Sonntag, 25. August 2013

Einfach mal "bitte" sagen



Letztens im Barmbeker Bahnhof: Die Höflichkeit ist hier leider auf der Strecke geblieben.

Das Schild wurde natürlich längst ausgetauscht. Auch auf dem neuen konnte ich das Wörtchen "bitte" nicht entdecken. Sie haben nichts verstanden...

Freitag, 23. August 2013

Wohnungssuche in Hamburg



(Leider nicht von mir fotografiert, eine Bekannte hats irgendwo in Eimsbüttel entdeckt. Ich staube hier nur ab wie Mario Gomez und nutze das Bild, weil ich es erstens lustig und zweitens sehr treffend finde, denn die Problematik lässt sich auch auf andere Stadtteile beziehen, in Eimsbush (und anderen Szene-Vierteln) ist es nur momentan relativ akut. Außerdem steh ich auf den Verweis in der Mailadresse. "Was nützt die Liebe in Gedanken" hab ich immer gehasst, weil da Daniel Brühl mitspielt und den kann ich so gar nicht leiden...dabei ist es eigentlich ein echt guter Film!)

Es wäre ja lustig, wenns nicht so wahr wäre.

Meine kleine Ein-Zimmer-Bude im schönen Barmbek-Nord ist für mich auch nur noch deswegen bezahlbar, weil ich seit zehn-plus Jahren hier wohne, wenn ich mal ausziehe, zahlt der kommende Mieter garantiert einen Aufschlag von locker einem Drittel auf die Miete, die ich grad abdrücke. Und damit ist er dann noch gut bedient.

Das ehemalige Arbeiter- und Studentenviertel mausert sich. Von Unterschicht zum angesagten Szene-Stadtteil. Sagen zumindest Menschen vorher, die sich auskennen mit Stadtentwicklung und Trends und so. Barmbek-Nord wird in absehbarer Zukunft die neue Schanze. Und meine Wohnung ist dann ergo ein Kleinod, das jeder haben will. Relativ ruhige Seitenstraße, nicht im Erdgeschoss und gut an den ÖPNV angebunden. Wenn Barmbek-Nord in ein paar Jahren zur Schanze 2.0 mutiert ist, erste Anzeichen sind ja schon zu erkennen (Restaurants und ansprechende Bars ziehen in den Kiez, die Mieten steigen und wir haben jetzt sogar okaye StreetArt...wo früher Urs-Kevin sein "I was here" samt Datum mit Edding an die Wand gehauen hat, kleben heute recht ansprechend gemachte Stencils...und ja, das IST, so blöd es auch klingt, ein Zeichen für die Aufwertung eines Kiezes), dann werden sich Bewerber um meine paar Quadratmeter Wohnfläche schlagen und mein Vermieter wird mich hochkant rauskicken wollen - ein erster plumper Versuch wurde bereits erfolgreich abgeschmettert. Gewollt bin ich hier nicht mehr, das habe ich verstanden.

Aber ich geh hier nicht weg. Nicht freiwillig. Da muss mein Arsch von Vermieter sich ordentlich ins Zeug legen, um mich zum unfreiwilligen Auszug zu bewegen. Da muss er größere Geschütze auffahren.

Die Nachbarn, die erst seit kurzem hier wohnen, werden wieder gehen. Müssen.

Feriz aus Mazedonien lebt seit etwa einem Jahr in der Wohnung unter meiner und wird auch gehen müssen, wenn mein Viertel irgendwann bald "in" wird. Sein neunter Umzug wäre das, seit er 2005 nach Deutschland gekommen ist, erzählte er vor ein paar Tagen. Er ist ein gestandener Mann um die 50, spricht astreines Deutsch und hat viel erlebt. Wenn er von seiner Vergangenheit erzählt, wenn wir uns mal zufällig im Treppenhaus treffen, dann muss er manchmal abbrechen und erstmal schlucken, bevor er weitersprechen kann. Und ich lausche und höre ihm zu und muss manchmal auch tief durchatmen , während er erzählt, weil das, was er erzählt, einfach übel ist. Und wenn er, das ist abzusehen, aus seiner Wohnung raus muss, im Zuge des "alles muss neu sein", dann wird er weinen müssen, sagt er. Und ich kann ihm dann nur gut zureden, ihm auf die Schulter klopfen und versuchen, ihn zu trösten und sonst kann ich nichts tun.

Der Nazi-Arsch aus dem zweiten Stock wird sicherlich gegangen werden. Endlich. Vermissen wird ihn niemand, da bin ich mir sicher. Er sollte ja vor einigen Monaten schon raus, hat sich aber mit dem Vermieter irgendwie gut gestellt und durfte dann doch bleiben. Eine erneute Mieterhöhung wird er aber nicht überleben, obwohl auch er davon profitiert, schon ewig im Haus zu wohnen, bei Neubezug wären seine zwei Zimmer, Küche, Bad wohl unter (ich rate mal einfach) 650€ kalt nicht mehr zu haben und da setze ich vermutlich noch großzügig an. Und obwohl Denny ein Riesen-Arsch ist, habe ich so etwas wie Mitleid, er lebt seit über 20 Jahren hier und viel mehr Jahre werden es nicht werden. Das Ende einer Ära. Das muss hart sein.

Und ich?

Ich sitz weiter hier und schaue zu, wie mein Viertel auch ganz allmählich gentrifickziert wird.

Beobachte Ein-und-Auszüge vom Fenster aus. Ich werd Denny Umzugskisten schleppen sehen und mir innerlich selbst eine High Five geben. Ich werd Feriz Umzugskisten schleppen sehen und runterrennen und beim Schleppen helfen. Und ihn danach auf ein Bier einladen.

Und danach geh ich zurück in meine paar Quadratmeter Wohnung, in denen ich mich meistens echt wohl fühle. Und dann schreib ich drüber.

Mittwoch, 21. August 2013

Allein in der U4

Montag Abend, die Eltern sind wieder gen Süden unterwegs, nachdem sie und ich vormittags aus dem niedersächsischen Nichts nach Hamburg in die große Stadt gefahren waren, um mich erstens wieder auf dem Heimatplaneten Barmbek-Nord abzusetzen und um zweitens, so Mutters Masterplan, wie ein personifizierter wildgewordener Hühnerhaufen die Mönckeberg- und die Spitaler Straße auf und ab zu flitzen, in der Hoffnung, ein paar Schnäppchen machen zu können.

Beides gelang.

Während Daddy den Familienkombi fluchend durch den Feierabendverkehr auf dem Ring 2 Richtung Autobahn steuerte, saß ich in meiner Bude und langweilte mich. Vier Tage lang Hektik und lauter Menschen um mich herum, dazu noch ein "Hund", der zwar nicht ganz normal, dafür aber umso liebenswerter ist und nun: Ruhe.

Nur der obligatorische Motorradfahrer auf dem Ring 2, der den Motor seiner Maschine so hoch reißt, daß man ihn vermutlich bis nach Eppendorf hören kann.

Ansonsten nix. Keine Mutter, die einen vom Sitzplatz vertreibt, weil noch der Tisch gewischt werden muss, kein Vater, der sich in den Vollbart nuschelt, kein "Hund", der einem grunzend um die Beine rennt um Aufmerksamkeit zu erhaschen und Streicheleinheiten einzuheimsen.

Dann kommt mir ein Gedanke: Ich hab ja noch das Gruppenticket des HVV, mit dem die Eltern tagsüber durch die Stadt gefahren sind und ich kann es ja bis nachts um 3 noch nutzen! Das eröffnet mir, der nur eine auf diverse Stadtteile begrenzte Monatskarte besitzt, ja ganz neue Möglichkeiten! Legal nach Poppenbüttel, Othmarschen oder zum AirPort fahren, ohne sich ständig Sorgen um lästige und verhasste Abgangskontrollen machen zu müssen, ein ungewohntes Gefühl.

Da das Wetter aber typisch hamburgisch ist (lies: Es regnet wie aus Eimern), fallen manche Optionen leider aus, liebend gerne wäre ich zum Beispiel auf einer Hafenfähre durch die Gegend gefahren, ein Mal mit der Linie 62 raus bis nach Finkenwerder oder mit der 64 bis nach Teufelsbrück und dann wieder zurück zu den Landungsbrücken. Aber Fähre fahren geht nur auf dem Oberdeck mit Wind um die Nase, im geschlossenen Unterdeck hat es nicht viel mehr Charakter als eine stinknormale S-Bahn-Fahrt. Bei Regen fallen Fährfahrten also aus. Mist.

Dann fiel mir ein, daß die U-Bahn-Linie 4 ja seit relativ kurzer Zeit fährt, von Billstedt bis in die HafenCity. Und die Station "HafenCity Universität" soll doch so prima beleuchtet sein mit von der Decke hängenden Quadern (ein verdammt hässliches Wort!), die in verschiedensten Farben illuminiert werden. Ich hatte davon Bilder im Internet gesehen und fand die Idee sehr schön, mit Illuminationen bin ich ja eh leicht zu ködern. Beleuchte irgendwas bunt, drei Minuten später steh ich staunend davor.

Also auf, zunächst zum Berliner Tor, von da aus wird U4 zur HafenCity gefahren und von dort geht es dann, wenn ich ganz mutig und nicht zu müde bin, bis raus nach Billstedt.

Die U4 fährt über den Hauptbahnhof und Jungfernstieg und ab dort wird es komisch. Denn alle steigen aus und ich habe den kompletten Zug für mich allein. Sechs Waggons, alle leer, außer mir, der wie immer im zweitletzten Waggon sitzt. Ich bin der einzige Passagier. Das ist wirklich ein sehr komisches Gefühl! In Horrofilmen taucht in solchen Situationen immer der maskierte Schlitzer auf und schlitzt auf. Ich bin mir ziemlich sicher, daß das keinen Spaß macht.

Noch dazu fährt die Bahn vom Jungfernstieg zur nächsten Station "Überseequartier" in einem groooßen Bogen unter der Stadt gefühlte fünfzehn Minuten, in Wahrheit sind es nur vier. In der Station warten einige Personen auf die Bahn in die Gegenrichtung, zu mir steigt niemand dazu. Eine gesamte U-Bahn nur für mich allein. Verrückt.

An der Endhaltestelle "HafenCity Universität" steige ich aus, der Fahrer, der auch aus seiner Kabine geklettert ist und die fünf Minuten bis zur Rückfahrt wohl auf dem Klo verbringen will, schaut mich verdutzt an. Er hatte wohl nicht mit einem Fahrgast gerechnet. Er verschwindet durch die Tür, die nur HVVer benutzen dürfen und nach der Bahn hab ich nun auch einen kompletten BahnHOF für mich!

Es ist niemand da! Ich könnte mich nackt ausziehen und Purzelbäume schlagen, es würde schlichtweg niemand bemerken...außer dem Bahnfahrer auf dem Scheißhaus vielleicht. Wenn er da ein Fenster hat.

Es herrscht absolute Stille. In einer U-Bahn-Station! In einer Millionenstadt! Es ist absolut skurril.

Die über dem Bahnsteig hängenden Quader beleuchten die Szenerie in lila, rot, blau, grün, orange, es ist schön anzusehen, allerdings nicht so schön, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte gedacht, die ganze Station sei in "farbiges Licht" getaucht, dafür ist sie aber ganz einfach viel zu groß. Die Farben reflektieren ein wenig von den Wänden, das wars. Schade, ich hatte mehr erwartet. Ich finde die Idee dahinter allerdings weiterhin richtig gut!

Ich habe mein Telefon gezückt und die letzten verbleibenden Akku-Reste für ein paar Fotos verbraucht, damit man einen kleinen Eindruck von oben beschriebenem bekommt. Es sind keine guten Fotos, aber besser als nichts.











(Das letzte Foto zeigt einen Ausgang der Station "Überseequartier". Mir gefiel das Motiv.)

Nach Billstedt bin ich dann nicht mehr gefahren. Ich war seit sechzehn Stunden wach und ziemlich im Eimer. Und außerdem wollte ich nicht nach Billstedt.

Und die bis in den nächsten Morgen geltende Gruppenkarte habe ich am Berliner Tor einer Gruppe irischer Touristen geschenkt, die die nächtliche Stadt erkunden wollte und alle herzten und drückten mich deswegen und schenkten mir zum Dank ein handwarmes Kilkenny in der Dose. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das trinken mag...ich denke nicht.

Donnerstag, 15. August 2013

Der Hauptschul-Anarcho war unterwegs

Und mal wieder bluten mir die Augen und ich möchte mit dem Kopf vor die bemalte Wand schlagen...

Dienstag, 13. August 2013

Einer weniger...

Seit Tagen war er mir ein Dorn im Auge, ein dicker fetter brauner Dorn.

Ein NPD-Aufkleber. An der Wand neben der Rolltreppe hoch zum Gleis zu meiner U3 am Barmbeker Bahnhof. Mit einem Reim darauf, den ich hier nicht zitieren werde, weil ich nicht den Idiotenhaufen NPD zitieren will.

Tagtäglich transportierte mich die Rolltreppe daran vorbei.

Tagtäglich ärgerte ich mich. Der Scheiß-Sticker war gut gemacht, wie Nazi-Dreck halt gut gemacht sein kann. Der Reim blieb im Gedächtnis, blieb hängen, jeder Werbefutzi wäre froh darüber gewesen und ich hätte dazu gratuliert, wären es nicht die braunen Spinner gewesen, die sich den Spruch ausgedacht hatten.

Tagtäglich ärgerte mich, das die Nazibratzen soviel Resthirn oder einfach nur Glück hatten, den Sticker nicht an die gegenüberliegende Wand zu pappen, von der man ihn im Handumdrehen, im Vorbeigehen, mit erhobenem rechten Arm, haha, hätte abreißen können, nein, sie waren so "klug", ihren Scheiß an die Seite mit der Rolltreppe zu kleben, wo mensch nur hilflos vorbeirollert, es sei denn, man läuft entgegen der Rolltreppenrichtung rückwärts, um mehr oder weniger an Ort und Stelle zu bleiben und nestelt dabei noch seitlich am unsagbaren Aufkleber herum.

Denn der musste weg.

Dieser Balance-Akt ist aber schwerlich machbar. Ich habe ihn probiert. Es sah albern aus und fast wäre ich gestürzt. Ich habe nur einen kleinen Fitzel des Stickers zu fassen bekommen und habe mich tierisch aufgeregt, über Rolltreppen, meine nicht vorhandene Fähigkeit, unfallfrei auf der gleichen Stelle rückwärts zu laufen und Deppenvolk, das solche elenden Aufkleber überhaupt erst in die Landschaft klebt.

Gestern Abend um sehr spät nachts hatte ich dann die Schnauze voll und habe, da ich allein auf der Treppe war und auch sonst niemanden sah, der in naher Zukunft hoch auf den Bahnsteig wollte, den "Not-Aus"-Schalter gedrückt.

Der uniformierte Security-Mensch in den 50ern, der daraufhin angerannt kam, schaute nur kurz, nickte mir zu, sagte "Endlich kümmert sich mal einer. Ich selber darf ja nicht." und als ich damit fertig war, den in schwarz/weiß/rot gehaltenen Scheiß zu entfernen, bot er mir eine Selbstgedrehte an, krempelte den Uniform-Ärmel hoch, deutete auf ein Tattoo am Unterarm, das an das "Good night white pride"-Logo" angelehnt war und grinste.

"Chef will sicher wissen, was los war" sagt er und zwinkert dabei. "Ich sag ihm, da war braunes Zeug im Weg und das musste weg!"

Da hat er Recht, der gute Mann.

Montag, 12. August 2013

Über den Tellerrand - Ein paar Links zu tollen Blogs/Texten (4)

Ich geh selten bis nie ohne Rucksack aus dem Haus. Ist aber nur so ein kleiner Rucksack, günstig im BW-Shop gekauft. Nicht so ein riesengroßes Survival-Ding für Urlaube in der Antarktis, das Sunflower22a in Ihrem großartigen Text meint.

Der Kiezneurotiker erinnert sich an früher. Anarchomäßiges "Welt verbessern wollen", das ich "damals" auch betrieben habe, nur eben nicht in Berlin, sondern auf dem Dorf mitten im Nirgendwo. Seine "Helle-Mitte" hieß bei mir "Groß Hesepe" und die Jungs und ich sind per Rad hin, um Farb-Ballons an kackbraune Fassaden zu werfen und die Glatzen zu ärgern. Vielleicht auch mal einen Text wert irgendwann. Aber lest erstmal den vom Kiezneurotiker!

Dann stolperte ich in Kiezneurotikers Blog noch über das hier. Haustiere anyone?? Ich hatte mal eine echt große und sehr coole FAST handzahme Ratte namens "Napoleon". Und bei dem Text muss ich irgendwie an den "kleinen" Scheißer denken...

Sonst noch? Jepp!

Es gibt tolle Sprachen (Englisch), es gibt niedliche Sprachen (Schwedisch) und es gibt eine lustige Sprache, von der ich unbedingt zumindest einen Teil lernen will, vermutlich aber bereits an der Aussprache scheitere: Finnisch. Eva Schulz versucht das auch.... Und ich will auch und bin neidisch.

Einen letzten hab ich noch. "Vor mir die Welt" von Meike Winnemuth. Die hat mal im TV eine halbe Million gewonnen und ist dann einfach gereist. Zwölf Monate, zwölf Städte, währenddessen drüber schreiben...extrem lesenswert! Das will ich auch. Die "Orte, die du sehen willst-Liste", die seit Jahren im Hinterkopf ist, will ich auch abarbeiten.

Ich melde mich noch heute bei RTL als Kandidat an...

Bamm bamm!

Gestern Abend im Bus.

Der Siebener von Barmbek aus in Richtung der heimeligen Plattenbau-Silhouette von Steilshoop, dem mehr oder weniger liebenswerten Ghetto-Ersatz für die, die nicht bis ganz nach Billstedt in den tiefsten Osten der Stadt oder Neuwiedenthal im fiesen Süden Hamburgs unterhalb der Elbe fahren wollen.

Drei Jungs. So um die 20. Die Jogginghose hängt irgendwo in den Kniekehlen, die Caps sitzen quer auf den Köpfen, die Fake-Brillies von H&M oder Pimkie glitzern an den Ohrläppchen und natürlich hat auch jeder der drei mindestens einen kleinen obligatorischen Stecker im Ohr, über den er mit lebenserhaltender "Musik" von Bushido und Konsorten versorgt wird.

Man unterhält sich über die letzte Nacht. Einer der drei hat "einen geklatscht". Die anderen beiden glauben ihm nicht so recht.

Es entbrennt eine hitzige Diskussion, ich höre immer nur "schwör" und "Alder", sie sprechen eindeutig Deutsch, ich verstehe trotzdem kaum ein Wort.

Der, der "geklatscht" hat, baut sich vor seinen Kumpels auf, er muss seine Ehre retten.

"Mann, ich schwöre, der Typ war voll Opfer!! Der hat zahlreiche Hämatome erlitten!!"

Seinen Kumpels steht der Mund weit offen. Mir auch.

Der Bus hält an einer Haltestelle, ich muss hier raus. Die Kumpels, einer groß, einer klein. steigen mit mir aus, ohne ihren Homie eines weiteren Blickes zu würdigen.

Dann hör ich den kleinen zum großen sagen "Seit der T. Uni ist, labert der nur schwules Zeug! Hämatome, was soll das denn sein?" und der große erwidert "Ich glaub, er hat ihm gegeben! Ordentlich! Bamm bamm, weißt du?"

Es wird zustimmend genickt. "Bamm bamm, ja Mann!" Man nickt sich zu. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie Piggeldy Frederick an die Hand nimmt und dann gehen beide zusammen nach Hause.

Ich biege nach rechts ab in den Park und muss lächeln. Piggeldy und Frederick werde ich noch länger im Kopf behalten.

Mittwoch, 7. August 2013

Ghetto-Kids und Schlagerfreunde, vereinigt euch.

Sonntag Morgen. 05.36 Uhr.

Stille.

Endlich.

Ich liebe das Großstadtleben, die Hektik, den ständigen Geräuschpegel bestehend aus stetig vorbeirauschenden Autos auf dem nahen Ring 2, dem langanhaltenden tiefen Rauschen, wenn wieder ein großer Jet Fuhlsbüttel anfliegt, gern auch mal den kläffenden Nachbarshund oder den hustenden Nachbarn, der eben diesen Hund spätnachts noch Gassi führt.

Mein liebstes Nachtgeräusch ist allerdings das der U3, wenn sie bremsend in den Heimatbahnhof aus Richtung City, Schanze, Pauli kommend, einfährt um ihre Passagiere auf den Bahnsteig auszuspucken, ein einmaliges unverkennbares Geräusch. Sechs oder sieben Minuten später höre ich dann manchmal Schritte am Haus vorbei gehen oder wie sich unten die Haustür öffnet und Nachbarschaft vom Feiern oder von der Nachtschicht heimkommt. Ein Kopfkino, das ich mag.

Und warum dann "Sonntag Morgen. 5.36 Uhr. Stille. Endlich."??

Weil all meine lieben Nachtgeräusche übertönt wurden durch Gegröhle, Gepöbel, grausige Musik, Würgegeräusche, mit Quietschestimme ins Handy gejaulte Liebesschwüre...

Ich habe das große Glück, direkt neben einem Schulgelände zu wohnen und auf dem Grundstück gibt es seit etwa drei Jahren einen Jugendtreff, dort trifft sich die Jugend der sozial eher schwächeren Nachbarstadtteile Steilshoop und Dulsberg und einmal im Jahr ist da ein Sommerfest oder sowas.

Im Prinzip kommt man da an 364 Tagen des Jahres gut miteinander klar, man hört nur hin und wieder mal irgendwelches Gedisse weil irgendwer wohl voll homo ist oder eine maximal Fünfzehnjährige liegt heulend auf dem Gehweg, weil Hussein oder Niels oder Kevin wieder mit Chantal oder Fatime oder Samantha-Joleen geknutscht hat, obwohl doch SIE seit VIER Tagen mit ihm zusammen war. So richtig! Große Liebe und so...

Alltagsdramen.

Wenn ich frage, ob ich helfen kann, soll ich Opfer mich verpissen. Denn sonst knallts. Echt. Schwört sie, die Teenie-Tussi. Während sie verheult im Dreck liegt. Ich muss dann immer ziemlich lachen. Weswegen ich dann von der im Schmutz liegenden (es ist immer die gleiche, es geht nur immer um andere Jungs und Kontrahentinnen) nur noch wüster beschimpft werde, was wiederum mich noch mehr lachen lässt...ein Teufelskreis. Ich mag ihn. Sie lernt's nicht.

Ich hab also RTL 2 in live direkt vor meiner Haustür.

Auf dem Schulgelände gibt's außerdem eine kleine Sporthalle, ich sehe dort regelmäßig Kampfsportler trainieren und auch eine Yoga-Gruppe für Frauen gab's dort mal. Diese Halle kann man wohl auch privat mieten, Geburtstagsfeiern, Firmenfeier, Jubiläen jedweder Art, you name it.

Bisher hatte man immer Acht gegeben, daß pro Abend nur ein Ort "belegt" war, aber dann muss der Azubi Mist gebaut haben und so gab's am letzten Samstag ein Zusammentreffen der Welten: Ghetto-Kids vs. Silberhochzeits-Gesellschaft.

Während der Sportschau gegen 19 Uhr fing es an, zwei Kleinbusse zwängten sich durch die Kopfsteinpflasterstraßen meiner Nachbarschaft und entluden Horden fröhlich plappernder Menschen auf den Fußweg, alle offensichtlich gut miteinander bekannt oder verwandt und gut gelaunt, es wurde zunächst mal ein Kurzer gekippt und die leeren Fläschchen wurden in einer Tüte gesammelt, ich war einigermaßen erstaunt. Im Normalfall fliegen die Dinger straight in den nächsten Busch und das war's dann. Ich war also guter Dinge, meine Straße würde am nächsten Tag nicht aussehen wie ein Schlachtfeld.

Gut, die recht bald ertönende laute Schlagermusik war nicht mein Fall, es gibt aber Schlimmeres.

"Schlimmeres" lief mir dann im Bus auf der Heimfahrt vom Einkauf über den Weg.

"Schwör Mann! Ja, geht einiges! Einiges Diggie, eyh, Bitches Diggie, schwör! Komm XYZ-Straße, schwör Diggie, hab Weed am Start, wir ficken die Diggie!" - ... - "Häh??" - ... - "Was Freundin, schwul oder was?? Komm XYZ-Straße Diggie oder bist du homo oder was??"

Wenn ich sowas belausche(n muss), muss ich automatisch immer an Amoklauf denken. Warum nur?

Und jetzt ahne ich Fürchterliches! Und werde kurz darauf bestätigt, Unmengen Jugendlicher, alle in loser Kombination uniformiert in Jogginghose, Karohemd, Kapuzenjacke und G-STAR-Klamotten laufen mit mir von der Bushaltestelle zum Schauplatz des anstehenden Spektakels, ich bin grad in meiner Wohnung angekommen, habe die Einkäufe verstaut und die Calzone in den Ofen geworfen, da geht unten auf der Straße schon das Gebeule los. Sie zerren sich an ihren Hemdskrägen im Kreis über die Straße, es hat was niedliches. Irgendwer ruft laut "Fick ihm Ahmed, fick dem sein Arsch!!"

Ich muss schmunzeln.

21.25 Uhr

Die Calzone schmeckt nicht. Auch das noch.

21.45 Uhr:

Die Lautstärke der Schlagermusik erhöht sich schlagartig. Die kiffenden Intensivtäter in Ausbildung unten vorm Haus zucken zusammen. "Alta, schwör, ich geh hin und geb denen!" sagt einer, der rein optisch noch von Mutti gestillt wird. "Diggah, geh Alda, fick die!!" sagt einer, der einen Kopf größer ist.

Nichts passiert.

Sie nicken sich zu. Denen mit der Schlagermucke haben sie es gezeigt!

"Lass uns Bitches suchen!" schlägt einer vor. Johlend zieht die Elite von dannen.

23.00 Uhr:

Auf dem riesengroßen Schulgelände scheint es keine Toiletten zu geben. Immer, wenn ich aus Interesse den Kopf aus dem Fenster strecke, seh ich Männlein oder Weiblein an mein Haus pissen. Oder schlimmeres.

Da kam mir eine Idee.

Vier Minuten später liege ich mit einer geladenen Wasserpistole, die kürzlich die kleine Tochter einer Freundin hier vergessen hat, an meinem Fenster auf der Lauer. Und beschieße aus der dunklen Wohnung fast im Minutentakt lachend zielgenau jeden, der sich meiner Fassade nähert oder schon an ihr steht oder hockt. Zumeist ergibt das irritierte Blicke in den sternenklaren Himmel. "Eyh, ich glaub, es regnet!" - "Was, Regen! Du laberst voll Alte!!" Ich treffe das Großmaul mit der Wasserpistole direkt ins Gesicht und unterdrücke einen Jubelschrei, er braucht ein paar Sekunden und presst dann "Eyh, ich glaub, JETZT regnet es echt!" heraus.

Sie pöbelt ihn an. Er pöbelt zurück. Dann verschwinden sie. Endlich.

00.45 Uhr:

Sackhaarlose aus Steilo und Dulsberg schubsen sich auf der Straße herum und wollen die Mütter der jeweiligen Widersacher beglücken. Einer ruft, er habe keine Mutter, sein Gegner erwidert darauf "Fick isch eben dein Bruder du Opfer!"

Im Nachbarhaus bricht Gelächter aus, ich sehe zwei Jungs auf ihrem Balkon stehen, sie feiern die auf der Straße stattfindende Tragikomödie.

Mangels Balkon lehne ich mich sehr weit aus dem Fenster und proste den beiden zu. Sie freuen sich und laden mich auf ihre VIP-Lounge ein, ich lehne dankend ab. Runter auf die Straße zum Mob? Ich denke nicht...

01.05 Uhr:

Zwei Wagen mit uniformierten Freunden und Helfern parken in der Straße, sämtliche Gruppen Jugendlicher stieben in alle Richtungen auseinander. Einer rennt slapstickmäßig vor einen Baum und geht k.o., wird dann von den Cops eingesammelt. #facepalm

01.50 Uhr:

Ich höre ein mir bekanntes Gejammere. Draußen sitzt die oben erwähnte ständig Heulende auf der Grundstücksmauer und beweint mal wieder einen Verflossenen. Ich ziele, der Wasserstrahl würd sie direkt im Nacken treffen. "Finaler Rettungsschuss", eins meiner zwei liebsten Wortgebilde der deutschen Sprache.

Aber ich lasse sie laufen und mit ihrem Elend allein.

02.40 Uhr:

Mehrere Polizeiwagen sind wieder da und lösen die Party im Jugendtreff auf, während die Cops Jugendliche nach Waffen abtasten und Platzverbote erteilen, steigt ein Besucher der anderen Feier seelenruhig über die Grundstücksmauer, lässt die Hose sinken und ist kurz davor, mir vor die Fassade zu scheißen. Direkt unter meinem Fenster... ...der noch dreiviertelvolle Tank meiner Waffe ist schnell abgebaut und ausgegossen und das Wasser ergießt sich über den an die Hauswand hockend angelehnten Asi, der sofort aufspringt, flucht und nun untenrum entblößt in meinem "Vorgarten" steht.

Das interessiert die Cops dann doch. Er wird nach Protesten direkt auch abtransportiert. Von seinen Mitfeiernden nimmt niemand davon Notiz.

04.05 Uhr:

Menschen streiten sich lautstark darum, wem das Taxi gebührt, das grad vorgefahren ist. Der Fahrer brüllt mit, er würd auch beide Paare fahren. Man müsst sich doch nicht streiten. Er wird nicht gehört. Schließlich hat er genug und brüllt " Ihr steigt jetzt ein und ihr anderen haltet die Fresse!" Acht Sekunden darauf rast das Taxi mit quietschenden Reifen los. Problem gelöst.

05.00:

Laute LAUTE Schlagermusik...die Nachbarschaft dürfte wieder wach sein. Guildo Horn hat alle lieb, der König von Mallorca feiert sein Bett im Kornfeld und das rote Pferd hat sich ganz einfach umgedreht, das Mistvieh.

Rausschmiss-Musik galore! Wer jetzt nicht geht, ist taub.

05.30:

Taumelnd verschwinden die letzten Party-Maniacs aus meinem Blickfeld. Auf dem Weg zur U3 werden sie leiden. Ich kenn den Weg in dem Zustand. Nur eben aus der anderen Richtung kommend. Die motherfuckers, die!!

Ich muss breit grinsen.

05.36 Uhr:

Stille.

Endlich.

Donnerstag, 1. August 2013

Die hübsche Irre und das Gemüse.

U1, Wandsbek-Gartenstadt Richtung City.

Ich döse in einem Viererabteil und beobachte die vorbeiflitzenden Lichter.

Die Bahn hält an der Straßburger Straße, wo ich fast mal gewohnt hätte, zum Glück hab ich die Wohnung damals nicht genommen, denn in der ersten Nacht, die ich dann dort verbracht hätte, wurden im Treppenaufgang, den ich vom Schlafzimmerfenster aus gesehen hätte, zwei Menschen niedergestochen und nur einer hat das überlebt. Das wäre der "perfekte Einstieg" gewesen, er blieb mir glücklicherweise erspart. An meiner jetzigen Heimathaltestelle gibt's nichtmal Grafittis, so harmlos ist die. Und ich find's gut.

Es steigt eine Frau ein. Sie hat die schulterlangen Haare zu zwei Pferdeschwänzen gebunden und lächelt mich an, als ich gelangweilt die neu Zugestiegenen mustere.

Ich frage mich kurz, warum sie lächelt. Dann schalte ich zurück in den Egal-Modus und da die Bahn jetzt unterirdisch fährt und es dementsprechend nicht lohnt, aus dem Fenster zu schauen, beschäftige ich mich mit meinem Handy.

Mir gegenüber setzt sich ein Schatten auf die Sitzbank, ich bemerke und verdränge es, ich suche grad verzweifelt einen anständigen Stürmer für meinen virtuellen Fußball-Manager, seit der Schürrle auf die Insel abgewandert ist, hab ich zwar Geld ohne Ende, dafür im Angriff aber ein klaffendes Loch. Und es gibt keinen adäquaten Ersatz auf dem Markt...verdammt noch eins!! First world problems...

"Hi!" sagt der Schatten.

Ich blicke auf. Verdattert.

Die Lächelnde mit den doppelten Pferdeschwänzen.

"Äh...hi? Kann ich was für dich tun?" frage ich.

Und es geht los...

"Ich heiße SoUndSo, ich habe jahrelang auf der Straße gelebt, meine Tochter ist jetzt acht Monate alt, wir leben jetzt in einem Mutter-Kind-Heim und kommen da gut zurecht!"

Aha. Das ist schön für sie. Also so semi-schön zumindest. Besser als Gosse. Und gepflegt sieht sie auch aus, auf jeden Fall. Aber was will sie?

"Oh Mann, das tut mir leid, deiner Kurzen geht's aber gut, ja?"

Sie nickt wild, die Pferdeschwänze fliegen herum. Eigentlich sieht sie recht hübsch aus. Bisschen blass vielleicht. Und wirre Augen. "Crazy eyes" nennt meine Lieblingsserie das. Ich weiß jetzt, was sie meinen!

"Ja ja, meiner Tochter geht's gut, sie ist grad bei der Oma! Aber...kannst du mir denn jetzt helfen?"

Das ist grad doof, denn ich hab grad maximal 40 Cent bei mir und das nächste Ziel ist ein Geldautomat. Also sage ich "Ich hab aber leider grad kaum Geld dabei, nur ein paar Cent, das tut mir echt leid!".

Ich ernte einen verwirrten Blick.

"Geld? Nein, will ich nicht. Aber hast du ne Gurke? Oder was in der Richtung? Das würd ich nämlich nehmen!", um das zu bejahen, nickt sie wieder heftig und die Haare wirbeln wieder umher.

Jetzt schaue ich verwirrt. Suche die versteckte Kamera. Finde sie nicht.

"Entschuldigung, nein, die Gurke, die ich sonst ständig mit mir herum trage, hab ich ausgerechnet heut leider zuhaus vergessen!" antworte ich todernst, "Das tut mir jetzt echt leid!" Die Ironie sollte schon erkennbar sein.

Sie tätschelt mein Knie. "Ach, das macht nichts. Das hör ich jedes Mal!"

"Ja, niemand achtet heutzutage noch auf sein Gemüse" denke ich und hadere mit mir. Hätt ich doch bloß die verdammte Gurke eingepackt, sie liegt ja im Kühlschrank und fristet ein trauriges Dasein. Ich hätte seit Minuten meine Ruhe.

Eine weitere Minute lang starrt sie mich frontal mit weit aufgerissenen Augen und ohne zu blinzeln (!) an und ich gucke Löcher in die Luft und tüftele an einem Fluchtplan.

"Nächste Haltestelle: Lübecker Straße!" tönt es aus den Lautsprechern.

"Oh, hier muss ich raus!" verkündet sie und strahlt.

Ich strahle auch. Innerlich. "Ach, schade! War ne nette Unterhaltung, echt!" lüge ich ihr ins Gesicht, ohne dabei auch nur zu zwinkern. Sie freut sich einen Keks, steht auf, hält inne, dreht sich zu mir um und winkt. Dann hüpft sie auf einem Bein aus der Bahn und den Bahnsteig entlang.

Ich schaue ihr hinterher, bis sie aus meinem Blickwinkel verschwindet und die Bahn in den Tunnel fährt.

Ich hab jetzt Ruhe. Gern hätt ich jetzt eine Gurke aus meiner Hosentasche gezogen und dann triumphierend "Hahaaa!" gerufen...naja, nächstes Mal.

Am Hauptbahnhof steige ich aus und gerate vom Regen in die Traufe.

(...to be continued...)