Freitag, 24. Oktober 2014

Briefmarkensammlung 2.0

Mein Vater sammelt seit ewigen Zeiten Briefmarken. Parallel dazu natürlich auch Münzen, das scheint sich ja eh irgendwie gegenseitig zu bedingen.

Meine Mutter sammelt Spieluhren, inzwischen hat sie so viele davon, bald 300 Stück, daß mein ehemaliges Kinderzimmer mittels einiger Vitrinen in eine Art Spieluhren-Museum umgestaltet wurde, für das sie problemlos ein paar Taler Eintritt verlangen könnte.

Ich habe früher jahrelang wie ein Wahnsinniger Trading Cards der NBA aus den USA - also Basketball-Sammelkarten - gesammelt, da bin ich nach meiner ersten Reise über den großen Teich 1995 drauf hängen geblieben und ich habe tatsächlich ein paar wertvolle Exemplare, dem legendären Michael "Air" Jordan sei's gedankt.

Als Altersrücklage taugen die natürlich nicht, aber laut der letzten Internet-Recherche wäre zumindest eine neue Waschmaschine oder ein neuer Herd drin, vorausgesetzt ich finde einen Bekloppten, der die in entsprechenden Foren ausgeschriebenen dreistelligen Summen für ein paar hochglanzbedruckte Pappkärtchen zahlt. Soll es ja geben, solche Irren.

Briefmarken, Münzen, Spieluhren, Sammelkarten, alles kalter Kaffee!

Das hier ist der neue heiße Scheiß:



Kommt sicher auch super bei der Damenwelt an, garantiert besser als die ausgelatschte und angeranzte "Soll ich dir mal meine Briefmarkensammlung zeigen?"-Nummer.

"Soll ich dir mal meine Streichholzschachtelsammlung zeigen?" kommt da schon deutlich spannender um die Ecke.

Fast schon rebellisch. Und vor allem unerwartet.

Überraschungsmoment ist das Stichwort.

Außerdem kann man das Ganze noch sinnvoll ergänzen, zum Beispiel durch einen Zusatz wie: "Du darfst aber nur mitkommen, wenn du "Streichholzschachtelsammlung" unfallfrei buchstabieren kannst, ohne dir dabei die Zunge abzubeißen!"

Damit bleiben dann Mandy, Cindy und Schantalle (ja, ich weiß, Name ungleich Intellekt, ABER...) direkt und im wahrsten Sinne außen vor.

Abschleppen leicht gemacht dank obskurer Sammelleidenschaft. Es kann manchmal so einfach sein...

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Mitgehört (3): Mutti klärt auf

Im Zug Richtung Bremen flitzt ein fast komplett in rosa gekleideter laufender Meter glucksend hin und her durch den Mittelgang und freut sich dabei wie ein Schneekönig.

Weg von Mutti, zurück zu Mutti, wieder weg von Mutti und wieder hin zu ihr.

Jedes Mal wenn sie wieder sicher bei Mutti angekommen ist, quietscht die Kleine freudig "Mama ist da!" und die Mama lacht und knuddelt und strahlt und antwortet jedes Mal sowas wie "Ja Schatz, Mama ist hier!".

Das geht so eine ganze Weile und inzwischen beobachtet der halbe Waggon ganz angetan die Kurze und ihre Mutter.

Wieder wetzt sie auf ihren rosafarbenen Sockfüßen Richtung Mutti, fällt ihr in die Arme und quiekt dieses Mal zur Abwechslung "Papa auch da??"

Mutti stutzt kurz, dann antwortet sie staubtrocken und ohne mit der Wimper zu zucken:

"Nein, Papa ist nicht da. Es ist Wochenende und Papa hat gestern wie immer am Wochenende wieder mal zuviel gesoffen!"

Sie macht eine kurze Pause. Dann drückt sie ihre Tochter an sich und erklärt:

"Wenn man zu viel säuft, dann geht es einem nicht gut und man bekommt Kopfweh und muss spucken, liegt im Bett rum und jammert weinerlich. So wie im Moment der Papa."

Es entsteht eine erneute kurze Pause. Dann mit einer abwinkenden Handbewegung:

"Aber das lernst du noch früh genug. Wenn du nach deinem Vater kommst, dann so ab spätestens dreizehn. Warte mal ab. Jetzt geh weiter spielen, Schatz!"

Die Kleine wetzt daraufhin wieder mit unbändiger Energie den Gang auf und ab und jubiliert.

Nach ihrem Papa fragt sie nicht mehr, wenn sie in Muttis Arme rennt.

In Delmenhorst steigen die beiden aus. Kichernd und wahrscheinlich deutlich besser gelaunt als zeitgleich der Vater zuhaus.

Dienstag, 7. Oktober 2014

Peter

Peter ist ein Unikat und gehört zum Inventar meiner Nachbarschaft, er gehört hier dazu wie die Rotklinkerbauten zu Barmbek-Nord, die Containerbrücken zum Hafen oder die bunten Neonlichter zur Reeperbahn.

Er sitzt seit Jahr und Tag am späten Nachmittag vor dem Kiosk in meiner Straße und trinkt sein verdientes Feierabendbier. Manchmal werden es zwei, manchmal auch drei, je nachdem, wer ihm Gesellschaft leistet.

Zum Bier raucht er ein paar Zigaretten und erzählt mit tiefer sehr rauer Stimme von seinem Arbeitstag oder über seinen Verein oder über Gott und die Welt.

Oder er hört seinen Freunden und Bekannten, die mit ihm dort sitzen, dabei zu, wie sie ihre Alltagsgeschichten erzählen.

Er sitzt immer auf dem gleichen Platz, sein weißer Gartenstuhl aus Plastik steht immer mittig vor der Schaufensterscheibe des Kioskes, sodass er im Blick hat, was auf der kleinen Straße vor ihm passiert. Die Auslage im Schaufenster in seinem Rücken muss er nicht im Blick haben, die hat sich seit Ewigkeiten nicht verändert.

Meist trägt Peter dabei seine grell orangefarbene Müllmannsuniform, denn bevor es nach dem Knochenjob heim in seine kleine Wohnung geht, ist das alltägliche Treffen vorm Kiosk Tradition und Traditionen muss man pflegen.

Peter pflegt diese Tradition sehr und das tägliche Treffen ist ihm wichtig.

Er ist Mitte oder Ende fünfzig, so genau weiß ich das nicht und er ist ein Hüne, breite Schultern, sonnengegerbtes Gesicht, verblasste Tätowierungen aus seiner früheren Zeit als Hafenarbeiter auf den Armen. Und dazu diese fast unnatürlich raue Stimme, die wie Schmirgelpapier das Trommelfell bearbeitet und Spuren hinterlässt.

Ich kenne Peter nicht allzu gut, wir grüßen uns jedes Mal freundlich, wenn wir uns auf der Straße begegnen und einige wenige Male habe ich auch mit in der Runde vorm Kiosk gesessen, ein Bier getrunken und habe seinen Erzählungen und denen der anderen gelauscht. Aber das ist lange her.

In der vergangenen Woche habe ich Peter wieder in seiner Uniform Richtung Kiosk laufen sehen.

Es war das letzte Mal, daß ich das beobachten konnte, aber das wusste ich da noch nicht. Als ich ihn zu seiner alltäglichen Tradition aufbrechen sah, musste ich lächeln.

Etwa eine Stunde später ist Peter gestorben.

Im Kreise seiner Freunde und Bekannten vor dem Kiosk.

Er ist einfach auf seinem Stuhl zusammengesackt. Ohne das es sich angekündigt hat.

Die herbeigerufenen Sanitäter konnten nichts mehr tun, es ist sehr schnell gegangen, wie als wenn man den Lichtschalter umlegt.

Klick.

Ende.

...

Da wo Peter immer gesessen hat, brennen jetzt Kerzen und Grablichter und da liegen eine Menge Blumen. Jemand hat eine Halbliterflasche Holsten dazu gestellt, das Bier hat Peter am liebsten getrunken.

Seine Freunde haben einige handgeschriebene Nachrichten hinterlassen. Letzte Grüße, gute Wünsche für die letzte Reise und all das.

Ein Foto von Peter gibt es nicht, denn jeder in der Nachbarschaft weiß, an wen die Blumen und die Kerzen erinnern. Dazu braucht es kein Foto.

Auf dem Heimweg nach einem tollen Abend habe ich mir Donnerstag Nacht ein paar Momente Zeit genommen und mich zu den Kerzen und Blumen und Briefen gesetzt, um mich ein wenig zu erinnern und das fühlte sich richtig an.

Ich habe Peter leider nicht wirklich gut gekannt aber ich habe ihn gemocht. Er war ein außergewöhnlicher Mensch.

Mach's gut Nachbar. Und finde dir einen neuen kleinen Ort mit Plastikstuhl und ner Buddel Holsten, wo auch immer du jetzt sein magst.

In unserem Kiez wirst du fehlen, soviel steht fest.