Donnerstag, 21. August 2014

Filmempfehlung: "Glück"

Ich möchte einen Film empfehlen.

Das ist ziemlich verrückt, da ich absolut kein Filmfan bin. Ich bin ein absoluter Serienmensch.

Ich kann mich nicht über eine komplette Filmlänge von neunzig oder mehr Minuten konzentrieren, es gelingt mir einfach nicht. Spätestens nach einer Stunde fange ich an, herum zu zappeln und zu nerven. Oder ich schlafe ein.

Aus diesem Grund besitze ich auch nur exakt zwei DVDs und zwar die von meinen beiden absoluten Lieblingsfilmen, die dann trotzdem immer gehen.

Kinobesuche fallen wegen des Konzentrationsproblems, Film-ADS quasi, natürlich auch aus. Mein letzter Kinobesuch ist Jahre her und ich war auch nur dort, weil ein Freund Freikarten hatte, ohne Begleitung aber nicht hingegangen wäre, obwohl er sich tagelang vorgefreut hatte.

Noch abstruser wird mein Vorhaben, hier eine Filmempfehlung auszusprechen, wenn es sich dabei um ein deutsches "Drama" handelt, das - wie sollte es auch anders sein - natürlich in Berlin spielt, bei dem Doris Dörrie in der Regie ihre Finger im Spiel hatte und das von Oliver Berben produziert wurde.

Aber alle Jubeljahre mal passiert es mir und ich entdecke zufällig einen Film, der mich aus unbekannten Gründen in seinen Bann zieht, sodass ich dann doch den Blick nicht vom Bildschirm wenden kann.

Das war jetzt mal wieder so. Das Spätabendprogramm des ZDF hat mich erwischt. Ich habe dafür sogar das Fußballspiel, das ich mir eigentlich ansehen wollte, sausen lassen.

Der Film heißt "Glück".

Meine TV-Programm-App deklariert ihn als "Drama" und das ist im Kern auch richtig. Allerdings gibt es auch durchaus komödiantische Elemente.

Es gibt minutenlange Szenen im Film, in denen nicht ein Wort gesprochen wird, in denen der Film nur vom Können seiner Darsteller lebt. Die ersten acht oder zehn Minuten, ich habe die Zeit nicht mitgestoppt, kommen komplett ohne Worte aus und trotzdessen oder vielleicht grad deswegen war ich von Anfang an gebannt und berührt.

Die Hauptrollen "Irina" und "Kalle" spielen Alba Rohrwacher und Vinzenz Kiefer und sie spielen sie ziemlich großartig.

Vor allem Rohrwacher, von der ich bis dato noch nie etwas gehört hatte, fand ich grandios. Und das hat nichts mit ihren Nacktszenen zu tun. Ja, im Film sieht man mehrmals ihre Brüste und ich gebe zu, ich fand das nicht schlimm, denn Alba Rohrwacher ist sehr hübsch. Sie hat ein interessantes, sehr markantes Gesicht und ich mag das.

Worum geht es nun in "Glück"?

Irinas glückliches Leben in einem unbenannten Land irgendwo im Ostblock endet abrupt, als dort ein Krieg ausbricht und ihre Idylle ausgelöscht wird.

Sie flieht und landet in Berlin, wo sie sich als Prostituierte "Natascha" durchschlägt und den Punk "Kalle" samt seinem Hund "Byron" kennen lernt.

Die Leben der beiden verweben sich mehr und mehr.

Das die beiden ein Paar werden, liegt auf der Hand und ist ab der ersten Sekunde ihres Zusammentreffens klar, aber das "wie" und die weitere Entwicklung hat dann so ihre Momente, die ich so definitiv nicht kommen gesehen habe.

Nach einem Zwischenfall mit einem Freier läuft die Situation dann endgültig aus dem Ruder und die beiden sind auf Hilfe von außen angewiesen.

Man merkt, ich bin ganz furchtbar schlecht darin, Dinge kompakt zusammen zu fassen, das hat bereits mein Deutschlehrer Herr Kleene in der Mittelstufe festgestellt und bei der Benotung meiner Textzusammenfassungen mehr als nur ein Auge zugedrückt. Die Hühneraugen vermutlich auch noch. Einer meiner absoluten Lieblingslehrer, mit denen verhielt es sich wie mit den Lieblingsfilmen: Ich hatte nur sehr wenige.

Was "Glück" angeht, so muss ich zugeben, daß ich mir das Ende irgendwie anders gewünscht hätte. Ich weiß aber nicht wie.

Die doch eher durchgängig leicht bedrückte Grundstimmung schlägt ab einem bestimmten Moment in ein "WTF, nicht im Ernst?!?" um, zumindest war das bei mir so. Und das hat mir nicht so sehr gefallen. Aber vielleicht habe ich das ja exklusiv.

Nichtsdestotrotz finde ich den Film prima.

So prima, daß ich für ihn auf mein geplantes Fußballspiel verzichtet habe.

Und so prima, daß ich ihn weiter empfehlen möchte, denn eventuell hat ja außer mir noch jemand einen leicht lädierten Geschmack, wenn es um cineastisches geht.

Zu "Glück" habe ich zwei kurze Kritiken gelesen, die beide in äußerst verschiedene Richtungen gingen - die Geister scheinen sich hier zu scheiden.

Ich für meinen Teil bin ganz glücklich, "Glück" entdeckt zu haben. Und "einen Film empfehlen" hake ich jetzt auf meiner "to do in life"-Liste ab.

Wenn jemand den Film bereits kennt, würden mich Meinungen interessieren. Danke im Voraus.

Mittwoch, 20. August 2014

Mitgehört (1): Familienplanung

Vor einem Restaurant am Paulinenplatz sitzt ein Paar in den Zwanzigern und genießt seine Drinks.

Sie himmeln sich an wie frisch Verliebte.

Es wird viel gelächelt, man schaut sich tief in die Augen und natürlich wird quer über den Tisch Händchen gehalten.

Sie reden leise und vertraut.

Plötzlich stutzt er und schaut irritiert.

"Ehrlich, du erzählst mir, welche Kindernamen dir gut gefallen? Ich will gar keine Kinder!"

Er springt auf und lässt sie, die nun ebenfalls irritiert schaut, am Tisch zurück.

Aus ein paar paar Metern Entfernung ruft er noch "Wirklich, ich will keine!"

Und nochmal fünf Meter weiter: "Und schonmal gar nicht mit dir!!"

Dann dreht er sich um und verschwindet um die nächste Straßenecke.

Sonntag, 17. August 2014

Die Qualle

Die Qualle sitzt am Abend an einer Bushaltestelle an der Fuhlsbüttler Straße, sie ist etwa 60 Jahre alt und hat sich im Laufe der Zeit sowohl einen grau-braunen struppigen Schnauzer als auch einen beeindruckenden Bierbauch, der nun das Flanellhemd fast zum Platzen bringt, herangezüchtet.

Die Qualle hockt feist auf einem der Sitzplätze und nimmt Schlucke aus der Flasche Oettinger, die sie fest umklammert hält. Es ist nicht das erste Bier des Tages, soviel ist auf den ersten Blick klar.

Die Qualle trägt knallrote Kopfhörer, die sie im minütlichen Wechsel auf und ab und wieder auf und wieder ab setzt, vor ihr parkt ein ranziger Hackenporsche, der unangenehm riecht.

Die Qualle hat etwas gegen meinen Bekannten, den ich zufällig getroffen habe, als ich zum Bus ging. Er arbeitet in der Nähe.

Und er ist türkischer Abstammung.

Oder kurdischer.

Oder sonstwas.

Ich weiß es gar nicht genau und es ist mir auch herzlich egal.

Der Qualle ist das nicht egal.

Schwarze Haare, dunkler Teint.

Feindbild.

Die Qualle lallt Dummes in die Welt.

"Achgugg, das Ölauge sprichddeutsch! Darfsu das übahaupt? Glaubbich nämmich nich, dürfn nur echte Deutsche. Bisdu nich, du bisn Muladde. Muladde!!"

Das geht ein, zwei Minuten so.

Peinlich berührt wenden sich einige ab, mein Bekannter, dessen Mutter, Frau und kleine Tochter neben uns stehen, bebt vor Wut, er ist aber ein kluger Mensch und lässt die Qualle labern. Mit ein oder zwei Gesten bedeutet er ihr, ruhig zu sein.

Seine Mutter und seine Frau haben Tränen in den Augen, sowas ist ihnen lang nicht widerfahren. Die Kleine bekommt zum Glück nicht viel mit, sie ist mit ihrer Puppe beschäftigt, die sie mir kurz zuvor noch vorgestellt hat, ich Hohlkopf habe den Namen der Puppe allerdings vergessen.

Mein Bekannter tröstet Frau und Mutter, immer noch zitternd vor Wut. Die Qualle schwitzt, trinkt vom Billigbier und lallt irgendwas von "alle abschieben, alle raus".

Manchen Menschen...

Der Bus kommt, ich verabschiede mich vom Bekannten und seiner Familie. Die Qualle hievt sich und sein Gepäckstück ebenfalls in den Bus Richtung Norden und lässt sich ächzend und schwankend auf eine Bank im vorderen Teil des Busses fallen.

Es dauert keine zehn Sekunden...

..."Achguck, n Neger!" Er hat einen farbigen Mitfahrer ihm gegenüber an der Tür entdeckt. "Dürfn die frei rumlaufn? Glaubbich abba nich, daß Neger das dürfn!"

Die Qualle imitiert Affenlaute, trinkt weiter ihr Bier und kann froh sein, daß der, den sie da grad beleidigt, anscheinend eine Seele von Mensch ist und sie nicht einfach vom Sitz boxt. Der Beleidigte lächelt das weg. "Lass mal, der ist besoffen." ist seine einzige Reaktion und dabei grinst er.

Ob er wirklich so denkt oder nur sehr gut Wut, Schock oder gar Angst überspielt, weiß ich nicht, aber für den Fall, daß ihm die Sprüche tatsächlich egal sind, ziehe ich meinen Hut vor so viel Gelassenheit und einem so dicken Fell.

Ich kann das nicht, ich koche innerlich bereits und vermutlich steigt mir der Rauch aus den Ohren.

Manchen Menschen...

Die Qualle hat durch ihr Gepöbel den vorderen Bus-Teil fast für sich allein.

Außer ihr sind da nur noch ich, der Fahrer, der der ganzen Sache interessiert zuhört, aber nichts unternimmt und eine Mittzwanzigerin mit Kopftuch auf dem Sitz ganz vorn, die die Qualle bis dahin nicht bemerkt hatte.

Die Qualle schreckt förmlich auf. Ein Kopftuch.

Ein langer Zug an der Flasche.

Fast schon panisch.

"Eyh! Eyh! Du da!! Eeeyyyh!! Du da mim Kopftuch!! Schleiereule!! Is Deuschlan hier, Deuschlan! Deuschlan is das hier! Wir tragn nich so Scheiß, wennu so Scheiß tragn wills musse suhaus machn wo du herkomms! Bei den annern von deine Sorte. Bein Terrorisn! Eyh Alde, hörsu mich? Eyh Alde!! Wir ham Vermummungsverbot in Deuschlan! Vermummungsverbot! Machma ab den Turban, dann..." - statt weiteren gelallten Tiraden rülpst er laut. Und nimmt direkt wieder einen Schluck von seiner Plörre.

Manchen Leuten...

An der nächsten Haltestelle muss ich raus, genau wie die Kopftuchträgerin. Und auch die Qualle bewegt sich zur Tür.

"Kannsu mir helfen? Is schwer!" Die Qualle redet mit mir, deutet auf ihren Hackenporsche und möchte, daß ich den für sie aus dem Bus hebe.

Das kann nur ein Witz sein.

"Bidde Alder, schwer is das. Kannsu das raushem? Der Neger is ja schon weg, der is ja aussestiegn. Wär ja sons sein Job gewesn."

Die Qualle meint das ernst.

Ich lasse meinen Mittelfinger die Antwort geben.

Die Gute mit dem Kopftuch steigt natürlich ebenfalls aus, ohne auch nur einen Gedanken an Mithilfe zu verschwenden.

"Ein stolzer Deutscher wie Sie wird doch wohl sein Gepäck allein und ohne Hilfe einer Terroristin tragen können?" höre ich sie sagen und würd ihr dazu am liebsten gratulieren.

Die Qualle brüllt uns, die wir in verschiedene Richtungen verschwinden, einiges hinterher.

Fotze, Arschloch, Negerfreund. Das übliche. Nichts innovatives.

Manchen Menschen...

...ich gebe es zu:

Manchen Menschen möchte ich manchmal einfach nur mit Anlauf in die Fresse hauen.

Worte helfen da schon lange nicht mehr, diskutieren ist eh nicht im Ansatz möglich.

Einfach BAMM, eine links, eine rechts, keine Erklärungen, Feierabend.

Würde ich wirklich gern.

Manche haben es einfach nicht anders verdient.

Sonntag, 3. August 2014

Rein oder raus

Samstag Abend am U-Bahnhof Sierichstraße.

"Zurückbleiben bitte!"

Doch die Bahn bleibt stehen, weil sich ein Pärchen aus meinem Waggon nicht voneinander trennen kann.

Es wird in der Tür der Bahn umarmt und geküsst als sei es ein Abschied für immer.

Abwechselnd ist mal sie und mal er auf dem Bahnsteig, aber ständig wird durch das Geknutsche und Gekuschele der Schließmechanismus der Tür blockiert.

Das geht so sicher eine Minute oder noch länger.

Dann meldet sich der Fahrer der Bahn mit leicht ungehaltener Stimme übers Mikrofon.

"An das Pärchen an Wagen drei, könnten Sie sich bitte mal entscheiden, was Sie wollen?"

Kurze Pause.

"Immer rein, raus, rein, raus... Das können Sie in Ihrem Schlafzimmer so machen, aber nicht in meinem Zug!"

Das Pärchen verschwindet augenblicklich von der Tür.

Die Bahn fährt endlich ab.

Übers Mikrofon hört man den Fahrer noch leise irgendwas von wegen "immer diese Notgeilen" und "alle bekloppt" murmeln, dann schaltet er das Mikro ab.