentschieden! Gegen die Neger! Die verdammten Neger! Kann doch keiner aussprechen, die Namen!"

Ich sage nichts, ich schaue ihn nur an und es ekelt mich.

Da steht ein verhärmter kleiner Typ vor mir, der seine letzten verbliebenen Haare platinblond gefärbt und Augenringe wie aus einem schlechten Horrorfilm hat und dem bei seinen Hetztiraden kleine Spucketropfen aus dem Mund fliegen, denen ich zum Glück erfolgreich ausweichen kann.

Mir ist klar, dass er sich nur so verhält, weil er grad nicht allein ist. In der Gruppe sind sie stark, die Idioten, die Hirnamputierten, die Fehlgeleiteten. Das nächste Mal, wenn ich ihn tragischerweise allein im Treppenhaus treffe, macht er wieder auf gut Freund.

Denny labert und labert und labert seinen Schwachsinn in die Welt.

Nach ein paar Minuten ertrage ich es nicht mehr, drehe mich um und gehe, ohne ein Wort mit Denny gewechselt zu haben.

Er starrt mir hinterher, seine Truppe guckt Löcher in die Luft.

Der Spaziergang heim entspannt, das Bier vom Kiosk schmeckt und ich komme auch an der kleinen afrikanischen Bar vorbei, in der ich eine Woche zuvor die Samstag Nacht zum Tag gemacht habe. Sie sieht abgerissen aus wie eh und je.

Obwohl es eine Samstag Nacht ist und Team Deutschland gespielt hat, ist es erstaunlich ruhig in meinem Viertel. Ich scheine der einzige zu sein, der noch auf der Fuhle unterwegs ist.

Selbst auf dem Ring 2 fahren heute keine GTi-Piloten Rennen in ihren aufgemotzten Karren.

An meiner Wohnung angekommen, bleibe ich noch einige Zeit auf der Mauer vor dem Haus sitzen, trinke aus und lausche in die Nacht. Irgendwo flitzt ein Tier fiepsend durchs Gebüsch und ganz weit in der Ferne in Steilshoop oder Dulsberg ertönen Polizeisirenen. Ansonsten Stille. Großartig.

Eigentlich mag ich totale Stille nicht, aber grad jetzt ist sie großartig.

Bevor Denny heim kommt und mir nochmals über den Weg läuft, verschwinde ich in meine Wohnung, lege mich aufs Bett und lasse den Tag rekapitulieren.

Trotz etwas ruppigem Beginn: Schön war`s. Hätte ich gerne öfter!

1 Kommentar:

  1. fuck ey, du lässt dir schwarz-rot-gelb ins gesicht malen? jetzt hör ich doch auf, deinen blog zu lesen. mann, mann, mann...

    AntwortenLöschen