Donnerstag, 18. September 2014

Spuren der vergangenen Nacht

Ein Mittwoch Morgen in meiner Straße.



Spuren auf einer staubigen Motorhaube.

Die eines Porsche übrigens. Älteres Model, 914er oder so, prima Auto!

Die Chancen, daß die Nummer (Haha, ein Wahnsinn von Wortspiel! Musste sein, Entschuldigung!) ein Fake ist und sich irgendwer einen Spaß erlaubt hat, stehen nicht so schlecht.

Amüsiert habe ich mich trotzdem königlich.

Sonntag, 14. September 2014

Mitgehört (2): Bunte Zukunftspläne

In der Altonaer Fußgängerzone hockt auf der Bank neben der, auf der ich eine kleine Pause einlege, eine Gruppe Punks.

Bunte Haare, Dreadlocks, Piercings en masse, Bierdosen, Selbstgedrehte, Geschnorre. Alles am Start. Natürlich auch die obligatorischen gut erzogenen frei laufenden Hunde, unter ihnen ein ganz junger kleiner Schäferhund.

Ein Pärchen in meinem Alter kommt heran gelaufen, neben ihnen hüpft die kleine Tochter, geschätzte vier Jahre alt die Straße entlang.

Und entdeckt den Welpen.

Die Kleine ist vor lauter Begeisterung kaum noch zu bremsen und knuddelt den kleinen Hund ausgiebig, dann bestaunt sie mit großen Augen die bunte Truppe auf der Bank, während Mami und Papi irritiert und mit leicht angeekeltem Gesichtsausdruck ein paar Münzen spenden.

Nach ein paar Minuten können die Eltern ihre Kurze endlich loseisen und sind darüber sichtlich erleichtert.

Als die drei dann an meiner Bank vorbei kommen, hüpft die Kleine freudig in die Luft und ruft mit sich überschlagender Stimme:

"Mami, Papi, die haben süße Hunde UND bunte Haare! Genau SO werde ich später auch!!"

Freitag, 12. September 2014

It's so Berlin!

"Oh my god, that's so Berlin!!"

Die fremdsprachige Touristin juchzt der scheinbar nicht ihrer Sprache mächtigen Freundin das zu und klatscht dabei begeistert in die Hände. Ihre Freundin nickt zustimmend und schießt das sechsundzwanzigste Foto von dem jungen Kerl, der vor uns auf einer kleinen Bühne steht und einer Gitarre und einem Synthesizer schräge Töne entlockt, die theoretisch gar nicht zusammen passen können, es aber zu meinen großen Erstaunen trotzdem irgendwie tuen und das gar nicht mal so schlecht.

Nach zwei oder drei Bier und mit viel Fantasie durchaus tanzbar.

An die Wand im Rücken des Musikers werden derweil abstrakte Szenen in verpixeltem schwarz-weiß projeziert, wahrscheinlich irgendein Kunstprojekt irgendeiner sich hier selbst verwirklichenden Mittdreißigerin mit Hippie-Genen, die Anzahl der Semester ihrer Studiengänge, Kunst und Psychologie wenn ich raten müsste, dürfte schon vor Ewigkeiten die Grenze zur Zweistelligkeit überschritten haben.

Kann passieren, daß das Studium sich zieht und zieht und kein Ende findet. Man hat halt nebenbei viel zu tun.

Shirts bebatiken, Bäume umarmen, Farben schmecken, wenn's zeitlich passt bestenfalls auch noch mal eben kurz die Welt retten wie Tim Bendzko, der meinem Bild einer hippiesquen Mittdreißigerin so gut entspricht wie kaum jemand anderes, den ich kenne. Es hält einen halt viel ab vom Studieren. Ich spreche da aus Erfahrung.

Die Gute hier, die da mit dem Kopf im Takt wippend im Schneidersitz neben der Bühne hockt und via Laptop das Kunst-Gedöns im Hintergrund choreografiert, hat es geschafft. Ein weiteres Etappenziel im Leben ist erreicht, ein weiterer Haken auf der "to do in life"-Liste ist gesetzt.

Eigenes Kunstprojekt im öffentlichen Raum: Check.

Beleuchtet wird die ganze Szenerie in knallig rot, was kombiniert mit dem schwarz-weißen Hintergrundgeschehen und der merkwürdigen und ungeahnt eingängigen Beschallung zugegebenermaßen ziemlich cool rüberkommt.

Auch wenn ich mitten in der Zentrale von Hipstertown stehe, gefällt es mir hier sehr gut.

Oh my god, that's so Berlin!!

Ist es aber gar nicht. Ätsch.

Ich stehe mitten in Hamburg auf dem Straßenfest in der Augustenpassage, einer kleinen Kopfsteinpflastergasse, die die Schanzenstraße mit der Sternstraße verbindet. Die Augustenpassage ist quasi eine direkte Querverbindung von meiner einen Lieblingsbar bis fast genau vor die Tür meiner anderen. Nützlich, sowas!

Außerdem war die Augustenpassage vor einigen Monaten mal in den regionalen Medien, weil irgendein geldgeiler Vermieter dort ein winziges Zimmer im Untergeschoss mit winzigem Kellerfenster für einen Quadratmeterpreis von - wenn ich mich richtig erinnere - irgendwas um und bei dreißig Euro ausgeschrieben hatte, was so wahnwitzig übertrieben ist, daß man fast schon darüber lachen muss.

Das Tragische ist ja: Vermutlich hat das sogar funktioniert und irgendjemand zahlt tatsächlich diese Unsumme für das alberne Kellerloch.

Vielleicht der Langhaarige, der mir am Stand ein Bier verkaufte. Vielleicht die Blonde, die so einnehmend lächelte, als unsere Blicke sich im Vorbeilaufen zufällig trafen. Vielleicht der Schwitzende im Parka, der mir auf den Fuß getreten ist und sich nicht entschuldigt hat, der Arsch.

Vielleicht ist die Person aber auch gar nicht am Start, weil sie Kohle für die Miete eintreiben muss und deswegen in irgendeiner Ecke dieser Stadt Drogen oder ihren Körper verkauft.

Man weiß es nicht und vielleicht will man es lieber auch gar nicht wissen.

Auf der Bühne geht es dem Ende entgegen und deswegen davor nochmal ordentlich ab.

Die Dreadlocks und die Jutebeutel schwingen im Takt der Bässe, volltätowierte Extremitäten fliegen durch die Luft und ich stehe ohne Dreadlocks, Jutebeutel und Tattoos als Randgruppe mittendrin und freue mich.

Lustigerweise gibt es hier kein Gerempel, es wird Abstand voneinander gehalten und so macht jeder auf seinem kleinen Teil der improvisierten Tanzfläche sein Ding, eine Koexistenz, die mir absolut imponiert.

Einzig ein eindeutig Besoffener stört die allgemeine Entspanntheit, indem er eine, die nur tanzen möchte, immer wieder bedrängt und so vertraut wie möglich tuend ihre Schulter oder ihren Arm betatscht, während sie vor ihm zurückweicht.

Das tut er solange, bis sich eine volltätowierte Schrankwand vor ihm aufbaut und mal freundlich aber bestimmt nachfragt, was er da eigentlich macht.

Der Suffi schaut kurz entgeistert und geht dann flitzen, die Schrankwand schlendert zurück zu ihrer Gang und die Tänzerin wirkt zunächst verwundert, dann freut sie sich einen Keks und hat ab da wieder gute Laune.

Ihre Freundin reckt den Daumen in Richtung des fleischgewordenen Schrankes und der zwinkert verschmitzt zurück.

Man passt hier ein wenig aufeinander auf und ich finde das klasse.

Das Bühnenprogramm ist beendet, aber von anderswo hört man noch Musik.

Gute, weil laute elektronische.

Ich laufe die Gasse hinunter und bin inzwischen froh, zufällig über dieses Fest gestolpert zu sein.

Ursprünglich wollte ich nur entspannt durchs Schanzenviertel laufen, da mir zuhause das Dach auf den Kopf fiel und im Fernsehen nur Schwund lief...Klaas Heufer-Einlauf, der sich von einem Hai beißen lässt, halleluja! Das hat mein Leben bereichert. Ich bin mir nur nicht sicher wie.

Spätestens danach war mir klar, daß ich raus aus der Wohnung muss.

Und einige Zeit später laufe ich durch ein Szenario, aus dem von allen Seiten Eindrücke auf mich einprasseln, hier ein leichter Schubs, dort ein Lächeln, hier fröhliches Gejohle, dort schöne Augen, da blitzende Lichter und wenige Meter weiter komplette Dunkelheit. Und dazu wummert der Bass im Magen.

Oh my god, that's so Berlin!

Vielleicht ist das gar nicht so falsch, Hamburg hat einiges, das die Hauptstadt nicht bieten kann, man denke nur an den Hafen - was Straßenfeste, Strassenmusik oder generell Strassenkunst angeht, bleibt aber doch nur der zweite Platz auf meinem persönlichen Treppchen.

Eine der Ausnahmen ist dann wohl dieses "Passagenfest", auf dem ich mich, ich mag es kaum aussprechen, tatsächlich wohl fühle und Spaß habe.

Mein Bier ist leer und die Quelle der elektronischen Musik nah. Rund um einen Getränkewagen drängt und tanzt das feiernde Volk, als ich mich annähere, baut sich vor mir einer auf und unterbricht den Strom derer, die vorbeilaufen wollen.

"Hier geht's nicht weiter, wir tanzen hier!", er deutet dabei auf ein Paar, das hinter ihm auf einer Treppe hockt und ziemlich fertig aussieht.

Ich schaue die beiden an, ich schaue ihn an, abgesehen vom roten Rauschebart sieht er normal aus.

Nur ein Augenlid zuckt verdächtigt wirr.

"Alter, erzähl mir nix, die sind doch viel zu kaputt zum Tanzen. Die können nicht mal mehr stehen! Außerdem: Ansonsten bin ich immer der, der im "Durchgang" steht, angerempelt wird und Platz machen muss. Heute ausnahmsweise mal nicht. Heut ist das dein Job. Also, weggetreten!"

Er zögert, aber dann tritt er beiseite und während ich an ihm vorbeilaufe, raunt er mir in todernstem Tonfall zu, er sei so in etwa wie James Bond und grad in geheimer Mission unterwegs.

"Ich überwache das hier! Alles!" flüstert er mir verschwörerisch ins Ohr und packt dabei meine Schulter.

Ich nicke das ab, schaue ihn so geheimniskrämerisch wie ich eben schauen kann an und gehe.

Zügig.

Wer weiß, auf was für einem Zeug der hängengeblieben ist und auf was für Ideen er als nächstes kommt.

Ein Freak mehr, der mir über den Weg gelaufen ist. Ich wundere mich schon lange nicht mehr und langweilig wird es mit denen eh nie. Höchstens mal unangenehm.

Ein durchgetanztes Bier später geht es dann mit einem Grinsen im Gesicht zur Bahn und gen Heimat.

Hipsterparty galore und lauter Bekloppte, klar, bleibt halt in manchen Ecken dieser Stadt nicht aus und in dieser speziellen Ecke schon mal gar nicht.

Aber das kann ja ausnahmsweise auch mal lustig und (ent)spannend sein und nicht wie zu oft ätzend und nervtötend.

Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.

Und das hier ist so eine Ausnahme.

Finde ich.

Dann mal bis nächstes Jahr!

Donnerstag, 4. September 2014

Die Beginner und der blanke Wahnsinn

"Ihr wollt ein Liebesliiieeed, ihr kriegt ein Liebesliiieeed...ein Lied, das ihr liiieeebt!"

Eizi Eiz's aka Jan Delay's nasale Stimme nölt den Superhit der Beginner in der Roten Flora ins Mikrofon und die Menge vor der Bühne johlt, die Köpfe nicken, die erhobenen Hände gehen von links nach rechts oder auf und ab. Meist auf und ab.

Mir schlägt derweil einer von links nach rechts seinen Ellbogen an den Kiefer und vor mir drängeln sich - "Sorry, ich muss da mal durch! Ich muss da näher ran!" - ein paar aufgestylte Mädels vorbei, Körperkontakt ist vollkommen unvermeidbar.

Über den freuen sich zwei Jungs neben mir. "Ich hatte Arschkontakt mit der rechten Hand!" - "Geil Mann, ich auch! Bei der Blonden?" - "Ja, die Blonde! War total geil!" - "Auf jeden Mann!"

Sie geben sich die hohe Fünf, grinsen beide wie Honigkuchenpferde und haben wahrscheinlich beide feuchte Flecken in den Shorts.

"Arschkontakt", alter Schwede, darüber hab ich mich mit vierzehn im übervollen Schulbus gefreut und das ist mir heute extrem peinlich, die Gestalten neben mir tragen Vollbart (natürlich), Muskelshirt à la Cro (natürlich) und die Caps rückwärts. Natürlich.

Da ist nix mehr mit Schulbus und so weiter. Da ist so ein Verhalten doch eher...nennen wir es unangebracht.

Dann trifft mich wieder eine Hand am Hals und der dazugehörige Arsch drängt Richtung Rote Flora.

Vielleicht sollte ich mit den beiden Vollhonks zu meiner Linken abklatschen, denn jetzt gehöre ich ja auch zu ihrem elitären Arschkontakt-Club.

Da wo ich stehe, ist der Durchgang. Immer. Ob auf Konzerten, in überfüllten Clubs, auf Demos oder sonstwo...Da wo ich stehe, wollen meine Mitmenschen entlang laufen. Und das möglichst rempelnd, pöbelnd und generell nervend. Selbst wenn direkt hinter mir eine Wand wäre oder es direkt in eine tiefe Schlucht ginge, jeder zweite würde dort hin wollen und sich an mir vorbei oder am liebsten mitten durch mich durch drängeln.

Und nein, da rettet auch der unfreiwillige und ungewollte Arschkontakt absolut gar nichts, denn die Ärsche, die ich anfassen möchte, suche ich mir doch lieber selbst aus und davon gibt es auch nicht wirklich viele.

Die "Absoluten Beginner" haben also am vergangenen Freitag ein Benefiz-Konzert für die Rote Flora in eben dieser gespielt und nein, ich war nicht vor der Bühne oder gar in der Nähe, ich stand gute fünfzig Meter entfernt auf der Kreuzung zur Susannenstraße, zusammen mit x-tausend anderen.

Ich habe die Straßen rund ums Schulterblatt noch nie so voll gesehen wie am Freitag, nicht während der WM beim Public Viewing, nicht bei Schanzenfesten oder bei Krawallen nach Schanzenfesten, nicht, wenn traditionell zum ersten Mai Deppen Fensterscheiben zerdeppern, nie.

Das war rekordverdächtig.

Der Auftritt der Beginner in der Flora wird an die Seitenwand des "Haus 73" projeziert, sodass man auch sehen kann, was in der Flora abgeht, während man selbst weit entfernt auf der Straße steht und alle paar Augenblicke Ellenbögen ins Gesicht oder die Rippen kassiert, als befände man sich auf einem Punk-Konzert.

Oder besser: Theoretisch könnte man dank Projektion sehen, was in der Flora passiert, würden nicht sämtliche Hipster, Vorstadtkinder und weiteres Volk dieser Stadt ihre Smartphones in die Höhe recken, um zu filmen, was in fünfzig Metern Entfernung an der Wand abgeht.

Im Ernst, was soll das?

Die Videos können unmöglich auch nur ansatzweise gut sein. Das ist ein dank der ganzen Rempeleien gut durchgeschüttelter Pixelsalat, auf dem wahrscheinlich maximal die Tonspur was taugt, auf der dann aber die johlenden Umstehenden und vielleicht ein paar Bässe und Beats zu hören sind, garantiert aber kein Text. Vermutlich gibt es bessere Aufnahmen vom Yeti als vom freitäglichen Beginner-Konzert von meinem Standort aus.

Das Gedränge wird krasser und krasser. Allmählich wird es wirklich ungemütlich und in einigen Gesichtern sieht man eine gewisse Beklommenheit.

Irgendeiner, der vom Konzert nichts mitbekommen oder einfach nicht weit genug mitgedacht hat, hat tatsächlich sein Auto, einen silbergrauen Familien-Van direkt an der Kreuzung abgestellt und der dient nun vielen als Sitzplatz, Tanzfläche oder Abstellplatz für leere Bierflaschen, weshalb ihn alle paar Minuten ein Pfandsammler samt Hackenporsche oder geborgtem Einkaufswagen ansteuert, der dann dank der Schubserei bleibende Eindrücke im Lack hinterlässt. Ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, wie die Karre tags darauf ausgesehen haben wird. Taufrisch garantiert nicht mehr. Eher wie ein abstraktes, zerbeultes und bemaltes Kunstwerk mit Rädern.

Es ist aber vorsichtig formuliert auch nicht besonders clever, an einem solchen Tag an eben dieser Stelle zu parken. Allerdings beobachte ich das immer wieder.

Mit einem ungläubig dreinschauenden und einem irritiert lachenden Auge erinnere ich mich an das Schanzenfest 2011, als ein Anzugträger seinen frisch polierten blendend weißen Luxus-Audi direkt am Schulterblatt parkte, um kurz zum Geldautomaten zu laufen, während keine hundert Meter weiter der Mob tobte.

Der erste Stein war schon durch die Seitenscheibe gerauscht, bevor er die Bank überhaupt betreten hatte, als er drei Minuten später wieder zum Auto kam, war es komplett entglast und mit einem Verkehrsschild gepierct.

Asozial, natürlich und ich halte nach wie vor absolut gar nichts von solchen Aktionen - aber wie weltfremd muss man denn sein um zu denken, daß es eine gute Idee sei, just in dem Moment genau dort zu parken? Das ist kompletter Wahnsinn! Es sei denn, es handelte sich um einen Versicherungsbetrug. Dann ist es relativ genial. Aber trotzdem Wahnsinn.

Beim Gedanken an die Geschichte muss ich grinsen, bevor ein Schlacks mit Hals-Tattoo mir in die Arme fliegt, weil irgendwer ihm einen Stoß versetzt hat. Er verteilt sein halbes Bier über mein Shirt, zuckt entschuldigend mit den Schultern und trollt sich. "Viel Spaß noch!"

Daß die ganze Geschichte dann doch nicht so spaßig ist, wird mir spätestens klar, als einer durch die Menge pflügt und eine Bewusstlose geschultert hat, die von der Gesichtsfarbe her gar nicht mehr gesund aussieht. Ihm folgen ihre in Tränen aufgelösten Freundinnen. Ein Großteil der Menge registriert das gar nicht, einige machen zumindest Platz für den "Krankentransport" soweit das eben möglich ist und die Minderbemittelten sind natürlich auch nicht weit, singen "Du kannst nach Hause gehn!!" und klopfen oder besser schlagen der Bewusstlosen noch "aufmunternd" auf den Rücken und gröhlen dabei.

Das sind die, die dann um sieben Uhr morgens selbst irgendwo von einem Rettungssanitäter aus ihrer eigenen Kotzlache in einen RTW gehievt und ins nächste Krankenhaus verbracht werden und dann später damit prahlen, wieviel sie gesoffen haben und wie sehr die Ladies sie liebten. Das Einnässen im Suff wird aber verschwiegen. Besser ist das.

Das Gedränge ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend, vollkommen abstrus wird die Situation, wenn im Hardcore-Gedränge plötzlich ein Kinderwagen samt darin liegendem und wohl ob der Lautstärke weinendem Säugling auftaucht, dem die Mutter ständig "Ist ja gut, ist ja gut, ist ja gut!" entgegen ruft und sonst nichts tut, während der männliche Part, Kindsvater oder nicht - vermutlich eher nicht oder zumindest einer von mehreren Kandidaten - den Weg Richtung Mittelpunkt des Geschehens frei räumt. Er, sein Weibchen und der Zwerg müssen definintiv mitten rein ins krasseste Hauen und Stechen, das ich seit ganz langer Zeit erlebt habe.

Kurz nach 23 Uhr, mein Kind ist wenn's hoch kommt ein Jahr alt...klar, das nehm ich mit zu einem Event in der Schanze, die Entscheidung liegt auf der Hand, da lernt die Brut direkt mal, mit Lautstärke umzugehen. Wenn Mama und Papa sich dann irgendwann später wegen den Unterhaltszahlungen streiten und anschreien, kennt das Kind das schon und schläft trotz Geschrei trotzdem ein. Ein nahezu perfekter Plan.

Auch zwei Rollstuhlfahrer versuchen, sich den Weg durch die Menge zu bahnen, was zentimeterweise funktioniert. Statt wie ich Ellenbögen bekommen sie alle paar Sekunden ein Hinterteil an den Kopf oder ins Gesicht gedrückt. Spaß kann das nicht machen, es sei denn, man steht drauf. Arschkontakt der etwas anderen Art.

Das Konzert neigte sich seinem Ende zu, das Gedränge nahm aber nicht ab sondern eher noch zu.

Mitdenkend wie ich nunmal bin, wollte ich kurz vor Ende des Konzerts den Heimweg antreten, um eine halbwegs komfortable Heimreise zu haben und nicht auch noch in der Bahn mit Wildfremden kuscheln zu müssen.

Der gleiche Gedanke wie zum Beispiel im Fußballstadion. Man geht nicht in der Halbzeit pissen oder neues Bier holen, man geht ein paar Minuten früher und hat so ziemlich seine Ruhe, weil immer noch neunzig Prozent aller anderen nicht gecheckt haben, daß das eine recht geschmeidige Lösung ist, auch wenn man immer Gefahr läuft, etwas zu verpassen. Im Stadion schlimmstenfalls ein Tor des Herzensvereins, beim Konzert den Lieblingssong.

Aber meiner wurde ja heut bereits gespielt. Also ab dafür. Nach Hause, rein in die Wohlfühlklamotten, noch ein Glas Wein und vielleicht mal wieder den Lieblingsfilm schauen.

Schöner Plan, hätte ja klappen können.

Ich wollte mich grad ins Gedränge stürzen und mir mit eigenem Ellenbogeneinsatz einen Weg heraus erarbeiten, ich freute mich fast darauf, endlich auch mal austeilen zu können anstatt die ganze Zeit nur zu kassieren, da sah ich in einem Meter Entfernung in der Menge ein Gesicht.

Ein Mädchen, vielleicht zwanzig Jahre alt, vielleicht jünger. Kalkweiß wie Frosty der Schneemann, hektisch nach Luft japsend, nah am Hyperventilieren, die Augen tränengefüllt, die langen Haare klebten verschwitzt an der Stirn.

Ich war auf genug Konzerten, um zu wissen wie Menschen aussehen, die bis fast zur Erschöpfung vor der Bühne herumgetobt haben. Denen blitzt die Extase aus den Augen und das Adrenalin tropft aus jeder Pore. Die wollen mehr.

In diesem bleichen Gesicht stand die blanke Panik, sowas habe ich zuletzt auf Videoaufnahmen der Love Parade 2010 gesehen.

Es tat sich eine Lücke in der Masse der drängelnden Leiber auf und das Mädchen fiel mir und dem Typen neben mir, der, wie sich kurz darauf herausstellte, zufällig auch noch Mediziner war, quasi direkt in die Arme. Sie hat sich also wohl den bestmöglichen Platz für ihren Kollaps ausgesucht - insofern es so etwas denn gibt.

Eine Viertelstunde später, nachdem das Mädel aus dem Gedränge hinausgeschafft und den patrouillierenden Sanitätern übergeben worden war, wurde mir von meinem Kumpanen noch ein Jägermeister aufgenötigt.

"Auf unsere gute Tat!".

Wenn ein Jägermeister-Shot die Belohnung für "gute Taten" ist, dann war diese definitiv meine letzte!

Jägermeister, pfui Teufel!

Außerdem seh ich die "gute Tat" bis heut auch nicht wirklich.

Endlich auf dem Heimweg gab es in der U-Bahn den zweiten Teil der "Belohnung".

Ölsardinenbüchsenfeeling, umfallen unmöglich. Schweißaustausch. Bier-und-Dönergeruch in der stickigen U-Bahn-Luft.

Ich wollte doch einfach nur nach Hause...

Vom Bahnhof Barmbek aus laufe ich. Frische Luft und weit und breit kein Mensch im näheren Umkreis, der schubst, rempelt, gröhlt.

Ich breite, während ich die Straße entlang laufe, die Arme aus und freue mich, nichts zu spüren, keine drängelnden Körper, keine verschwitzten Klamotten, keine fremden Ärsche. Einfach nur nichts.

Daß das Handy just in diesem Moment zu einem Lied der Beginner skippt, wird sicherlich nur Zufall sein.